Letzten Samstag, 20.06. 2020 in Bötersen…..Ich habe eine neue Heckenschere! Eine Bosch AHS 70/34. Zwar noch nicht die Profiedition, aber schon kein kleines Ding, das ich da habe. Da sollte auch nur jemand mit arbeiten, der auch irgendwie ein bisschen Ahnung von der Materie hat. Sie fordert schon den ganzen Mann. Und natürlich habe ich mir damit ins Bein gesäbelt. Allein auch schon deshalb, weil ich peinlich darauf geachtet habe, das Kabel nicht durchzuschneiden. Das ist bei einer solchen elektrischen Heckenschere der berühmte Anfängerfehler. Gerät einschalten, ein paarmal rumfuchteln und schon ist das Kabel ab. Macht im Prinzip jeder mindestens einmal in seiner Heckenschererkarriere. Mit ein bisschen „Talent“ schafft man es auch öfter.
Aber ich bin ja kein Anfänger. Und ja, das Kabel blieb heile. Nur meine Hose nicht. Und auch nicht das Bein das in der Hose steckt. Wie gesagt, ich habe mir damit ins Bein geschnitten. Das klingt jetzt auch ein wenig dramatischer, als es letztlich gewesen ist. Das war jetzt nichts. was man nicht wieder annähen könnte. Eigentlich hat es gereicht, dass der Hase ein Benjamin Blümchen Pflaster drüber geklebt, mir ein Eis gegeben und ein bisschen gepustet hat. Ja, ich war echt tapfer und der Schnitt immerhin 2,6cm lang. Ich hatte schnell genug reagiert und die Höllenmaschine gleich abgestellt, als es sich etwas komisch auf der Haut anfühlte. Und ich mir die berühmten drei Fragen stellte: Ist es ein Flugzeug? Nein! Ist es ein Ufo? Nein! Und, ist es Supergrobi? Auch nein. Also blieb nur die Heckenschere übrig. Dieser Gedankengang dauerte real keine 3 Millisekunden. Deshalb war ich noch rechtzeitig mit meiner Reaktion.
Nun gut, ich gebe zu, der Vorfall war jetzt nicht dramatisch und das Bein ist noch dran. Aber er hätte durchaus dramatisch werden können. Ein bisschen länger auf den Schalter gedrückt und mein Oberschenkel wäre Hackfleisch. Nicht auszudenken. Das weitaus Interessantere daran ist, es hätte eigentlich nicht dazu kommen können. Denn eigentlich wäre ich an diesem Tag, zu diesem Moment gar nicht zu Hause gewesen. Eigentlich säße ich auf Fräulein Mencke und würde mit der Truppe ein Bierchen trinken und vielleicht auch schon ein erstes Mal grillen. Denn eigentlich wäre an diesem Wochenende Hurricane. Aber Corona sei Dank, ist es ausgefallen und ich konnte nicht hin. Und wie man sieht, ist es saugefährlich, wenn man nicht auf dem Festival ist. Also Obacht, falls es noch einmal ausfallen sollte, lasst die Finger von Heckenscheren. Also ist es in diesem Jahr ein „Eigentlich“ Festival. Eigentlich wären wir da. Eigentlich tränken wir Bier. Eigentlich grillten wir. Und eigentlich sähen wir ein paar Bands.
Was mich dann zu dem nächsten grundsätzlich wichtigen Punkt beim Hurricane bringt. Zur Musik! Und auch wenn ich ein verkommener Hund bin und das ungesunde Leben an diesem Wochenende auf diesem Gelände zu sehr schätze, ist es doch die Musik, die mich im Prinzip immer wieder dazu bringt, hierher zu fahren. Zumindest zu einem sehr großen Anteil am Ganzen. Und wenn ich es mal hochrechne, dann habe ich im Lauf der Zeit wahrscheinlich so an die 200 Konzerte hier gesehen. Nicht alle davon habe ich ganz gesehen, manche auch nur gestreift und nicht alle waren auch wirklich gut. Aber die meisten schon. Auch wenn sich mein Geschmack dabei nicht immer mit dem der Anderen aus meiner Truppe deckt, oder gedeckt hat.
Ich glaube das mieseste Konzert, dass ich da mitgenommen habe, war noch in den Anfangsjahren. Ich glaube es war beim ersten Mal. Da sind wir damals zum ersten Mal auf das Festivalgelände gegangen und waren sofort fasziniert davon, wie das alles so aussah. Überall Leute, Bierstände, Fressmeilen, und am Ende eine große Bühne und daneben eine Art riesiges Zirkuszelt. Ich war sofort verliebt in all das. Bis dann auf der großen Bühne eine Band, deren Namen ich schneller vergessen habe, als ich ihn lesen konnte, zu spielen begann. Irgend so ein Funk/Rock/Fusion/ Sonstirgendwas Gemix. Was jetzt nicht zwingend verwerflich war. Ist halt auch Kunst das Ganze und die muss ja auch mal polarisieren. Allerdings hatten die Jungs wohl kein Geld für einen echten anständigen Sänger. Weswegen, der Legende nach, der Schwippschwager von dem Typen, der hinter der Bühne die Kabel trägt, für zwei Dosen, abgestandenes Astra in lauwarm, verpflichtet werden konnte. Seine einzige Qualifikation bestand offensichtlich darin, dass er nicht versuchte das Mikrofon wie ein Eis abzuschlecken. Er ahnte instinktiv, dass man da Krach mit dem Mund rein macht, in dieses Mikrofon. Ich mein, ich kann ja schon nicht singen, aber der Kerl war noch mal eine ganz andere Hausnummer. In meiner Erinnerung stand er da, trug eine braune Cordhose (das mit Abstand uncoolste Kleidungsstück, das man je an einem Mann gesehen hat), lange Hippiehaare, einen ungepflegten 3 Monatsbart und ich meine er hätte auch gelbe Zähne gehabt. Aber wie gesagt, meine Erinnerung kann da auch schon trügen. Die Wahrheit aber ist, dass er in einem „Lied“ unaufhörlich immer und immer wieder „Disco Kult“ sang. Also genaugenommen war es kein Gesang, sondern nur das, was er für Gesang gehalten hat. Er hat es ziemlich geleiert. Immer und immer wieder. Disco Kult! Disco Kult! Disco Kult!…… Das Lied hatte eindeutig Kultcharakter.
Nee….echt…..dieses Band war so schlecht, wie keine zweite. Was mich zum glücklichen Umstand führt, dass alle anderen Konzerte besser waren, als dieses. Naah, vielleicht nicht ganz. Denn es gab ja auch irgendwann den ersten Auftritt von Jenifer Rostock. Ist auch schon ein paar Jahre her und damals kannte sie keiner. Die Gute trat auf die Bühne, war offensichtlich entweder total zugedröhnt, oder auch nur komplett besoffen. Man weiß es nicht. Und ihre erste Ansage war in etwa, dass der Gitarrist der Band, das alte Arschloch, noch nicht da sei, der verfickte Scheißkerl. (Das waren ihre Worte, nicht meine….und ich glaube sie hat noch ein paar schlimmere vom Stapel gelassen).
Aber wie gesagt, die Masse der Bands war besser! Wesentlich besser! Wobei da auch die Geschmäcker ein wenig auseinander gehen. Und ich habe es auch oftmals geschafft, selbst meinen toleranten Bruder ein bisschen vor den Kopf zu stoßen und ihn mit „meiner“ Musik zu vergraulen. Lebhaft in Erinnerung ist ihm dabei die Band Mogwai geblieben. Mogwai ist ein bisschen spezieller. Also ich sag mal, man braucht schon ein bisschen Geduld, wenn man Mogwai sieht. Wobei sie auf den ersten Blick gar nicht so wirken. Fünf Leute auf der Bühne, mit jeder Menge Gitarren und einem Schlagzeug. Das sieht nach Krach aus. Und Krach ist es, was wir (häufig) wollen. Nach dem berühmten Sprichwort: Mit Speck fängt man Mäuse und mit Krach fängt man Däuse.
Es ist jetzt nicht so, dass ich Mogwai vorher gekannt hatte, aber ich hatte von denen gelesen und wollte sie unbedingt mal sehen. Mein Bruder war mit dabei. Die Band kam auf die Bühne und fing an zu spielen…….Hmmh, naja, das ist vielleicht ein bisschen viel gesagt. Also eigentlich spielte einer der vielen Gitarristen einen Ton. Und dann war erstmal nix. Er spielt also den einen Ton und die Menge…..ja es waren schon ein paar Leute mehr vor der Bühne…..also die Menge erstarrte in Ehrfurcht. Und ich auch. Gottverdammt, da spielt er diesen einen Ton….und dann auch noch richtig……der Wahnsinn. Ich war hin und weg. Mein Bruder weniger. „Laaaangweilig!“ schallte es stumm aus seinen Augen. Doch da, wie ein Blitz, der zweite Ton. Wieder richtig gespielt. Zeit für einen Szenenapplaus.
Es wird wahrscheinlich wenig überraschen, wenn ich erwähne, dass auch noch ein dritter Ton gespielt wurde. Wobei die Intervalle immer kürzer wurden. „Jau, das geht doch voll ab!“, sagte ich euphorisch. „Haben die überhaupt schon angefangen?“, fragte der Ignorant, der vorgibt, mein Bruder zu sein. „Klar sagte ich. Da muss man differenziert ran gehen. Und immer dran denken, Pausen sind auch Musik!“, belehrte ich den Unwissenden. Dem wurde das nun ein bisschen zu bunt und er suchte das Weite, um zum Rest unserer Truppe zu stoßen und ein bisschen Punk zu hören. Hätte er mal nicht tun sollen, denn kaum dass er weg war, ging es auch bei Mogwai granatenmäßig ab. Jetzt wirklich. Aber das hatte mir damals niemand geglaubt. Ich ging dann nach dem Konzert zu unserer Truppe und mein Bruder fragte mich, wie es war. „Sie haben noch den vierten Ton gespielt! Es war ergreifend!“, log ich.
Da ich jedoch auch immer wieder ein paar Perlen aus dem Ärmel zaubern konnte, kam mein Bruder in all den Jahren auch häufig mit zu meinen Geheimtipps. In diesem Jahr……also für alle die den Überblick verloren haben, wir sind jetzt wieder in 2019……in diesem Jahr also, hatte ich auch wieder eine Geheimwaffe auf der Pfanne: Bears Den! Bears Den sind am Sonntagmittag als Opener auf der blauen Bühne dran. Und ja, ich mag Bears Den. Auch wenn es vielleicht nicht gerade Heavy Metal ist, was sie so machen. Man muss es schon zugeben, die Jungs sind eher verhalten und ruhig. Was vielleicht nicht förderlich ist, wenn man hier Sonntagmittags halbwegs verkatert und auf jeden Fall übermüdet vor der Bühne steht. Naja, ich hatte gehofft, dass sie für so ein Festivalkonzert mal ne Schippe drauflegen. Das machen eigentlich die meisten Bands. Aber hier uns jetzt ist Essig mit der Schippe drauf. Habe sogar das Gefühl, dass sie die ruhigen Passagen noch ruhiger spielen.
Für mich geht das voll in Ordnung. Aber mein Bruder leidet ein wenig. Verzweifelt wartet er auf den Moment, wo er zumindest mal ein bisschen mit dem Kopf nicken kann, weil die Musik in mitreißt. Auch wenn er sich Mühe gibt, es zu verbergen, die Langeweile dringt aus jeder Pore und er wirkt nicht gerade glücklich. Dann ein Lied, Hiding Bottles, das zumindest in der Studioversion ein bisschen Potential hat. „Gleicht geht´s ab“, sage ich und schüre ein wenig Vorfreude. Aber auch das versemmeln die Jungs und spielen es seltsam leidenschaftlos. Eine knappe halbe Stunde dauert die Tortour für meinen Bruder und auch wenn er es nicht ausspricht, sehe ich es ihm an, dass er sich Mogwai zurückwünscht. Vier Töne für eine Halleluja.