Rettungshase und das Schlägerchen

Achtung, Achtung, dieser Text ist ausnahmsweise mal von Bedeutung.

Ich habe einen Hasen und manchmal denke ich, jeder sollte einen Hasen haben. Denn von den vielen manchmal auch schrulligen Angewohnheiten, die mein Hase hat, ist ihr unfassbares medizinisches Interesse vielleicht am Wichtigsten. Oder etwas überspitzt formuliert, ohne meinen Hasen säße ich vielleicht jetzt nicht hier und würde diese Zeilen schreiben. Das klingt vielleicht etwas pathetischer als es eigentlich ist, aber will ich darüber jetzt nachdenken?

Fakt ist, ich sitze nicht, nein ich liege im Krankenhaus, weil ich einen Schlaganfall hatte und ohne den Hasen und des Hasens Hartnäckigkeit, wüsste ich es vielleicht nicht, oder es wäre vielleicht noch alles viel schlimmer gekommen. Wer weiß. Man möchte es auch nachträglich nicht herausfinden wollen.

Es beginnt auf einem Donnerstag Abend. Ich möchte gerade zum Kartenspielen, da blickt mein Hase mich an und sagt:“ Er hängt!“ Und ich sage: „Watt?“ „Dein linker Mundwinkel hängt!“, sagt der Hase. Und ich sage: “ Na und?“ Und der Hase sagt: „Matzi, das ist nicht normal. Wenn Du man keinen Schlaganfall hast.“ Und ich werde so langsam ungehalten.

Dazu muss ich an dieser Stelle sagen, dass mein Hase auch gerne Dr. Google ist und dass wir auch schon ein paar Debatten in dieser Hinsicht hatten und ich am Ende meistens Recht hatte und der Hase mit seinen oft auch schlimmeren Diagnosen ebenso meistens daneben lag. Deshalb war ich auch hier ganz meiner Meinung und habe meinen Hasen angemault und bin mit meinem Bruder zum Kartenspielen gefahren. Dass sowohl mein Bruder, als auch mein Sohn den hängenden Mundwinkel bemerkt hatten, ignorierte ich. Auch weil ich sonst so gar keine Symptome hatte und die einschlägigen Koordinationstests ohne Komplikationen bestanden habe.

Also einer ist, die Hände auszustrecken und die Handflächen nach oben zeigen zu lassen. Dann die Augen zu und abwechselnd mit den Zeigefingern die Nasenspitze berühren. Klappt einwandfrei.

Also ich habe einen hängenden Mundwinkel und Kopfschmerzen, aber ich bin in der Lage, blind über einen Schwebebalken zu balancieren. Und der Hase gibt einfach keine Ruhe und redet mir ein schlechtes Gewissen ein und ich bin mittlerweile total sauer, weil mein Hase nicht nur sich und mich, sondern auch die Kinder in leichte Panik versetzt. Und wofür? Dafür, dass meine eine Mundhälfte aussieht, wie die von Angela Merkel? Ich sage:“ Hase, du musst auch die Querverbindungen sehen. Der Mundwinkel hängt. Na schön, aber ich kann sonst alles. Ich kann sprechen, sehen, hören und habe die totale Kontrolle über meine Gliedmaßen. Wenn irgendwas davon jetzt nicht funktionieren würde, dann würden wir nicht debattieren und ich säße jetzt artig auf dem Sofa und würde auf den Notarzt warten.

Ich fahre zum Kartenspielen, bin ziemlich angefressen und habe noch nicht einmal das erste Spiel beendet, da kommt die Whatsapp vom Hasen. Sie fände es unverantwortlich, was ich da betreibe. Schließlich habe ich ja auch Kinder und der Hase möchte mit mir noch reisen. Das ginge aber nicht, wenn ich tot, oder aber ein Pflegefall wäre. Und jetzt geht mir so richtig die Hutschnur hoch.

Ich habe gerade die ersten 20 Cent verloren, als mein Handy brummt. Der Hase dran. Der sehr aufgeregte Hase. Und der Hase wiederholt die ganze Leier nochmal und sie würde mich jetzt abholen und mit mir zum Krankenhaus fahren. Und ich bin mittlerweile stocksauer. Meinen Blutdruck sollte man an dieser Stelle vielleicht nicht gerade messen.

Und der Hase kommt vorbei, mit den Kindern und mir ist die ganze Sache auch ein wenig peinlich, weil mir ja nix fehlt. Und wir fahren zum Krankenhaus und bei der Notaufnahme sagt der Hase: „Verdacht auf Schlaganfall. Ein Mundwinkel hängt.“ Und ich bin mir nicht einmal mehr sicher, ob er es zu diesem Zeitpunkt überhaupt noch tut, oder es überhaupt getan hat, weil ich nix merke, oder gemerkt habe. Es wird mir immer peinlicher, muss ich sagen. Ich komme mir vor, als wenn alle anderen im Wartezimmer, Arme und Beine verloren haben und ich bin hier, weil mir sinnbildlich ein Fußnagel eingewachsen ist.

Es dauert keine fünf Minuten, dann komme ich ins Behandlungszimmer. Huch, so schnell? Der Hase fühlt sich deswegen bestätigt und ich sage erstmal nix, weil ich sowieso Recht habe und ich hier in zwei Stunden draußen bin, weil mir nichts fehlt und dann wird der Hase mich um Verzeihung bitten und zum Kartenspielen zurück bringen.


War ich am Telefon schon unfreundlich, so schimpfe ich während der ganzen Fahrt mit meinem Hasen. Ich finde es immer noch unverantwortlich von ihr, mich hier so in eine Zwangssituation zu bringen, die vor allem völlig unnötig ist. Da weiß ich allerdings auch noch nicht, wie klein die Brötchen sind, die ich bald backen werde. Allerdings kann mein Hase auch energisch sein. Dermaßen energisch, dass ich nicht dagegen ankomme. So auch jetzt. Eine Schwester kommt vorbei und ich rede mit ihr über meine „Symptome“ und darüber, dass der Hase auch gern mal überreagiert und die Schwester sagt, dass der Hase alles richtig gemacht habe. Und weil der Hase gerade nicht im Zimmer ist, spiele ich mit dem Gedanken, ihr diese Information zu verschweigen.

Und dann geht es langsam los. Es wird ein EKG geschrieben und ich muss diese Übung machen…Hände ausstrecken, Handflächen nach oben, Augen schließen und Zeigefinger abwechselnd an die Nasenspitze. Klappt hervorragend. Und Pfeifen muss ich und ob ich sonst irgendwelche Ausfallerscheinungen habe (nein, hab ich nicht. Nicht eine einzige!) und ob ich beidseitig Gefühl habe , wenn man mit der Hand über Arme und Beine streicht. Hab ich! Bingo! Zu diesem Zeitpunkt bin ich mir sicher, dass der Hase sich irrt und ich bin immer noch etwas böse mit ihr, obwohl ich auch im Hinterkopf habe, dass sie es nur gut meint.

Neben mir in dem großen Zimmer liegt, über eine spanische Wand abgetrennt, ein anderer Patient. Der hat beispielsweise mal kein Gefühl in einem Arm und einem Bein. Sowas meine ich. Wenn man sowas hat, dann sollte man hier liegen und nicht, wenn man nur einseitig grinst.

Ich denke, wenn man zu oft Fehlalarm hat, erkennt man die eigentlichen Dinge nicht mehr und wird dann fahrlässig, wenn es drauf ankommt. Es dauert bis ein Arzt kommt und der Hase wird ungeduldig. Und ich sage: „Wenn es auch nur im Entferntesten danach aussehen würde, dass ich hier zwischen Leben und Tod schwanke, hätte ich sofort drei oder vier besorgte Mediziner um mich herum.“

Ich glaube, es dauert drei Stunden, bis ich einen Arzt sehe. Der Hase bringt derweil die Kinder nach Hause und ich gehe davon aus, dass sie mich dann bald abholen wird. Kartenspielen ist dann aber schon vorbei. Mist! Der Doktor kommt, blickt auf das EKG, sagt etwas von einem Vorhofflimmern und ob das bei mir bekannt wäre. Ist es nicht, denn bis zu diesem Moment bin ich davon ausgegangen, dass meine Pumpe 1a ist. Ich habe zwar Bluthochdruck, aber das Herz ist sonst immer super gewesen. Gewesen….

Ich muss zum CT vom Kopf. Zu Fuß. Einmal durch das halbe Krankenhaus. Sowas würden die mich auch nicht zu Fuß laufen lassen, wenn es für mich gefährlich wäre. Danach wieder zurück zur Notaufnahme. Dann halt so. Müssen die wohl machen, so ein Bild. Sorgfaltspflicht und dergleichen. Mir egal, ob man mich nun mit oder ohne Bild entlassen wird.

Der Mitpatient ohne Arm- und Beingefühl hat keine Auffälligkeiten im CT und muss aber auf Station. Dann kommt mein CT und der Doktor guckt drauf. „Ah, man kann schon etwas erkennen, aber nicht genau zuordnen“, sagt er und ich komme auch auf Station. Häh? Watt? Wer? Ich? Wofür? Weswegen? Na, das ist ja ein Ding. Und man nimmt mein Bett und schiebt mich auf Station 24, welches die Schlaganfallüberwachungsstation ist. „Ihr wisst schon, dass ihr hier einen gesunden Mann durch die Flure schiebt?“, denke ich und behalte meine Gedanken für mich. Wenn es denn ich Gottes Namen so sein soll, dann soll es halt so sein. Ich möchte an dieser Stelle einfach nicht widersprechen.

Ich schreibe dem Hasen und der Hase kommt, um mich mit Klamotten zu versorgen. Und ich bin platt. Platt, weil ich immer noch nicht glauben kann, was hier so vorgeht. Der Arzt in der Notaufnahme hat auf das CT geblickt und spricht noch von einem „Schlägerchen“, was ein Synonym für einen kleinen Schlaganfall sein soll. Und ich bin noch platter.

Und nun liege ich hier auf der Schlaganfallüberwachungsstation und bin rund um die Uhr verkabelt. Gleich am Morgen nach der Einlieferung bekomme ich das ganze Untersuchungsprogramm. MRT und Ultraschall von den Arterien am Hals und im Kopf. Alle Nase lang sind entweder Ärzte, Logopäden, Ergo- und Physiotherapeuten bei mir und ich mache diese Übung mit den Fingern auf der Nasenspitze gefühlt dreißig Mal am Tag und meine Beine werden kontrolliert. Meine Sprache, die Bewegungen im Allgemeinen und die Koordination. Und es funktioniert alles einwandfrei. Und so langsam keimt in mir der Gedanke auf, dass ich dankbar sein kann, dass es so ist und nicht anders. Aber es bleibt trotzdem unwirklich.

In der ersten Nacht gibt es Aufruhr. Ich schlafe sehr schlecht ein. Ist schließlich auch für mich etwas aufregend. Und ich bin gerade eingeschlafen, als mein Bettnachbar total laut zu schreien anfängt. Mitten in der Nacht! Ich, der ich es nicht gewohnt bin, dass dort, wo ich schlafe, geschrien wird, bekomme einen mächtigen Schreck und schreie ebenfalls laut los und meine Stimme hört sich fatal nach der deutschen Synchronstimme von Stan Laurel an, wenn er laut schreit oder so. Eine Zweitonstimme, rauh und pansich. Ich erschrecke mich dermaßen, dass ich beinahe aus dem Bett falle. Na, denke ich, das hier ist aber nichts für Herzkranke.

Aber was ist geschehen? Ein dritter Patient aus dem Zimmer, der etwas orientierungslos ist, steht am Bett meines Nachbarn und hat dem Ärmsten an die Beine gefasst. Da hat der in diesem Augenblick nicht mit gerechnet und schreit um Hilfe. Aber in voller Lautstärke. Ich finde den Anblick beinahe noch erschreckender als das Geschrei. Da ist man ja nicht drauf gefasst. Wer mag da an meinem Bett lauern? Und ich suche nach der Klingel für die Schwester, brauch ich aber nicht, weil das Geschrei von uns Beiden schon laut genug ist.

Aber ich habe ja noch Untersuchungen erhalten. Es ist so, dass mein Herzrhythmus nicht richtig ist, weil ich ein Vorhofflimmern habe. Nein, das stimmt so auch nicht. Das Flimmern ist die Rhythmusstörung. Und das hat dazu geführt, dass sich ein Gerinnsel gebildet hat und das ist dann in meinen Kopf gewandert, war dort auf der Suche nach intelligentem Leben, ist nicht fündig geworden und verendet. Eine genauere Diagnose folgt noch. Man möchte noch ein paar Untersuchungen machen.

An dieser Stelle muss ich vielleicht noch einmal etwas verdeutlichen. Ich schreibe hier so fröhlich über einen Schlaganfall, aber ich möchte ihn nicht bagatellisieren. Es ist so, dass dies Gerinnsel auch woanders hätte landen können und dann würde ich wohl nicht eine Silbe schreiben können, oder aber vielleicht nicht sprechen, oder aber vielleicht auch beides. Man weiß es nicht und ich bin nicht scharf drauf, das zu erfahren. Es reicht auch so. Man muss bedenken, dass manche Schlaganfälle irreparable Schäden hinterlassen, oder zum Tod führen. Und dass sie manchmal in Folge eines leichten Anfalls wesentlich schlimmer ausfallen können. Wobei dieser Gedanke sofort bei meinem Hasen aufkeimt. Was, wenn es noch einen Anfall geben sollte? „Hase“, sage ich, „wenn es wirklich noch einen Anfall geben würde, dann wäre dies der beste Ort dafür. Mehr unter Kontrolle kann ich nicht sein!“ Aber der Hase ist und bleibt beunruhigt.

Also ich nehme mal an, dass ich mit mehr blauen Augen davon gekommen bin, als ich vielleicht verdient habe und ich habe hier viel Zeit zum nachdenken. Zeit, die mir bewusst macht, wie knapp manche Dinge im Leben sein können. Und dass auch ein kleines Zeichen wie ein hängender Mundwinkel zu einer großen Sache gehören kann.

Ach ja, mein Schlaganfall war übrigens schon eher mittelschwer, als leicht. Nur die Region im Hirn, war in diesem Fall die Richtige. Man darf auch mal Glück haben und einen aufmerksamen Hasen.

Der Hase ist natürlich komplett in Aufruhr und ich glaube, die Diagnose Schlaganfall ängstigt sie weitaus mehr als mich, der ich doch direkt betroffen bin. Das liegt natürlich nicht zuletzt auch daran, dass ich keine Symptome habe. Ich muss es mir beinahe eintrichtern, dass ich betroffen bin.

Da der Hase aber nicht pausenlos an meinem Bett sitzen kann, haben wir einen regen Whatsapp Kontakt und der ist nicht immer einfach. Mein Hase kann, wenn mein Hase aufgeregt ist, auch schon mal schnell sprechen. Schneller als Gisela Schlüter, Eminem, Macklemore oder Dieter Thomas Heck. Und sie kann genauso schnell schreiben. Und wenn man noch damit beschäftigt ist, auf die Frage: „Wie geht´s Dir?“ mit einem ausschweifenden „Gut!“ zu antworten, und wieder auf das Display seines Smartphones blickt, stehen da auch schon die nächsten vier Fragen. Und während man diese zu beantworten versucht, prasseln die Fragen 5 bis 12 ein. Die Fülle der nichtbeantworteten Whatsapps potentiert sich und es entsteht ein heilloses Durcheinander. Es wird kompliziert zu antworten, weil sie so rasend schnell ist. „Und immer schön ausruhen und keine Hektik!“, schreibt der Hase und ich bekomme Hektik bei der Fülle der Fragen.

Also schreibe ich: „Hase, mach langsamer, das stresst mich sonst.“ „Genau, schreibt der Hase, pass immer auf, dass Du keinen Stress hast. Wie war das Essen?“ „Wird heute irgendwas gemacht?“ „Soll ich irgendwas mitbringen?“ „Geht es Dir gut?“ Konntest Du gut schlafen?“ „Gut, nein, nein, ja, nein, nicht besonders!“ antworte ich und der Hase muss kurz überlegen, um meine Antworten der passenden Frage zuordnen zu können….Pause….Uff….. und ich schreibe: „Hase, wir müssen uns auf ein Verfahren einigen, weil es sonst zu hektisch wird“. „Hektik ist nicht gut für Dich“, unterbricht mich der Hase. Aber ich lasse mich nicht beirren. „Wir machen das so…..Du fragst…..ich antworte……Du wartest, bis ich geantwortet habe und dann fragst Du wieder.“ Und der Hase schreibt: „Ja, machen wir so.“

Das Ganze hat rund 10 Minuten Bestand. Danach geht es im unverminderten Stakkato weiter. „Du schreibst zu langsam“, schreibt der Hase. „Hatte Schlaganfall“, schreibe ich.

Ich bleibe für insgesamt 72 Stunden auf dem Intensivüberwachungszimmer und bekomme mehr Schwestern, Ärzte, Therapeuten und Fachpersonal zu sehen, als manch ein Privatpatient im ganzen Jahr. 72 Stunden sind in dieser Art Zimmer die Höchstverweildauer und das macht mich schon nachdenklich, weil mir ja nichts fehlt. Neurologisch zumindest. Aber das Herz ist in Aufruhr. Der Rhythmus ist gestört und die Frequenz viel zu hoch. Und wenn es dann halbwegs kritisch wird, kommt sofort das Pflegepersonal vorbei und ich werde gefragt, ob alles gut mir mir ist. Die bekommen nämlich meine Daten eins zu eins ins Schwesternzimmer übermittelt und wenn irgendwas aus dem Ruder läuft, sind sie zur Stelle. Also sicherer kann man sich wirklich nicht fühlen.

Es werden rund um die Uhr mein Herzschlag, der Blutdruck, der Puls und die Sauerstoffsättigung kontrolliert. Und so langsam bekommt man einen Blick dafür, was normal ist und was nicht und das Unnormale will mir nicht gefallen, weil ich es nicht ganz einschätzen kann, was da noch gemacht wird oder gemacht werden kann.

Da mein Zimmer ein Intensivüberwachungszimmer ist und man dort viermal am Tag einen Arzt, eine Ärztin zu sehen bekommt und das ganze andere Personal auch sehr häufig und weil das alles bestimmt auch eine Menge Geld kostet, bleibt man auf diesem Zimmern nicht besonders lange. Daher habe ich auch eine gewisse Fluktuation bei meinen Mitbewohnern. Manchmal ist auch eine Frau darunter. Alle Patienten sind hier allerdings gefühlt 25 bis 30 Jahre älter als ich. Manchmal kann sich das Personal nicht an die geschlechtsübergreifende Unterbringung gewöhnen und so kommt es vor, dass eine der Damen auch schon mal als Herr Sowieso angesprochen wird. Aber ansonsten ist das Personal durch die Bank weg total nett und aufmerksam und sie widmen sich mir, der ich doch keinerlei Symptome habe (immer noch nicht) mit der gleichen Sorgfalt, wie den Patienten, die offensichtliche Einschränkungen vorzuweisen haben.

Nach rund 72 Stunden der intensiven Überwachung komme ich auf ein normales Zimmer in dieser Station. Dreimal am Tag eine Schwester und Arztbesuch nach Bedarf und eine regelmäßige Visite. Aber ich fühle mich noch immer bestens aufgehoben. Nur der Hase hätte mich noch gerne ein paar Tage länger intensiv überwachen lassen. So langsam schwant mir, dass mein Hase einen regelrechten Schock erlitten haben muss und ich mache mir langsam ein paar Sorgen um sie.

Mein Mitbewohner in meinem neuen Zimmer ist rund dreißig Jahre älter als ich und sitzt in einem Rollstuhl am Tisch und dämmert so vor sich hin. Ich stelle mich vor, er fragt mich, ob ich aus Rotenburg kommen würde und ich verneine. Das war dann auch schon das längste Gespräch, dass wir führen sollten.

Am zweiten Morgen auf dem neuen Zimmer, warte ich gerade auf mein Frühstück, als eine Schwester reinkommt und mir sagt, dass ich jetzt nicht essen solle, weil eine Ultraschalluntersuchung des Herzens per Sonde durch die Speiseröhre anläge und ich deswegen nüchtern bleiben müsse. Kein Essen also. Na dann. Wo die Portionen hier sowieso schon nicht besonders groß sind und ich in der Zeit zwischen Abendbrot und Frühstück deswegen auch immer einen immensen Hunger entwickle. Aber ich denke mir, dass ich dann bestimmt wieder zum Mittag etwas essen kann. Das beruhigt mich.

Ich werde mitsamt dem Bett zu der Untersuchung gebracht und ich rieche aus dem Hals, wie ein offenes Abwasserrohr. Was mir ziemlich egal ist, man wollte es ja schließlich so. Zu der Untersuchung gibt es im Vorfeld ein Informationsblatt, auf dem auch ausdrücklich auf die Gefahren und sehr seltenen möglichen gesundheitlichen Folgen hingewiesen wird. Und es ist wie immer, wenn man so etwas liest, man hat das Gefühl, sein eigenes Todesurteil zu unterzeichnen und auf der anderen Seite aber auch nicht zwingend die Wahl, auf diese Untersuchung zu verzichten, wenn man Klarheit über seinen Gesundheitszustand haben möchte.

Bei dieser Form der Untersuchung ist es wie bei einer Magenspiegelung. Man muss eine Art Schlauch oder dergleichen schlucken und der wird einem dann so weit wie nötig durch den Hals getrieben. Das erinnert mich fatal an eine Magenspiegelung, die ich wirklich einmal hatte. Vor rund dreißig Jahren, als mein Magen beim Bund nicht mehr richtig wollte und der Stabsarzt mich eigentlich an eine zivile Einrichtung überweisen wollte. Aber sein Kollege, der offensichtlich sadistisch veranlagt war, befand es für besser mich ins Bundeswehrkrankenhaus nach Hamburg Wandsbek zu schicken.

Dort wurde mir im Folterkeller des Kurpfuschers von einem Internisten, der an dieser Stelle unbehelligt seine Patienten quälen durfte, mit Hilfe der wohl unfreundlichsten aller Krankenschwestern ohne jegliche Betäubung eine Art Gartenschlauch in meinen Hals gerammt und ich war seit dem traumatisiert.

Natürlich ist die Technik heutzutage voran geschritten und auch das Personal hier im Krankenhaus ist wesentlich netter, aber trotzdem kriege ich diesen, wirklich viel dünneren Schlauch nicht ohne Beruhigunsmittel in den Hals. „Das ist jetzt so, als wenn Sie vier Bier trinken würden“, sagt der nette Untersucher und ich hätte auch nichts gegen die vier Bier gehabt. Von dem Schlauch merke ich nichts mehr und ich kann nicht einmal sagen, ob der wirklich in meinem Hals war. Waren wohl vier Starkbier.

Ich komme wieder aufs Zimmer und dann gibt´s Mittag. Ich sitze mit meinem Genossen am Tisch gegenüber. Die Tabletts mit dem Essen dicht beieinander. Es gibt Hühnerfrikassee und mein Bettnachbar scheint nicht essen zu wollen. Er sitzt zusammengesunken an seinem Teller und starrt verzweifelt drauf. Hmmh, ob ich mir seine Portion auch reinhauen könnte? Aber ich traue mich nicht zu fragen. Ist schon unhöflich. Auf dem Tablett liegt auch eine Birne und weil ich hungrig bin, freue ich mich auch auf diese nicht unerheblich.

Da beugt sich mein Gegenüber vor, greift sich meine Birne und beginnt sofort, sie mit dem Messer zu bearbeiten. „Ey, das war meine Birne“, denke ich, aber ich sage nichts. Einerseits, weil er anscheinend nur diese Birne richtig wahrnimmt und sie das einzige ist, was er wohl essen wird. Soll ich ihm das jetzt noch nehmen? Ich denke nicht. Obwohl ich immer noch mit dem Gedanken spiele, ihm sein Frikassee zu mopsen. Isst er ja eh nicht.

Aber ich mache es nicht. Ich esse hier im Krankenhaus eh weniger, weil ich den ganzen Tag in der Hauptsache nur rumliege oder vielleicht mal sitze. Der Tag geht zu Ende und ich habe noch ein Gespräch mit ner Ärztin und einer Dame vom Sozialdienst, weil ich eventuell noch eine Reha bekommen soll. Wobei ich mich allerdings frage, auf welcher Grundlage, weil es bei mir ja nichts zu therapieren gibt. Es wird Abend und wie auch an den anderen Tagen, habe ich rege viel Besuch. Was mich freut, meinen Hasen aber unruhig macht. Zu viel Stress für mich, wie der Hase meint. Aber ich glaube, mein Hase ist am meisten gestresst.

Was mich dann auch wieder zum Nachdenken führt. Wie mag es sich für Außenstehende anfühlen? Was denken die Leute, die mich mögen (und die ich nicht dafür bezahlen muss). Es ist ja so, wenn man Schlaganfall hört, dann hat man erstmal ein Bild vor Augen. Hatte ich bisher auch. Und es ist eigentlich ein schlimmes Bild. Wie gesagt, so ein Schlaganfall hat häufig schwerwiegende Folgen. Also bekomme ich auch häufig Anfragen, wie es mir geht und ich kann jedesmal mit Nachdruck behaupten, dass es mir gut geht und dass ich keinerlei bleibende Symptome habe.

Beschließe, die Sache aber trotzdem sehr ernst zu nehmen, allein schon, damit der Hase wieder zur Ruhe kommt. Und wenn ich gerade wieder ein paar Dinge mehr erfahren habe, dann möchte ich mit dem Hasen lieber telefonieren als schreiben. Und das macht den Hasen ebenfalls unruhig. Telefonieren? = Irgendwas Schlimmes!

Beim Abendessen muss ich meinen Joghurt gegen meinen Speisekonkurrenten verteidigen. Dass er meine Birne geklaut hat, ist eine Sache, aber irgendwo hört der Spaß auch mal auf. „Nicht meinen Joghurt. Mein Schatz“, sage ich und klammere mich an den Plastikbecher in dem eine Miaschung aus Vanille und Pfirsich darauf wartet, von mir verschlungen zu werden. Von mir! Nicht von ihm! „Also Finger weg!“, denke ich und der Birnendieb scheint zu verstehen.

Die Nacht bricht rein und ich schlafe, wie immer hier im Krankenhaus eher schlecht ein. Irgendwann höre ich die Stimme eines alten Mannes, der mit ziemlicher Lautstärke nach Hildegard ruft. Erschrecke mich. Aber mir wird gleich bewusst, dass es mein Nachbar ist, der ja so gar nicht mobil ist und nicht alleine aufsteht. Umso größer ist mein Schrecken, als ich sehe, dass er nicht in seinem Bett liegt. Nein, er steht am Fußende seines Bettes, ruft noch einmal nach Hildegard und ich erschrecke mich, wie in einem Horrorfilm. Oh Mann, diese Nächte hier sind nicht immer was für zarte Gemüter.

Ich rufe die Schwester, verängstigt, wie ich bin. Sie kommt. Er müsse mal aufs Klo, sagt der wandernde Bettgeselle und die Schwester sagt, das könne eigentlich nicht angehen, weil er doch einen Katheter hat. Aber er müsse mal groß, sagt der Müssende. Informationen, die die Welt nicht braucht, um 2 Uhr 30 in der Nacht.

Am nächsten Tag wird der gute Mann auf eine andere Station verlegt und ich bin beruhigt. Einerseits, wird die kommende Nacht wohl ruhiger und andererseits habe ich mein Essen wieder für mich. Ich bekomme noch ein Langzeit EKG, wobei ich vermute, dass es nur gemacht wird, weil man mich nicht einfach so schnell entlassen möchte und man daher noch eine diagnostische Maßnahme benötigt.

Die letzte Nacht verläuft störungsfrei und ich bekomme eine abschließende Diagnose. Also das Vorhofflimmern, das ja die Herzrhythmusstörung ist, hat ein Gerinnsel generiert, von dem nur ein Teil abgespalten wurde und in den Kopf gewandert ist, um dort einen folgenlosen Schlaganfall zu verursachen. Dieses Gerinnsel, also das Große am Herzen, möchte man nun vier Wochen lang mit Blutverdünner behandeln und die Herzfrequenz erstmal medikamentös niedrig halten. Wenn alles so klappt, macht man einen Elektroschock, bei dem das Herz resettet wird, sozusagen. Also einmal auf Null stellen und dann neu starten. Und wenn das klappt, sollte es wieder geradeaus schlagen.

Bis dahin soll ich mich schonen und das nimmt der Hase sehr ernst. Ich darf hier eigentlich gar nichts machen und daran halte ich mich strikt. Ich bin gerade Weltmeister im Nichtstun und ich schäme mich nicht zu sagen, dass es mir wirklich sehr gut tut. Wer weiß, vielleicht war das auch mal an der Zeit.

Was nimmt man mit von so einer Sache? Ich habe viel gelernt über Schlaganfälle und wenn ich früher nie verstanden habe, dass manche Menschen es nicht gemerkt hatten, wenn sie Schlaganfälle hatten, so sehe ich das nun anders. Also, wenn Euch irgendwann mal etwas so ganz merkwürdig vorkommt, dann lasst es lieber untersuchen….lieber einmal zu oft, als einmal zu wenig.

Mein Schlaganfall, so wie er aufgetreten ist, war nicht gefährlich. Er hat sich in einem vorteilhaften Bereich in meinem Gehirn ausgetobt und dafür bin ich dankbar. Also war die akute Gefahr an diesem Tag nicht sehr groß. Das ist aber nur ein Glücksfall gewesen. Wenn sich das Gerinnsel nur ein paar Zentimeter weiter niedergelassen hätte, wäre die ganze Sache vielleicht katastrophal ausgegangen. So riesig ist so ein Gehirn ja auch nicht. Und wenn mein Hase mich nicht ins Krankenhaus geschleppt hätte, hätte man meine Auffälligkeit am Herzen nicht erkannt und vielleicht hätte sich daraus ein weitaus fatalerer Schlaganfall in Folge entwickeln können.

Ja, ich weiß, da ist viel „hätte“ und „wäre“ dabei, aber es ist nun mal so, dass jetzt meine Risikofaktoren bekannt sind und ich entsprechend behandelt werden kann, um meine Zukunft vielleicht sicherer zu machen.

Mein Hase ist und bleibt, besonders in der Anfangszeit zu Hause immer noch sehr besorgt. Im Viertelstunden Takt (nein, das ist kein Witz) fragt mein Hase mich: „Geht´s Dir gut?“, oder „Ist alles in Ordnung?“, und ich widerstehe dem Drang, sie auch mal zu veräppeln. Glaube, das würde sie mir übel nehmen. Sie bringt mir jede Menge Obst mit. Bananen, Weintrauben, Birnen, Äpfel, um mir als nächstes zu sagen: „Dass Du mir aber nicht zu viel Obst ist. Vor allem Bananen, Weintrauben oder Birnen.“ „Okay, dann wohl lieber Chips und Snickers“, denke ich.

Und neulich, mitten in der Nacht, legt sich eine Hand auf meine Brust und ich bekomme einen Schreck, weil ich einen alten Mann an meinem Bett erwarte und ich rufe panisch: “ Nein, ich bin nicht Hildegard.“ Aber es ist nur des Hasens Pfote, die da auf meiner Brust liegt. „Was machst‘ n da?“ , frage ich. „Wollt nur mal fühlen, ob Du noch atmest“, sagt der Hase und ich kann sie da auf ganzer Linie beruhigen. Und das hat auch eine beruhigende Wirkung auf mich.