Projekt Uhu, Tag 14

Wie es vielleicht manch einem auffällt, mache ich Zeitsprünge. Ich habe gemerkt, dass es nicht von jedem Lauf lohnt zu schreiben. Aber, wie deutlich an der Zahl 14 zu sehen ist, bin ich noch immer am Ball. An jedem zweiten, spätestens aber an jedem dritten Tag laufe ich. Manchmal schaffe ich es nicht, weil ich am Vorabend zu tief ins Glas geguckt hatte und der Körper auf Sparflamme läuft. Manchmal sind es aber auch körperliche Beschwerden. So wie neulich, als ich zu Hause nach einem Lauf aus dem Auto stieg und mein rechtes Sprunggelenk einen höllischen Schmerz aussandte. Drei Tage danach konnte ich wieder weiter machen. Was sich aber insgesamt nicht verändert ist die Schwerfälligkeit. Besonders bei den ersten Metern. Ja, ich weiß, ich muss geduldig sein, aber es fällt mir schwer. Manchmal quassel ich dem Hasen die Ohren voll und jammere wie ein altes Waschweib. Manchmal bin ich aber auch einfach nur frustriert. Mir war klar, dass der Weg ein steiniger sein würde, aber dass ich so gar keine messbaren Fortschritte habe, damit habe ich nicht gerechnet. Aber, und das ist das Gute, ich werde trotzdem am Ball bleiben. Ich habe das Gefühl, wenn ich hier nicht aufgebe, dann hat das eine gewisse Signalwirkung auf mich. Vielleicht besiege ich ja auch ein paar andere Schwächen.

Was aber auf jeden Fall mit dem Laufen einhergeht ist, dass ich mehr nachdenke. Das können so schlichte Sache sein, wie die Frage, was es zum Abendessen geben könnte oder aber auch einfach mal der normale Wahnsinn, der uns umgibt.

Gestern war der Ort Themar in Thüringen in allen Nachrichten. Was interessant ist, weil meine Mutter in ihrer frühen Jugend dort  in direkter Nähe gelebt hat. Mit Themar verhält es sich, wie mit vielen kleineren Orten, die ich hier in unserer Gegend kenne. Solange nicht irgendetwas grundsätzlich Schlechtes passiert, kennt die kein Schwein. Es müssen schon Dinge, wie ein außergewöhnliches Kapitalverbrechen oder, wie im Falle Themar, ein Neonazifestival stattfinden, damit das Interesse der Medien geweckt wird. Neonazis also. Sie hatten die Veranstaltung als Kundgebung deklariert und deswegen konnte man keine rechtlichen Schritte dagegen einleiten. Das „Kundgebungsgelände“ wurde dann vom Veranstalter mit blickdichten Zäunen eingegrenzt und für 35€ konnte jeder Rechtsradikale (ich leg mich jetzt mal fest, dass es dort nur Rechtsradikale gab, denn so blöd ist sonst ja keiner) dorthin, um mit Seinesgleichen rechtsradikale Rockmusik hören und dann  in einem überfüllten Zelt zu den Klängen irgendeiner Spackenband „Heil Hitler“ gröhlen und mit dem rechten Arm im Takt den geliebten Führer grüßen. Die entsprechenden Bilder gab es im Fernsehen. Und da fragt man sich, wo bei denen der geistige Horizont ist.

Es stehen also Wohlstandsbürger, die in Freiheit und Sicherheit aufgewachsen sind, denen wahrscheinlich auch sonst alles in den Arsch geblasen wird, zu hunderten, ach was sag ich, zu tausenden da und huldigen einem Diktator, dessen geringstes Verbrechen es war, die Meinungsfreiheit, auf die sie sich ja immer so fein berufen, abzuschaffen. Und wenn sie einmal einen lichten Moment in ihrem Oberstübchen hätten und es vielleicht einmal mit Nachdenken versuchten, trotz der zu erwartenden Schmerzen bei dieser für sie doch ungewohnten Tätigkeit, würde ihnen vielleicht ein Licht aufgehen und es müsste ihnen auffallen, dass ihre Veranstaltung, zu Adolfs Zeiten von der SA, oder auch der SS gestürmt worden wäre. Ich sage mal nur „entartete Musik“ als Stichwort. Und wer weiß, vielleicht wäre auch die Gestapo fleißig dabei gewesen und hätte ein paar Leute verhört und wer weiß noch was mit ihnen getan. Denn soviel müsste jedem klar sein, der sich ansatzweise mit Geschichte auseinandergesetzt hat, Rock, oder Rock´n Roll ist amerikanische Negermusik in den Augen der Nationalsozialisten und wer sie hört, oder sogar spielt, macht sich strafbar. Und strafbar hieß damals in diesem Zusammenhang mitunter auch mehr als nur ein paar Tage Knast. Viel mehr.  Aber ich glaube kaum, dass es einen von den Hirnis in Themar interessieren würde.

Eigentlich ist es komisch, aber die Nazis dort erinnern mich an Türken. Nicht an alle, beileibe nicht, aber an diejenigen Türken, die hier in Deutschland die Vorzüge der Freiheit genießen und ihre Stimme dafür abgeben, dass der gute Erdogan in ihrer Heimat, in der sie aber nicht leben, den kleinen Depoten raushängen lassen kann. Vielleicht sollten sie sich einmal mit ihren Landsleuten, die zu tausenden inhaftiert wurden, ein wenig unterhalten, oder besser noch, sie sollten dort leben und dann am eigenen Leibe den feinen Unterschied zwischen einer Demokratie und einer angehenden Diktatur kennenlernen.

Und wieder einmal zeigt sich, es gibt überall Idioten. Wenn man mich in eine politische Richtung einsortieren sollte, dann würde ich mich als einen Menschen der Mitte betrachten. Wenn überhaupt eine Ausrichtung, dann eher eine leicht links angehauchte. Also mehr in Richtung Arbeiterklasse und etwas entfernter vom Konservativen. Aber wie gesagt, auch nur sehr leicht in dieser Tendenz. Deshalb hatte ich auch bei dem G20 Gipfel grundsätzlich Sympathien für die angekündigten friedlichen Proteste. Es gab ja auch durchaus welche. Aber was dann daraus wurde, hat wohl so ziemlich jeder mitbekommen. Da weiß man manchmal nicht, was einen mehr anwidert, die sinnlose Zerstörungswut und die extreme Gewalt, oder der ganze Zirkus danach. Die Suche nach den Schuldigen. Die politischen Auseinandersetzungen, mit festem Blick auf die anstehenden Wahlen. Wer sollte zurücktreten und hat die Polizeieinsatzleitung schuld? Waren zuviele Beamte vor Ort? Oder hätten es noch viel mehr sein müssen? Gab es unangemessene Polizeigewalt? Ich weiß das alles nicht, ich bin schließlich nicht dort gewesen. So wie die meisten, die jetzt so furchtbar klug sind. Ich weiß nur, dass die Polizisten sich bestimmt nicht selbst mit Steinen oder Molotowcoctails beworfen haben. Und alle die über die Polizeiarbeit urteilen sollten erst einmal ruhig in sich gehen und sich die Frage stellen, in welchen Berufen sie arbeiten. Und dann darüber nachdenken, wann es in ihrem Berufsleben vorgekommen ist, dass ein Kollege verletzt wurde. Betrunken bei der Weihnachtsfeier vom Schreibtisch gefallen, zählt jetzt aber nicht dazu.

Wie möchte man denn darüber urteilen können, wie es sich anfühlt, wenn Du mit tausenden Kollegen im Einsatz bist, ausgerüstet wie für einen Fronteinsatz in einem Krieg, um dann einer gewaltbereiten Horde gegenüberzustehen, die es billigend in Kauf nimmt, Dich oder Deine Kollegen verletzen, oder gar zu töten? Und wer von allen klugen Köpfen, die hinterher so fürchterlich schlau sind, hatte denn im Vorfeld gewusst, dass hier aus ganz Europa der gewalttätige Abschaum der Gesellschaft vorbeikommt, um ganze Stadtteile in Schutt und Asche zu legen?

500 Polizisten sind verletzt worden und es fragt sich keine Sau, wer die eigentlich sind. Es gibt Gerüchte, dass sich unter der Uniform immer ein Mensch befindet, der vielleicht auch eine andere Vorstellung davon haben könnte, was alles zu seinem Aufgabenbereich gehören sollte. Und jetzt, nachdem nun die Katastrophe über Hamburg gekommen ist, wird das Fell des politischen Bären ungehemmt verteilt. Und bei allem Verständnis für eine linksgerichtete Weltanschauung, für die die Polizei der Machtapparat des Staates ist, beschäftigt mich doch eine Frage. Wie würde eine Jutta Dittfurth (als Beispiel) reagieren, wenn sie in einem der betroffenen Viertel leben würde, und „Demonstranten“ gerade ihr Auto anzünden und in ihr Haus eindringen wollten? Würde sie sagen:“Ja, ich opfere meine Symbole des Kapitalismus gerne für die gerechte Sache“? Und was würde sie sagen, wenn es bei den gewaltbereiten Protestlern sich um rechtsradikale Gruppierungen handeln würde? Wie würde sie dann einen Polizeieinsatz bewerten? Die vielbesagte Blindheit auf einem Auge ist größer, je eindeutiger die politische Einstellung ist.

Oder erinnert sich noch jemand an das Relegationsspiel Braunschweig gegen Wolfsburg? Braunschweig hatte verloren und nach Ende des Spiels rannten viele hundert Braunschweiger Fans auf den Rasen in Richtung Gästeblock. In den Gesichtern war abzulesen, dass auch der letzte Rest an Verstand abhanden gekommen war. Und so standen sie auf dem Rasen und brüllten wie die Irren irgendwelche Provokationen in Richtung Wolfsburger Fans, die ihrerseits nur darauf gewartet hatten, dass so etwas passiert und sich in ähnlicher Weise äußerten wie ihre Braunschweiger Deppenkollegen. Aber sowas kennt man ja vom Fußball. Eine Lederkugel, 22 Leute die ihr hinterherrennen, ein paar Schiedsrichter, die ein Blutvergießen auf dem Rasen verhindern sollen und dabei von niemandem gemocht werden und dazu noch eine nicht näher bezifferte Anzahl von Fans, von denen wiederum ein gewisser Anteil die eigene Armseligkeit mit Schlachtgesängen, Pöbeleien und wenn es sein muss (oder auch wenn man es provozieren kann) auch mit körperlicher Gewalt kompensiert. Was für mich aber so bezeichnend an dem Spiel Braunschweig / Wolfsburg war, kaum dass die Hirnis auf den Platz getreten waren, standen ein paar hundert Polizisten auf dem Platz. Ausgerüstet, wie beim G20 Gipfel in Hamburg.

Fragt man sich, wo kamen die denn so schnell her? Genau, die haben gewartet, weil man schon vorher geahnt hatte, was sich abspielen könnte und deshalb möglichst viele Sicherheitskräfte versammelt hatte. Fragt man sich, wieviel Polizisten nötig sind, für ein normales Bundesligaspiel und welche Schutzausrüstungen sie dabei tragen müssen und vor allem warum. Da kann man schon nachvollziehen, dass eine Stadt wie Bremen darüber nachgedacht hat, die Kosten für derlei Einsätze auf die „DFL“ umzuwälzen. Aber es sind nicht die Kosten allein. Was ist mit den Leuten, die sich in ihrer „Ritterrüstung“ mit solchen Dingen auch ungern mal das Wochenende um die Ohren schlagen, oder besser schlagen lassen müssen? Die sich zu allem Überfluss auch nicht selten noch beschimpfen und bepöbeln lassen müssen und dann noch nicht einmal parteiübergreifend politische Rückendeckung bekommen. Ich kenne einige Leute, die Polizisten sind und einige, die es entweder noch werden wollen, oder es werden wollten. Allesamt echt nette Leute. Und auch wenn es unter allen Polizisten vielleicht auch ein paar Arschlöcher gibt (in welchem Beruf gibt es die nicht), so hat es doch niemand verdient, dass er körperlich, oder wie auch sonst immer, angegangen wird. Man verprügelt schließlich auch nicht den Standesbeamten, wenn die eigene Ehe ein Fiasko ist, oder den Bäcker, für ein verbranntes Brötchen.

Da sieht man, welch ein Luxus es ist, ein normales Berufsleben zu führen. Im Allgemeinen geht man morgens hin, verrichtet seine Arbeit und wenn es ein schlechter Tag war, hat es vielleicht mal weniger Spaß gemacht. Oder man musste sich wirklich ärgern, über Kollegen oder Kunden, die einen genervt haben. Und dann ist Feierabend und man kann machen, was immer man auch machen will. Vielleicht sogar ein Fußballspiel ansehen. Oder einfach nur ein wenig joggen gehen, über vieles nachdenken und dann darüber zu schreiben. ………

PS.: Kleiner Nachtrag. In Bremen wurden zwei Polizeibeamte bei Streitigkeiten verletzt. Schweres Schädel-Hirntrauma. Ein Beamter lag dabei wohl auf dem Boden und sein Widersacher hatte es sich nicht nehmen lassen, seinem Opfer mit Anlauf gegen den Kopf zu treten. Man hört und liest solche Meldungen immer und schüttelt entsetzt den Kopf. Was würde man denken, wenn es ein Freund,  der eigene Bruder, die eigene Tochter wäre, der oder die dort zusammengetreten würde…..