Ich verrate an dieser Stelle mal ein Geheimnis. Man mag es ja kaum glauben, aber auf dem Hurricane Festival wird Alkohol gerunken. Erstaunlich, nicht wahr. Ich hatte schon von Anfang an diesen Verdacht gehegt. Auch damals, als wir das erste Mal hier waren. Meine Recherchen waren aufwändig und das Ergebnis eindeutig. Jeder der irgendwie laufen konnte, hatte auch immer jede nur erdenkliche Möglichkeit genutzt, um Bierdosen und dergleichen bis zu seinem Zelt zu transportieren. Das machte mich stutzig. Was wollten die nur alle mit all dem Zeugs? Mir kam da ein Verdacht.
Ein Verdacht, der sich sehr schnell erhärtete und aus einer anfänglichen Vermutung wurde die erschütternde Gewissheit, dass man die ganzen Getränke nicht nur hin und her transportierte. Nein, man trank das ganze Zeug. Ohne Umschweife gesagt, ließ sich festhalten: Hier soffen alle wie die Kesselflicker. Schandhaftes Treiben allerorten! Und wir waren mitten drin. Ich war derart erschüttert über meine Erkenntnisse, dass ich da erstmal ein paar Dosen Bier drauf trinken musste.
Ja, es wird geschluckt, was das Zeug hält und außer ein paar Abstinenzlern (in etwa 3 unter 10.000) (die Glücklichen) macht hier jeder mit. Wobei es gerade bei den jüngeren männlichen Vertretern unter den Trunkenbolden einen großen Hang zur Selbstüberschätzung gibt. Da reicht es dann nicht, dass man das Frühstück und alle weiteren Mahlzeiten durch angereicherte Getränke ersetzt. Nein, man muss auch für einen gewissen Nervenkitzel sorgen und aufwändige Apparaturen zur Hochdruckbetankung auf dem Weg zum Vollrausch an den Start bringen. Eimer, große undefinierte Behälter, ausgemusterte Toilettenspülungen und vielerlei mehr findet dabei einen Einsatz und mittels großformatiger Schläuche wird dann das Gesöff dem Gesöffenden zugeführt und man kann froh sein, wenn dabei der Mund als einzige Zugangsöffnung angesehen wird. Mit steigendem Alkoholgehalt steigt die Risikobereitschaft und das Spaßzentrum hat das Vernunftzentrum komplett ausgeschaltet. Also ist hier in mehrfacher Hinsicht Vorsicht geboten.
Das Trinken auf so einem Festival ist nichts anderes als die hohe Kunst, für einen gewissen Zeitraum die Ernährung von fest auf flüssig umzustellen und dabei nicht völlig zu versacken. Es ist also immer wichtig, seine Grenzen zu finden. Allein schon, weil man sich im Vollrausch auch immer der Lächerlichkeit Preis gibt. Was in Zeiten der sozialen Medien nicht immer leichtfertig gemacht werden sollte. Gebt mal bei Youtube „Sexy Hurricane Festival 2005“ ein und dann seht, was der Alkohol anrichten kann. Und ja, es war damals wirklich sehr kalt. Und weil er Mensch ein Herdentier ist und es für jeden Trend auch immer Mitläufer gibt und weil ich der König der Mitläufer bin, war ich auch beim Biertrinken auf dem Festival immer mit dabei. Ein Mitsäufer sozusagen. Allerdings nie bis über eine gewisse Peinlichkeitsgrenze hinweg. Wobei auch hier gilt, je älter ich werde, desto größer ist der Vernunftanteil. Es sollte sich hinterher niemand für mich schämen müssen.
Das Trinken auf einem Festival besteht aus zwei Teilen. Der erste Teil ist auf dem Campinggelände. Das hat so einige Vorteile. Erstens ist es günstig. Man kann sich schließlich im Vorfeld die günstigsten Biersorten einkaufen. Wobei es allerdings auch Sorten gibt, bei denen man nicht weiß, ob es wirklich Bier ist, oder ein Abfallprodukt der Firma „Hengstebeck“. Für die Unwissenden unter den Lesern habe ich ein kleines Youtube Video, das mit knappen Worten erklärt, wer denn Firma Hengstebeck ist…… https://www.youtube.com/watch?v=GuXSlo4Yojc…… Felsgold ist in diesem Zusammenhang ein weit verbreiteter Name. Felsgold ist laut Deklaration ein Bier, aber die Gelehrten und die Geleerten und die Leerenden streiten noch darüber, ob es wirklich ein Bier ist, oder das was man aus lauter Verzweiflung trinkt, wenn richtiges Bier alle ist. Allein der Gedanke daran verursacht bei dem einen oder anderen so eine Art Ganzkörperschütteln. Viele sind ausgezogen, um Felsgold zu trinken, aber nur wenige sind zurückgekehrt. Wenn Felsgold Zähne hätte, würde es Dich essen. Mit Felsgold macht man sonst Farbe ab, von den Gartenmöbeln. Wenn Felsgold ein Land wäre, dann wäre es Nordkorea. Ich glaube, ich habe andeuten können, was Felsgold ist. Mein Nachbar findet es eigentlich lecker. Und das obwohl er ansonsten ein sehr netter Nachbar und menschlich völlig unbescholten ist.
Aber wo war ich stehengeblieben? Genau, Trinken auf dem Campinggelände ist günstig. Seit ein paar Jahren kann man auch für einen vernünftigen Preis sogar gekühltes Dosenbier kaufen. Allerdings kein Felsgold. Man kann nicht alles haben. Und was noch so schön am Trinken auf dem Campingplatz ist, es spielen keine Bands, wegen denen man sich vom Trinken ablenken lassen müsste. Zeit für ein paar Trinkspielchen. Wobei es schon fast niedlich ist, wenn man sieht, wie die ganz jungen Gäste sich jedesmal wie Bolle freuen, wenn sie zum ersten Mal Flunkyball spielen. So als wenn sie es gerade erfunden hätten. Frei nach dem Motto: endlich weg von Muttern und da wird dann mal richtig die Sau raus gelassen. Ein Umstand, der sich bis ins hohe Alter nicht ändern wird. Allerdings habe ich noch nie Flunkyball gespielt. Eigentlich haben wir es nie gemacht oder gewollt. In diesem Jahr haben mich die Teenager aus dem Nachbarcamp, ja genau, die mit den 20 Zelten auf 11 m², zu denen auch der Greta Thunberg Klon gehört, angesprochen, ob ich beim Flunkyball mitmachen würde. Hmh, scheinen doch ganz nett zu sein, die jungen Leute.
Ich habe nicht mitgemacht. Das hat ein wenig mit Anstand und Vorbildcharakter zu tun. Außerdem hatte ich ein bisschen Sorge, dass ich nach einer geexten Halbliter Bierdose ein wenig aus dem Gleichgewicht geraten könnte. Was auch ein wenig peinlich wäre, wenn da so ein paar Granaten, denen noch nichtmal ein Barthaar gewachsen ist (also bei den Jungs mein ich) mich stehend unter einen Tisch trinken würden. Wenn da ein Tisch stünde. Und außerdem ist es kein schöner Anblick wenn Häuptling Grauhaar, der aus dem Seniorenheim ausgebüxt ist, völlig die Kontrolle verliert und Geschichten vom zweiten Weltkrieg erzählt.
Das also ist in groben Zügen das Trinken auf dem Campingplatz und nicht wenige der hier Trinkenden hatten es oftmals nicht geschafft, immer den Absprung hinzukriegen und noch ein paar Bands anzusehen. Manch einer das ganze Wochenende nicht. Vier Tage breit vorm Zelt und nicht gewusst haben, was um sie herum so läuft. Keine Alternative für mich. Denn ich wollte immer die Musik haben. Darüber aber später mehr, in einem neuen Eintrag. Wer nun aber die Bands sehen wollte und Durst hatte, der musste auch auf dem Festivalgelände trinken.
Das Trinken auf dem Festivalgelände ist eine zweischneidige Sache. Zum einen ist es echt arschteuer. Nee wirklich. Man versteht ja, dass das bei solchen Gelegenheiten schon etwas mehr kostet, aber manchmal denkt man sich, man würde hier irgendwie über´s Ohr gehauen. So teuer ist der Scheiß hier. Vor vielen Jahren habe ich beispielsweise irgendwo am Tresen gelesen (ja, ich bin ein Tresenleser), dass da ein Cola Baccardi 7.50 Euro kosten sollte. Damals war der Euro noch recht neu, weshalb es immer das Verlangen gab, die Preise für sich auch in D-Mark umzurechnen. „Boah, Scheiße, fuffzehn Mark für einen schwach gemischten Becher? Das bezahl ich nicht!“ Was ganz einfach war, weil ich gar keinen Baccardi mochte. Aber auch die Bierpreise waren schon immer eine Zumutung und wurden im Lauf der Jahre zumutender. Und in jedem Jahr, wenn wir erstmals an dem besagten Wochenende das Festivalgelände betraten und der Erste von uns die erste Runde Bier schmiss, und einen recht großen Geldschein hingab, bekam er nur einen lächerlichen Kleinstbetrag zurück. Was auch immer wesentlich daran lag, dass man jeweils zwei Euro Pfand pro Becher gezahlt hatte. Aber für derlei Informationen war man oftmals nicht mehr so richtig zugängig. Man kam schließlich gerade vom Campingplatz und hatte sich auf eine Stufe hingetrunken, die nicht mehr jeden Sachverhalt zur Aufnahme zu ließ.
Was blieb war das unbestimmte Gefühl, mal wieder übervorteilt worden zu sein. „Ich glaub die bescheißen“, war ein häufig gedachter Gedanke. Der sich allerdings abmilderte, wenn der Zweite die zweiten Runde warf. Das ging so weiter, bis es einem irgendwie egal war, was der ganze Kram kostet. Denn schließlich, und das ist der große Pluspunkt auf dem Festivalgelände, ist das Bier frisch gezapft. Und schließlicher ist es auch kein Felsgold. Es stellte sich eine gewisse Genügsamkeit ein und wir waren dann immer rundum zufriedene Festivalbesucher. Allerdings hatten wir immer einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn und wenn man uns komisch kam, dann konnten wir auch anders. Und es gab hin und wieder ein paar Situationen, die unsere Gemütlichkeit ins Wanken geraten ließen. Und meistens hatten Tresenkräfte einen gewissen Anteil daran.
Wie auch dieser Jüngling………An dieser Stelle muss man festhalten, dass es viele sehr junge Tresenkräfte gibt. Leute, die noch über keine große Lebenserfahrung verfügten und denen vielleicht nicht bewusst war, wie gefährlich es sein konnte, seine Kundschaft nicht richtig gut zu behandeln………Also dieser Jüngling, ich vermute, dass er noch keine zweite Dekade auf seiner Geburtstagstorte unterbringen musste, war Ausschanksfachkraft an einem Bierstand nahe einer Bühne. Und wie es sein Job so mit sich brachte, brachte er das Bier unter die Leute. Und das tat er sehr schnell. Worunter allerdings die nötige Sorgfalt litt. Kurz gesagt, er nahm es nicht so genau damit, dass genug Bier in die Becher kam. Es gibt schließlich auf den Bechern auch Eichstriche und wenn der Scheiß hier so teuer ist, dann möchte man wenigstens auch sein Bier bis zu diesem Strich gefüllt haben.
Das hatte bei ihm nur rudimentär geklappt. Die meisten seiner Kunden waren allerdings schon so weit im Nirvana der Biertrinkerei, dass es ihnen gar nicht so auffiel. Aber einer von uns konnte diese Ungerechtigkeit nicht so einfach stehen lassen. „Heh Feundchen, die Becher sind halb leer, die machst Du jetzt voll“, sagte er und fügte ein paar Ausrufezeichen mit den Augen dazu. Der soeben frisch Ertappte, blickte auf sein schändliches Werk und sagte: „Schaum ist auch Bier!“ Und damit meinte er, sei alles gesagt. Offenbar hatte er Abitur und meinte einen größeren Haufen zu scheißen als unser Kumpel. Der allerdings mit dem übergroßen Schaumanteil so gar nicht zufrieden war und weiter auf sein Recht pochte. Was zur Folge hatte, dass auch andere Trinkende, die in direkter Nähe standen, aus ihrem Nebel erwachten und auch merkten, dass man sie offensichtlich bescheißen wollte. Ruck Zuck stand ein aufgebrachter Mob vor dem sprachgewandten Biervorenthalter und seine Sprachgewandtheit ging den Bach runter. Es hatte schon etwas von einem Zobiefilm, wie die stumpf blickenden und sich tapsig bewegenden Gestalten auf den Tresen zuwankten. „Schaum of the Dead“ wenn man so will. Erst nachdem er einige Becher auf ein gesundes Maß gefüllt hatte, kehrte wieder Ruhe ein. Das Ganze hatte zwei Dinge zur Folge: Erstens gab er sich von diesem Moment an viel mehr Mühe und zweitens hätte ich gerne ein T-Shirt mit dem Aufdruck „Schaum ist auch Bier“……
Schluss für heute….mehr dazu in einer nächsten Folge von „Mit Kukident und Dosenbier“