…….. es gibt immer einen, der das toll findet.
…. oder je bekloppter, desto prominenter.
Vielleicht fragt sich manch einer, was aus den beiden Helden der bildungsfernen Unterklasse geworden ist. Nein, sie wurden nicht vergessen, denn das Privatfernsehen erkennt in ihnen großes Potential. Nachdem nun Wolfgang, der trantütige Trinker, und seine Gattin „Neun Finger Margot“ in drei seriösen Fernsehformaten die Hauptrolle spielten, haben sie einen gewissen Grad an Berühmtheit erlangt. Aber für die ganz große Bühne fehlt noch ein wenig Dramatik.
Da klingelt es an der Tür. Wolfgang, der gerade damit beschäftigt ist, mit seinem sündhaft teurem Massagesessel zu verwachsen,fordert mit lieblichen Worten seine treue Gattin auf, die Türe zu öffnen: „Machma uff, du olle Kröte!“ Und weil sie so nett gebeten wurde, macht sich ihre Durchlurcht auf den Weg zur Tür. Von dort erklingen seltsame Töne. Es scheint als würde ein großes Orchester eine belanglose Musik vor sich hindudeln. Margot öffnet die Tür und die Musik wird etwas dramatischer. „Hallo, ich bin Sandra“, spricht ein etwas seltsam geformtes Frauengesicht, in das Margot nach öffnen der Tür blickt, „bist du die Margot?“ „Nee!“ Tür zu. Rumms! Orchster dudelt weiter.
Tür wieder auf. „Doch, ich bin doch die Margot“, sagt Margot. Die Musik wird euphorischer und Margot blickt verwirrt umher, auf der Suche nach der Kapelle. „Ach das ist aber schön Margot. Du glaubst gar nicht, wie lange ich schon nach Dir gesucht habe“, sagt die Sandra. Gesucht? Nach ihr? Margot versteht nicht recht und ihr Gesichtsausdruck lässt keinen Zweifel daran. „Ja“, sagt die Sandra, „denn ich habe eine ganz tolle Überraschung für Dich!“ Tusch, Schepper, Düdel, das unsichtbare Orchester geht mächtig in die Vollen. „Wer isn da?“ schallt es vom massierenden Sessel. „Weiß auch nicht, irgendeine Trine von der Heilsarmee oder so“, flötet Margot zurück. „Na dann gib ihr mal fünf Euro und sag, sie soll sich vom Acker machen!“ Margot gibt drei Euro und verliert keine weiteren Worte, während sie der Sandra die Tür vor der Nase zuschlägt.
Doch die Sandra lässt nicht locker und klingelt abermals. Margot öffnet wieder. „Also, ich bin die Sandra Echthart von diesem privaten Fernsehsender und ich habe eine wichtige Neuigkeit für Dich Margot, also zick hier nicht rum und hör mir erstmal zu!“ Die Sandra ist ein bisschen aufgebracht und zischt ihrem Assi hinter der Kamera zu, das er das mit dem rumzicken doch bitte später herausschneiden solle. Sie schüttelt sich kurz und dann öffnet sie wieder ihre Glubschaugen und blickt Margot mit diesem ebenso betroffen, wie auch gerührten Blick an, der den Vergleich mit der Heilsarmee nicht unbedingt sehr unwahrscheinlich erscheinen lässt. „Also Margot“, beginnt sie von neuem, “ ich habe wirklich sehr lange nach Dir gesucht…..“ .…..Was weder Margot, noch die späteren Zuschauer wissen, die Suche beschränkte sich darauf, dass der Redaktionspraktikant so lange online das örtliche Telefonbuch durchforstet hat bis er die Margot gefunden hatte. Das dauerte rund sechs Minuten. In der späteren Sendung werden daraus Monate der Ungewissheit und die Sandra muss um die halbe Welt reisen , sich mit ausländischen Behörden und spanisch sprechenden Inkas herumschlagen, um Margot zu finden…… „….denn ich habe Dir etwas Wichtiges mitzuteilen!“ Die Musik dudelt auch wieder. „Was für eine Mitteilung denn?“ wagt Margot zu fragen.
„Draußen, um die Ecke wartet der Ben und der Ben ist Dein Sohn!“ Tusch, Schepper, Düdel!!!! „Nee, mein Sohn heißt Horst und der wohnt zwölf Kilometer weit weg“, ist sich Margot ganz sicher. „Ja aber, Du hattest doch vor 28 Jahren eine Affaire mit einem GI und hast dann ein Kind bekommen, den Ben nämlich und den hast Du zur Adoption freigegeben!“ „Seh ich so aus, als ob ich ne Affaire mit nem Ami gehabt hätte?“ Ein Blick auf die abgetakelte Mittfünfzigerin mit leichtem Oberlippenbart, wie sie in ihrer rosa Jogginhose und dem lila Oberteil in der Haustür lungert, lässt berechtigte Zweifel aufkommen. „Ja aber, Du bist doch die Margot F. aus K., oder?“ „Nein, ich bin die Margot K. aus F.“ „Aber dann sind wir hier in F. und nicht in K.?“ „Genau!“ mit einem Scheppern schließt Margot wieder die Tür. Von draußen ist zu vernehmen, wie die nicht mehr so ruhige Sandra, den Redaktionspraktikanten mit wüsten Beschimpfungen überzieht…….“Und macht doch mal diese verdammte Musik aus“, schreit sie hinterher und dann macht sich die RT/SAT/TV Mannschaft auf den Weg.
Doch kurz drauf klingelt es abermals. Margot, die ein wenig ungehalten ist, schnaubt wütend zur Tür und öffnet. Draußen steht die Vera umt Zehn und lächelt gütig. „Bist Du die Margot?“ „Wer will das wissen?“ „Ich, die Vera. Ich komme von der Sendung :“Frau für meinen Sohn gesucht“ und Dein Sohn Horst, sucht eine Frau fürs Leben!“ Margots Gesicht hellt sich auf. Vor Wochen hatte sie einen Brief an die Vera geschrieben.
„Liebe Vera,
ich bin die Margot und auch die Frau von mein Mann, dem Wolfgang, dat versoffene Schwein, und noch die Mutter vom Horst. Der Horst ist mein Augenschein und Sonnenstern und ich wünsche ihm, dass er mal eine Frau findet. Er sieht leider so aus, wie sein Vater, deshalb hat er noch keine gefunden. Aber ich bin seine Mutti und er liebt mich sehr, aber ich kann ihm nicht alles geben. Der braucht auch mal was zum Kuscheln und kochen soll sie auch können. Klug muss sie nicht sein, das ist mein Horst auch nicht. Also liebe Vera, kannst Du helfen?“
Briefe wie diese ereilen die Vera dutzendfach am Tag und ihr gehen die mitunter leicht tragischen Fälle, völlig am Arsch vorbei, aber wenn der richtige Depp dabei ist, dann kann sie helfen. Dann wird sie Himmel und Hölle (letzteres zu wesentlich größeren Teilen) in Bewegung setzen, um ein paar Damen zu finden, die es so eigentlich nicht geben sollte, oder dürfte und die so wunderbar zum Fremdschämen einladen. Und auch für Horst hat sie ein paar Grazien aus den Niederungen der Republik zusammengesammelt. Damen, die sonst in Geisterbahnen stehen, um dort die Leute zu erschrecken. Und wenn sie nicht schrecklich genug sind, dann hilft der Sender halt nach. Und von den Grabbeltischen der Resterampe wird sie dann dem Horst ein paar Amazonen präsentieren. Doch zunächst wird der Horst erst einmal in einem kleinen Video vorgestellt……
Zu einer belanglosen Hintergrundmusik wird der Horst in verschiedenen Einblendungen und mit einfältigen Kommentaren vorgestellt. Horst, dem das soziale Elend aus jeder Pore überschäumend herauszuquellen scheint, ist ca. einsfünfundachtzig groß und einsechsundachtzig breit. Auf Geheiß des Senders hat er schon seit zwei Wochen seine Haare nicht mehr gewaschen. Die fettige Matte trägt er seitlich gescheitelt und auf seinem Hinterkopf befindet sich eine enorm große kahle Stelle. Die ist schon von Natur aus da. Musste somit nicht, vom Sender befohlen, angelegt werden. Er trägt Klamotten, die auch in den siebzigern niemand gekauft hätte. Nicht mal in der DDR.
„Hallo isch bin der Horscht, bin zweindreißisch Jahre alt und isch suche nach einer Frau.“ Im Hintergrund erklärt die Stimme von der Vera den Sachverhalt noch einmal. „Das ist der Horst. Horst ist zweiundreißig und noch immer ledig. Das möchte er gerne ändern.“ „Neben meine Arbbeid als Schaffner bin isch sehr naturverbunden und isch liebe Ziegen“, erklärt der Horst sein trauriges Leben. Im Video sieht man ihn als dicken Schaffner, der es kaum durch die Gänge der Waggons schafft und dann wird gezeigt, wie er mit einer Ziege kuschelt. Vielleicht ein wenig mehr, als es der Anstand zulassen sollte, aber was soll der Horst auch sonst machen, wo er doch noch nie eine Frau/Freundin hatte. Vera kommentiert natürlich auch hier das Gezeigte und kann gar nicht genug davon bekommen, mit Alliterationen als Stilmittel zu arbeiten. ….der schnaufende Schaffner…….der zielstrebige Ziegenwemser………der vollschlanke Volltrottel….. und so weiter. Am Ende des Videos ist klar, den nimmt niemand, der bei klarem Verstand ist. Das gibt garantiert beste Einschaltquoten.
Wolfgang, dem das alles zu blöd ist, zieht derweil in den Dschungel. Er befindet sich im Flieger nach Australien, als sich bei ihm zu Hause die Damen die Klinke in die Hand geben, um seinen Sohn zu ehelichen oder zumindest ein paar grauenvolle Dialoge, die vom Sender vorgeschrieben wurden, unsicher vom Teleprompter abzulesen. Dass er jetzt in diesem Flieger sitzt, verdankt er einem findigen Redakteur, der Wolfgangs Medienkarriere schon seit geraumer Zeit verfolgt und das Promipotenzial hinter der Fassade des gescheiterten Vollbluttrinkers erkannt hat. „Na Wolfgang, hättste Bock mal rauszukommen? Weg von all dem hier?“ hatte er gefragt. Natürlich hatte er Bock. Ein paar Wochen ohne seine Margot schienen wie eine Kur für Leib und Seele. „Allerdings ist das nicht ganz einfach“, erklärte der Fernsehmann, “ vielleicht musst Du da mal in Känguruscheiße baden oder die Klöten eines Steppenbüffels essen.“ „Das macht nix. Schlimmer als die Kochkünste von meinem Margottchen kann das auch nicht sein.“ Und so kam es, dass sich der Wolfgang als ebenso prominent wie auch dschungeltauglich erwies.
Nun sitzt er zwei Wochen lang mit seinem vergilbten Unterhemd in einem Camp inmitten eines Dschungels in Australien. Es hätte auch genausogut in einem Wald bei ihm zu Hause sein können, dem Wolfgang ist völlig schnuppe, wo er rumliegt, Hauptsache er hat seine Ruhe. Er bezieht das Camp zusammen mit einem knappen Dutzend Promis, die nur eine hervorstechende Gemeinsamkeit haben: Kein Schwein kennt sie. Da ist zum Beispiel der Rolf. Der arbeitslose Komiker, der in seiner Blütezeit das Gesicht hinter einer Toilettenpapierwerbung gewesen ist. Oder Frau Klencke, die irgendwann einmal einen halben Hit während der achtziger Jahre hatte. Oder dieser Schauspieler, dessen Namen sich nicht einmal die eigene Frau merken kann. Oder Monika, die ihren Nachnamen verkauft hat, um die ganzen Schönheitsoperationen zu bezahlen, die ihr eine gewisse Ähnlichkeit mit Frankensteins Monster eingebracht hatten. Neun von zwölf Bewohnern hatten bereits versucht sich das Leben zu nehmen und die meisten sind trockene Alkoholiker. Bis auf Wolfgang, der sich in der gesamten Staffel heimlich einen hinter die Binde kippt.
In den folgenden zwei Wochen gibt es Grüppchenbildung, Sticheleien, wüste Beschimpfungen, Tränen, Würgereiz, Selbstdarstellungen am Rande der Unerträglichkeit und Geschwafel, das einem die Schuhe auszieht. Jeder spielt sich in den Vordergrund und lästert über die anderen Vollpfosten. Nur Wolfgang nicht. Er liegt einfach nur da, schläft die meiste Zeit und wenn er zu einer Prüfung muss, dann geht er unberührt und angstfrei ans Werk. Er badet in Insekten („Fast wie zu Hause. Ihr solltet mal meine Silberfischsammlung sehen“, sagt er dazu), fischt mit dem Mund kleine Bälle aus einem Bottich mit Fledermausfäkalien und isst gegorene Innereien von Tieren, die er noch nie zu Gesicht bekommen hat. Und während den Zuschauern das kamerageile Getue der anderen „Promis“ allmählich auf die Nerven geht, geht Wolfgangs Sympathiekurve steil nach oben. Und so kommt es, wie es kommen muss. Wolfgang wird Dschungelkönig, bekommt jede Menge Kohle in den Arsch geblasen und wird von einer Talkshow zum nächsten Promimagazin gereicht. Dass er seitdem nur noch rohe Innereien isst, mutet zwar seltsam an, ist aber nicht weiter wichtig.
Zu Hause hat sich derweil auch viel getan. Horst hat seinen Augapfel gefunden. Sie heißt Belinda und ist beileibe keine Schönheit. Aber eigentlich ist sie hochintelligent und sehr nett, aber das weiß außer Horst und Margot niemand. Für alle anderen sind Horst und Belinda das mit Abstand blödeste Paar, das je zueinander gefunden hat. Und weil sie so wunderbar bekloppt daherkommen, werden sie auf eine Weltreise geschickt. Und so kann jeder mit dabei sein, wenn der taumelnde Traumtänzer Horst, seine biegsame Bluttransfusionsverwaltungsfachangestellte Belinda zu den schönsten Plätzen auf der Welt führt. Natürlich ist der Sender immer dabei, lässt die beiden grauenvollste Dialoge führen und jegliches Gespür für die Sitten und Gebräuche der fernen Länder vermissen…….. In Pisa: „Wie blöd sind die denn, dass die keinen geraden Turm bauen können?“ „Die sind bestimmt bei dem PISA-Test durchgefallen.“ …..Bei der Cheops Pyramide:“ Ich dachte die hätten hier eine Rolltreppe.“ ……..Im Louvre:“ Boah ist datt langweilig. Nur Bilder!“ usw………..
Doch irgendwann ist auch die schönste Weltreise vorbei und so treffen Horst und Belinda zu Hause auf Margot und Wolfgang. Die vier sind nun gern gesehene Gäste bei jedem Promimagazin und werden zu allen Chartshows und diesen „25 spektakulärsten Momenten“ Sendungen eingeladen, um dort in kleinen Einspielern die persönlichen Befindlichkeiten zu dem Gezeigten zum Besten zu geben. („ACDC ja, die rocken!“)
Kurzum, aus dem Medienalltag ist das Quartett des Grauens nicht mehr wegzudenken. Da kommt einem Mitarbeiter eines privaten Fernsehsenders die ultimative Idee. Warum sollte man nicht eine Realitiy- Dokureihe mit der ganzen Familie machen. Der ungeschminkte Alltag. Eine Familie am Rande der Verwahrlosung. Die Vorzeigesippe für die bildungsferne Schicht, von der alle soviel reden und niemand genau weiß, ab wann man denn dazu gehört. Reicht da Dummheit aus, oder muss man zusätzlich auch arm sein? Ist man automatisch doof, wenn man kein Geld hat? Oder ist der gut situierte Mensch von Haus aus schlau? Der fiebrig nachdenkende Redakteur weiß es nicht so genau und es ist ihm auch egal. Hartz vier reicht da doch schon als Begründung aus, oder etwa nicht? Für die Serie, die ihm vorschwebt, hat er jedenfalls schon das richtige Personal. Fehlt nur noch ein richtig blöder Familienname. Muss ja nicht der echte sein. Aber da wird ihm bestimmt noch irgendwas einfallen. Vielleicht die Geissens……Ach die gibt es ja schon…..Wie blöd ist das denn……