Labsdaus und Reichsgurken Teil 2…die Geheimnisse der Kulinarik

Jens und John sind Labskaus erfahren und Kai und ich Novizen auf diesem Gebiet. John, der dieses Gericht von den Kochkünsten seiner Mutter her kennt, möchte heute aber etwas anderes essen. Jens hingegen ist offen dafür, sofern es denn so zubereitet ist, wie er es am liebsten mag. Mit dem Matjes und der roten Beete extra. Ich hingegen würde es auch essen, wenn es mit einem Häcksler geschreddert wäre. Ich glaube Kai sieht das ähnlich. Aber uns fehlt ja auch jeglicher Vergleich. Insofern ist Jens schon wichtig, damit wir wissen, wie gut es war, wenn wir fertig sind. Glücklicherweise serviert man es so, wie er es am liebsten mag. Die Show kann beginnen.

Was der Rest sich so bestellt, sehe ich zwar aus dem Augenwinkel, aber richtig interessiert bin ich nur an meiner Speise. Vorab gibt es noch Bruschetta, von der man sich paarweise jeweils eine Portion teilt. Bruschetta ist hier schon mal echt lecker. Und es ist die erste echte feste Nahrung, die wir zu uns nehmen, seit wir am Reet-Eck kleben geblieben waren. Man wird jetzt vielleicht nicht schlagartig nüchtern, aber das ungewohnte Kauen vor dem Schlucken und der Anteil an fester Nahrung sorgen für einen gewissen Erholungseffekt. Man nimmt wieder mehr von der Umgebung wahr. Ist auch mal ganz schön.

Und dann (Trommelwirbel) ist es soweit. Meine Labskauspremiere und die von Kai steht an. Serviert wird es auf einer länglichen Platte auf der ein Matjes und ein bisschen rote Beete drapiert sind, während der rötliche Kartoffelstampf-Fleisch-Mix mit einem Spiegelei obendrauf in einer etwas größeren Müslischale auf dieser Platte platziert wird. Und ja, es sieht wirklich aus wie Hundewürg. Jetzt wird es echt spannend und was soll ich sagen, jeder Bissen ist ein Genuss. Nach meiner unmaßgeblichen Beurteilung jedenfalls. Ich weiß nicht, wie ich mir geschmacklich Labskaus vorgestellt habe und ob es da vielleicht verschiedene Geschmacksrichtungen gibt, aber das hier ist allererste Kajüte. Wenn Jens noch sagt, dass es gut ist, dann schmeckt es mir wirklich. Jens sagt ja. Sehr schön, meine Premiere ist gelungen und von nun an wird sich jeder Labskaus mit diesem hier messen müssen.

Der Vorteil daran, dass man im Lokal von Anfang an weiß, was man möchte, ist der, dass man nicht in die Speisekarte sehen muss. Es ist so richtig schön unkompliziert. Der Nachteil ist, dass man nicht in die Speisekarte sieht, oder besser in die Preisekarte. Und so bin ich dann ein bisschen überrascht, als die Rechnung kommt und ich kann mich gerade noch zurückhalten zu fragen, ob es bei dem Preis drin ist, das Besteck mitzunehmen. Aber so schlimm ist es letztendlich auch wieder nicht. Wenn man essen geht, dann kostet das immer Geld und wenn es mal etwas teurer ist, muss man sich die Frage stellen, ob es das wert gewesen ist. Ja, ist es! Ohne Einschränkungen. Man macht sowas nicht jeden Tag und Qualität hat halt auch einen gewissen Preis. Lediglich die Portion hätte gerne ein bisschen größer sein können.

Wir verlassen das Lokal aufrechter, als wir es betreten haben und wollen die Zufriedenheit noch ein bisschen steigern. Eine Bar oder dergleichen, wo man noch ein Getränk trinken könnte, wäre jetzt ideal. Es ist ein milder bis warmer Herbstabend und Wochenende ist auch noch und überall sind Unmengen von Leuten unterwegs und nirgends gibt es freie Sitzplätze. Außer im „Café Wichtig“, wo uns eine freundliche Dame dabei unterstützt, ein paar Tische zusammenzustellen, sodass wir alle zusammen sitzen können. Das Café Wichtig ist recht groß und auch ein etwas teures Etablissement mit den Platzkategorien „hoch, sehr, enorm und un“. Eine Einteilung, die dann einen Sinn ergibt, wenn man das Wichtig hintendran setzt. Wir sitzen anscheinend auf „un“, weswegen das gesamte Personal im Laufschritt an uns vorbeiflitzt, ohne dass wir die Möglichkeit hätten, uns mal irgendwas zu bestellen. Vielleicht sollte man jemandem mal ein Bein stellen, oder anspringen.

Wir sitzen im überdachten Außenbereich und es ist warm draußen. Ich glaube so in etwa 15 Grad. Trotzdem werden die zahlreichen Heizspiralen im Deckenbereich eingeschaltet. Die Energiekriese ist hier noch nicht vollkommen angekommen. Erstaunlicherweise gelingt es unserer Damenabteilung, ein gezieltes Wort an einen der flüchtigen Kellner zu wenden und ihn dazu zu nötigen, gleich nochmal vorbeizukommen, um die Bestellung aufzunehmen. Wir bleiben nur auf ein Getränk im Café Wichtig und gehen danach mal an den Strand. Stimmt ja, die Ostsee ist ja auch noch hier. Da waren wir ja noch gar nicht. Wir stapfen durch den feinen Sand und saugen die wunderbare abendliche Stimmung am Strand auf, bis wir in Höhe Reet-Eck wieder in Richtung Hotel gehen. Wir treffen uns abermals auf dem Balkon. Es ist immer noch sehr warm.

Um 18 Uhr hatten wir den Tisch in der alten Liebe bestellt und auch pünktlich aufgesucht. Ich denke, wir waren anderthalb Stunden da und dann noch ne knappe dreiviertel Stunde im Wichtig und dann noch eine halbe Stunde am Strand und als wir auf dem Balkon ankommen ist es trotzdem erst kurz nach acht. Es ist aber dunkel und wir sind sowas von im Eimer, dass man das Gefühl hat, es würde schon bald wieder Frühstückszeit sein. Die Uhren gehen hier anders. Es gibt zur Abwechslung mal Bier für die Männer, Wein für John (der natürlich auch ein Mann ist, das will ich hier nicht angezweifelt haben) und Aperol für die Frauen. Aperol hat es früher nicht gegeben, aber jetzt ist es das Getränk überhaupt. Wir sitzen beieinander und klönen und ich habe das Gefühl, als würde ich alle schon ewig kennen. Ich fühle mich richtig wohl.

Ein Gefühl, dass sich noch steigert, als Jens, der sich mit besserem Alkohol auskennt, einen guten Rum öffnet und ich ihn (den Rum, nicht Jens) mit Genuss trinke. Für den Hasen wäre das nichts. Sie würde das als Brennspiritus bezeichnen. Um zehn hat der Hase genug und geht aufs Zimmer. Da mir gerade ein weiterer Rum eingeschenkt wurde und man den wirklich nicht so einfach runterstürzen kann, bleibe ich noch ein bisschen. Eine halbe Stunde später löst sich unsere Versammlung auf und ich gehe ins Bett. Dort liegt der Hase und es geht ihr ein bisschen schlecht, wegen der ganzen Aperols. Ich bin voller Mitgefühl und sage: „Mein Hase, das tut mir wirklich leid.“ Und um meinen Worten ein bisschen Bedeutung angedeihen zu lassen, schlafe ich sofort ein.

Ich schlafe unruhig und habe wilde Träume von alten Arbeitgebern und Schießereien auf dem Firmengelände und unserem Bürgermeister, der dann für Frieden sorgt. Was man halt so träumt. Nur von Labskaus träume ich nicht, auch wenn es eigentlich sehr naheliegend wäre. Vielleicht war auch die Zeit nicht lang genug. Schließlich bin ich um viertel vor sechs wieder wach. Senile Bettflucht. Als junger Mensch wäre ich da vielleicht gerade mal ins Bett gegangen, aber jetzt….. Altwerden ist wirklich nichts für Weicheier.