Ich habe es wieder getan. Ich bin wieder gelaufen. Endlich mal. Doch bevor ich darauf eingehe, wie es mir ergangen, oder heißt es in diesem Fall erlaufen, ist, muss ich noch kurz aufklären, wie diese endlos lange Zeit zustande kam. Also es war folgendermaßen……
Zunächst war es diese wirklich bedrohliche Männergrippe, die mich länger an mein Sofa fesselte, als ich es erwartet hatte. Ich ging zwar nach zwei Wochen des Vegetierens wieder zur Arbeit, aber es ging einfach noch nicht. Also noch ne Woche krank zu Hause. Wüsste nicht, dass ich sowas in der Länge schonmal gehabt hätte. Was sich als noch hartnäckiger erwies, war mein Husten. Der plagte mich noch weitere vier Wochen. Das bereitete mir Sorgen. Ich hätte auch mein Testament aufgesetzt, wenn ich nur irgendwas zu vererben hätte. Sensen als Solches und Männer mit dunklen Kapuzen bereiteten mir zu dieser Zeit großes Unbehagen. Es war wirklich keine leichte Zeit, denn neben dem Husten war die körperliche Verfassung auch noch nicht besonders prickelnd. Wider Erwarten überlebte ich.
Zu diesem Zeitpunkt waren rund zwei Monate ins Land gegangen und ich hatte bedenken, wieder mit dem Laufen zu beginnen. Mir war noch lebhaft in Erinnerung, wie sehr mich besonders die ersten drei- vierhundert Meter jedesmal anstrengten. Sollte ich also meine gerade wieder ins Lot gekommene Gesundheit aufs Spiel setzen? Meine Überlegungen fanden ein jähes Ende dadurch, dass die Reifensaison einsetzte.
Für diejenigen, die mich nicht kennen, erkläre ich es mal kurz. Ich arbeite in einem Autohaus. Da ich aber von Autos genausoviel Ahnung habe, wie ein Huhn vom gemolken werden, sind meine Einsatzgebiete etwas eingeschränkt. Unter anderem gehört der Reifenservice in all seinen bunten Facetten dazu. Und jedesmal im Frühjahr und im Herbst herrscht dann -Ausnahmezustand. Heerscharen von Kunden wollen ihre Sommer-, oder Winterreifen, je nach Jahreszeit, ans Fahrzeug montiert haben. Das bedeutet für mich, dass ich wochenlang beinahe komplett damit beschäftigt bin Räder zu wechseln und einzulagern.
Das Ganze hat dann schon so etwas wie einen gewissen Fitnessstudio Charakter. Ich fahre das betreffende Auto in der Halle, in der ich arbeite, auf die Hebebühne und bocke das Fahrzeug auf. Dann kommt der Fitnessteil. Radbolzen lösen, Räder abnehmen, aufstapeln, mit einer Reifenkarre (ähnlich einer Sackkarre) über das halbe Fimrengelände zum Lagerort laufen, Winterräder aus dem Regalfach nehmen, Sommerräder einsortieren, Winterräder in Karre nehmen, wieder über den Hof laufen und dann die Räder anbauen. Da die Räder auch gern mal schwer , die Wege weit sind und die Zeit knapp bemessen, ist das nicht ganz ohne. Wer selbst schonmal Räder gewechselt hat, wird es nachvollziehen können. Ich arbeite dabei die meiste Zeit alleine, was mir sehr gefällt. Wenn man allerdings tagein tagaus mit Reifen zu tun hat, neigt man ein bisschen dazu, kauzig zu werden. Man baut eine gewisse Beziehung zu den Gummikameraden auf. Nein, nicht so, wie das jetzt vielleicht so manch einer denkt.
Neulich ist mir ein Radbolzen aus der Hand gefallen. Kaum auf den Boden aufgeprallt, rollte er Richtung Hallentor. Das war allerdings verschlossen, weswegen der Bolzen seinen ursprünglichen Plan, in die Freiheit zu rollen, nicht in die Tat umsetzen konnte. „Ha, Pech gehabt“, sagte ich, „Hast wohl gedacht, Du könntest einfach so abhauen. Aber nicht mit mir! Nicht mit mir!“ Oha, so weit war es schon. Nach gefühlt 5000 Radbolzen war ich anscheinend komplett durch den Wind. „Alter, Du sprichst mit einem Radbolzen!“ sagte ich. Wobei mir auffiel, dass ich mit mir in der zweiten Person Singular sprach. Das machte die Sache auch nicht besser.
Insgesamt macht mir das Ganze aber Spaß. Man hat immer gut zu tun und der Tag geht schnell rum. Nur nach Feierabend war ich die ersten zwei Wochen komplett im Eimer. Da ging nix mehr. Tagsüber aber, merkte ich schon eine ungeahnte Energie in mir aufsteigen. Ich lief schneller und war beinahe soweit, dass ich mit den Rädern hätte jonglieren können. Ich wurde das unbestimmte Gefühl nicht los, dass ich eine körperliche Veränderung mitmachte. Deutlich zu sehen an dem Ergebnis beim Wiegen. Doch nun neigte sich die Saison dem Ende entgegen und ich war wieder offen für den Gedanken, es mit dem Joggen noch einmal wieder zu probieren.
Wie gesagt, ich bin Abstinenzler. Keinen Alkohol und vor allem keine Cola mehr. Mittlerweile sind es rund acht Kilo, die ich verloren habe und ich gedenke nicht, sie wieder zu suchen. Die Zeichen standen günstig, aber ich hatte noch erhebliche Bedenken davor, wieder zu laufen. Eigentlich hatte ich Angst, dass es genauso schlimm werden würde, wie im Sommer, als ich anfing. Doch vorgestern fasste ich mir ein Herz, zog das geeignete Schuhwerk an und lief einfach mal los. Es gibt eine Strecke von rund zweieinhalb Kilometern, die ich direkt von zu Hause aus laufen kann. Da es früh dunkel wird und mein erster Lauf auf einem Sonntag startet, war die Chance, dass ich mich, von fremden Leuten unentdeckt, auf den Weg machen kann, sehr groß.
Ich bin letztendlich eher langsam gelaufen, weil es auch ein wenig glatt gewesen ist. Nach zwei- dreihundert Metern erwartete ich den ersten Beinahe-Zusammenbruch. Aber nichts dergleichen ist passiert. Genaugenommen bin ich die gesamte Strecke ohne Probleme durchgekommen. Nicht mal außergewöhnlich aus der Puste bin ich gewesen. Wenn man bedenkt, dass ich im Sommer, trotz all der Läufe, die ich gemacht hatte, nie mit Leichtigkeit unterwegs war und manchmal auch zwischendurch abbrechen musste, weil körperlich nichts mehr ging, dann war mein erster Winterlauf schon ein kleines Wunder. Ich kann mich nicht daran erinnern, wann ich das letzte Mal so befreit laufen konnte. Und weil es so schön war, bin ich heute, zwei Tage später, erneut gelaufen. Ja, die Beine waren etwas schwer und ich pustete etwas. Aber erstens habe ich noch vorher gearbeitet und zweitens bin ich auch etwas schneller gewesen als vorgestern.
Es ist also unumstößlich, dass ich mein Ernährungsverhalten ändern musste. Ich bin jetzt ziemlich voller Hoffnung, dass dies ein ganz neuer Start sein kann und das freut mich riesig. Wenn es klappt, laufe ich übermorgen wieder. Mal schauen, was dann passiert…..