Kos und Logis….and than we make a Parrrty

Mit dem einsetzenden Wind sinken die Temperaturen. Das klingt jetzt erfrischender als es letztendlich ist, denn unser Ankunftstag war der letzte Tag einer Hitzewelle, die den gesamten Mittelmeerraum heimsuchte und gerade in Griechenland zu Rekordtemperaturen geführt hatte. Mir war daher auch schon vor dem Abflug sehr mulmig zu Mute, denn Hitze und ich sind wie Feuer und Wasser. Nee, das passt nicht. Es ist jedenfalls so, dass ich sichtbar schmelze, wenn es draußen zu warm ist. Der Körper ist in Aufruhr und Alarmbereitschaft. Ich bin dann wie ein Kessel, auf dem zu viel Dampf ist. Immer kurz davor zu platzen und der Schweiß läuft mir in Strömen an allen möglichen und unmöglichen Stellen herunter. Kurz gesagt, ich hatte vor der Abreise einen Heidenrespekt und vielleicht auch ein bisschen Angst vor der Hitze und ihren Auswirkungen und der erste Tag gab mir Recht. Nun aber, da die Luft nicht mehr steht, und alle Palmen, die es hier so zahlreich gibt, sich im Winde biegen, wird es viel erträglicher. Aber dass es jetzt nachts kühl wird, kann man auch nicht wirklich sagen. Es reicht aber immerhin dafür, dass wir nicht jammernd und mit dem Gefühl des nahenden Hitzetodes auf dem Balkon stehen, sondern wirklich schlafen. Mit ein wenig Unterstützung des altersschwachen Lüfters an der Decke, der vorgibt eine Klimaanlage zu sein, oder zumindest es in seinen besseren Zeiten gewesen zu sein. Wir schlafen also nicht mehr im Inneren eines vorgeheizten Backofens.

Das Frühstück ist, wie es immer ist und die Tage verlaufen genauso, wie sie immer verlaufen. Nur dass mit dem vermehrten Wind auch weniger Leute am Strand sind. Wobei es wirklich nicht übel ist, an diesem Strand mit Getränkeservice. Die Unentwegten, die den Weg hierher finden sind dann eigentlich auch immer dieselben Gesichter. Aber auch am Pool ist es vielleicht recht belebt, aber nicht zu voll. Eigentlich hatten wir uns das in der Hauptsaison schlimmer vorgestellt. Auch bei einem kleinen Ausflug mit dem Bus nach Kos Stadt war die touristisch interessante Altstadt nicht im Geringsten überfüllt.

Also eigentlich sind unsere Tage ein tägliches Einerlei und egal wo man ist, es gibt überall einen schönen Ausblick. Die Insel auf der anderen Seite mit dem Gebirge an der Küste stellt sich als das türkische Festland heraus und ist anscheinend nicht drei oder vier, sondern fünfzehn oder sechzehn Kilometer entfernt. Mein mir angeborener und tadelloser Abstandsmesser im Auge muss anscheinend ein bisschen neu kalibriert werden. Vielleicht mit ein bisschen einheimischen Bier. Oder aber mit ein paar Cocktails am Abend. Diese nehmen wir mit wachsender Begeisterung in „unserer“ lauschigen Bar in Strandnähe, mit dem tollen (was auch sonst) Ausblick, zu uns. Und auch hier, wo es diese unfassbar gemütlichen Sitzgelegenheiten gibt, ist wirklich nicht viel, bis ganz wenig los. Es ist ein bisschen „Secret Escapes“ mäßig. Als ob man ein paar luxuriöse Geheimtipps kennen würde.

Wir finden es jedenfalls viel besser, wenn wenig los ist und wir denken(während ein immer voller werdender Mond allabendlich über dem türkischen Festland aufgeht und so idyllisch über dem Wasser scheint, dass es einem fast in den Augen weh tut), dass das alles nur für uns arrangiert wurde. Dann sitzen wir uns gegenüber, rund 30cm über dem Boden und trotzdem gemütlich, was aber beim Abstellen des Cocktails auf dem kleinen Tisch immer etwas schwierig ist. Wie ein gestrandeter Wal drehe ich mich halb auf die Seite und mache einen langen Arm, der immer länger werden muss, um die Tischplatte zu erreichen. Ja, ich weiß, ein Wal hat keinen Arm. Im Hintergrund läuft luschige Musik, die aber nicht annähernd so weichgespült ist, wie das klebrige Akustikgebräu beim Frühstück. Es gibt sogar hin und wieder wirklich gute Musik (Talk Talk: Tomorrow Started und Paul Weller: You do something to me ….als Beispiele). Man gibt sich wirklich Mühe mit mir und dem Hasen.

An manchen Abenden aber, steht uns der Sinn nach Abwechslung. Das ist das einzige Zugeständnis an Betriebsamkeit und Hektik, das wir uns aufbürden. Dann sind wir oben an der großen Hotelbar mit einer sehr großen Terrasse auf der viele Sitzmöbeleinheiten stehen und man, inklusive eines phantastischen Ausblicks, seine Cocktails, sein Bier oder sein was auch immer Getränk zu sich nehmen kann. Aber hier sitzt man nicht nur stumpf auf seinem Stuhl und guckt mit leeren Blick in die Gegend (so zauberhaft sie auch sein mag), sondern es gibt auch Programm. An verschiedenen Abenden gibt es verschiedene Highlights der heimischen Unterhaltung. Und es gruselt mich ein bisschen davor, wenn ich ehrlich bin. Ich halte nicht so viel von Animation, wo man nicht weiß, welche gescheiterte Existenz mit aufgepappter Perücke die großen Klassiker der anspruchslosen Populärmusikunterhaltung an den Rand der verstümmelten Karikatur bringt, oder auch ein Stück darüber. Vielleicht habe ich ja auch nur Vorurteile, aber die Vermutung, dass es auch hier so enden könnte, liegt nahe.

Als erstes auf dem Programm steht Bauchtanz. Ja, ich weiß, ich könnte jetzt eine Reihe von flachen Witzen machen, darüber, dass ich für diese Form des Tanze über ein besonders ausgeprägtes Arbeitsgerät verfüge, aber das lass ich mal lieber. Meine Erwartungen sind jedenfalls nicht besonders groß, als der Hase und ich uns an einen Tisch, direkt an der Tanzfläche, die für diesen Abend zu Bauchtanzfläche wird, setzen. Wie die Erwartungen des Hasen sind, weiß ich nicht. Sie ist jedenfalls nicht so ein großer Snob wie ich und scheint offen dafür zu sein, dass man sie gut unterhalten möge. Wir bestellen uns Getränke und warten auf die Tanzdarbietung.

Der Tisch steht zwischen uns und wir haben die Stühle so gedreht, dass wir beide zu dem zu erwartenden Geschehen in Blickrichtung sitzen. Wobei es beim Sitzen ein paar kleine Probleme gibt. Die Stühle sind irgendwie merkwürdig geformt, so dass man immer das Gefühl hat, man würde mitsamt der Stuhlauflage vom Stuhl runterrutschen. Bei mir ist das anatomisch sowieso eine gewisse Besonderheit. Mein Bauch scheint so schwer zu sein, dass er mich auch aus einem normalen Stuhl rutschen lässt. Wenn ich mal länger irgendwo sitze, muss ich mich gefühlt alle paar Minuten immer wieder neu aufrichten, weil ich wie ein umgekipptes Glas Honig von der Sitzfläche fließe. Dieses unnütze Talent geht hier mit diesem ergonomisch ungünstig geformten Sitzmöbel eine unheilige Allianz ein und es dauert nicht lange, bis ich mit dem Kopf schon unterhalb der Tischplatte bin, während der Rest von mir sich unappetitlich in Richtung Boden ergießt. Es ist ein unaufhörlicher Kampf mit mir, meiner amöben Körperform und der allgegenwärtigen Schwerkraft.

Ein Mann baut seit einer geraumen Zeit eine Art DJ Set auf und eine Beleuchtungsanlage steht auch schon. Eine Geige steht auf einem Geigenständer und ein Mikrofon hängt an einem Mikrofonständer und wenn Wäsche da wäre, hinge sie an einem Wäscheständer. Dann ist es so weit, die Musik wird lauter und orientalischer und vier (zu zwei Dritteln, äh drei Vierteln ziemlich junge) Damen betreten in orientalischen Kostümen die Showbühne, die eigentlich ja gar keine Bühne ist und beginnen orientalisch Bauch zu tanzen. Und wie ich da so sitze und rutsche und sitze, habe ich mich voll darauf eingestellt, dass ich nun ein Panoptikum der unfreiwilligen Komik serviert bekommen. Vier Rumpelfüßlerinnen, die nicht wissen mit welchem der zwei Beine sie anfangen sollen (also so wäre es zumindest, wenn ich das machen sollte), und sich der Lächerlichkeit preis geben.

Soweit zumindest meine Erwartungen. Genaugenommen sind es drei Tanzschülerinnen und die vierte, die ältere im Bunde (denke sie ist so um die 40) ist ihre Lehrerin. Und alles was Recht ist, aber die machen das wirklich, wirklich gut. Ich schäme mich ein bisschen dafür, dass ich diese schlechten Erwartungen hatte. Man merkt zu jedem Zeitpunkt, dass sie mit Eifer, Ernst und viel Talent bei der Sache sind. Und der DJ Typ schnappt sich manchmal noch die Geige vom Geigenständer und was soll ich sagen, er kann mit dem Ding auch famos umgehen. Die Musik gefällt auch dem größten Ignoranten. Da sind echte Profis am Werk und ich kann überhaupt nicht verstehen, wie man auch nur ansatzweise denken konnte, dass man hier eine miese Show serviert bekommt. Manche Touristen sind echt schlimm. Wie auch dieser eine Typ, der auf seinem Stuhl sitzt und den Tänzerinnen, die auf ihn zu tanzen, breitbeinig entgegenrutscht. Ach, das bin ja ich. Wie peinlich. Ich hoffe sehr für die talentierten Mädels, dass irgendein toller Typ hinter mir steht und sie Augenkontakt zu ihm herstellen können und so nicht das Elend, das halb auf dem Boden liegt, ansehen müssen. Sowas kriegt man nur schwer wieder weg von der Netzhaut, das brennt sich ein.

Kurz gesagt, ich bin mehr als angetan von diesem Abend und es ergeht allen anderen im Publikum vermutlich ähnlich, auch wenn es manchmal ein bisschen zu viel von ihnen verlangt zu sein scheint, auch mal anständig zu applaudieren. Das mache ich schon, wenn ich mich nicht gerade wieder auf dem Stuhl hochziehen muss. Verdient haben sie es allemal. Die Tanzlehrerin der Truppe hat noch ein zweites Projekt am Start. Zusammen mit ihrem Sohn, einem anderen jungen Mann und einer jungen Frau führt sie an einem anderen Abend griechische Volkstänze vor. Ich glaube der Geigenmann ist auch dabei. Jedenfalls spielt einer Geige und macht den DJ während der Aufführung und er sieht dem anderen auffallend ähnlich. Bei dieser Darbietung habe ich einen anderen Stuhl an einer anderen Stelle und rutsche erstens nicht so viel herunter und bin zweitens seitlich zum Tanzgeschehen, was den Protagonisten einige irritierende Anblicke erspart. Auch hier sind echte Könner am Werke und auch hier fühle ich mich bestens unterhalten. Und zur Krönung schippert noch ein fettes Kreuzfahrtschiff durch die Meerenge, beleuchtet wie ein überdimensionaler Weihnachtsbaum in einen strahlenden hellblauen Lichtschimmer gehüllt. Mehr Showprogramm geht fast nicht. Es würde mich nicht wundern, wenn jetzt noch ein Engel im weißen Gewand mit weißen Flügeln herabschweben würde.

Einen etwas irritierenden Auftritt legt aber ein etwas älterer Künstler an einem weiteren Abend hin. Er ist jenseits der 60 möchte ich meinen und hat sich mit einer akustischen Gitarre und einem Mikrofon und ein paar Lautsprechern und etwas Lichtanlage aufgebaut. Er sitzt auf einem Barhocker und spielt und singt und macht ein paar Ansagen in einem, kaum zu verstehenden Englisch, griechischer Herkunft, die sich um die Lieder drehen, die er singt und immer wieder die verständlichen Wortfetzen: „And than wie make a Parrty“ beinhalten. Und als ich ihn so erblicke und höre wie er seine erste Ansage macht: “ I wohd laik tu pläii this Song….(an dieser Stelle nuschelt er einen Titel ins Mikrofon und niemand, auch er wahrscheinlich nicht, weiß, welchen er meint, man versteht nur Pappindrikoolus Dirampampwus oder sowas)….and than we mäk a Parrty.“ Und ich denke, man soll sich nicht von den Äußerlichkeiten täuschen lassen, schließlich hatte ich mich bei der Bauchtanztruppe auch gehörig getäuscht gehabt. Und ein Mann mit einer Gitarre muss ja nicht gerade schlecht sein. Ich liebe Musik mit Gitarre.

Und dann fängt er an und das Leben in mir entweicht schlagartig. Es ist ja nicht so, dass er es nicht kann. Soweit ich es beurteilen kann, spielt er ganz anständig Gitarre und lässt sich elektronisch mit Rhythmus und einigen anderen Instrumenten unterstützen. Auch singen kann er, da besteht kein Zweifel. Es ist nur….also die Art und das was er singt, also welche Lieder er covert, senken meinen Puls bedrohlich. Er liebt augenscheinlich Balladen. Daran ist nichts auszusetzen, aber er drosselt bei jedem Lied das Tempo und nimmt so eigentlich jedem im Publikum die Chance, bei Bewusstsein zu bleiben. Nach drei Liedern hat er die Hälfte der Leute so weit sediert, dass sie kurz davor sind, mit den Köpfen auf die Tischplatten zu schlagen. Die Augen geschlossen, die Münder offen. Manch einem rinnt Speichel aus dem Mundwinkel. Und immer wieder sagt er: „And than we make a Party!“

Party? Was für eine Party? Er hat eigentlich jedem hier im Publikum klar gemacht, dass es mehr Spaß macht, seine Steuererklärung zu machen, als ihm zuzuhören. Es hätte mich nicht gewundert, wenn die Leute in Scharen abgehauen wären, aber sie sind wahrscheinlich viel zu erschöpft. Um zu verhindern, dass der ein oder andere in das Reich der Toten hinabsteigt, bringt er seine Tochter mit ins Spiel. Diese ist ungefähr Mitte Zwanzig und wäre jetzt lieber an jedem anderen Ort der Welt. Zumindest lässt sich so ihr Blick deuten. Sie kann auch singen, das hat sie wohl von ihrem Vater und sie tut es auch mit einer gewissen Inbrunst. Außerdem ist sie so laut abgemischt, dass sie nicht nur ihren Vater um gefühlt 48 Dezibel übertönt, sondern auch alle Anwesenden dazu animiert doch endlich mal wieder einzuatmen. Man könnte fast wieder wach werden.

Sie singt ein paar Lieder mit ihrem Vater, der auch ihr Großvater hätte sein können (rein optisch) und verschwindet ebenso schnell, wie sie aufgetaucht ist. Ich vermute, sie ist in der nationalen Auswahl der griechischen Sprintmannschaft für die nächsten olympischen Spiele, so schnell, wie sie von der „Bühne“ stürmt. Also ist Vater/Großvater wieder allein auf der Bühne und saugt jedem, wie ein Dementor bei Harry Potter, jede positive Energie aus der Seele. Ich warte nur darauf, dass die ersten bewusstlos vom Hocker fallen. Und dann sagt er seinen üblichen Spruch auf und nur denen, die noch nicht im geistigen Nirvana abgedriftet sind, fällt der kleine Unterschied auf: „And now we make a Party!“

Und er legt seine Gitarre ab, mutiert vom langweiligsten aller Straßenmusiker zum DJ und macht das, was ein DJ so macht. Er spielt Lieder ab. Als erstes „Gimme Gimme Gimme“ von Abba. Und es geschieht Sonderbares. All die Untoten erwachen, wie aus dem Winterschlaf katapultiert, auf seltsame Art zum Leben. Sie springen förmlich auf und jeder entdeckt den Tanzbären in sich. Na gut, nicht jeder, ich entdecke kein derartiges Tier in mir. Die Tanzfläche ist in Sekunden gefüllt und wenn das keine Paarrty ist, dann weiß ich auch nicht.

Er spielt einen Smash Hit nach dem anderen und gerade die Männer in meiner Altersklasse, besonders die, die aussehen, wie ein vertrockneter Verwaltungsbeamter, finden den lange verborgenen John Travolta in sich und entern den Dancefloor. Und was soll ich sagen, die können sich allesamt unfassbar gut bewegen. Und der DJ, dessen dritte Zähne offensichtlich gut verankert sind, weiß, wie er die Menge begeistert. Er scheint irgendwie zu wissen, welche Nationalitäten hier versammelt sind. Und so spielt er einen einheimischen Hit für jedes vertretene Völkchen. Etwas Schwungvolles für die Holländer, etwas Mitreißendes für die Engländer, etwas orientalisch Anmutendes für Israelis und Andreas Gaballier für die Deutschen. Haben wir denn nichts Besseres? Muss es denn Hulapalu sein? Fürchterlich, aber es hätte auch schlimmer kommen können. Roger Whittaker zum Beispiel oder Kaiser Roland, aber es ist schon schlimm genug.

Die Menge bebt und der DJ-Gitarrist mit Hang zur Seniorenanstalt hat die Leute eindeutig im Griff. Vom kleinen Kind bis zur alten Frau ist alles am Hüpfen und Arme schleudern. Nur ich nicht und der Hase auch nicht. Und ich weiß, dass der Hase gerne tanzt und ich weiß, dass der Hase jetzt in diesem Moment besonders gerne tanzen würde und ich sage ihr auch mehrfach, dass sie es ruhig machen soll. Aber, aus unerfindlichen Gründen, steckt sie zurück und bleibt bei mir sitzen. Bei mir, der Träne des Abends, dem gefühlt auch schon die Balladen zu schnell waren. Es geht mir so gut hier in diesen Tagen, wahrscheinlich habe ich Angst, dass mir das Tanzen zu gut gefallen könnte, dass mir all diese positive Energie zu viel werden würde. Der Zuckerschock für den Verbitterten. Ich glaube ich muss irgendwann mal an mir arbeiten. Nur nicht jetzt, ich bin schließlich im Urlaub.