Es existiert ein Foto, das ich zwar nicht besitze, von dem ich aber immer noch ziemlich genau weiß, wie es aussieht. Das Bild stammt aus dem April 1991 und wurde auf einer Party gemacht. Genaugenommen war es die Geburtstagsparty von meinem Handballkumpel, dessen Freundin die beste Freundin vom Hasen war und immer noch ist. Das Bild ist deshalb interessant, weil sowohl der Hase als auch ich drauf sind. Sie sitzt im Vordergrund und ich stehe etwas weiter hinten, ich glaube zu der Zeit auch noch mit meiner damaligen Freundin. Ich weiß wie gesagt, dass es dieses Bild gibt, aber ich kann mich nicht daran erinnern, dass wir damals im selben Raum zur selben Zeit gewesen sind. Haben wir vielleicht ein paar Worte gewechselt? Ich weiß es nicht. Rund ein Jahr später kam es zu einem Aufeinandertreffen vom Hasen und mir, das zunächst unspektakulär erschien, aber im Nachhinein große Auswirkungen haben sollte.
Ich muss allerdings gestehen, dass ich nicht mehr ganz genau weiß, ob wir uns in der Zeit nach dem ersten Desaster näher gesehen hatten. Ich bin der Meinung, dass der Hase zu dieser Zeit einen losen Kontakt zu meinem Cousin pflegte, der erstens in der selben Straße wie ich wohnte, zweitens eigentlich schon immer ein sehr guter Kumpel war und drittens selbstverständlich auch mit mir in einer Mannschaft (Handball) gewesen ist. Aber, wie mir beide später getrennt voneinander beteuerten, war da nie irgendwas gelaufen zwischen ihnen. Ich meine mich jedenfalls erinnern zu können, dass der Hase mit meinem Cousin nach Wehldorf wollte und dass ich da mitgefahren bin. In meiner verschwommenen Erinnerung warteten er und ich auf den Hasen, der natürlich damals niemals der Hase war, sondern eine ganz normale junge Frau mit ganz normalem Vor- und Nachnamen. Ich meine mich erinnern zu können, dass mein Cousin und ich gerade „Wetten dass“ guckten, als sie kam, um uns abzuholen. Und ich meine auch, mich zu erinnern, wie sie aussah und was sie anhatte. Sie hat mir sehr gut gefallen, dessen bin ich mir sicher.
Doch das eigentliche Aufeinandertreffen ereignete sich später und auch diesmal war ich nicht gerade der Inbegriff von Seriösität. Anlass der Begegnung war, na klar, mal wieder Handball. Handball war mein Anker in einer Zeit, als ich eher ziel- und ahnungslos durchs Leben stolperte. Beinahe alles, was ich in meiner Freizeit machte, hatte auf irgendeine Weise damit zu tun. Deshalb ist es auch fast eine logische Konsequenz, dass ich auch darüber/dadurch die Frau fürs Leben finden würde, auch wenn sie eigentlich nicht das Geringste mit diesem Sport am Hut hatte. Es ist jetzt nicht so, dass sie etwas dagegen gehabt hätte, eigentlich war Handball ihr nur vollkommen gleichgültig. Daran hat sich bis heute nicht viel geändert. Da frage ich mich natürlich, warum sie überhaupt zu unseren Spielen gekommen ist. Schön wäre gewesen, wenn sie diesen komischen Typen mit dem abgrundtief verlotterten Opel unbedingt hätte wiedersehen wollen. Aber das kann sie nicht mehr so genau sagen. Nennen wir es eine Fügung des Schicksals oder so. Der entscheidende Tag also war im April 1992. Es war ein Sonntag. Wir hatten ein Auswärtsspiel und da wir auch gerade häufiger Publikum hatten, kamen sogar einige Leidensfähige auf die Idee dorthin mitzufahren. Unter anderem natürlich auch die Freundin vom Kumpel, die die beste Freundin vom Hasen war und ist, und auch deren Freundin. Wer mir jetzt noch folgen konnte, wird herausgelesen haben, dass meine zukünftige Ehefrau damit gemeint ist. Also die Freundin von der Freundin vom Kumpel.
Das Spiel war vorbei und ich glaube es war gewohnt miserabel, aber das spielte keine große Rolle, denn wir wollten danach zu Schorse. Schorse, das sei den Unwissenden hier kurz erklärt war unser Vereinswirt. Seine Gaststätte war nicht besonders schön. Ein Hauch von muffiger siebziger Jahre Kneipenästhetik umgab sie. Es roch so herrlich altmodisch und die Toiletten, die allerdings immer sauber waren, stammten auch aus einer anderen Zeit. Kurzum es war auch ein Tor zu einer anderen Zeit. Der Gastraum war nicht besonders hell und die Pommes auch gerne mal versalzen, aber ich wüsste nicht, dass es irgendwo eine bessere Kneipe geben könnte. Er betrieb das Lokal zusammen mit seiner Frau Hella und die beiden waren die nettesten Wirtsleute, die ich kannte. Sie waren auch sehr großzügig und gaben oft und gerne auch mal eine Runde aus. Wir dankten es ihnen dadurch, dass wir große Teile unseres monatlichen Barvermögens dort in Getränke und kleinere Speisen umwandelten. Hauptsächlich waren es aber Getränke. Schorse war der Dreh- und Angelpunkt für die ganze Handballabteilung, die für mich auch Dreh- und Angelpunkt war. Nicht selten drehte sich auch alles um mich herum wenn ich nach einem harten Spieltag/ Schorsetag das Lokal verließ. Das konnte mitunter schon morgens losgehen, je nachdem, wann wir ein Spiel hatten, und endete nicht selten gegen Mitternacht.
Es war die beste Zeit für unseren Verein und einige der legendärsten Feste Aktionen fanden dort ihren Ursprung. Wie zum Beispiel das Meterfinale.
Keiner weiß, wer auf die hirnverbannte Idee gekommen ist und warum, aber es war so, dass wir für jeden Scheiß zu haben waren und uns gegenseitig damit übertrumpften, wenn es darum ging einen Anlass für ein zünftiges Gelage zu finden. Das Meterfinale wäre aus heutiger Sicht eine Horrorvorstellung für jeden Ökotrophologen und bestand aus drei „Disziplinen“: Einem Meter Brot, einem Meter Wurst und einem Meter Bier, die es galt sich in Rekordzeit einzuverleiben. Nicht selten führte diese Herausforderung ihre Protagonisten an körperliche Grenzen und manchmal auch darüber hinweg. Das Bier wurde in einem Glas kredenzt, das wirklich einen Meter lang war. Das Glas hatte einen sehr langen Hals und unten dran eine große Kugel. Es waren glaube ich zwei Liter Bier drin und soweit ich weiß stammte das Glas aus England. Das Brot war ein ganz normales Meterbrot und die Wurst war eine Bockwurst von einem Meter Länge und ungefähr vier Zentimetern Durchmesser. Die Aufgabe bestand nun darin, diese drei Dinge: Wurst, Bier und Brot, in Dreierteams um die Wette zu vertilgen. Die besten Mannschaften durften sich anschließend an die Vorrunde noch einmal mit der gleichen Menge an Bier, Brot und Wurst in einem Finale messen.
Natürlich habe ich auch mitgemacht. Mein Team bestand aus einem Vegetarier, jemandem, der keine Bockwurst mochte und mir. Ich war somit der einzige, der sich mit dieser Bockwurst, von der Größe einer Anakonda beschäftigen musste und übertreibe jetzt nicht, wenn ich sage, dass es unter normalen Bedingungen (drei Wurstesser in einer Mannschaft) schon kaum machbar war, diese Aufgabe zu bewältigen. Meist war das Bier sehr schnell alle und dann wurde das Brot sehr trocken im Mund. Sich aber alleine einem Riesenprengel von einer Bockwurst widmen zu müssen, während die eigenen Mitstreiter sich das Brot mit dem Bier verdünnen, war schon ein Ding der Unmöglichkeit. Von Bissen zu Bissen wurde es schlimmer. Da half auch der Senf irgendwann nicht mehr. Das Bier war alle und auch das Brot war so gut wie gegessen. Nur die Bockwurst und ich kämpften miteinander. Schmeckten die ersten dreißig Zentimeter noch gut, waren die nächsten schon eine Tortur und ab Zentimeter 78 würgte ich mit jedem neuen Abbiss. Die johlende Menge feuerte mich an und ich gab mein Bestes.
Mein Würgereiz wurde nur von meinen Schweißausbrüchen übertroffen. Nach einer gefühlten Ewigkeit war es soweit, das letzte Stück Bockwurst breitete sich in meinem Mundraum aus. Und da war es nun und alles in mir schrie.“Spuck es aus, Du Vollpfosten!“ Ich hatte das dumpfe Gefühl, die anderen Wurststücke würden noch aus dem Hals herausragen. Wie sollte ich nur den ekligen Rest da hinunter kriegen? Aber nicht zu schlucken würde bedeuten, dass wir, also meine Mannschaft und ich,nach den strengen Regularien disqualifiziert wären. Ich wäre die Schande des Abends gewesen und hätte mindestens eine Lokalrunde schmeißen müssen. Aber und das möchte ich nicht ganz ohne Stolz erwähnen, wenn es ums Essen geht, bin ich ein Naturtalent. Schon immer gewesen. Und mit einem beherzten Aufbäumen, ordnete ich die Wursthappen in meinem Magen dergestalt neu an, dass auch der letzte Zipfel heruntergeschluckt werden konnte. Ich kaute verzweifelt und meine Backen blähten sich auf, wie bei einem Posaunisten. Ob es wohl auch Bockwurstposdaunen gab? Meine Gedanken schweiften, wie so häufig ab. Dann ein entsetzliches Würgen und Schlucken und das gebrühte Fleisch konnte in den Abgrund, Richtung Magen versenkt werden. Sollten sich dort nun andere Bereiche meines Körpers damit beschäftigen, hier oben war ich soweit durch mit dem Thema. Eine beeindruckende Leistung. Jubel brandete auf und ich streckte beide Arme Richtung Himmel. Mit einem lauten Brüllen, das wie eine Mischung aus Grizzlybär und Heidschnucke klang, untermalte ich meinen Triumph akustisch. Es war schon ein bisschen wie bei Rocky (Teil1) wenn er am Abschluss seiner Vorbereitungen diese mächtigen Treppe hochläuft und es allen zeigen konnte:“Ja, ich habe es geschafft!“ Ich hatte es auch geschafft. Meine Mitstreiter waren begeistert und mir war speiübel. Wenn der Hase mich so gesehen hätte, wer weiß, vielleicht hätte sie das Weite gesucht. Aber zu diesem Zeitpunkt kannte sie mich noch gar nicht. Hoffe ich jedenfalls.
Eine zweite legendäre und wirklich ziemlich coole Sache war das Tablettbalett.
Für das Vereinskostümfest wurde eine Attraktion gesucht und eine Gruppe verwegener junger Männer hatte die perfekte Idee. Man fragte mich, ob ich mitmachen würde und füllte mich solange ab, bis ich schließlich ja sagte. Es folgten einige Trainingsabende, aber nicht unter „Wettkampfbedingungen, das hoben wir uns für die eigentliche Aufführung auf. Rückblickend weiß ich nicht, welcher Teufel mich geritten hat, dass ich mich dafür hergegeben habe und ich glaube auch nicht, dass ich es heute noch einmal machen würde. Dafür hätte ich auch nicht mehr die Figur. Hatte ich damals auch nicht, aber da war es noch nicht so schlimm wie jetzt. Doch bevor ich hier noch weiter Verwirrung stifte, werde ich sagen was das Tablettbalett eigentlich ist.
Wir waren sechs Männer, die zu dem Stück „Peter Gunn“ einen Tanz aufführten. Peter Gunn ist ein Instrumental von Henry Mancini und jeder der die „Blues Brothers “ gesehen hat, wird es kennen. Umrahmt wurde unsere Darbietung von einigen sehr knapp bekleideten aparten jungen Damen (erste Damenmannschaft), die wirklich eine Augenweide waren. Aber trotzdem stahlen wir ihnen die Schau. Wir waren bekleidet mit schwarzen Schuhen, schwarzen Socken, einer schwarzen Krawatte, einem schwarzen Hut und zwei Tabletts. Sonst trugen wir nichts. Gar nichts. Man könnte auch sagen, wir waren eigentlich nackt. Ich bin nicht übermäßig verklemmt, aber nackt auf einer Bühne stehen, war damals wie heute ein Alptraum für mich. Deshalb fiel es mir auch so schwer, mich darauf einzulassen. Doch zurück zum Tanz. Wir hatten nun diese zwei Tabletts, die wir an strategisch wichtigen Punkten als Sichtschutz hielten und so eine Bekleidung vortäuschten. Wir befanden uns auf der Bühne, auf der wir zunächst nebeneinander standen und uns dann in verschiedenen Formationen bewegten. Blickrichtung zum Publikum. Dabei hielten wir abwechselnd ein Tablett in die Höhe, während das andere Tablett unserem Geschlecht Schutz gab.
Nur einer von uns war wohl etwas aufgeregt und hat für einen kurzen Moment beide Tabletts in die Höhe gehalten. Sehr zur Freude der johlenden Menge (die johlende Menge war weit verbreitet in jenen Tagen). Eine Figur bestand darin, dass wir nebeneinander mit dem eigenen Tablett dem Gemächt des Nebenmannes Schutz gaben und auch vom Nebenmann geschützt wurden. Die hierfür erforderliche Präzision wurde nur noch von dem Vertrauen übertroffen, dass man zu seinen Nebenmännern haben musste. Angesichts der Tatsache, dass dabei nicht einer unter anderthalb Promille auf der Bühne stand, eine mehr als heikle Angelegenheit. Aber wir waren hochkonzentriert und ich kann es beinahe jetzt noch fühlen, wie hoch mein Adrenalinpegel gewesen ist. Zum Abschluss der Vorführung setzte sich je ein Tänzer auf je eine der jungen Damen, die unser Rahmenprogramm bildeten und nun bäuchlings auf dem Boden lagen. Eine körperliche Nähe, die mir überhaupt nicht bewusst und eigentlich sogar vollkommen egal war. Wie gesagt, ich würde so einen Tanz niemals wieder aufführen. Ich war aber damals dabei und es bleibt immer eine lebhafte Erinnerung.
Solche Dinge verbinde ich auf ewig mit Schorse und es wird mir ein wenig wehmütig, wenn ich daran denke, dass er ein paar Jahre nachdem der Hase und ich zusammenkamen sein Lokal schloss und somit das Ende der wirklich goldenen Ära der Sottrumer Handballabteilung besiegelte. Aber im April 1992 war davon noch keine Rede. Doch zurück zum schicksalhaften Tag. Wir spielten also auswärts und danach gingen wir zu unseren Autos. „Gehen wir noch zu Schorse?“ fragte der eine, wohlwissend, dass es eine rhetorische Frage war, deren Antwort eigentlich schon in Stein gemeißelt gewesen ist. „Ja“, sagte der nächste. „Oh, dann komm ich auch mit“, sagte der Hase und blickte mich an. Ich wusste, dass es jetzt an mir war eine Charme-Offensive zu starten. „Und ich dachte, das wird ein schöner Nachmittag!“. Das war es, was ich sagte und ich war begeistert von meinem Humor und meiner Spontanität. Der Hase war für einen Moment entgeistert, oder vielleicht auch enttäuscht. Ich kann nur mutmaßen. Das Feingefühl fehlte mir offensichtlich. Aber der Hase kam trotzdem mit und nun folgte ein Tag/ Abend/eine Nacht, die hart an die Substanz gehen sollte.
Station eins war Schorse und dort traten wir in Mannschaftsstärke inklusive einiger Zuschauer an. Komplettiert wurde das Ganze von anderen Spielern aus anderen Mannschaften unseres Vereins. Nach einigen Bieren lichtete sich das Feld. Diejenigen, die in festen Beziehung standen, sahen irgendwann die Zeit gekommen, um für diesen Tag Prioritäten zu setzen. So verlockend das Bier mit den Kumpels auch war, eine schöne Zeit mit der eigenen Freundin erschien manchem wichtiger. Andere hingegen hätten eine Menge Ärger zu erwarten und machten sich deshalb lieber auf den Weg. Wir Junggesellen, davon gab es einige in der Mannschaft, beschimpften sie als Schlappschwänze, beneideten sie aber insgeheim darum, dass sie jemanden hatten, mit dem sie ihr derzeitiges Leben teilen konnten.
Die beste Freundin vom Hasen, die auch die Freundin vom Kumpel war und, wie der Hase auch, aus Rotenburg (15km Entfernung)kam, wollte auch nach Hause und da der Hase mit ihr zusammen gekommen war und kein eigenes Auto dabei hatte, hätte sie eigentlich mit gemusst. Was ich als sehr schade empfand, denn wir waren eine lustige Runde und es gefiel mir außerordentlich, wie der Hase sprach und lachte. Am liebsten hätte ich gesagt:“Bleib doch noch, ich bring Dich dann später nach Hause!“ Das mochte ich aber nach fünf oder sechs Bier (ich weiß es nicht mehr genau) nicht tun. Da konnte man nichts machen, sie würde also wegfahren. Nun gut, Rotenburg ist zwar nicht aus der Welt und vielleicht würde man sich auch bald wieder sehen, aber für diesen Abend war´s damit Essig. Dachte ich zumindest, denn in diesem Moment hörte ich den Hasen sagen:“Och, ich bleibe noch hier.“ „Und wie willst du nach Hause kommen?“ „ER fährt!“, sagte ich und deutete auf den Mitspieler, der betrunken eingeschlafen war und dessen Kopf schnarchend auf der Tischplatte lag. Die Freundin vom Hasen war entsetzt. „Ich werde schon eine Fahrgelegenheit finden“, sagte der Hase. Ihre Freundin fuhr los und ich verspürte ein kleines Glücksgefühl (Ja! Sie bleibt!).
Station zwei war der Grieche. Anfang der Neunzier gab es in Sottrum noch eine gewisse Kneipenkultur und einen Griechen. Also ein griechisches Lokal. Nicht selten gingen wir, wenn wir nach einem Schorsegelage Hunger auf fremdländische Speisen bekamen, zu ihm und bevölkerten dann einen nicht unerheblichen Teil des Lokals. Unser Grieche war sehr aufgeschlossen und es machte ihm nichts aus, wenn so eine angetrunkene Horde sein Lokal heimsuchte. Wir waren allerdings auch immer friedlich. An diesem Abend war es wie immer. Verspeisten Gyros in rauen Mengen und spülten es mit Bier und Ouzo herunter. Die Gruppe verkleinerte sich wieder und er Hase bleib immer noch dabei. Wie schön. Das Gyros schmeckte besser als sonst und das Bier auch. Und trotz der Ouzos, fühlte ich mich erstaunlich nüchtern. Ich will jetzt nicht behaupten, dass ich nur Augen für den Hasen hatte und ich weiß auch nicht mehr, ob wie dicht beieinander saßen. Sollte das der Fall gewesen sein, hatte mir das bestimmt sehr gut gefallen.
Station drei war das Casablanca. Das Casablanca war eine Kneipe/ein Bistro im Ortskern und auf modernere Art gemütlich eingerichtet. Man konnte hier auch Essen, wenn man wollte und natürlich trinken, was wir auch taten. Der Hase übrigens nicht. Sie bleib die ganze Zeit über nüchtern und trotzdem bei uns. Und auf wudervolle Art und Weise, war es ihr total egal, wie sie nun nach Hause kommen würde. Ich glaube wir hatten schon begonnen, ihr zuzusichern, dass wir ihr ein Taxi spendieren würden. Auch wenn sie nicht zur Mannschaft gehörte und eigentlich neu hinzugekommen war, fühlte es sich an, als wenn sie mit uns aufgewachsen wäre. Sie war einfach mittendrin und ich mochte das sehr.
Highlight im Casablanca war der Darts-Automat. Ein großer Kasten, auf den man mit Pfeilen warf, die eine Kunststoffspitze hatten und der eine Zielscheibe in seiner Mitte hatte, die mit kleinen Löchern übersät war. In diese Löcher passte der Pfeil, oder dessen Spitze vielmehr genau rein und der Automat zählte dann die Punkte zusammen. Es ist eine anerkannte Tatsache, dass ich mit Abstand der schlechteste Spieler in den großen Kneipendisziplinen (Flipper, Billard und Darts) war und auch immer noch bin. Beim Billard war ich schon froh, wenn ich die weiße Kugel traf und beim Flipper, wenn ich die dortige Kugel überhaupt berührte. Darts war und ist allerdings am Schlimmsten. Mir waren die Pfeile zu leicht. Einen Dartspfeil wirft man mit einer leicht tuntigen Haltung und einer gewissen Leichtigkeit. Ich bin bekennender Grobmotoriker und wenn ich nun versuchte eine gewisse Leichtigkeit zu erreichen, verkrampfte sich mein Arm und ich schleuderte den Pfeil unwirsch von mir. Eine gesicherte Flugbahn daraus zu errechnen war ein Ding der Unmöglichkeit und so kam es vor, dass ich das Wurfgerät mit Wucht an die Wand hämmerte und dabei sogar den Automaten verfehlte oder ich ließ den Pfeil zu spät los und schmetterte ihn 50cm vor mir auf den Boden. Die Leute im Casablanca waren seinerzeit immer froh, dass die Pfeile eine Kunststoffspitze hatten und deswegen nicht in irgendwelchen Beinen oder Köpfen stecken blieben. Man konnte die Anspannung förmlich spüren, die herrschte, wenn ich meine drei Pfeile in die Hand nahm. Manch Gast, oder Angestellter suchte dann auch gerne eine schützende Deckung. Am meisten freuten sie sich, wenn ich erst gar nicht spielte. Ein Gefallen, den ich ihnen selten tat, denn Unvermögen hatte mich noch nie abgehalten, etwas zu versuchen oder zu tun.
An jenem Abend allerdings hatte ich andere Dinge, die mich mehr interessierten, als Darts. Ich musste mich unbedingt mit der Frau unterhalten, die mein Hase werden sollte (wovon ich allerdings noch nicht die Spur einer Ahnung hatte). Nicht alleine, denn wir waren immer noch eine Gruppe, eine arg dezimierte, aber zu sechst (fünf Handballer und ein Hase) waren wir immer noch. Der Abend war schon recht fortgeschritten und wir fragten uns ernsthaft, ob diese nette junge Dame nicht langsam nach Hause müsste. Schließlich war Sonntag. Wie sich jedoch herausstellte, hatte sie frei am nächsten Tag. Ich übrigens auch und mein Cousin, der auch schon den ganzen Tag/Abend zu den unentwegten Trinkern gehörte, ebenfalls. Ich weiß nicht mehr, warum das so war, denn in meiner Erinnerung war der anstehende Montag kein Feiertag. „Du kannst ja mein Auto nehmen, wenn Du los möchtest“, schlug ich vor, “ schließlich bist Du damit ja schonmal gefahren.“ Ich war mir sicher, dass sie das Angebot ausschlagen würde und offen gestanden hatte ich auch nicht grundsätzlich im Inneren des Vehikels aufgeräumt. „Ja das könnte ich machen, aber noch möchte ich nicht los“ Hatte ich richtig gehört? sie wollte noch bleiben? Wunderbar!
Die vierte Station war das „PÄP“.
Das Päp war eine weitere Kneipe in Sottrum, in der sich häufig junge Leute trafen. An einem Sonntagabend gegen halb elf allerdings war die Besucherfrequenz eher niedrig. Die Stammalkoholiker des Dorfes gaben sich noch den Rest, bevor sie nach Hause wankten. Schön war es nicht, als wir hier eintrafen. Wir blieben auch nicht lange und von der großen Gruppe, die sich nachmittags bei Schorse eingefunden hatte, blieben noch drei Personen übrig. Mein Cousin, der Hase und ich. „Was tun mit dem angebrochenen Abend?“ fragte mein Cousin und er sprach mir aus der Seele. Die Lösung war dann die….
fünfte Station: Karlshöfen
In Karlshöfen bin ich nur dreimal gewesen. Einmal davon an diesem Abend. In Karlshöfen gibt, oder gab es zumindest zu dieser Zeit eine Disco, die überregional dafür bekannt war, dass hier sonntags der Bär steppte. Mir ist keine andere Disco bekannt , die am Sonntag geöffnet hat. Karlshöfen ist rund dreißig Kilometer entfernt und nachdem wir drei den Entschluss gefasst hatten, dorthin zu wollen, ist der Hase mit meinem Opel und meinem Cousin und mir zu dieser Disco gefahren, deren Name mir nicht mehr geläufig ist.
Auch ein schönes Bild, wie eine junge Frau zusammen mit zwei Hallodris, die schon seit Stunden mit ausgiebigem Bierkonsum beschäftigt waren, in einer abgewrackten Karre an einem späten Sonntagabend zu einer spelunkigen Disco fährt. Dort haben besagte junge Männer nichts Besseres zu tun, als sich tablettweise Cola Whisky einzutrichtern und nicht jugendfreie Lieder zu singen. Ja, ich muss gestehen, wenn ich an Stelle des Hasen gewesen wäre, ich hätte mich auch sofort in mich verliebt. (Falls es nicht rüberkam, dies war Ironie). Ja, ich muss auch gestehen, dass ich an diesem Tag viel trank. Aber ich glaube, ich hätte mir auch Spiritus direkt in die Venen spritzen können, es hätte mir nichts ausgemacht. Ich wurde nicht betrunken (Gott sei Dank) und ich vermute, dass es daran lag, dass ich einfach Haltung bewahren wollte. Sie sollte nicht schlechter von mir denken als nötig. Wie lange wir in Karlshöfen blieben? Ich weiß es nicht. Ich vermute allerdings, dass unsere Aufenthaltszeit dort, die Fahrerei nicht rechtfertigte. Aber das war mir vollkommen egal. Irgendwann fuhren wir zurück und kamen bei mir zu Hause an.
Mein Cousin verabschiedete sich schwankend und so waren wir, der Hase und ich alleine. In diesem Moment sollte sich etwas offenbaren, was bis heute Bestand hat: Wir konnten von Anfang an unfassbar gut miteinander reden. Worüber? Über Gott, die Welt, Wahrhaftigkeiten, die Zukunft, die Vergangenheit, einfach über alles. Und so redeten wir. Lange und ausgiebig und wenn ich mich noch recht entsinne, haben wir sogar morgens um fünf oder so gefrühstückt. Geküsst hatten wir uns nicht. Das war besser so, ich hätte bestimmt miserabel geschmeckt. Dann fuhr sie nach Hause. Mit dem wahrscheinlich müllhaldigsten Opel Kadett C-Coupé, den es weit und breit gegeben hat und den sie mir am nächsten Tag wiederbringen wollte. Aber so mutig sie auch war, und sich traute dieses Gefährt zu fahren, sie parkte trotzdem ein paar Straßen von ihrem Elternhaus entfernt, damit sie sich und ihre Angehörigen nicht in der Nachbarschaft blamierte.
Der nächste Tag offenbarte die Tatsache, dass ich meiner Leber zuviel zugemutet hatte, auf sehr eindrucksvolle Weise. Fühlte ich mich während des gesamten Sonntags und der anschließenden Nacht eher beschwingt, als beschwipst, so hatte ich einen ausgedehnten Kater, als ich vormittags erwachte. Ich blickte aus dem Fenster und scheute zunächst das Tageslicht. Doch sobald sich meine Augen an die übertrieben grellen Sonnenstrahlen gewöhnt hatten, schweifte mein Blick auf unsere Auffahrt. „Ey Mann, wo ist mein Auto?“ fragte ich mich. Dann dämmerte es mir, sie, die beinahe noch unbekannte junge Dame war damit nach Hause gefahren. Ach Du scheiße, ich hätte ihr lieber ein Taxi spendieren sollen. Manchmal ärgerte ich mich sehr über meine Gedankenlosigkeit.
Meine Eltern hatten damals einige Umbaumaßnahmen im Haus am Gange und ich hatte versprochen am Montag zu helfen. Schließlich hatte ich ja frei. Meine Aufgabe bestand darin, Spanplatten oder dergleichen am Boden festzuschrauben. Dazu musste ich selbstredend Löcher in eben jenen Boden bohren und danach die Platten verschrauben. Eine Tortur. Es ging mir richtig schlecht und die Bohrmaschine bereitete mir mit ihrem infernalischen Lärm große Kopfschmerzen. „Wo ist denn Dein Auto?“ fragte mein Vater. Die ganze Geschichte zu erklären erschien mir zu kompliziert also kürzte ich etwas ab. „Den habe ich verliehen und sie bringt mir ihn nachher wieder.“ „Verliehen? Du? Dein Auto? Kein Mensch setzt sich da freiwillig rein!“ „Sie schon!“ „Sie? Du hast es gewagt, eine Frau in das Auto zu lassen? Die siehst du nie wieder!“ „Ach du hast ein Mädchen kennengelernt?“ fragte meine Mutter, die nur Bruchstücke der Unterhaltung aufgeschnappt hatte. „Ja, und dann hat er ihr sein Auto geliehen!“, sagte mein Vater. „Junge, bist Du noch bei Trost? Du hättest ihr ein Taxi rufen sollen!“ Wahrscheinlich hatte meine Mutter recht und mein Vater auch. Wahrscheinlich gab es bald von irgendeiner Behörde einen Anruf, dass ich doch mein illegal abgestelltes Auto abholen möge…..
Es kam aber nicht so. (Wusst ich´s doch). Irgendwann am Nachmittag fuhr dieses, offensichtlich schon sehr nahe an seinem Autoleben befindliche, quietschgrün-schwarze Gefährt unseren Hof. Es entstieg ihm eben jene junge Frau, der ich meinen Blechhaufen anvertraut hatte und potstausend, ich war wirklich sehr froh, sie zu sehen. Ob es Liebe auf den ersten Blick war, die uns später zusammenbringen sollte, kann ich nicht behaupten. Es war eher Liebe auf viele Blicke verteilt. Ich verliebte mich beispielsweise darin, wie sie mir beim Anschrauben der Platten half, an diesem Montag. Sie saß auf dem Boden und mühte sich mit dem Schraubenzieher ab, um die widerborstigen Schrauben in den Dübel einzudrehen. Ich habe schon oft Leute bei einer derartigen Arbeit gesehen, schließlich war ich Bauschlosser und da machte man so etwas tausendfach, aber keiner meiner Kollegen sah auch nur annähernd so schön dabei aus. Es gefiel mir sehr, wie sie dabei aussah und es gefiel mir noch mehr, dass sie überhaupt mithelfen wollte. Und als abends Großteile meiner Familie versammelt waren, saß sie inmitten dieser doch eigentlich fremden Leute und es war so, als wäre ihr dieser Platz schon immer vorherbestimmt gewesen. Eine Lücke die sich beinahe selbstverständlich in diesem Moment geschlossen hatte. Das beeindruckte mich nachhaltig.
Sie blieb ein paar Stunden bei uns und dann brachte ich sie nach Hause. Was aber so nicht genau stimmt, denn zunächst waren wir noch bei der Wohnung, in die sie demnächst einziehen würde. Diese Wohnung war ihre erste eigene Wohnung und sie war im Prinzip auch schon fertig eingerichtet. Nur schlafen wollte sie an diesem Abend dort noch nicht, sie hatte ihre Sachen noch bei ihren Eltern. Im Gegenzug dafür, dass sie mir bei den Bauarbeiten half, schraubte ich ihr ein paar Regale zusammen und dann machten wir es uns wie selbstverständlich gemütlich auf ihrem Sofa und dann lief im Fernsehen „Die Reifeprüfung“ mit Dustin Hoffmann, einer meiner Lieblingsfilme. Das ist mir in Erinnerung geblieben. Geküsst haben wir uns auch hier nicht. Es sollte noch Wochen dauern, bis wir uns über unseren Beziehungsstatus klar wurden. Dazwischen lagen einige Tage und Nächte. Wobei wir gerade die Nächte gerne damit verbrachten, dass wir bis in die frühen Morgenstunden redeten. Egal, ob wir am nächsten Tag arbeiten mussten oder nicht. Was dazu führte, dass ich in dieser Zeit häufig wie ein Zombie aussah. Jahre später, als wir kleine Kinder hatten, war das ähnlich, aber das ist eine andere Geschichte. Wir sind nun fast genau 25Jahre zusammen und vieles was wir während dieser Zeit erlebt haben ist mitunter verblasst, aber diese ersten Momente des Kennenlernens haben sich in mein Gedächtnis eingebrannt und manchmal wenn ich die Augen schließe, ist es mir, als könnte ich diese Zeit noch spüren, ja sogar riechen und schmecken.