unendliche Zugabe…..

Es ist sehr früh am Morgen, als mich die Erkenntnis überkommt, dass ich genauso weit bin wie vor dem Eingriff. Eine ernüchternde, wenn auch erwartete, Erkenntnis, die mich schon ein bisschen ärgert, aber jetzt nicht in ein tiefes seelisches Loch fallen lässt. Ich muss jetzt auch nicht um halb fünf die Nachtschwester damit behelligen. Das hat noch Zeit. Irgendwann kommen die ja rum und nehmen die technischen Daten auf. Die bei mir eigentlich alle sehr gut sind, wenn ich den Worten der Schwester, die um halb acht den Blutdruck, die Temperatur und die Sauerstoffsättigung misst, glauben darf. Nur das mit dem gestörten Rhythmus stört mich, die Schwester und mein Gesamtbild doch ziemlich.

Dem Hasen habe ich das natürlich auch schon mitgeteilt. Ihr geht´s so wie mir, nicht verzweifelt aber ein bisschen genervt, verärgert vielleicht. Fakt ist, dass ich heute hier rauskommen soll und ich frage mich, was man bis dahin noch so mit mir macht. Erstmal gibt es Frühstück und weil es gestern keine Aufnahme meiner Speisewünsche gab, kriege ich das, was mein Vorgänger bestellt hatte. Brot, Marmelade und Käse. Letzteren mag ich leider nicht, also verstreiche ich diesen kleinen Klecks Marmelade oder Konfitüre (keine Ahnung, wo da der Unterschied ist und ich glaube, ich muss den auch nicht kennen, um glücklich zu leben) auf zwei Monsterscheiben Feinbrot (das viele vielleicht als Graubrot kennen). Was aber nicht ganz so einfach ist, denn die Marmelade ist eine Sauerkirschmarmelade. Das ist an sich nicht verkehrt, denn die würde ich schon mögen.

Aber sie mag mich nicht. Es ist so eine kleine, flache Plastikpackung mit einem Deckel aus Aluminium. Ich verstehe ja, dass man hier nicht jedem ein Glas Marmelade auf den Tisch stellen kann und deswegen auf diese Einportionenpackungen zurückgreifen muss, aber warum kann man die nicht so gestalten, dass die jeder öffnen kann. Zumindest meine Sauerkirsche weigert sich strickt, sich mir zu öffnen. Es gibt an dem Deckel eine winzig kleine Ecke mit einem winzig kleinen Pfeil dran. Man kennt das von anderen Packungen (Wurst oder so). Und es scheint ein Naturgesetz zu sein, oder eine reine Boshaftigkeit vom Hersteller, dass diese Ecken, die extra zum Öffnen der Packungen gestaltet wurden, gerne mal nicht das halten, was man sich von ihnen verspricht. Bei dieser Sauerkirsche ist es aber doppelt schwierig, weil die Ecke so verdammt klein ist und man die Deckelfolie nicht ein bisschen bewegt kriegt.

Wenn das hier die Schlaganfallabteilung wäre, würde ich vermuten, dass dieses Rumgefummel und Gegnibbel an dieser verflucht kleinen Fitzelecke Teil eines therapeutischen Plans wäre. Alltägliches Training der Feinmotorik wahrscheinlich. Vielleicht will man ja hier auf dieser Station testen, wie weit sich die Patienten im Griff haben und ihre Wut kompensieren können. Denn Aufregung ist nicht gut für das Herz. Ich kann es jedenfalls, also das Kompensieren, oder jedenfalls nicht. Ich bin mir nicht sicher. Einerseits habe ich Geduld, schließlich hat man hier noch Zeit. Andererseits muss das Scheißding doch irgendwann mal nachgeben. Wer ist denn hier der Klügere? Egal, ich versuche mit meinem recht stumpfen Messer, die Deckelfolie zu durchstoßen. Klappt auch irgendwann, macht aber eine leichte Sauerei.

Das Frühstückchen vergeht ohne größere Zwischenfälle, ich schlucke meine Morgentabletten, die ich immer schlucke und warte, wie es weiter geht und ob und wann ich einen Arzt zu sehen kriege. Immer wenn jemand vom Personal das Zimmer betritt, klopft man einmal kurz vorher an und es ist dann leicht spannend, wer der Anklopfende ist. Eine Schwester, ein Pfleger, ein Arzt, eine Ärztin, die Putzfrau oder irgendwer vom Transportdienst. Genau davon ist es eine Frau, die diesmal anklopft und mich nach unten begleitet, auf dass man einen Ultraschall und ein EKG macht. Ich war hier überall schon so oft, dass ich die Wege im Schlaf gehen kann und seit meiner Dreifachabsage, habe ich auch einen gewissen Bekanntheitsgrad erlangt. Aber diesmal ist es eigentlich das letzte Mal für längere Zeit (hoffentlich), dass ich hierher muss, denn ich werde ja noch heute entlassen.

Wir verabschieden uns voneinander, das Kardiologische Zentrum und ich. Und ich gehe wieder auf die Kardiologische Station. Falls das jetzt irritierend klingt, das Zentrum ist im UG und da werden EKG und andere Untersuchungen gemacht. Auch die sogenannte Kardioversion (also mit Strom die Pumpe einmal aus- und dann wieder anschalten) wird hier durchgeführt. Die Station, auf der man rumliegt, vegetiert und sich versorgen lässt, ist im 3. OG. Der OP Bereich für die Eingriffe ist im EG. Auf der Station warte ich nun auf den Hasen, der mich abholt und darauf, dass man mir sagt, wie es weiter gehen wird. Ich bin nicht ganz glücklich mit der Situation. Wahrscheinlich ist das keiner. Keine Ahnung, aber irgendwie betreibt man eine Menge Aufwand seit drei Jahren und es gab nie einen bahnbrechenden Erfolg. Zumindest keinen dauerhaften ohne Medikament. Die Ausgangslage macht nicht zufrieden und ich persönlich wüsste jetzt keinen Weg mehr, den man gehen könnte. Aber wer bin ich schon, um das zu wissen.

Ein Chefarzt oder Stationsarzt bin ich jedenfalls nicht, aber die beiden stehen am Fußende meines Bettes und erklären mir ein bisschen, was los ist und was sie zu tun gedenken. Los ist, dass ich ein Phänomen bin, denn mein Herzvorhof ist komplett saniert und alles was störend sein könnte ist eliminiert und beseitigt. „Von daher müsste der Rhythmus jetzt eigentlich gut sein“, sagt der Chefarzt. Nun bin ich nicht nur Rekordhalter in abgesagten Eingriffen, sondern auch noch ein Phänomen. Dinge die die Welt nicht braucht, aber ich nehme sie anscheinend immer mit. Aber es brennt mir doch die Frage unter den Nägeln, ob und wie man meinen Phänomenenstatus, also dass ich nicht ganz richtig ticke in der Brust, in einen „nun schlägt es aber wieder normal“ Status überführen könnte. Die Antwort darauf bekomme ich, bevor ich die Frage gestellt habe. Ich bleibe noch für ein paar Tage hier, bekomme eine Aufsättigung eines Medikaments, das einen guten Rhythmus unterstützen soll und dann wird am Montag noch einmal eine Kardioversion durchgeführt, worin ich mittlerweile schon sehr versiert bin.

Das Medikament hatte ich vor ein paar Jahren schon einmal in hoher Dosis bekommen. Die gleichen Vorzeichen wie damals. (Es gibt da auch schon Schilderungen von der Zeit in diesem Blog). Also ist es erstmal Essig damit, dass ich nach Hause komme. Die Geschichte wiederholt sich also. Aus einer Übernachtung werden nun…moment, ich zähle mal eben nach…..fünf, mindestens. Denn damals hatte man das ja auch so geplant, ist aber nicht so schnell zum Erfolg gekommen, wie gedacht, weswegen ich über 10 Nächte geblieben war. Jedenfalls habe ich dem Hasen was zu berichten. Sie muss den ganzen Tag arbeiten, hat aber zwei Stunden Mittagspause und weil sie nicht weit entfernt vom Krankenhaus arbeitet, will sich mich nach Hause bringen. Zumindest ist das ihr letzter Kenntnisstand. Mit den doch irgendwie etwas blöden Neuigkeiten vertraut gemacht, beschließt sie, die Mittagspause hier zu verbringen.

Und weil diese sich ziemlich hinzieht und sie eigentlich müde ist und ich schon genug rumgelegen habe, beschließen wir, dass wir die Plätze tauschen. Ich sitze, etwas in Schonhaltung wegen des dicken Verbands und der empfindlichen OP Narbe auf dem Stuhl am Fußende meines Bettes, in dem nun der Hase liegt. Ein Pfleger und eine Schwester kommen rein, um nach dem Rechten zu sehen und zu fragen, ob wir irgendwas brauchen. Sie wundern sich, dass sich „Herr Daus“ so plötzlich in den Hasen verwandelt hat. „Gemütlich sind die Dinger nicht“, sagt die Schwester und grinst.

Der Hase muss wieder los und ich bleibe allein mit meinem Bettgenossen, der noch immer ziemlich schlapp ist, nichts essen kann und viel schläft und wenig redet. Eigentlich eine Idealbesetzung, obwohl ich ihm natürlich wünsche, dass es ihm schnell wieder besser gehen wird. Der Stationsarzt und ein angehender Arzt (zumindest denke ich dass er einer ist) kommen rein und wollen den Verband abnehmen (endlich) und die Fäden ziehen (auch endlich, aber davor graut es mir ein bisschen, hatte seinerzeit bei der allerersten Ablation doch heftig weh getan). Der angehende Mediziner soll das machen. Man gibt mir aber noch die Möglichkeit, den Verband selbst abzunehmen.

Das ist leichter gesagt als getan, denn er besteht größtenteils aus einem riesigen Pflaster, in etwa so groß wie meine Hand. Und dies backt so fest an der Haut, als wäre es mit Konrads Spezialkleber verklebt worden. Es ist schon schwer überhaupt einen Anfang zu finden, aber dann abziehen ist noch viel viel schwerer. Es hängen doch weit mehr Haare dran, als ich dachte. Der Stationsarzt, der einen leichten osteuropäischen Dialekt hat, spricht mir Mut zu: “ Einfach schnell abreißen das Ding, dann ist es nicht schlimm.“ Auch hier leichter gesagt als getan, denn ich werde das dumme Gefühl nicht los, dass ich das Riesenpflaster nur dann abkriegen kann, wenn ich bereit bin ein bisschen Haut zu opfern. Und nein, dazu bin ich nicht bereit. Ich taste mich mit einer Mischung aus gesunder Vorsicht, wahnwitziger Gleichgültigkeit und irrem Leichtsinn voran und habe schon die ersten 3% des Verbandes gelöst. Dauert aber ziemlich lange mit mir, weswegen der Stationsarzt dem „ich möchte es gern mal werden“ Arzt die Anweisung gibt, mir behilflich zu sein.

Hui! Ein bisschen Angst um die Haut an meinem Oberschenkel habend, halte ich fest, was festzuhalten ist, während der junge Knabe (kurz über 20, lange Haare und wahrscheinlich nie irgendwie richtig zugepackt haben müssen) sich konzentriert ans Werk macht. Nein, ich habe keine Bedenken, also keine großen, na gut also keine sehr großen, aber ich glaube nicht, dass er das schon oft gemacht hat und genau weiß, was zu tun ist. Und ich denke so: „Na gut mein Junge, lass es uns hinter mich bringen.“

Etwas argwöhnisch, beobachte ich ihn, wie er an der Stelle ansetzt, die ich in mühevoller Kleinarbeit freigelegt habe. Noch ein paar Stoßgebete zum Himmel, dass ich nicht allzu laut schreie, wenn er gleich reißt und schon bin ich soweit, mich von den oberen Schichten der Haut meines Oberschenkels zu verabschieden. „Das wird schon wieder“, denke ich, „es gibt ja Salben für alles mögliche.“ Und er packt an und reißt (Ritsch!), packt an der nächsten Ecke an, reißt nochmal (Ratsch!) um es schließlich schwungvoll runterzureißen (Rutsch !!!). Und was soll ich sagen, es hat eigentlich überhaupt nicht wehgetan. War mir doch gleich klar, dass er das voll drauf hat. Die Sache mit dem Fäden ziehen hat aber noch ein bisschen Luft nach oben, hatte ich aber auch schon schlimmer erlebt.

Der Rest des Nachmittags vergeht ohne weitere Zwischenfälle oder Abrissaktionen. Eigentlich passiert nichts. Wie auch eigentlich sonst nichts passiert in einem Krankenhaus, wenn man dort liegt und sich ansonsten aber kerngesund fühlt. Mein Nachbar macht, was er immer macht und ich lese ein Buch, das ich mitgebracht hatte und höre Musik übers Handy, während ich faul auf dem Bett liege, dessen Kopfteil ich elektrisch hochgefahren habe. Die ersten zwei der Tabletten werden gebracht. Ich muss fünf am Tag davon nehmen. Normale Dosierung bei längerer Einnahme ist eine am Tag. Jetzt also die ersten zwei. Zum Abendbrot die nächsten beiden.

Weil ich ja nun überraschenderweise meinen Aufenthalt verlängern muss, habe ich natürlich nicht genug Klamotten. Deswegen kommt der Hase noch vorbei und bringt die Kinder mit. Und weil der Hase lange arbeiten muss, kommen sie erst um viertel nach sieben am Abend und wir reden viel und der Hase sitzt auf einem Stuhl der bequem ist, aber knarrt. Manchmal lacht mein Hase und wenn sie lacht, dann lacht der ganze Körper. Alles ist in Aufruhr und schüttelt sich vor Lachen. Man lacht schon automatisch mit. Und wenn sie nun auf diesem knarrenden Stuhl einen Lachflash kriegt, dann bebt das Ding und knarrt rhythmisch. Was sich natürlich furchtbar witzig anhört, weswegen der Hase noch mehr lachen muss. Es steigert sich. Irgendwann denkt man an ein altes Bett, in dem ein Pärchen liegt und…..

Natürlich sind wir jetzt laut und ich habe Bedenken, dass der nette Opa neben mir wach wird. Wird er aber nicht. Auch auf der Station scheint es keiner zu hören. Was nicht überrascht, denn man hört es ja auch nicht, wenn der Fernseher von der Wand knallt und das gute Porzellan einer Tasse im Fallen auf dem Boden zerschmettert. Oder aber die hören das alles und denken sich, dass Patient Daus, der Rekordhalter und das Phänomen voll einen an der Waffel hat. Vielleicht nicht weit hergeholt, aber hier bin ich echt unschuldig.