So schön kann Alltag sein

Unser Appartement ist erstens groß, zweitens schön und drittens klimatisiert. Mehr muss man nicht haben. Außer vielleicht noch dicke und blickdichte Vorhänge an den Fenstern, die morgens das einbrechende Tageslicht fernhalten, damit man vielleicht mal etwas länger schlafen kann. Und unsere Vorhänge sind absolut blickdicht. Ja geil, denke ich und stelle mich darauf ein, schlafmäßig mal so richtig zu rebellieren. Also so bis halb acht schlafen, oder vielleicht fünf nach halb. Es ist ja Urlaub, da kann man sich auch mal was gönnen.

Und wenn man mit einem Hasen so lange zusammenlebt wie ich, dann weiß man ein paar Dinge ganz instinktiv. So brauche ich mich im Bett nicht umdrehen, um zu sehen, ob mein Hase wach ist, oder nicht. Der Hase ist eigentlich immer früh wach und ich spüre das. Ich spüre, dass sie neben mir liegt und darauf wartet, dass ich auch endlich wach werde. Ich werde wach davon, dass ich weiß, dass sie so daliegt und vielleicht ein bisschen am Handy knibbelt. Aber ich möchte ja noch schlafen, also gebe ich keinen Laut von mir und atme gleichmäßig. Wie spät es ist, kann ich nicht sehen. Es ist auf jeden Fall noch nicht halb acht. Auch nicht fünf vor halb. Der Hase liegt da und möchte den Tag begrüßen und mit mir reden und sich freuen und…….und ich liege da, bin noch kaputt von dem ganzen Anreisestress von gestern und ich möchte noch schlafen.

Dem Hasen reicht‘ s. Sie muss irgendwas machen. Also steht sie auf und geht ein bisschen durch das Appartement. Und weil hier überall ein Vinyllaminat liegt, macht jeder ihrer Schritte ein leichtes tappendes Geräusch. Tapptapptapp, der Hase geht am Bett entlang. Tapptapptapp, nun ist sie im Wohn/sonst was Zimmer angelangt. Tapptapptapp. Und dann wieder Tapptapptapptapp. Dann wieder Tapptapp. Dann Tapp. Dann ein weiteres Tapptapptapptapptapp. Und noch ein Tapptapptapp. Wie groß kann ein Appartement denn bitteschön sein? Ich bereue fast, dass wir eines haben. Tapptapp. Was um alles in der Welt macht sie da? Tapp! Wenn man ihre Schritte mit Kreide nachzeichnen würde, hätten wir keinen unangemalten Fleck auf dem Boden. Tapptapp. Nur mit äußerster Mühe kann ich mich noch schlafend stellen und ich schwöre, wenn noch ein Tapp an mein Ohr dringt, dann platze ich und all meine Innereien besudeln die Wände. Tapptapp. Ich kann nicht mehr. Ich muss einfach mal fragen, bevor das mit den Innereien noch wirklich passiert: „Was zum Henker, machst Du da die ganze Zeit?“ „Oh, Du bis ja wach“, sagt der Hase, „ich räume ein bisschen auf.“ Wie glücklich ich doch bin, dass kein Staubsauger im Zimmer ist.

Der Hase reißt die Vorhänge auf und das Tageslicht schreit mir förmlich einen guten Morgen entgegen. Noch ein wenig wirkend als wäre ich ferngesteuert, gehe ich auf unseren Balkon und bestaune unseren schönen seitlichen Meerblick. Und es ist noch nicht einmal halb acht, aber trotzdem schon gut 30 Grad im Schatten. Unser Balkon liegt morgens in der Sonne. Mir brennen die Fußsohlen, weil es so heiß auf dem Boden ist. So viel dazu, denke ich und gehe wieder in unser klimatisiertes Appartement.

Um halb neun holen uns die Kinder zum Frühstück ab, das im Vergleich zu den anderen Mahlzeiten etwas kleiner ausfällt, aber immer noch eine sehr große Auswahl an allen möglichen Dingen hat. Wobei das Rührei eine Konsistenz hat, dass man es eigentlich durch einen Strohhalm saugen könnte und der Bacon recht labberig angebraten ist. Letzteres stört mich weniger, weil labberig gut zu mir passt. Aber das Ei, das sich noch nicht ganz entscheiden kann, ob es flüssig oder fest ist, kriege ich nicht so richtig durch den Hals. Auf Rhodos war es im Übrigen genauso, da wurde das Rührei auch nicht übermäßig ausreichend erhitzt. Da habe ich alternativ dann Omelette gegessen. Die gibt´s hier auch und schon bin ich wieder zufrieden. Ansonsten gibt es auf meinem Teller viel Gemüse, irgendeinen Fisch und nochmal Gemüse. Ich bin halt nicht der traditionelle Frühstücker. Im Gegensatz zu meiner Familie, die morgens auch gerne süß ist. Auch dafür ist hier bestens gesorgt. Als Getränk am Morgen habe ich Tomatensaft auserkoren, was bei den drei anderen einen gewissen Würgereiz auslöst. Ich mag halt keinen Kaffee und Hackfleischsaft gibt es nicht, aber alle möglichen Kaffeesachen, Säfte und Wasser, dafür aber keine Cola und seltsamerweise auch kein Bier. Auch wenn das Frühstück vielleicht etwas kleiner von der Auswahl her ist, bleibt der sehr gute Gesamteindruck von der Verpflegung. Eine echt tolle Kantine, muss man schon sagen.

Was ich von Anfang an klar gemacht habe und woran ich mich auf jeden Fall halten werde ist, dass ich niemals (und das meine ich so wie ich es sage), wirklich niemals hier in aller Herrgottsfrühe aufstehen werde, um mit unseren Handtüchern bewaffnet, mit anderen Touristen um Liegen am Strand zu streiten. „Wenn die vergeben sind, dann haben wir halt Pech“, sage ich und zu meiner Überraschung hat der Hase keine Einwände. Als das Frühstück abgefrühstückt ist, ziehen wir die leichte Bademode an und gehen an den Strand. Naja, beinahe. Zuerst müssen wir uns noch einen Sonnenschirm kaufen, denn so ganz ohne Schatten wird es nicht gehen. Und weil die Wahrscheinlichkeit auf Liegen und Schirme bei Null ist, würden wir ungeschützt in der Sonne liegen. Da schrumpft mir dann das Hirn auf Erbsengröße zusammen und ich verhalte mich merkwürdig. Also eigentlich so wie immer, aber man will ja auch einen Sonnenbrand vermeiden. Dafür haben wir uns alle daumendick mit Sonnenmilch mit Lichtschutzfaktor 50 eingerieben. Wenn man bedenkt, dass es in meiner Kindheit nur Sonnencreme mit Faktor 4 oder 6 gab, dann wirkt das heute recht niedlich. Die Sonne war damals eine andere, wahrscheinlich.

Wir kaufen also einen Sonnenschirm. Und hatten wir im Vorfeld noch Bedenken, dass es eventuell keinen Laden in der Nähe gibt, der Sonnenschirme verkauft, so müssen wir feststellen, dass so ziemlich jedes zweite Haus ein Laden für den allgemeinen Touristenbedarf mit jedem erdenklichen Schnickschnack ist. Man ist ja schon beinahe froh, wenn mal eine Kneipe oder ein Restaurant zwischen all diesen Läden ist. Aber wahrscheinlich gibt es da auch Sonnenschirme. Ich glaube Can Picafort wäre insgesamt persönlich beleidigt, wenn wir hier keinen Sonnenschirm erwerben würden. Aber es gibt Unterschiede in Größe, Qualität und Preis. Und da haben wir wieder unsere drei Probleme. Wir haben die Wahl. Keiner mag entschlossen sagen, wo wir einen Schirm kaufen. Und egal wie wir uns auch entscheiden, wir werden hinterher merken, dass es ein Fehlgriff war.

Und weil ich weiß, dass es sowieso in die Hose geht, schlage ich einfach einen Laden vor. Dieser sieht dem Hasen aber ein bisschen zwielichtig aus und so gehen wir weiter. Zu einem Laden, der sogar noch etwas zwielichtiger erscheint. Dort nimmt der Hase die schwierigen Verhandlungen über den Kauf eines Sonnenschirms auf. Der Ladenbetreiber, ein dunkelhäutiger Mann, der wie unser Busfahrer von gestern auch dieses spanisch dominierte Englisch spricht, kommt zu uns und tritt mit dem Hasen in direkte Verkaufsverhandlungen. Der Schirm soll 19 Euro kosten und eine Hülse, die man in den Sandboden eindreht und die sozusagen der Schirmständer ist, soll zusätzlich noch 5 Euro kosten. Und wenn ich für den Kauf zuständig wäre, dann hätte ich jetzt 24 Euro gezahlt, der Händler wäre glücklich und ich hätte einen Schirm mit Bodenhülse.

Da aber der Hase hier die Transaktion durchführt, ist das nicht ganz so einfach für den Anbieter, der schon gleich erkennt, dass er hier keinen Hasen so mal eben über den Tisch ziehen kann. Das hätte nur mit mir geklappt. Deshalb ist das nicht mein Kompetenzbereich! Und der Mann sagt gleich: „Twenndituh Juros for all!“ Und der Hase sagt: „Fifteen!“ Und ich denke, gleich holt der seine Schrotflinte hinterm Tresen vor und schießt uns über den Haufen. Aber nein, ich muss erkennen, dass man hier wohl immer handelt. Und so gehen die Forderungen und Angebote hin und her. „Twelve Euro and you can have my Husband on top“, bietet der Hase. Nein, er möchte mich nicht. Was sollte er auch mit mir. Man einigt sich auf 19 Euro für alles (ohne mich) und ich denke, wir haben ein gutes Geschäft gemacht. Und der Sonnenschirmverkäufer weiß, dass er auch ein gutes Geschäft gemacht hat. Und der Hase fühlt sich ein bisschen übers Hasenohr gehauen und in den nächsten Tagen wird sie an jedem Laden anhalten, der auch Sonnenschirme im Sortiment hat und dort den Preis vergleichen und überall feststellen, dass die Schirme hier günstiger sind. Ich sag ja, hinterher ist es immer ein Fehlgriff.

Wir gehen zum Strand. Bewaffnet unter anderem mit diesen Strandliegedeckentüchern, dem Schirm und seiner Hülse und Hotelhandtüchern, Sonnenbrillen, Büchern (die Tochter und ich) und allerlei Schnickschnack. Ich bin der einzige unter uns, der keine Flip Flops trägt. Ich trage Sandalen. Trecking Sandalen, die ich persönlich für einigermaßen jung und hip halte. So Hipp Hopps halt. „Sowas tragen nur alte Männer“, sagt der, der behauptet, mein Sohn zu sein. Der Hase sieht das auch so. „Willst Du Dir keine Flip Flops kaufen?“ „Nein, ich finde die scheiße an mir!“ „Aber warum willst Du denn keine kaufen?“ „Na weil ich die nicht tragen mag.“ „Die sind aber voll bequem.“ „Ist mir egal. Meine Sandalen sind auch bequem.“ „Aber hässlich“, sagt die, die vorgibt meine Tochter zu sein. Wasser auf Hasens Mühlen: „Du solltest Dir wirklich welche kaufen.“ Aber ich lasse mich nicht weichkochen und bleibe hartnäckig bei meinen Großvatersandalen. Man muss auch bereit sein, modisch ein paar Akzente zu setzen. Vintage is the new new.

Außerdem finde ich Flip Flops irgendwie unpraktisch. Gerade weil sie so Flip Floppen. Wenn wir im Hotel die Treppe runtergehen, dann klingen die von meiner Tochter bei jeder Stufe so, als würde eine Peitsche knallen. Und wenn wir an den Strand gehen, dann marschiert der Hase dort mit großen zackigen Schritten ein und die Floppis wirbeln immer den Sand auf. Sie paniert damit die umherliegenden Sonnenanbeter, deren Begeisterung sich in überschaubaren Grenzen hält. Mit Sandalen passiert das nicht. Aber das will auch wieder keiner wissen. Wir suchen uns jetzt ein Plätzchen am Strand, wo wir uns ausbreiten können. Da fällt des Hasen Blick auf einige freie Liegen unter Strohschirmen. Und weil keine Handtücher drauf liegen, sind sie auch nicht reserviert. Es ist ungefähr 10 Uhr vormittags und wir haben noch Liegen bekommen. Wir sind begeistert. Uns ist klar, dass die Dinger ne Stange Geld kosten, aber ein Strandkorb in Deutschland ist auch nie umsonst. „Da kommt nachher irgendso ein Typ vorbei und kassiert das Geld“, sagt der Hase und wir beschließen erstmal ins Wasser zu gehen und wenn er dann kommt, dann kommt er bestimmt auch später nochmal wieder, dann können wir immer noch bezahlen.

Wir haben einen kleinen Ball mit ins Wasser genommen, das heute vormittags mal ziemlich ruhig und glatt ist und den werfen wir uns nun zu. Also jetzt nicht so über die Maßen super sportlich. Eher ein bisschen ruhiger. Man sieht es unseren versteinerten Mienen vielleicht nicht auf den ersten Blick an, aber wir haben da wirklich Spaß dran. Genaugenommen gibt es in diesem Moment nichts was ich auf der Welt lieber täte, als mit meiner Familie, im Mittelmeer stehend, einen Ball hin und her zu werfen. Nach einer Stunde wird es dem Hasen langsam zu langweilig und sie verlässt das Wasser, um in der Sonne zu brutzeln und sich eine gewisse Urlaubsbräune anzueignen und sie legt sich auf die Liege, die wir noch bezahlen müssen.

Nach kurzer Zeit folgen wir anderen und es beginnt ein Tagesrhythmus, den wir erst einmal ein paar Tage beibehalten werden. Morgens nach dem Frühstück ins Wasser, dann ein bisschen in der Sonne (der Hase) oder im Schatten (ich) braten und dann ist Siesta. Wir gehen nach dem Mittagessen in unsere klimatisierten Appartements und schlafen (der Hase) oder lesen (ich). Was die Kinder so treiben, weiß ich nicht ganz. Dann wieder an den Strand, ins Wasser, wieder braten, dann Essen und dann den Abend gestalten. Warum kann das nicht mein Lebensinhalt sein? Warum kann man sein Geld nicht auf diese Weise verdienen? Ich wäre sogar bereit Überstunden zu machen.