Es geht ja im Allgemeinen immer alles glatt, wenn man im Urlaub ist. Schönes Hotel, leckeres Essen, täglich Sonnenschein, tolles Mittelmeer, reizvolle Landschaften, beste Stimmung, mal ehrlich, wenn alles so perfekt ist, wird es entweder langweilig irgendwann, oder aber man wird misstrauisch. Denn ohne die kleinen Katastrophen des Lebens fehlt einem auch immer etwas. Wir haben uns dieser Problematik angenommen und durch geschicktes Ansetzen von Missgeschicken und Unwägbarkeiten doch noch ein bisschen Aufregung in das ansonsten perfekte Urlaubsleben gebracht.
Wir haben die Stufe 14. Also die Treppe, die im Hotel in unsere erste Etage führt hat die Stufe 14. Eigentlich hat die Treppe ein paar Stufen mehr, ich glaube 18 oder so, vielleicht auch 20, aber Stufe 14 hat bei uns eine besondere Bedeutung. Der Hase meint, sie wäre einen Zentimeter höher als die anderen Stufen. Das zumindest ist ihre Begründung dafür, dass sie oft an dieser Stelle stolpert, wenn wir hochgehen. Sehr zu meinem Vergnügen, wie ich zu meiner Schande gestehen muss Denn mein Leitspruch lautet: Lieber Schadenfreude, als keine Freude. Man darf das jetzt aber nicht falsch verstehen, ich freue mich erst, wenn ich sicher bin, dass dem Hasen nichts passiert ist. Ich heuchle dann ein bisschen Hilfsbereitschaft, und möchte dem Hasen aufhelfen, habe aber immer ein kleines Grinsen im Inneren, über die unfreiwillige Slapstickeinlage, die mein Hase hier formvollendet hinlegt. Und wenn es gut läuft, dann stolpert auch mal das ein oder andere Kind an dieser Stelle. Ach, es ist doch nett, dass man so zu meiner Unterhaltung beiträgt in meiner Familie. Kostenloses Animationsprogramm erster Güte.
Zu meinem Leidwesen bin ich aber nicht dabei, als der Hase zum Bezahlen geht, am Ende des zweiten Autotages. Nicht dass ich scharf darauf wäre zu bezahlen. Das macht der Hase mit der Kreditkarte. Aber diesmal hätte ich mal lieber meine Trägheit überwunden und wäre mit in die Tankstelle gekommen. So aber habe ich nach dem Tankvorgang (meinem ersten in Spanien, der sich aber auch nicht anders angefühlt hat als ein deutscher Tankvorgang) den Hasen ziehen lassen und mich wieder ins Auto gesetzt. Es dauert ein bisschen länger, bis mein Hase zurück ist und sie lacht. Zahlen und Spaß dabei haben ist allerdings sonst nicht so unsere Stärke. Was war also passiert, das ihr die Lachtränen ins Gesicht zaubert?
Nun, der Hase geht zum Laden, öffnet die Tür……naja, eigentlich möchte sie die Tür öffnen, stolpert aber (irgendwas muss hier auch einen Zentimeter höher sein) und begibt sich in einen Sturzflug. Geistesgegenwärtig schnappt sie sich die leicht geöffnete Glastür, die wiederum nicht darauf gefasst ist, einen strauchelnden Hasen zu stützen. Die Tür schwingt auf und mein Hase hängt an ihr. Die plötzliche Wucht der Tür wird erst dadurch gebremst, dass sie lautstark gegen ein Regal an der Wand knallt. Es wird augenblicklich still im Laden und manch einer geht innerlich in Deckung, weil er meint, die Tankstelle wird überfallen oder es sind Deutsche im Anmarsch für einen Einmarsch. Es muss grandios ausgesehen und geklungen haben und der Hase lacht sich selbst schon schlapp. Nicht auszudenken, welchen Lachflash ich bekommen hätte.
Wie dem auch sei, hier im Urlaub bin ich gerne mal schadenfroh und mache mir keine Gedanken darüber, dass ich deswegen ein schlechtes Karma bekommen könnte. Aber das Universum vergisst nicht und schon bald soll ich mein Fett weg kriegen. Doch zunächst erwischt es unseren Sohn, der sich zwar täglich literweise Sonnencreme aufträgt, aber trotzdem nach gerade mal zwei, drei Tagen im Schulterbereich krebsrot ist. Es klagt darüber, dass es abwechselnd schmerzt oder juckt. Der Hase geht zur nächsten Apotheke und holt ihm eine Cortisonsalbe für 8,95 Euro. Es ist wohl so eine Mischung aus Sonnenallergie und Sonnenbrand, die ihn trotz der vielen Sonnencreme erwischt hat und nicht wirklich spaßig ist. Es brennt und juckt abwechselnd und schränkt ihn ziemlich ein. Allerdings hilft die Salbe und er zieht sich nun auch beim Baden im Meer ein T-Shirt an. Arme Wurst, denke ich und habe ein bisschen Mitleid. Kann aber nicht immer nachvollziehen, warum es ihm dermaßen die Laune verhagelt, wenn es brennt und juckt. Ich denke, ich würde das dann doch besser wegstecken. Meine Haut ist halt älter und schon so einigen Kummer gewohnt.
Das Jucken in der Leistengegend, dass mich am Tage des Tankens, oder besser am Abend dieses Tages erwischt, kommt mir noch nicht besonders merkwürdig vor. Außerdem wollen wir ja gleich Abendschwimmen gehen und dann wird sich das Ganze wieder legen, denke ich. Falsch gedacht, es lässt nicht nach. Aber wir sind ja noch am Strand und es sähe merkwürdig aus, wenn ich hier in aller Öffentlichkeit an meinem Leistenbereich herumkratze. So weit es geht, ignoriere ich daher den Juckreiz. Wir gehen aufs Zimmer, duschen, ziehen uns um und wollen gleich noch in die Bar und ein bisschen kniffeln oder dergleichen. Der Hase und ich sind schon fertig und warten auf die Kinder. Der Juckreiz wird permanent stärker. Und an einem Unterarm taucht ein Mückenstich auf. Wundersamerweise, denn bisher haben wir hier keine Mücken gesehen.
Als die Kinder uns abholen habe ich an beiden Unterarmen schon jeweils 20 bis 30 Stiche. Aber immer noch sind keine Mücken in Sicht. Kratzen, so viel weiß ich, macht die Sache immer schlimmer, also kratze ich jetzt mal nicht. Was nicht einfach ist, denn mit steigender Intensität wächst auch der Drang, einfach mal die Fingernägel durch die Haut zu ziehen immer weiter. Irgendwann ist es so schlimm, dass meine Selbstbeherrschung nicht größer sein könnte, wenn ich durstig vor einem frisch gezapften Bier stünde und es nicht trinken dürfte. Auf den Armen tauchen immer mehr von diesen komischen Pickeln auf und schließen sich mitunter zu größeren juckenden Flächen zusammen. Und auch im Bereich der Achseln und an den Seiten meines Oberkörpers beginnt die große Juckerei. Ich stelle fest, dass Jucken genauso einschränkt wie große Schmerzen. Ich könnte die Wände hochgehen, aber mit meinen Lieben jetzt kniffeln oder Phase zehn spielen, daran ist nicht mehr zu denken. Ich verabschiede mich und gehe aufs Zimmer. Da wird es noch schlimmer (der Reim musste jetzt mal sein).
Ein Blick in den Spiegel verdeutlicht das ganze Ausmaß der Katastrophe und besonders an meinen Flanken sind die juckenden Flächen schon groß wie die Essteller beim Abendbrot. Und es sind große Essteller. Und als ob das noch nicht genug wäre, geht der Scheiß nun auch an den Beinen los. Der Hase kommt hoch und betrachtet mich mit (angebrachter) Sorge. „Das ist eine Sonnenallergie“, sagt sie. Natürlich ist das keine Sonnenallergie. Ich habe sowas nicht. Ich bin in meinem Leben der Sonne schon häufig ausgesetzt gewesen, aber eine Allergie hatte ich davon nie bekommen. „Das muss irgendwas anderes sein“, sage ich, während der Hase mir die Salbe vom Junior auf die juckenden Bereiche (von denen es mittlerweile bald mehr gibt, als von unversehrten Bereichen) reibt. Ich bitte den Hasen wieder nach unten zu gehen und mit den Kindern einen schönen Abend zu verbringen. Bringt ja nichts, wenn wir hier beide rumhängen und mich bemitleiden. Das kann ich auch allein ganz gut.
Die Salbe hilft ein bisschen aber noch nicht entscheidend und ich bin schon geknickt, dass ich jetzt nicht bei den anderen sein kann. Das sind doch die Momente, die man im Urlaub mit der Familie erleben möchte. Man kann aber auch mit Ausschlag im Bett liegen und im Internet nach möglichen Ursachen für diese Heimsuchung forschen. Nach einiger Zeit stoße ich auf Quaddeln. Wobei ich bis zu diesem Zeitpunkt immer gedacht habe, dass Quaddeln ein Slangwort ist. Wie Ziegenpeter, der ja bekanntlich Mumps ist. Früher dachte ich sogar, dass Quaddeln artverwandt sind mit diesen merkwürdigen Meerestieren, die immer planlos durch die Strömung strömen und in erster Linie dazu da sind, dass man als Teenager damit Mädchen bewirft, die dann kreischend aus dem Wasser rennen. Das sind dann allerdings Quallen. Später wurde mir bewusst, dass man Quaddeln mit einer Art Ausschlag in Verbindung bringt und dass sich dieser Ausdruck nur im Volksmund etabliert hat. Wahrscheinlich heißen die wirklich Juckus Filigranis oder so. Aber nein, Quaddeln gibt es wirklich und die Symptome sind ebenso wirklich dieselben, wie die mit denen ich her gerade tapfer zu kämpfen habe. Es gibt ein paar einschlägige Bilder und auch wenn ich noch nicht Medizin studiert habe, weiß ich nun mit Sicherheit, dass es Quaddeln sind, die mich heimsuchen.
„Von wegen Sonnenallergie“, sage ich zum Hasen, als sie wieder ins Zimmer kommt, “ das sind Quaddeln.“ „Dann gehen wir beide morgen mal zur Apotheke und fragen mal nach, ob die da was gegen haben“, sagt der Hase. Ich schlafe nicht nur schlecht in dieser Nacht, nein, ich schlafe fast gar nicht. Die Wirkung der Salbe lässt nach und mein Körper fühlt sich an, als ob ein Schwarm Moskitos über mich hergefallen wäre. Noch nie in meinem Leben hat irgendwas derartig gejuckt. Außerdem beschäftigt mich die Frage, was Quaddeln auf spanisch heißt. Was aber nicht nötig ist, weil die Apothekerin, die uns am nächsten Morgen bedient, recht gut deutsch spricht. Und ohne, dass wir viel erklären müssen, sagt sie: „Das ist eine Sonnenallergie.“ „Siehste Hase“, sage ich, “ das habe ich doch gleich gesagt.“ Der Hase verdreht die Augen.
Die pharmazeutische Angestellte des Monats ist nebenbei auch geschäftstüchtig und verkauft uns neben einer Salbe für unseren Sohn (weil ich seine ja ziemlich aufgebracht hatte), noch einen Cortison Schaum und eine Art Sonnencreme mit Lichtschutzfaktor 100. Letztere wirkt antiallergisch und ein, na ich sag mal, ein Fläschchen, das kaum größer ist, als ein Schnapsglas, von diesem Elixier kostet schlappe 27 Euro. Die nehmen es hier von den Lebenden. Das sagt man ja im Allgemeinen von südlichen Urlaubsländern. Alles ist recht günstig, aber kaum bist Du krank, wirst Du gnadenlos über den Tisch gezogen. Aber der Hase googelt später mal und das Zeug kostet auch bei uns in Deutschland genauso viel.
Diese Ultrasonnencreme wirkt schnell und sehr gut. Es ergibt sich aber eine leichte Diskrepanz zwischen der sparsamen Verwendung und meinen Hautflächen, die angesichts meiner Ausmaße dann doch recht groß sind. Und dann soll unser Sohn auch noch was davon abhaben. Von meiner Sonnencreme! Ich bin ja nicht geizig oder egoistisch, aber der Hase hat schon Mühe, das Fläschchen aus meinen Fingern, die es sehr sehr fest umklammert halten, zu bekommen. Sie muss mir beinahe die Finger brechen.
Derweil mache ich mir Gedanken darüber, warum ich nun wirklich eine Sonnenallergie habe? Eigentlich bin ich doch immun gegen sowas. Also musste noch etwas anderes dahinter stecken. Vielleicht ja die Sonne im Zusammenspiel mit dem Wasser im Mittelmeer? Eigentlich ja auch nicht wirklich logisch, weil ich ja schon ein paarmal am Mittelmeer mit Sonne und Salzwasser war und niemals ist da irgendwas vorgefallen. Vielleicht ist es die Sommersonne, weil die intensiver scheint? Vielleicht aber ist es auch nur die Bestrafung für meine Schadenfreude. Man weiß es nicht.
Um nun keine unnötiges Risiko einzugehen, halte ich mich tagsüber im Schatten auf und bleibe der Sonne so fern, wie es irgend geht. Ich sitze dann allein auf meiner Strandliege unter einem löchrigen Sonnenschirm, höre Musik und lese ein Buch. Was ja auch schön ist, aber Schatten und Buch habe ich zu Hause auch. Eigentlich würde ich lieber baden gehen. Am Abend machen wir noch einmal eine Schwimmeinheit und weil die Sonne da nicht mehr brennt und meine Wundercreme Wunder wirkt, geht es mir schon viel besser und ich gehe ins Wasser. War wohl noch zu früh. Die nächste Nacht ist wieder ein Alptraum und die Prozentzahl der betroffenen Bereiche wird immer größer. Und ich kann unserem Sohn nachempfinden, wenn es für ihn mitunter manchmal ziemlich schwierig war, mit seinem Ausschlagt / Sonnenbrand.
Am nächsten Tag gehe ich gar nicht mehr ins Wasser, aber dafür kann ich mit den anderen Abends kniffeln und mal ein Bierchen trinken. Was ja auch ganz toll ist. Irgendwann kommt der Tag vor unserer Abreise und somit auch die letzte Gelegenheit für mich, noch einmal in die Fluten zu springen. Und heute geht ein ziemlicher Wind und das Meer ist rau und die Wellen hoch. Es gibt glaube ich nichts, was mir an diesem Vormittag mehr Spaß machen würde, aber ich traue mich noch immer nicht rein. Erst am Nachmittag, höre ich auf den Hasen, der da sagt: „Scheiß drauf, komm mit rein.“ Und ich scheiße drauf, natürlich nur sinnbildlich und steige ins Wasser, das zwar nicht mehr ganz so wild ist, wie am Vormittag, aber immer noch ein paar nette Wellen aufbietet. Zusammen mit dem Rest der Familie habe ich noch einige „Huis“, wenn ich mal wieder eine hohe Welle fortträgt und ich denke, möge sie mich noch ein paar Wochen weiter tragen. Aber das geht natürlich nicht. Ich steige aus dem Wasser und blicke noch einmal zurück. Mein Abschied vom Mittelmeer in diesem Urlaub.
Noch ein Abendessen, ein ausgedehnter Spaziergang über die Promenade, ein letzter Abend in der Bar, eine letzte Nacht im Appartement, ein Frühstück und dann ist es vorbei. Neun Tage sind auch nur ein Augenzwinkern, wenn sie vorbei sind. Wir packen die Sachen und werden wieder zum Flughafen gefahren. Der Weg führt über diese Autobahn, die von Nord nach Süd über die Insel geht und die wir mittlerweile auch schon gut kennen. Verträumt blicke ich zu den Bergen auf der rechten und linken Seite und denke an die schönen Tage, die wir hatten und daran, dass Mallorca wirklich schön ist, aber ganz anders, als ich mir diese Insel vorgestellt habe. Und eigentlich würde ich liebend gerne nochmal zurückkommen und mehr Zeit mitbringen und mir Fornalutx auch in Ruhe ansehen. Oder mal eine kleine Wandertour machen. Aber dann gewiss nicht im Hochsommer.
Und auch wenn ich zwischenzeitlich einfach mal gedacht habe, dass es zu Hause auch schön ist und ich gerne auf meinem Sofa liegen würde, ist der Abschied nun doch zu früh und es ist schade, dass wir losmüssen. Auf dem Flughafen geht alles sagenhaft schnell und vom Aussteigen beim Bus, bis hin zur Boardingzone vergeht, inklusive Check in, Sicherheitskontrolle und Gepäckaufgabe nur eine halbe Stunde. Der Flug ist reibungslos und niemand muss kotzen. Naja, er ist beinahe reibungslos, wenn man von den kleinen Satanisten absieht, sie sich als Kinder verkleidet haben und nicht nur ihren Eltern den letzten Nerv rauben. Die Maschine jedenfalls fliegt sehr ruhig und landet etwas holprig und der Pilot bremst den Flugapparat auf der Landebahn auch noch ein bisschen ruckartig ab.
Aber alles im grünen Bereich. Wenn ich bedenke, wie unwohl mir vor 27 Jahren bei meiner ersten Flugreise gewesen ist, bin ich nun doch absolut tiefenentspannt, was das Fliegen angeht. Es dauert ein bisschen, bis wir die Koffer haben, was den Hasen wieder dazu führt, vermehrt darüber nachzudenken, was wir denn ohne unsere Koffer machen. Unsinnige Gedanken, weil sie dann ja doch noch kommen. Spannend wird es noch, unser Auto in diesem enorm großen Parkhaus am Hamburger Flughafen zu finden. Aber wir schaffen es und steigen ein und es fühlt sich im ersten Moment etwas fremd an. Ebenso fremd wie sich unser Haus anfühlt, als wir es betreten. Wo ist das Appartement, das Mittelmeer, die Insel? Nichts zu sehen. Aber mein Ohrensessel, auf dem ich gerade sitze und diese Zeilen schreibe, ist da. Und das ist ein enorm gutes Gefühl.
Es ist ja so, die norddeutsche Tiefebene ist nicht unbedingt die schönste Landschaft der Welt und alle Urlaubsregionen, in denen ich war, sind ausnahmslos schöner. Aber keine davon ist meine Heimat. Und auch das schönste Hotel ist nicht mein Haus. Und deswegen sage ich auch immer: Home is, where the Hase is.