Weiter auf den Zahn gefühlt…….

….oder Dentist = Sadist

Früher, als ich jung war, wusste ich eines mit vollkommener, unumstößlicher Sicherheit. Ich würde nie, egal wie alt ich auch werde, niemals einen Text schreiben, der mit den Worten beginnt :“Früher, als ich jung war….“ (na das hat ja schonmal geklappt). Denn ich wusste damals schon, dass meine Generation der Höhepunkt der Evolution war, und dass die Dinge, so wie sie waren, gut, nein perfekt waren. Was sollte sich denn schon ändern und warum? Nun, so ziemlich alles hat sich geändert, nur das Warum ist mir manchmal ein Rätsel.

Früher als ich jung war, durfte man als Schüler noch zur Hauptschule gehen, ohne dass sich die eigenen Eltern immer fragen mussten, was sie denn verbrochen hätten, dass ihr Kind in Zukunft derart am untersten Rand der Gesellschaft leben muss. Eine Zahnarzthelferin hieß noch Zahnarzthelferin und nicht „Zahnmedizinische Fachangestellte“, ein Schlosser war noch kein „Konstruktionsmechaniker Fachrichtung Metallbau“ und ein Hausmeister noch kein „Facilitiy Manager“. Im Kindergarten wurden noch keine zwei Fremdsprachen als Vorbereitung auf die Grundschule angeboten und ein Teenager mit einer Zahnspange war eher die Ausnahme. Zumindest, da wo ich herkomme. Was zur Folge hatte, dass die Gebisse der Leute durchaus unterschiedlich aussahen und nicht jedes Beißerchen schnurgerade im Mund angeordnet sein musste.

Mein Vater hatte zum Beispiel einen oberen Schneidezahn (für die zahmedizinischen Fachangestellten, es war der 1/2), der leicht nach vorne geneigt war. Manchmal blitzte er bei geschlossenem Mund hervor und ruhte dabei mit seiner Schneidefläche auf der Unterlippe meines Vaters. Aus heutiger Sicht würde man bei dem Anblick die Hände über den Kopf zusammenschlagen und sofort die Notfallkieferorthopädie herbeirufen. Damals aber, war der Anblick für mich vertraut und ich empfand es auch nicht als ungewöhnlich, dass dieser Zahn so nach vorne ragte. Ich fand es allerdings auch nicht ungewöhnlich, dass einer meiner zahlreichen Onkel seinen Teilzahnersatz hin und wieder mit UHU im Mundraum festklebte. Die Zeiten waren halt anders. Ein schiefer Zahn war ein Makel, mit dem man einfach lebte, der dem Gebiss einen gewissen Charakter verlieh.

Eines Tages, ich weiß nicht mehr warum, kam mein Vater auf den glorreichen Gedanken, sich seine Zähne richten und teilerneuern zu lassen. Hätte er meinetwegen nicht machen müssen. Ich mochte den schiefen Zahn meines Vaters. Aber es war ja sein Gebiss und dann sollte er damit machen, was er meinte machen zu müssen. Er ging also zu diesem Zahnarzt, bei dem ich auch neuerdings in Behandlung war. Eigentlich hätte er dadurch schon gewarnt sein müssen, aber dazu später mehr.

Nach einer ersten Besprechung kam er nach Hause. „Und, wie war´s?“ fragte meine Mutter. „Gut“, antwortete mein Vater, der nicht gerade für seine Gesprächigkeit bekannt war. „Was meinst du mit gut?“ „Na, das es gut war.“ Für meinen Vater war damit schon mehr Information preisgegeben, als es ihm nötig erschien und er widmete sich einem Kreuzworträtsel. „Nun lass Dir doch nicht alles aus der Nase ziehen.“ Meine Mutter ließ nicht locker. Mein Vater verdrehte die Augen, denn für diesen Tag hatte er eigentlich schon genug geredet. „Was willst du denn wissen?“ „Na, was der Zahnarzt so gesagt hat.“ „Er hat mir lange in den Mund gestarrt, hat hin und wieder mit dem Kopf geschüttelt und hat dann gesagt : Mache ich Ihnen Zähne wie Schauspieler!“ Das wörtliche Zitat sprach mein Vater auf ironische Weise mit einem leicht osteuropäischen Akzent. Eine Humorbreitseite, die ich bei ihm nie vermutet hatte und die in dieser Intensität auch nie wieder über seine Lippen kommen sollte.

Die Zeit verging und mein Vater musste zu mehreren Behandlungssitzungen in die Praxis des Zahnarztes aus dem Ostblock……. Ich glaube ich habe noch nicht erwähnt, welch großes Wunder es allein schon gewesen ist, dass mein Vater einen Dentisten aufsuchte. Dass er sich dann zu einer derartigen Runderneuerung hatte hinreißen lassen, war schlicht und einfach eine Sensation galaktischen Ausmaßes….. Und dann war es soweit. Die neuen Zähne für meinen Vater waren im Mund verankert und er kam mit der neuen Kauleiste nach Hause. Er war sichtlich stolz. Wahrscheinlich sogar überglücklich, dass seine Zähne fortan gerade sein würden. Eine Freude, die so groß war, dass er sie unbedingt mit uns, seiner Familie, teilen wollte. Und so stand er da, in der Tür zum Wohnzimmer, in dem meine Geschwister, meine Mutter und ich saßen und gebannt in seine Richtung blickten. Er öffnete den Mund und……….

Heiliger Hein, was war das denn? Zähne wie Schauspieler? Boris Karloff war auch Schauspieler, der berühmt wurde, durch seine Darstellung von Frankensteins Monster. Und Boris Karloff sah als Frankensteins Monster nicht so fürchterlich aus, wie mein Vater, als er seine Zähne präsentierte. Es war so unnatürlich. 52 Zähne und alle vorne, war das was mir als erstes einfiel. Nee, jetzt aber mal im Ernst. Es wirkte so, als wenn mein Vater plötzlich 7 Schneidezähne mehr hatte. Er hatte ein derart breites Lächeln, dass es schon gruselig wirkte.

Totenstille im Wohnzimmer. „Und, wie findet ihr meine neuen Zähne?“ Mein Vater fragte uns mit einem breiten (sehr breiten um genau zu sein) Lächeln und bis zu diesem Moment hatte er das Gefühl, dass er um Längen besser aussah, als in all den Jahren, in denen er diesen schiefen Zahn hatte. Der Moment unseres Schweigens dauerte aber schon zu lange. Es dämmerte ihm, dass irgendwas nicht stimmte, zumal wir alle unsere Augen vor Entsetzen weit aufgerissen hatten. (Ich muss an dieser Stelle zu unserer Verteidigung sagen, dass wir weder entsetzt aufschrien noch dem übermächtigem Impuls nachgaben, laut loszulachen).   Und das war der Moment, als sich das Glücksgefühl in ihm in Luft auflöste und grenzenloser Enttäuschung Platz machte. Ich habe nie viel aus Gesichtern herauslesen können, aber die Verbitterung meines Vaters sprang uns förmlich entgegen. Bevor wir noch recht etwas Rettendes sagen konnten, machte er kehrt und verließ mit einem :“Ihr könnt mich alle mal!“ den Raum. Zwei Tage sprach er kein Wort mit uns. Dann hatte er seine Enttäuschung überwunden. Ich vermutete, dass er Rachepläne für seinen, unseren Zahnarzt schmiedete, aber einen Vergeltungsschlag gab es meines Wissens nicht.

Um es genau zu sagen, der Zahnarzt hatte es verbockt. Der Beweis war eindeutig, dass er nicht gerade die hellste Kerze am Kronleuchter der Zahnmedizin war. Heutzutage würde er wahrscheinlich verklagt werden. Vielleicht sogar von der Schauspielergewerkschaft. Aber damals…..hmmh……Und das war nun auch mein Zahnarzt. Einer, der für die prägendsten Momente, mit mir und dem Dentalen im allgemeinen, verantwortlich war. Doch dazu mehr an anderer Stelle……..