Reine Geschäftssache

Neulich waren der Hase und ich in Dresden. Genau, diese sehr schöne Stadt, mit diesen sehr schönen Gebäuden, diesem malerischen Elbufer, dieser hässlichen PEGIDA und einigen sehr netten Lokalen, in denen man verhältnismäßig günstig speisen kann. So wie bei jenem Griechen, auf der anderen Seite der Elbe, bei dem wir an unserem letzten Abend waren. Bei dem war es allererste Sahne. Ein gemütliches Lokal, etwas abseits der Touristenströme, das von äußerst freundlichen ausländischen Mitbürgern, wahrscheinlich Griechen, betrieben wird. Würd mich glatt mal interessieren, weiviel PEGIDA-Anhänger hier schon gegessen haben und ob sie auch so zufrieden waren, wie der Hase und ich.  Aber egal. Auf dieses Restaurant sind wir nur gestoßen, weil der Hase ein Faible dafür hat, im Internet nach den Lokalen mit den besten Bewertungen zu suchen, wenn wir in der Fremde sind. Manchmal macht sie das auch hinterher, nachdem wir eingekehrt waren,  damit wir beurteilen können,wie es uns gefallen haben darf. Und dann war es vielleicht doch nicht mehr so lecker wie wir dachten, wenn die „Community“ anderer Meinung gewesen ist.

Ich persönlich halte nicht von diesen Bewertungsportalen. Ich bin eher ein Verfechter der abenteuerlustigen Variante. Ichwürde mich, wenn ich mich irgendwo nicht auskenne,  einfach dort reinsetzen, wo es eingermaßen ansprechend aussieht und die Preise mit meinem aktuellen Kontostand ohne Magenschmerzen zu vereinbaren sind. Das kann manchmal toll sein, kann aber auch ziemlich in die Hose gehen. Es ist schon ein gewisses Risiko, das muss ich zugeben. Der Nachteil an der Hasenvariante aber ist, dass man nie weiß, welchen Standard die bewertenden Personen an den Tag legen. Für mach einen ist allein das Vorhandensein von Tellern, Gläsern und Besteck schon ein überdurchschnittliches Qualitätsmerkmal und Grundlage dafür, mindestens sechs von fünf Sternen zu vergeben. Manch einem könnte diese Luxusausstattung allerdings auch Angst einjagen. (Wasn das für’n Scheiß? Wo ist mein Pappbecher mit Deckel und Strohalm?  Und wofür sind nur diese metallenen Gegenstände?) Andere wiederum  könnten ein weitaus höheres Niveau gewohnt sein und entgeistert über das Fehlen von Wachteleiern in Trüffelsauce sein. (Kann ich bitte mal den Maitre sprechen?) Sowas gibt natürlich Punktabzug. Aber was würde das dann über die Qualität des Lokals aussagen? Genau, nichts! Deshalb ist es für mich fragwürdig, ob man über Bewertungsportale das richtige Restaurant finden kann.

Im Falle jenes griechischen Restaurants auf der anderen Elbseite in Dresden hatten wir jedenfalls einen Volltreffer. Es regnete an jenem Abend und wir sind trotzdem die knapp anderthalb Kilometer zu Fuß zu dem Lokal gelaufen. Unter anderem auch deshalb, weil es der letzte Abend in Dresden war und wir jeden Abend schon immer sehr gut gespeist hatten und sich in meinem Magen-Darmtrakt ein leichter Stau bemerkbar machte. Und ich war der Überzeugung anheim gefallen, dass sich durch einen guten Spaziergang die Innereien etwas in Gang setzen würden und mir Platz im Magen verschafften. Das klappte auch in gewissem Maß. Womit ich aber nicht gerechnet hatte, waren die Portionsgrößen, die uns erwarteten. Wir saßen da, das Lokal war wahrscheinlich wegen des schlechten Wetters nicht überfüllt, und studierten die Speisekarte. Die außerordentlich freundliche Bedienung kam. Wir bestellten Getränke. Der Hase, wie immer eine große Flasche Wasser und ich wie immer ein großes Bier.

Wir gehören zu den Leuten, die im Grunde immer das Gleiche bestellen, wenn sie beim Griechen sind. Wir nehmen uns aber jedesmal vor, etwas anderes zu nehmen. Mal so richtig etwas wagen und sich einfach blind einer geschmacklichen Neuerung öffnen. So total abenteuerlustig. Und wir waren uns ebenso einig, wie sicher, dass wir diesmal aus unserem alten Schema ausbrechen würden. Endlich einmal etwas anderes als eine gemischte Grillplatte mit Gyros, Schweinesteak und Souwlaki für den Hasen und Gyros, Souwlaki und Hacksteak für mich. Irgendetwas mit einer interessanten Sauce und ohne den obligatorischen Tzatziki. Genau das würden wir hier und heute zelebrieren. Ja, es stand fest, wir würden es wagen. Wir würden durch die gelöste Urlaubsstimmung aus den ausgetretenen Pfaden zu neuen Wegen gehen und dem miefigen Trott des Alltags den kulinarischen Stinkefinger zeigen. Nicht mit uns! Wir können auch anders!

Natürlich haben wir die Grillplatten bestellt, als die Bedienung, die ja außerordentlich freundlich war, mit den Getränken und einem Ouzo für die vermeintlich guten Freunde vorbeikam. „Und noch einen Tzatziki vorweg, Frollein“, bestellte ich so deutsch wie es mir möglich war. Dann ein Stößerchen mit dem Hasen und dem Ouzo, ein Schluck Bier und wie von Geisterhand stand auch schon der Tzatziki auf dem Tisch. Wir nahmen beide ein Gäbelchen davon und probierten…..Heiliger Strohsack….. Es war eine Offenbarung! Nein jetzt wirklich! Kein Scherz! Selten habe ich so einen leckeren Tzatziki gegessen. Ich bekam Tränen in den Augen. Tränen der Rührung, die mich immer überfallen, wenn mein Gaumen so unfassbar verwöhnt wird. Direkt danach wurde ein gemischter Salat gereicht. Eine ansehnliche Portion und überaus lecker angerichtet. Wieder bekam ich feuchte Augen.  Der Hauptgang war dann derart schmackhaft, dass ich auch ein klein wenig weinte. Das irritierte die anderen Gäste. „Sie schlägt mich manchmal oder sticht mir mit der Gabel ins Bein“, flüsterte ich dem Pärchen am Nebentisch zu und wies mit meinem Kopf in Richtung Hase, der davon nichts mitbekam. Später fragte sie mich, warum man sie die ganze Zeit angestarrt habe.“Keine Ahnung“, log ich. Doch zurück zum Essen.

Ich weiß, es war nur ein normaler Grillteller bei einem normalen Griechen, aber man möge mir glauben, es gibt in dieser Hinsicht eklatante Qualitätsunterschiede. Und wenn man einmal bei einem richtig guten Griechen gegessen hat, kommen einem die Durchschnittlichen schon ein wenig schäbig vor. So saßen wir und kulinierten unsere Grillplatten. Bei jedem neunen Bissen stöhnte ich leise auf und rundete das Ganze hin und wieder mit einem Schluck Bier ab. Gaumenexplosion, sag ich nur. Äh ich meinte natürlich Geschmacksexplosion. So etwas versteht man nur, wenn man ein Biertrinker ist. Das große Bier war dann kleiner als erwartet und ich bestellte mir ein zweites. Die Portionen auf meinem Teller und auch auf des Hasens Teller waren im Gegensatz dazu weitaus größer als erwartet und soviel wir auch aßen, es schien nicht weniger zu werden.  Es war wie verhext und mir schwante Böses.

Dann machte der Hase auf halber Strecke schlapp. „Puh, ich schaff nicht mehr. Kann ich Dir noch mein Schwienesteak und etwas Gyros geben?“ „Natürlich kannst Du“, sagte ich und ich hatte so eine Vorahnung,dass ich das lieber nicht gesagt hätte. Ich hätte es verweigern und der Hase hätte es auf dem Teller liegen lassen sollen. Aber bin ich einer dieser pflichtbewussten Menschen, die es nicht ertragen können, wenn ein Teller nicht leergegessen wird. In Gedenken an die Meschen, die nicht soviel zu essen haben. Eine noble Eigenschaft mit fatalen Auswirkungen auf meine Figur. In all den Jahren, die ich nun Vater bin, habe ich diese Situation auch mit meinen Kindern schon sehr oft erlebt. „Papa, kannst Du meins aufessen?“ war eine der meistgestellten Fragen in einem Restaurant. Und Papa konnte! Natürlich konnte er. Das ging soweit, dass ich manchmal gar nicht abwartete, bis mich eines der Kinder ansprach und schon auf ihren Tellern herumstocherte, bevor sie überhaupt anfingen zu essen.

Ich nahm also in Dresden bei diesem fantastischen Griechen das, was der Hase offenkundig nicht mehr essen konnte auf meinen Teller und speiste weiter. Das zweite Bier war mittlerweile auch leer. Ich bestellte ein Drittes. Die außerordentlich nette Bedienung machte sich ein wenig Sorgen: „Wo soll das alles bleiben?“ fragte sie mit Blick auf meinen Bauch., der ja schon ein großer Bauch war, aber wie ich zugeben musste, hier an seine Grenzen gelangte. Auch deshalb, weil sich der Narungsmittelstau, den ich bereits erwähnt habe, auch nicht vollends aufgelöst hatte. Aber die Gier nach diesen Köstlichkeiten hatte mein Gewissen und meine Selbsteinschätzung komplett ausgeschaltet.

Dann war es soweit. Ein letzter Krümel Reis, ein letzter Schluck Bier und ich war fertig. Jetzt noch ein Pfefferminzblättchen und ich würde explodieren. Meine Innereien würden sich im Lokal verteilen und dem Hasen wäre das Ganze sehr peinlich…..Jeder Kubikmillimeter in mir war mit Nahrungsmitteln gefüllt. Das Atmen fiel mir schwer und ich verspürte den Drang mich zu bewegen. Eben noch die Rechnung bezahlen, einen weiteren Ouzo trinken und dann nichts wie raus, an die frische Luft. Es regnete stark und ein unfreundlicher Wind blies uns die Regenschirme fast aus der Hand. Wir waren allein auf der Straße. Keinen Hund würde man nach draußen schicken. Aber die frische Luft tat mir gut und die Bewegung regte meinen Kreislauf an. Allerdings nicht nur meinen Kreislauf. Auch der Verdauungsapparat begann wieder zu arbeiten. Die anderthalb Grillteller und die anderthalb Liter Bier drückten sich im Bauch herum und so geriet in Wallung, was nicht in Wallung geraten sollte. Zumindest nicht in jenem Augenblick und erst recht nicht dort, an jener Stelle. Mein Innenleben wurde ein einziger Krampf. Ich blieb stehen und stöhnte schmerzhaft auf. „Alles in Ordnung?“ fragte der Hase besorgt. „Es geht schon“, log ich und ging in leicht gekrümmter Haltung weiter. Dann der nächste Krampf. „Ich seh´ doch, dass mit Dir irgendwas nicht stimmt“, sagte der Hase.

Ich fühlte mich wie ein Dampfkessel mit Überdruck, der kurz vorm Platzen war und meine Würde, meine Selbstachtung, ja eigentlich sogar mein Leben hing von einem einzigen Muskel ab. Von meinem Schließmuskel, denn: „Ich muss mal“, sagte ich. „Na dann mach doch“, sagte der Hase. „Ich muss aber mal groß. Ganz groß!“ sagte ich und fühlte mich an einen Nachmittag vor vielen Jahren erinnert, den wir mit den Kindern an der Nordsee verbrachten.

Der Hase und unsere Tochter saßen damals im Strandkorb, während ich mit unserem Sohn, der noch recht klein war, durch das Watt marschierte. Das Wattwandern ist eine Leidenschaft von mir. Ich wandere am liebsten so weit raus, bis man praktisch alleine mit sich und dem Watt ist. Manchmal ist das Leben schöner, wenn man keine Menschen um sich herum hat. Familienmitlgieder ausgeschlossen. Am allerliebsten bin ich sehr weit draußen, wenn die Flut langsam einsetzt. Das ist ein Schauspiel, dass ich nur sehr selten zu sehen bekomme und an jenem Nachmittag war es endlich einmal soweit. Gefühlte Stunden sind mein Sohn und ich marschiert und während der ganzen Zeit plapperte er wie ein Buch. Das heißt er plapperte eigentlich nicht, sondern stellte pausenlos Fragen. Fragen, auf die ich einfach keine Antwort wusste. „Was kostet der Strand?“ „Wie meinst Du das jetzt, wieviel Eintritt es kostet, wenn wir an den Strand wollen?“ „Nein, was kostet der Strand, wenn wir ihn kaufen wollen?“ „Welchen Strand?“ „Na den hier.“ „Wieso sollten wir den Strand kaufen?“ fragte ich. „Kostet der vielleicht mehr als tausend Eur0?“ In der Grundschule hatten sie gerade große Zahlen kennengelernt und tausend war die verflucht größte Zahl die er kannte. „Mehr als tausend“, sagte ich. „Tausendmillionen und elf Euro?“ „Ja in etwa“ „Was wiegt der Mond?“ „Häh?“ „Passt der auf die Waage in unserem Badezimmer, mit der du immer schimpfst?“

Die Fragen kamen in einem erbarmungslosen Stakkato über mich und waren allesamt abwegig, merkwürdig und nie und nimmer auf vernünftige Art und Weise beantwortbar. Das hinderte ihn aber nicht daran nach eine Antwort einzufordern. Es war schon ein Kuststück, dabei nicht komplett verrückt zu werden. Aber dann hatten wir es geschafft. Wir waren so weit draußen, wie ich es noch nie vorher gewesen bin und es war beinahe das Gefühl, am Rand der Welt zu stehen.  Ein leichter Wind blies und aus der Ferne waren ein paar Möwen zu hören. Der Strand und die dahinter aus dem Boden gestampften Hotels waren nur noch schemenhaft zu erkennen. Die Zivilisation mit all ihrem Lärm und der allgegenwärtigen Hektik waren zurückgeblieben. Ich wurde eins mit der Natur.   Zumal jetzt auch noch die Flut einsetzte und das Schauspiel des sich voranarbeitenden Wassers mich mit einer Zufriedenheit erfüllte, wie ich sie nur selten erfahren durfte.  Ein perfekter Moment. Sowas kann man nicht planen,das muss man erleben. Und es gab nichts, was mich daran hindern konnte, diesen Moment zu genießen.  „Papa?“ „Ja mein Sohn.“ „Ich muss mal.“ „Na das macht doch nichts“, sagte ich. Ich überschlug kurz, dass die Abermilliarden Liter Salzwasser, die sich gerade auf den Weg Richtung Ufer machten, es verkraften würden, wenn ein kleiner Junge ganz weit draußen ins Watt pullern würde. „Mach einfach ins Watt. Ich guck auch nicht hin. Außerdem sind wir hier doch ganz allein.“ „Ja aber, ich muss mal groß!“

Das war das Ende des schönen Augenblickes so weit draußen im Watt. Ich überlegte, ob ich ein Loch graben sollte, in das er hineinmachen konnte, verwarf den Gedanken aber sofort wieder. Und es entstand ein Bild in meinem Kopf, auf dem der „gute alte Bekannte“ von meinem Sohn, auf den Wogen der herannahenden  Flut, in Richtung Strand getragen würde, um dort einem Kleinkind beim Spielen in die Hände zu gelangen. Das ging nicht. Schließlich hatte ich sowas wie eine Verantwortung der Allgemeinheit gegenüber. Außerdem ließ sich mein Sohn auch nicht davon überzeugen, sich ins Watt zu setzen, um dort hinzukacken und irgendwie konnte ich ihn auch gut verstehen. Wir gingen zurück. Im Eiltempo. Schließlich war es ein Notfall. Und die Einsamkeit? Die Flut? Der perfekte Moment? Ach, scheiß was drauf. Sozusagen.

Doch an diesem Abend in Dresden, war ich es, dem dieses unausweichliche Schicksal  drohte. Wir waren auf halben Weg zum Hotel. Zu beiden Seiten der Straße befanden sich Mehrfamilienhäuser. Zweitstöckig mit vielen Klingeln und Gegensprechanlagen an den Eingangstüren.Es regnete in Strömen und ich versuchte verzweifelt meine Körperfunktionen unter Kontrolle zu behalten. Ich hielt mich krampfhaft an einer Laterne fest und stöhnte laut. „Du jammerst wie ein altes Waschweib“, resümierte der Hase und schlug vor, dass ich doch einfach irgendwo klingeln sollte. „Und was dann?“, fragte ich, “ was soll ich sagen? Hallo, ich weiß, dass sie mich nicht kennen, aber darf ich mal bei Ihnen kacken? …….Wahrscheinlich sind die hier bewaffnet und weil man mich für einen Spinner hält, wird man auf mich schießen!“ „Na du musst ja nicht so mit der Tür ins Haus fallen. Du solltest Dich etwas subtiler ausdrücken.“ „Ja Hallo erstmal, ich bin der Mattias und mir platzt gleich der Darm und wenn Sie mich nicht bei sich reinlassen, dann mach ich einen Haufen vor die Tür!“ Der Hase wurde ungeduldig:“Du willst mich nicht verstehen!“ „Natürlich verstehe ich Dich, aber stell dir mal vor, jemand würde bei uns ankommen mit dieser Botschaft…..“ „Ihh!“, sagte der Hase. „Und selbst wenn ich mich als behördlicher Keramiktester ausgeben würde, ich glaube ich könnte das nicht.“ „Was könntest Du nicht?“ „Na bei fremden Leuten die Abwasserproblematik verschärfen.“ „Du bist aber auch echt manchmal eine Mimose!“

Das mochte wohl sein, aber mein Entschluss, nicht über arme unbescholtene Bürger hereinzubrechen stand unumstößlich fest. Doch der Hase ist ebenso schmerzfrei wie erfinderisch, wenn es um solche Sachen geht. „Hock dich doch einfach da hin“, sagte sie und zeigte auf ein paar Bäumchen, die am Wegesrand standen, „ich hab noch ein paar Tempos und der Regen wird die Spuren verwischen.“ Ich schilderte  meine Bedenken und führte das Beispiel eines Hundebesitzers, der mit seinem Tier Gassi gehen und mich mit runtergelassenen Hosen entdecken könnte, während ich mit weit aufgerissenen Augen…….Undenkbar! „Außerdem bin ich nicht Willy………………………“

Wenn Sie wissen wollen, wie es weiter geht und wer zum Geier Willy ist,schalten Sie wieder ein, zu „Explosiv, der heiße Stuhl“ Oder war es „Der heiße Scheiß“?…..Man weiß es nicht

 

Fortsetzung folgt………