Labsdaus und Reichsgurken….Teil 3 Kaschmir und Elefanten

Morgenstund hat Geruch im Mund. Also in meinem mein Mund jedenfalls. Wenn es aus meinem Hals so riecht, wie es auf der Zunge schmeckt, dann sollten die Duftnoten „Alte Socke“ und „Rum“ dem Erlebnis am nächsten kommen. Das mit dem Rum kann ich mir noch einigermaßen erklären. Jens sein Dank. Aber das mit den Socken? Nun gut, man muss nicht alles ergründen. Und 5.45 Uhr ist definitiv zu früh für irgendwelche Gedanken. Ist 5.45 Uhr überhaupt eine echte Uhrzeit? So früh morgens, am Wochenende im Urlaub und dann wach sein? Wie bescheuert der eigene Biorhythmus doch ist. Ich könnte ja theoretisch aufstehen und mal am Strand spazieren gehen. Ist bestimmt schön. Aber es geht nicht. Ich fühle mich, wie von einer Dampfwalze überrollt. Was nicht stimmen kann, denn mein Bauch ist noch nicht plattgewalzt. Er ragt, einem Basketball nicht unähnlich, unter der Decke hervor. Muss an dem ganzen Weizenbier liegen. Meine Füße kann ich in dieser Position jedenfalls nicht sehen. Ich bin müde. Einschlafen könnte helfen. Aber das geht irgendwie nicht.

Also liege ich vegetierend herum und warte, dass der Hase wach wird. Dann kann ich wenigstens ein bisschen jammern. Der Hase wird wach, ist aber mindestens genauso müde wie ich und deshalb eher sparsam mit Mitleid. Claudia schickt uns ein Foto vom Strand, an dem sie gerade ist. Sieht jedenfalls toll aus auf dem Foto. Kann man auch machen, zum Sonnenaufgang. Das Wort mit den drei „ü“: Üdüllüsch. Oder aber man geht joggen. So wie John, der mal eben 13 km läuft. Es ist komisch, er läuft und ich bin erschöpft. Es ist wie eine Art Leihmutterschaft, so als würde ich das Gefühl der Anstrengung für ihn übernehmen. Vielleicht denkt er ja auch mal an mich und macht das morgen nicht nochmal.

Wir wollen uns um 9 Uhr zum Frühstück treffen. Was mir eigentlich entgegen kommt, weil ich ja kein Frühesser bin. Im Normalfall kriege ich erst gegen 10 Uhr (das ist die Frühstückszeit bei der Arbeit) einen richtigen Hunger. Ich bin ja eh nicht so der Morgenmensch. Alles was am Abend noch so gut ist, fühlt sich am Morgen irgendwie anders, so verdaut, an. Siehe meinen Mundgeruch. Gestern waren das alles noch leckere Speisen und Getränke und heut morgen könnte ich damit eine Biogasanlage befeuern. Der frühe Vogel kann mich mal gern haben. Der Hase ist da anders, als Morgenmensch meine ich. Sie springt förmlich zu jeder notwendigen Zeit (egal ob 7.00 Uhr, 5.45 Uhr oder 3.53 Uhr) am Morgen aus dem Bett, trinkt dann zwei Pötte Kaffee und der Tag beginnt immer mit einem guten Frühstück. Und sie ist dann immer so energiegeladen, bis auf heute jedenfalls. Bei mir beginnt der Tag damit, dass der Tag beginnt und mein Magen steht erst Stunden nach mir auf.

Um zumindest äußerlich einen einigermaßen erträglichen Gesamtzustand herzustellen, gehe ich duschen. Die Woche ist schließlich um. Im Bad ist ein überdimensionaler Spiegel, der mich bei allen Aktivitäten in diesem gefliesten Raum überwacht und mir in Ultra HD förmlich entgegenbrüllt, wo an meinem Körper die größten Baustellen sind und warum meine Karriere als Unterwäschemodel ein wenig ins Stocken geraten ist. Ich muss unbedingt mal was tun. Vielleicht mal 13 km laufen oder sowas. Zuerst aber möchte ich diese großen Spiegel abschaffen, die fast in jedem Hotelzimmer, in dem ich je gewesen bin, vorhanden sind. Kleiner würde auch reichen und es gibt doch die Modelle, die Dich schlank aussehen lassen, weil sie ein bisschen gebogen geformt sind. Sowas und dann in Milchglas, das wäre doch vollkommen ausreichend.

Wir dümpeln beide noch ein bisschen vor uns hin, bis es soweit ist und wir zum Frühstück können. Wir schleppen uns in den Frühstückssaal, -raum, oder -bereich und die anderen sitzen schon am Tisch. Auch alle müde, sagen sie. Aber nun wollen wir uns erstmal ein bisschen verwöhnen lassen. Auf der Bewertungsskala von 1 bis 10 ist man hier mit dem Frühstück bei einer sehr guten 9 würde ich mal sagen. Alles da, was man sich so vorstellen kann und auch was man sich nicht vorstellen kann und selbst der Multisaft, der in manchen Hotels schon vor dem Trinken Sodbrennen verursacht, ist hier wirklich lecker. Ich bin, wie fast immer, der Einzige, der keinen Kaffee trinkt, aber einen Kakao genehmige ich mir dann doch und auch der ist lecker. Ich brauche eigentlich gar nicht so viel Auswahl. Rührei, ein bisschen gebratenes Gemüse, ein paar kleine Brötchen und eine Handvoll Lachs und ich bin glücklich. Aber munter werde ich trotzdem nicht. Kai geht es ähnlich und wir beiden sind der einhelligen Meinung, dass wir nach dem ganzen Essen zügig aufstehen sollten, bevor noch irgendjemand mit dem Kopf auf den Tisch aufschlägt und schläft.

Heute wollen wir mal ein bisschen die Gegend ansehen. Es soll hier ja welche geben; außer dem Reet-Eck, munkelt man. Wenn man aus unserem Hotel kommt, über die Straße geht und an der Promenade rechts abbiegt, kommt man nach Niendorf. Da wollen wir auch hin. Genaugenommen zum Hafen dort. Aber erstmal müssen wir links rum. Wegen John. Er braucht T-Shirts, denn er hat vergessen welche mitzunehmen und möchte gern mal ein Frisches anziehen. Was man nicht alles so macht. T-Shirt wechseln und dann noch täglich. Neumodischer Kram. Jedenfalls gehen wir in Richtung der Fußgängerzone und werden shoppen. Ich wüsste nicht, was ich jetzt lieber täte. Shoppen ist eine geheime Leidenschaft und ich bin ein großer Fan von Boutiquen. Und die Sonne geht im Westen auf und ein Kamel durch ein Nadelöhr. Ein Schoppen Wein wäre mir ehrlich gesagt lieber. Oder ein Weizenbier am Reet-Eck. Na gut, dafür ist es ein wenig zu früh.

Während die anderen die Läden okkupieren, gehe ich draußen ein wenig ziellos umher und staune, wie ein Kleinkind beim Magier im Zirkus, über all die Läden, die es hier gibt. Ein Geschäft hat sich auf exquisite Gartenmöbel und Bronzeskulpturen spezialisiert. Und wenn ich es richtig sehe, kostet da ein lumpiger Fußhocker für einen Halbschalenkorbgartenhängestuhl oder so was in der Art, allein schon 670 Euro. Runtergesetzt versteht sich. Ein Schnapper. Ein ähnliches Stuhlmonster aus Metall, das ebenso ungemütlich wie stylisch wirkt und rund 1.300 Euro kosten soll, ist ebenfalls ausgestellt. Was der Elefant, der originalgetreu im Maßstab eins zu drei oder so auf dem Außengelände des Ladens steht, so kostet, weiß ich jetzt nicht. Außer dass er aus Bronze ist, sieht er eigentlich ziemlich echt aus und ich warte darauf, dass er gleich mal trötet. Ja, der wird teuer sein. Sündhaft teuer! Wahrscheinlich ist der Preis so hoch, dass er nicht auf ein Schild passt. Wer zum Geier stellt sich sowas in den Garten? Irgendwer muss es ja machen, denn sonst würde es den Laden ja nicht geben. Aber das Geschäftsmodell ist simpel. Wenn irgendwer blöd genug ist, ein Teil da zu kaufen, dann können die den Rest der Woche dichtmachen. Mehr Verdienst kann man nicht haben.

Genauso seltsam ist dieses Markengeschäft für Bekleidung aus Kaschmir. Das befindet sich schräg gegenüber von dem Elefantenladen. Irgendwann in meinem Leben habe ich mal gewusst, was Kaschmir ist und von welchem Tier das stammt. Vielleicht gibt es sogar einen Kaschmirbüffel oder sowas. Irgendein langhaariges Viech, dessen Fell zu einer Wolle gesponnen und aus der dann Kleidung hergestellt wird. Wahrscheinlich in kostengünstiger Kinderarbeit. Ebenso wahrscheinlich gibt es nur ein oder zwei Kaschmirbullen auf der Welt und die werden nur alle zwei Jahre geschoren. Wie sonst sollte man sich erklären, dass hier ein lumpiger Pullover 890 Euro kosten soll und ein Kapuzenschal (was auch immer das sein mag) schlappe 170 Euro verschlingt. Man kommt richtig in Versuchung mal eben einen Pulli mit Kapuzenschal zu kaufen und dann auf dem Bronzeelefanten nach Hause zu reiten. Die Welt um mich herum verschwimmt und ich fühle mich wie ein Alien auf einem fremden unfreundlichen Planeten. Wo ist ein Weizenbier, wenn man mal eins nötig hat?

John ist soweit und wir können los. Weg von alldem hier. Bis Niendorf sind es ein paar Kilometer und ich hoffe, dass die Bewegung mich wieder ins Leben zurück bringt. Tut sie aber nicht. Aber so sieht man wenigstens mal ein bisschen mehr von der Gegend. Auf der anderen Seite der Straße, die parallel zur Strandpromenade verläuft, sieht man die verschiedensten Häuser, Villen, stylischen Gebäude, 70er Jahre Bausünden und das Hotel „Seeschlösschen“. Von innen mag es ja ein tolles Hotel sein, aber das Äußere hat beinahe so viel Charme wie eine DDR Plattenbausiedlung. Es gibt hier in der Gegend in manch einem Küstenort diese „Maritim“ Hotels, die so hoch sind, dass sie eigentlich in Manhatten stehen könnten. Die sind noch hässlicher. Aber das Seeschlösschen reicht hier auch schon.

Der Hafen von Niendorf ist recht klein und unspektakulär. Ein paar Fischkutter, Segelboote und kleinere Yachten liegen vor Anker und es gibt viele Buden, von denen einige geschlossen sind. Ist ja schließlich auch schon Ende Oktober. Ich find es schön hier. Ich mag das Unspektakuläre. Heute mache ich nicht den Fehler von gestern. Ich esse, bevor es mit dem Bier wieder ausufert. Ein Fischbrötchen mit Matjes und Zwiebeln und ohne Kaschmir. Nun rieche ich noch schlimmer aus dem Hals, als heute morgen. Der Hase würde mich wahrscheinlich jetzt gerade nicht küssen wollen. Aber lecker ist es doch, das Matjesbrötchen. Wir gehen zurück und dabei ein ganzes Stück über den Strand, der eher menschenleer ist und beobachten die Quallen, die hier ans Ufer gespült werden. Sie sind rot und sollen diese Feuerquallen sein, von denen man schon so viel Schlechtes gehört hat. Ich habe mich schon oft gefragt, welchen Auftrag die Quallen so haben. Warum sind sie auf der Welt? Es ist mir schleierhaft. Jedenfalls würde ich sie nicht essen wollen. Obwohl……öhm, nee, lieber nicht.

In Timmendorf gibt es eine Seebrücke, an deren Ende ein Lokal ist. Das soll sehr schön sein und man hat einen sehr guten Blick auf die See. Das zumindest sagen die Mädels und Jens. Die waren alle schon mal dort. Unser Weg in Richtung Hotel führt direkt zu dieser Seebrücke. Beste Gelegenheit also, in dem Lokal einzukehren. Ist doch bestimmt schön. Aber das Reet-Eck, das hier direkt in der Nähe ist, zieht uns an, wie das Licht die Motten. Und ehe wir uns versehen, sitzen wir wieder auf diesen Hockern und ich gehe zum Bestellen. „Wie gestern?“, fragt die Bedienung und ich nicke. Ich bin kein Freund von vielen Worten.

Es wird nicht ganz so exzessiv wie gestern. Wir essen sogar eine Portion Pommes zwischendurch. War die Promenade gestern schon voll, so platzt sie heute beinahe aus allen Nähten. Die meisten Frauen, die an uns vorbeikommen sind schon älteren Semesters und versuchen krampfhaft die Spuren des Alterns mit Spachtelmasse und Farbe zu übertünchen. Meist eher erfolglos. Ich wüsste, wo es einen guten Spiegel gibt, der die Wahrheit offenbart. Und die ist eben nicht immer schmeichelhaft. Könnte da ein paar Lieder von singen. Auch die Anzahl der Hunde ist exponentiell in die Höhe geschossen. Und es gibt keine Rasse, die es nicht gibt. Und bei weitem nicht jeder Hund muss selbst laufen. Sie stecken in kleinen Wägelchen, in denen sonst Kinder liegen, Fahrradkörben oder Handtaschen. Ich habe die Marktlücke überhaupt entdeckt. Man sollte einen Hund mit einem Bollerwagen kreuzen. Dann könnte man beim Gassigehen auch einkaufen und den besten Freund immer hinterherziehen, oder eine Kiste Bier reinstellen.

Der Nachmittag geht unspektakulär zu Ende. Wir gehen noch einmal in die Shoppingabteilung und das Reet-Eck hat wegen plötzlichen Reichtums geschlossen. Dann zurück zum Hotel, ein wenig das eigene Erscheinungsbild aufbereiten, dann essen bei einem sehr netten Italiener, der nur halb so teuer ist, wie unser gestriges Lokal und abschließend treffen auf dem Balkon im Hotel. Die Mädels gehen ins Zimmer, während ich die Männer mit meiner Leidenschaft für Musik langweile. Dann gehen wir früh ins Bett. Wie schnell doch so ein Wochenende vergeht, wenn man Spaß hat.

Ich träume wieder im Schlaf, weiß aber nicht mehr was für eine Art Traum das war. Vielleicht irgendwas mit Kaschmirelefanten und Quallensalat. Ich werde wach und es ist 5.45 Uhr. Was aber weniger schlimm ist, weil wir Winterzeit haben. Deswegen wurden die Uhren ja umgestellt und es ist eigentlich eine Stunde….äh….ja, wie war das noch? Die Uhren stellt man zurück und es ist eigentlich schon halb acht oder so. Ich habe das Prinzip nie so ganz verstanden. Aber ich glaube es ist später als es eigentlich ist und deswegen bin ich jetzt auch nicht so müde wie gestern. Und Hunger habe ich auch. Ein letztes Frühstück und ich gönne mir zur Abwechslung ein paar Würstchen zusätzlich. Und der Hase und Claudia, die mir gegenüber sitzen, blicken auf meinen Teller und fragen mich, wo es denn die Gewürzgurken gibt. Ich verstehen nicht, was sie meinen. Offensichtlich sehen die Würstchen vom Blickwinkel der beiden aus wie Gurken. Von meiner Seite aus sehen die Würstchen aus wie….Würstchen und grün sind sie auch nicht. Muss an dem vielen Aperol liegen.

Mit John, der neben mir sitzt, komme ich in ein Gespräch, das ebenso lang wie sinnlos (zumindest für Außenstehende ) ist und in dessen Verlauf wir diverse Geschäftsmodelle erdenken, die mit Würstchen und Gurken zu tun haben. Wenn nur eines davon Erfolg haben könnte und die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass es Erfolg haben würde, dann bräuchten wir nie wieder arbeiten. Man muss halt nur genügend blöde Leute finden, die uns unterstützen. Wenn Kaschmir und Bronze nicht mehr ausreicht, um das überflüssige Geld unter die Leute zu bringen, würde man unsere Produkte wie warme Semmeln kaufen. Wie wir im Verlauf des Gesprächs dabei auf Reichsgurken gekommen sind und was diese sein sollen, weiß ich nicht mehr, oder ich will es lieber nicht mehr wissen. Wir beenden das Frühstück und machen uns fertig für die Abreise. Das Wochenende ist schneller vorbei, als es begonnen hat und Timmendorf atmet auf, als ich wieder nach Hause fahre. Schön ist‘ s gewesen und ich glaube ich komme nochmal hierher und mache mit John einen Verkaufsstand für Reichswurstgurkensemmeln auf. Oder mit dem Papst eine Boutique.