Kann sich noch irgendwer daran erinnern, wie die ganze Sache mit Corona begonnen hat? Da reichten 2.000 Erkrankte am Tag aus, um das ganze Land stillzulegen. Man hatte gelernt, wie man die Hände waschen muss, um sich nicht anzustecken. Abstand war mit einem Mal das Gebot der Stunde und jemandem die Hand zu schütteln war die Vorstufe zur Körperverletzung. Klopapier war wertvoller als Gold. Man war kurz davor das benutzte Papier wieder aufzubügeln und erneut zu verwenden. Von Nudelknappheit ganz zu schweigen. Verkaufspersonal, das einem sagen wollte, wie viel man von diesen Sachen kaufen durfte, zu verprügeln, war Volksport geworden. Man durfte sich nicht mit mehr als zwei Personen im Freien treffen und sämtliche Veranstaltungen wurden abgesagt. Städte wie New York oder Rom waren menschenleer und wir waren alle dazu verdammt, zu Hause zu bleiben, es sei denn man konnte noch seiner Arbeit nachgehen, was auch längst nicht allen vergönnt war.
Man musste systemrelevant sein in seinem Beruf. Masken wurden zwar noch nicht getragen, aber es gab niemanden auf diesem Planeten, der etwas Gleichwertiges schon einmal in diesem Ausmaß erlebt hatte. Die Schulen fielen flächendeckend aus und es gab keinen Schüler der sich darüber freute. Was ist bloß los mit der Jugend heutzutage. Da stellte man sich irgendwie die Frage, was in Gottes Namen passieren würde, wenn die Zahlen auf, ich sag mal 3.000, oder wenn man mal richtig verrückt sein wollte, auf 10.000 Fälle am Tag ansteigen würden. Plünderungen, Anarchie, Gendern, der Zusammenbruch des öffentlichen Lebens? Man mochte es sich nicht ausmalen.
Als ich nun an Corona erkrankt bin, sind es rund 300.000 Fälle am Tag. Das ist das 150fache dessen was man mal hatte und die Fußballstadien sind wieder voll, die Städte belebt und viele Einschränkungen stehen kurz davor gekippt zu werden.Es gibt Nudeln im Überfluss und man könnte mit Klopapier das ganze Haus tapezieren. Mit dem Unbenutzten. Und so ist unsere Einstellung einer Infektion gegenüber doch recht locker, muss ich sagen. Ich mache den PCR Test, der eigentlich nichts anderes als ein Schnelltest mit einer genaueren Auswertung ist und warte auf das Ergebnis. Während dem Hasen auch der Hals schon ein bisschen kratzt.
Tag zwei meiner Positivität ist eigentlich genauso wie Tag eins. Ich hänge schlaff herum, wie ein nasser Lappen und mache das, was ich wirklich am allerbesten kann: Nichts! Ich mache nichts, den ganzen Tag und der Hase macht sich Sorgen, dass mir die Decke auf den Kopf fallen könnte. Was sie aber nicht tut, denn, von den Krankheitssymptomen, auch wenn sie nicht sehr ausgeprägt sind, einmal abgesehen, genieße ich diese Zeit des Müßiggangs. Wenn es eine Weltmeisterschaft im Nichtstun geben würde, dann wäre ich ganz weit oben unter den Titelanwärtern. Ein Beamter am Montagmorgen ist ein Hektiker gegen mich. Ich liege also den ganzen Tag im Bett und habe mir einen Plan gemacht. Serie gucken erst frühestens am späten Nachmittag, davor so viele Sudokus machen, wie möglich. Lesen wäre auch eine Alternative, birgt aber auch eine gewisse Hektik, von der ich gerne Abstand nehmen möchte.
Wir hatten im Vorfeld einfach mal so ins Blaue besprochen, was wir tun würden, wenn einer von uns mit Corona infiziert wäre. Und wir dachten, es wäre dann das Beste, wenn derjenige isoliert im Haus ist. Sofern die anderen beiden arbeiten gehen, könne er ja das ganze Haus in Beschlag nehmen. Eine sehr gute Theorie, die aber in der Praxis hier sofort pulverisiert wird. Denn erstens hat Junior Homeoffice und zweitens muss der Hase ja momentan nicht zur Arbeit. Ich muss also in meinem Verlies bleiben. Da ist man einmal krank und im Haus geht´s zu wie auf dem Hamburger Hauptbahnhof zur Stoßzeit. Also bleibe ich einfach mal liegen. Ich drehe mich hin und wieder mal auf die eine oder andere Seite, damit ich keine Druckstellen kriege. Insgesamt bin ich recht zufrieden mit meiner Gesamtsituation. Es hätte erstens schlimmer kommen können und zweitens hätte das Bett auch unbequem sein können. Was es nicht ist. Es ist nur ein bisschen niedrig, was mich beim Aufstehen dann schnell an meine Grenzen gelangen lässt. Aber ich habe nicht die Wahl, also nehme ich es, wie es kommt.
Der Hase sorgt sich in vielerlei Hinsicht um mich. Da ist zum einen die Angst, dass sich Corona schlecht auf mein Herz auswirken könnte. Was aber egal ist, weil der Rhythmus auch ohne Corona wieder aus dem Takt ist, aber das ist eine andere Geschichte. Die zweite und nicht unbedingt kleinere Angst herrscht bei Ihr, weil sie meint, ich könnte abstumpfen, wenn ich nicht sinnvoll beschäftigt bin. „Du kannst ja mal Deine Ecken aufräumen, das ist nicht anstrengend“, sagt sie. Mit den „Ecken“ meint sie die Bereiche, in denen sich im Lauf der Jahre einige Sachen von mir angesammelt haben. Wie solche Sachen es nunmal auch gerne machen. Ich bin da völlig unschuldig dran. Ich habe den versteckten Auftrag des Hasen zwar verstanden, bin aber komplett bereit ihn zu ignorieren. Schließlich muss ich ja mein Herz schonen. Was zwar nicht ganz zutreffend darauf ist, was ich tun sollte, aber die Begründung klingt gut für mich.
Die zweite Nacht ist eigentlich genauso unruhig wie die erste und so langsam werde ich optisch meinem Großvater immer ähnlicher. Meinem Großvater, als er schon über 80 gewesen ist. Aber, um es nochmal zu betonen, es geht mir im Verhältnis zu den vielen schlimmen Verläufen doch noch wirklich gut. Und die Hoffnung, dass es so bleibt, wir immer größer. Dafür schwindet beim Hasen die Hoffnung, von der Pandemie verschont zu bleiben. Das Kratzen im Hals wird immer stärker und Kopfschmerzen und eine allgemeine Schlappheit kommen noch obendrauf. Kommt mir irgendwie bekannt vor. Genauso wie die zwei Streifen auf dem Schnelltest. Ha, den Hasen hat es also auch erwischt. Wir warten noch ihren PCR Test ab, der auch positiv ist und müssen uns nun umorganisieren. Und nein, ich bin nicht im Geringsten schadenfroh.
Unser Sohn muss nun doppelt darauf achten, uns nicht in die Quere zu kommen und der Hase und ich können den Tag wieder im selben Zimmer verbringen. Was einerseits schön ist, denn dann kann ich wieder mit dem Hasen direkt reden. Und das mache ich immer sehr gerne. Andererseits kann ich mich nicht auf meine Sudokus konzentrieren, wenn ich mit dem Hasen rede. Manchmal sind der Hase und ich, die wir eigentlich immer ein Kopf und ein Arsch sind (eine gebräuchliche Redewendung in deren Zusammenhang ich, aus Gründen der Höflichkeit den Teil des Arsches übernehme), sehr unterschiedlich in der Auffassung von manchen Dingen. Der Hase meint zum Beispiel, dass sie ohne Probleme in Quarantäne bleiben könnte, ohne sich zu langweilen. Was aber nicht immer ganz klappt. Denn der Hase ist an und für sich ungeduldig.
Angeln wäre für meinen Hasen genauso verschwendete Zeit, wie Schachspielen. Schließlich kann man den Fisch beim Händler kaufen, oder mit Dynamit fischen und im Schach würde sie neue Geschwindigkeitsrekorde aufstellen. Beim Hasen ist der Läufer beim Schach noch wirklich ein Läufer, oder sogar ein Sprinter und der Turm türmt, wenn der Hase spielt. Spielen würde, müsste es richtigerweise heißen, denn der Hase spielt kein Schach. Hat der Hase nie gespielt und wird der Hase nie spielen. Es ist besser so. Besser für den Hasen, besser für den potentiellen Gegner und vor allem besser für die Schachfiguren, die mein Hase aus lauter Frust entweder aufessen oder kleinhacken würde. Wenn mein Hase Schach spielen würde, gäbe es Staubwolken auf dem Schachbrett und sie würde nervös mit den Fingern auf den Tisch knickern, weil es ihr zu lange dauern würde, wenn ihr Gegner anfängt zu überlegen. Man könnte ein ganzes Buch über die Hasenungeduld schreiben, mit dem Titel: „Natürlich bin ich geduldig….wenn es schnell genug geht“
Und nun teilen sich Budda und Speedy Gonzales den ganzen Tag das Wohnzimmer, ohne es oft verlassen zu können. Und ja, ich bin bei diesem Vergleich Budda. „So könnte ich mir die Rente vorstellen“, sagt der Hase, „keine Verpflichtungen und endlich mal Zeit haben.“ Das kann ich so unterschreiben. Wie gesagt, wir ticken ähnlich. Aber es gibt Unterschiede darin, wie wir diese Zeit verbringen würden. Ich gebe mich dem Gedankenexperiment hin, wie lange es wohl dauern würde, bis ich mich wirklich einmal derart langweile, dass ich den Drang verspüre einfach mal was zu machen. Wann ist der Punkt erreicht, an dem ich des Nichtstuns überdrüssig werde? Gibt es diesem Punkt überhaupt und wenn ja, warum? Ist die gepflegte Faulheit vielleicht sogar meines Lebens tieferer Sinn? Wenn ja, dann habe ich bisher immer nur die falschen Berufe ausgeübt, denn ich muss da schon richtig arbeiten. Und das seit Jahrzehnten.
Den Hasen juckt schon nach dem ersten Krankheitstag, an dem sie sich nicht gut fühlte, das Fell. Habe ich schon erwähnt, dass sie zur Unruhe neigt? „Ich sehe diese Zeit auch als Chance“, sagt sie und ich stimme ihr zu und denke wie schön es wäre, könnten wir gemeinsam faulenzen, bis sich Moos auf uns bildet. Aber der Hase meint eine ganz andere Chance. „Endlich kann ich mal die ganzen Sachen erledigen, die liegen geblieben sind“, sagt sie. Nun bin ich ja auch ein wenig liegen geblieben und hoffe, dass mein Hase mich nicht auch erledigen will. Ein bisschen merkwürdig guckt sie ja schon. Und so wartet sie voller Ungeduld darauf, dass sie sich ein bisschen besser fühlt, damit sie irgendwas aufräumen oder sortieren kann. Ich für meinen Teil werde mich weiter schonen und das mit dem unbedingten Wohlwollen des Hasen. Aber irgendwie missfällt es ihr auch, dass sie etwas macht und ich nur sitze. „Du könntest ja Dir Deine Sachen auch mal vornehmen“, kommt ein dezenter Hinweis. Könnte…Ja, ich könnte schon, aber ich denke nicht, dass ich gewillt bin.
Auch wenn es für den Hasen nicht körperlich anstrengend ist, was sie erledigt und erledigen will, macht sie doch recht schnell schlapp und muss sich erstmal wieder hinlegen. Das habe ich mir erspart. Aber innerlich brodelt es in ihr noch immer und sie sieht die Zeit davonlaufen, ohne irgendwas beschickt zu haben. Mit unserem Sohn kommunizieren wir per Whatsapp und Gebrüll durchs Treppenhaus. Er hat ja noch diese Prüfung vor sich und wir wollen ihm das nicht versauen. Er hält sich in der Hauptsache im Arbeitszimmer auf, weil er dort Homeoffice macht und hin und wieder geht er in sein Zimmer. Das liegt direkt nebenan, weswegen sein Aktionsradius kaum größer als meiner ist. Nur dass er dabei noch arbeitet. So einen Job hätte ich auch gern. Homeoffice ist der letzte große berufliche Traum für mich, aber das wird wohl nix. Wer in einem Autohaus arbeitet, kann das schlecht vom heimischen Sofa machen. In meinem nächsten Leben werde ich meine Berufswahl noch überdenken müssen.
Der Hase erholt sich zusehends und ich mich auch, aber Dinge wie Treppensteigen bereiten mir immer noch große Probleme. Was komisch ist, weil ich mich eigentlich sonst gar nicht mehr krank fühle. Mein Wunsch wurde erhört und ich muss jetzt echt sitzenbleiben. Ich finde Sitzenbleiben ist nur in der Schule etwas Schlechtes. Der Hase beginnt aufzuräumen. In Bereichen, die wir schon seit Jahren gemieden haben und in denen sich immer mehr angesammelt hatte. Und was soll ich sagen, es sieht hinterher wirklich viel besser und viel ordentlicher aus.
Bei mir hingegen gibt es das Phänomen, dass ich mich zwar so gut wie gar nicht bewege, sich aber trotzdem überall wo ich länger bin, ein Chaos bildet. Kein richtiges Chaos, aber eine gewisse Unordnung begleitet mich. Manchmal weiß ich gar nicht, woher sie kommt. Ich sitze doch nur. Auf meinem Ohrensessel, die Füße liegen auf dem Fuß- (was auch sonst) Hocker. Und neben mir steh eine Art kleiner Tisch, auf dem ich ein paar Sachen lassen kann. Und ich schwöre, ich habe nichts geholt oder zusätzlich da draufgelegt, aber nach ein paar Stunden fallen die ersten Sachen schon runter, weil kein Platz mehr ist. Es ist ein bisschen unheimlich. Die Unordnung wächst einfach so. Sie entsteht von allein und ich bin völlig unschuldig, ich schwöre. Aber der Hase glaubt mir irgendwie nicht wirklich.
Es kommt zu leichten Spannungen, denn während sie alles ein bisschen ordentlicher und wohnlicher macht, beschäftige ich mich anscheinend mit dem Gegenteil. Es kommt der Augenblick, da steht der Hase mit den Händen in die Hüften gestemmt, vor mir und sagt: „Schuhe abputzen, gerade gewischt.“ Und ich sage: „Olle Spinatwachtel!“ Was natürlich so nicht stimmt, aber trotzdem hat der Hase durchaus Züge von Frau Glör und ich sehe mich als Werner in einem Schlauchboot durch meine Bierreserven paddeln.
Aloha OE.
Epilog:
Unsere Erkrankungen gehen ohne größere Folgen vorüber. Nur ich habe noch einige Tage bei der Arbeit zu kämpfen. Es ist alles sehr anstrengend und das ist diesmal wirklich eine Nachwirkung der Infektion. Einer Infektion, die wir beide sehr gut überstanden haben und dafür muss man auch mal dankbar sein. Ob wir so gut davongekommen sind, weil wir geimpft und geboostert sind, weiß ich nicht, möchte es aber gerne glauben. Denn ich halte sehr viel von den Impfungen, aber sehr wenig von einer Impfpflicht. Lässt sich nur schwer umsetzen und diejenigen, die es nicht wollen, sehen sich dann erst recht bestätigt in ihrer Annahme, dass sie vom Staat gegängelt werden. Es hatte mich nicht schwer erwischt, und wenn es das hätte, dann hätte ich bestimmt anders darüber geschrieben. So konnte ich das eher auf die leichte Schulter nehmen und ich denke, wenn man es denn kann, dann sollte man es auch machen. Das Leben ist seit zwei Jahren schon für viele schwer genug und seit Ende Februar ist es total aus den Fugen geraten und keiner weiß wohin das führt und wie es endet, was da zur Zeit stattfindet. Deshalb sollte man sich die Zeit nehmen und auch mal an etwas anderes denken, wenn es mal möglich ist. Das war mein Anliegen und wenn ich es erreicht habe, ist es gut und wenn nicht, dann habe ich vielleicht ja auch eine gute Einschlafhilfe geliefert und die ist ja auch eine Menge wert.