Es gibt nur wenige Menschen auf der Welt, die besser Auto fahren, als mein Hase. Lewis Hamilton vielleicht, oder Sebastian Vettel, aber danach wird´s auch schon eng. Das meint zumindest mein Hase. Vielleicht nicht so krass, wie dargestellt, aber sie hält sich für einen sehr guten Autofahrer. Nur nicht bei Parklücken, die längs zur Straße sind, oder beim Fahren im Gebirge, oder mit Anhänger und erst recht nicht beim Einparken in eine Längslücke mit Anhänger im Gebirge. Aber sonst fährt sie einfach einwandfrei und der Vergleich mit Lewis Hamilton und Sebastian Vettel hinkt dann auch nicht mehr so sehr. Schließlich parken die auch nie rückwärts ein und einen Anhänger ziehen sie auch nicht. Von einer Gebirgsfahrt ganz zu schweigen.
Mein Hase fährt also toll Auto. Eine Einschätzung, die hin und wieder Risse bekommt, wenn mein Hase es eilig hat. Ich meine jetzt so richtig eilig. Beispielsweise, wenn eines unserer Kinder in der Schule krankheitsbedingt nach Hause muss und der Hase eigentlich am arbeiten ist. Dann erfolgt in der Regel eine Fahrt mit einer recht großzügigen Auslegung der amtlichen Geschwindigkeitsbegrenzungen und ein unbeteiligter Beobachter kann nicht mehr unterscheiden, ob gerade ein Flugzeug, Supergrobi oder mein Hase an ihm vorbeigerauscht ist. Schließlich muss mein Hase eigentlich an zwei Orten gleichzeitig sein und sie ist redlich bemüht, dieses Kunststück hinzubekommen, Wen interessiert dabei schon eine Schallmauer.
Es gibt die wahre Geschichte, dass eine Frau nebst ihrer Tochter einmal, vor langer Zeit allerdings, im Wagen vom Hasen saß. Da die Anonymität dieser Personen gewahrt bleiben soll, wird auf ihre Herkunft nicht näher eingegangen. Der Zweck der Mitfahrt war seinerzeit der Besuch eines Sonderpostenmarktes und ich war auch mit im Auto. Als Beifahrer. Wenn ich jetzt sage, dass mein Hase zu diesen Zeiten, die nun wirklich lange zurück liegen, eher unbedarft flott mit dem Auto unterwegs gewesen ist, dann untertreibe ich vielleicht ein wenig. Sie hatte einen mehr als schnittigen Fahrstil und war immer bereit die größtmögliche Leistung aus ihrem Polo Fox zu holen. Beschleunigung war das Zauberwort (soweit es mit den paar PS möglich war) und Abstand zum Vordermann war ein dehnbarer, oder soll ich sagen, ein schrumpfbarer Begriff. Manchmal fuhr der Hase so dicht auf, dass ich das Gefühl hatte, ich könnte als Beifahrer dem Vordermann den Kofferraum öffnen und leerräumen. „Ich glaube du fährst ein wenig zu dicht auf“, sagte ich damals mit einer gewissen Regelmäßigkeit. „Ach stell Dich nicht so an. Ich habe das alles unter Kontrolle“, sagte der Hase dann ebenso regelmäßig. Okay, einen Auffahrunfall hatten wir nie mit dem Hasen am Steuer und Gott allein weiß wieso nicht.
Doch zurück zur Höllenfahrt zum Billigladen. Wenn mein Hase damals rasant fuhr, dann auch gerne rasant durch die Kurven. Die dazugehörige Gleichung lautete, je enger die Kurve, desto rasanter die Fahrt. An jenem schicksalhaftem Tag stiegen also die beiden oben erwähnten weiblichen Personen in das hintere Abteil des Wagens, während ich es mir als Beifahrer ungemütlich machte. Der Hase startete den Motor und dann gings los. Ach was sage ich, es ging ab. Ich weiß bis heute nicht, wie sie es seinerzeit hinkriegte, aber irgendwie schaffte mein Hase das Kunststück, die 45 PS ihres Wagens wie mindestens 120 PS erscheinen zu lassen. Ohne jegliches Vorgeplänkel drückte sie das Gaspedal durch und ich wurde in den Sitz gepresst. Unsere beiden Mitfahrerinnen übrigens auch. Es folgte ein Husarenritt der etwas anderen Art. Es wurde beschleunigt, wann immer es ging und so heftig, wie es möglich war. Gebremst wurde nur, wenn es Not tat und das dann auch gerne mal sehr ausdrucksstark. Und in den Kurven erreichten wir Gravitationswerte, die sonst nur beim Astronautentraining generiert werden konnten. Hätte ich damals schon Falten gehabt, mein Hase hätte sie locker weggebügelt.
Während ich mich an allem abstützte, was mir in die Finger kam, sah ich unsere Fahrgäste unentwegt hin und herwirbeln. Die mitfahrende Tochter, die damals noch im Kindesalter war, wurde regelrecht umhergeschleudert. Ich sah durch den Innenspiegel wie ihr Kopf von rechts nach links und umgekehrt flog. Ich bin mir nicht sicher, ob nicht sogar einmal ihre Füße oben und er Kopf unten waren. Wir erreichten den Parkplatz des Billigsonderpostenmarktes mit knapper Not. Ich öffnete die Tür, stieg aus, ging auf die Knie und küsste den Boden, vor lauter Dankbarkeit, dass ich die Fahrt soweit überlebt hatte. Die Frau, die mit uns gefahren ist, war etwas blässlich und zitterte ein wenig beim Aussteigen, während ihre Tochter in die Rabatten kotzte.
Ja, ich weiß, das klingt jetzt sehr drastisch, aber es ist wirklich nahe an der Wahrheit….ich schwöre! Aber ich muss auch anfügen, dass mein Hase im Laufe der Jahre wesentlich zahmer als Fahrerin geworden ist. Die eigenen Kinder und die Verantwortung für sie hat eine gewisse mildernde Wirkung gehabt. Und wenn man es nüchtern betrachtet, fährt mein Hase auch wirklich gut Auto und gekotzt hat seit damals auch niemand mehr. Was wirklich nicht daran lag, dass niemand mehr mitfahren wollte. Sie hatte immer wieder Fahrgäste und wenn es die eigenen Kinder oder ihr eigener Mann gewesen sind. Aber so sehr sie auch als gute Fahrerin durchgehen mag, als Beifahrerin ist sie eine mittlere Katastrophe.
Der Herr allein mag wissen, warum man bei einer derart bahnbrechenden Erfindung wie dem Automobil einen Beifahrersitz mit erfinden musste. Einige der größten Dramen innerhalb einer Beziehung spielen sich ab, weil die falsche Person auf diesem Beifahrersitz sitzt. Hin und wieder hört oder liest man es in den Nachrichten: Mann hat Ehefrau auf Rastplatz vergessen. Und man fragt sich, wie konnte das geschehen? So groß ist so ein Auto nun wieder auch nicht, dass man dort jemanden übersehen konnte. Die Lösung liegt auf der Hand und wenn der Fahrer nach dreieinhalb Stunden von der Polizei gestellt wird und man ihn fragt, was er zu seiner Verteidigung zu sagen hätte, antwortet er nur: „Ich wollte einfach nur einmal meine Ruhe haben!“ Nicht überliefert ist, wie oft die Polizei solchen Leuten eine gute Weiterfahrt wünscht und der Frau sagt, sie hätten ihn nicht ausfindig machen können.
Um an dieser Stelle jeden aufkeimenden Verdacht, ich könne meinen Hasen auf einem Rastplatz vergessen, noch im Ansatz zu unterbinden, sage ich mit aller Deutlichkeit, dass ich so etwas nie tun würde. Ehrenwort. Nie im Leben würde ich daran denken, auch wenn es nicht immer einfach ist, mit dem Hasen im Auto zu sitzen.
In all den Jahren, die ich mit meinem Hasen zusammen bin haben sich zwei Modelle des Fahrens bewährt. Sie fährt, wenn ich mich betrinke und ich fahre in der Regel die gesamten längeren und komplizierteren Strecken. Ich weiß nicht, wie viele hunderttausend Kilometer ich in diesem Zusammenhang gefahren bin, aber es ist mir, trotz nachgewiesener Unfallfreiheit während all dieser Zeit, nicht gelungen, die Furcht aus ihren Augen zu kriegen, wenn wir auf der Autobahn sind. Eine solche Fahrt sieht dann beispielsweise so aus:
Es ist ein Samstagvormittag, wir sind auf dem Weg, des Hasens Verwandschaft, die vornehmlich im Göttinger Raum angesiedelt ist, zu besuchen. Ich fahre mit 130 km/h über die Autobahn und der Hase sitzt total unentspannt zu meiner Rechten. Mit einer Hand klammert sie sich an den Griff über der Beifahrertür, während die andere Hand in Bereitschaft verweilt, jederzeit sich am Armaturenbrett oder meinem Bein zu klammern, wenn es nötig wird. Die Autobahn ist relativ voll und ich bin sehr damit beschäftigt den Verkehr, der auf den drei Spuren herrscht, umfassend im Blick zu behalten. „Ras nicht so!“ kommt das erste Hasenkommando herüber. „Ich fahre 130“, sage ich. „Das sind locker hundertfuffzich!“ „Nein, 130, es hat was mit der Perspektive zu tun, die Du von Deinem Sitz hast.“ „Na, Du musst es ja wissen. Ich würde allerdings nicht so rasen!“ „Die stehen! Da vorne, ist Stau! Die stehen!. Siehst Du das nicht?“ Der Hase ist in eine mittlere Aufregung mit leichtem Hang zur Panik verfallen und klammert sich an dem Armaturenbrett fest, während ich mein Bein etwas zu Seite nehme. Man weiß ja nie.
Anlass der Panikattacke sind die Bremsleuchten der vorausfahrenden Fahrzeuge, die ihre Geschwindigkeit von ebenfalls 130 auf etwa 110 reduzieren. „Ach, das sind diese Bremslichter, von denen immer soviel erzählt wird“, scherze ich und verringere ebenfalls meine Geschwindigkeit. Nicht genug für meinen Hasen, der eifrig mit beiden Füßen das Bodenblech durchdrückt und wahrscheinlich hofft, auf irgendeine irrationale Art mitbremsen zu können. Die Hasenaugen sind unwirklich weit aufgerissen und nackte Angst macht sich in ihrem Gesicht breit. Zu allem Überfluss besitzt jemand auf der Spur rechts neben mir die Frechheit den Blinker links zu setzen. Ein weiterer Schockmoment für den Hasen, der natürlich nicht damit rechnet, dass ich es auch bemerkt haben könnte. „Der zieht rüber, siehst Du das nicht?“ sagt mein Löffeltier. Oder solche Dinge wie : „Wenn ich fahre , schaue ich immer voraus, was die nächsten vier oder fünf Autos vor mir machen!“ Oder: „Du fährst zu dicht auf!“ Oder: „Warum lässt Du soviel Abstand? Da drängelt sich bestimmt gleich einer zwischen!“ Oder: „Soll ich Dich reinwinken?“
Äh, das mit dem Reinwinken hat nichts mit der Autobahn zu tun. Es bezieht sich eher auf das Einparken und befremdet mich jedes Mal. Egal wie groß die Parklücke auch ist, immer will mein Hase mich reinwinken, Sie will mich dermaßen oft reinwinken, dass ich mich manchmal frage, wie wir ohne Reinwinken überhaupt eine Familie gründen konnten. Aber ich schweife ab. Ich glaube es gibt nicht viel Demütigenderes für einen des Fahrens mächtigen Autofahrer als von seiner Gattin reingewunken zu werden.
Kaum dass der Hase es erwähnt, fühle ich mich um dreißig Jahre gealtert und mit Filzhut im Wagen sitzend und hoffnungslos orientierungslos. Natürlich bin ich das nicht und ich bin ebenso natürlich in der Lage gekonnt in die Parklücke zu fahren. Manchmal sehe ich Frauen, die es wirklich machen. Sie stehen dann hinter dem Wagen und winken irgendwie hektisch und richtungslos vor sich hin. Egal was sie mit dieser Winkerei auch meinen, es hat nicht ansatzweise etwas damit zu tun, in welche Richtung der geplagte Gatte fahren soll. Und wenn er nicht darauf reagiert, parkt er auch gerade ein. Aber weil er die hektisch wedelnden Arme seiner Angetrauten irgendwie deuten möchte, wird´s schräg. Nach einem fünfminütigen Hin und Her gibt er verzweifelt auf und bleibt so stehen, dass er mindestens zwei Parklücken versperrt. „Ich habe Dir schon oft gesagt, dass Du nicht einparken kannst“, sagt sie, „nächstes Mal guckst Du auf das was ich Dir anzeige!“ „Ja, mein Hase“, antwortet der unglückselige Fahrer.
Es ist einfach so, dass man meinen Hasen nicht so einfach zufriedenstellen kann, wenn es ums Fahren geht, denn schließlich ist mein Hase ein sehr guter Fahrer (siehe oben) und als solcher ist mein Hase sich sicher, dass es eigentlich nur sehr wenige Leute gibt, die ebenso gut fahren können (siehe ebenfalls oben). Da kann man eigentlich nur auf ganzer Linie versagen. Wenn ich in einen Ort fahre und es spielen Kinder auf dem Fußweg, nehme ich im Prinzip den Fuß vom Gas. „Wenn Du so kriechst“, sagt dann der Hase, „dann denken die Kinder nur, dass Du anhalten und sie rüberlassen willst.“ „Also dann soll ich vorbeiheizen, damit es nicht gefährlich wird?“ frage ich und kann der Argumentation nicht ganz folgen. Aber in Stillen gelobe ich Besserung. Bei der nächsten Gelegenheit gebe ich dann ein bisschen Gas. „Bist Du verrückt? Hast Du die Kinder nicht gesehen?“
Wer genau hinsieht wird erkennen, dass am Türgriff auf der Beifahrerseite die Finger der Hasenpfote im Lauf der Jahre Abdrücke hinterlassen haben, genau wie meine Zähne im Lenkrad, wenn ich vor Frust mal wieder reingebissen habe. Es ist auch so, dass eine Geschwindigkeit unterschiedliche Bewertungen erhält. Mal sind 80 km/h auf der Landstraße in einer 80er Zone reine Raserei und dann an anderen Gelegenheiten heißt es, ich würde schleichen. Häufig erzählt mein Hase, wie er besser fahren würde, als ich es gerade täte und wenn irgendwo in Duhnen irgendein Motorroller in einer 30er Zone mir leicht die Vorfahrt nimmt, dann greift der Hase auch schon mal rüber und drückt auf die Hupe. Vorfahrt nehmen? Nicht mit meinem Hasen! Egal ob sie nun selbst fährt oder auch nicht.
Aber nicht allein ich bin davon betroffen, dass mein Hase der Beifahrer ist, der er ist. Als unsere Tochter ihren Führerschein neu hatte, gleich am ersten Tag, war mir sofort klar, dass sie unbedingt fahren musste und wahrscheinlich auch wollte. „Na dann setz Dich ans Steuer und wir fahren mal durch die Dörfer“, sagte ich. Nur mühsam konnte mein Hase gegen eine Ohnmacht ankämpfen. „Wie jetzt, fahren? Jetzt? Mit unserem Auto?“ „Na klar jetzt und womit sonst? Soll der Fahrlehrer seins rausrücken?“ „Du kannst sie doch nicht einfach so fahren lassen.“ „Aber sicher doch, sie hat ja einen Führerschein.“
Das Ergebnis war, dass wir erstmal auf einem nahe gelegenen Schotterweg gefahren sind. Mit 20 km/h. Der Hase saß blass und furchtsam auf dem Rücksitz. „Du kannst ruhig in den zweiten Gang schalten“, sagte ich zu unserer unterforderten Tochter und mein Hase sank buchstäblich in sich zusammen. Nach drei Kilometern Feldweg sind wir dann doch auf die asphaltierte Landstraße ausgewichen und, wie von mir ursprünglich angedacht, über die Dörfer gefahren. Mein Hase war seltsam ruhig und bekam erst wieder Farbe im Gesicht, als wir wieder zu Hause waren. Natürlich hat sich das Ganze im Lauf der Zeit normalisiert und unsere Kinder dürfen auch über normale Straßen fahren. Mittlerweile auch schon allein, seitdem sie 18 sind. Ich glaube auch so etwas wie Vertrauen in des Hasens Augen erkannt zu haben, wenn eines der Kinder fährt, während wir mit im Auto sitzen. Womit sie mir um einiges voraus sind. Aber wer weiß, vielleicht, wenn ich mich ganz doll anstrenge, dann schaffe ich das auch noch. Kurz bevor ich aus Altersgründen meinen Führerschein abgeben muss.