Kater unser, jetzt erst recht

Jerry

Um Jerry den Kater ranken sich viele Gerüchte und die meisten sind wahr. Zumindest die Schlimmeren. Deshalb ist es jetzt an der Zeit, die Geschichte in ihrer wirklichen Form zu erzählen und das ist nichts für schwache Nerven oder kleine Kinder. Oder für kleine Kinder mit schwachen Nerven. Und für deren Mütter schon gar nicht. Doch genug des Vorgeplänkels. Jetzt kommt die ungeschminkte Wahrheit, zuzüglich einiger dramaturgischer Zutaten, die aber den wesentlichen Ablauf der Geschichte nicht verändern, sondern nur hervorheben sollen.

Nachdem nun eine Katze von der Nachbarin plattgefahren wurde und eine weitere spurlos verschwunden ist, war das Thema Stubentiger endgültig vorbei. Doch dann kam Jerry. Von Jerry erfuhr ich, als ich während des Hurricane Festivals vor einer Bühne stand, auf der gerade heftigst musiziert wurde. Es brummte in der Hose. Ah, das Handy. Der Hase. „Na, was gibts?“ Die Frage stellte ich eher gelangweilt. „Wir haben eine!“ schrillte es aus dem Apparat. „Eine was?“ „Na, eine Katze.“ Ahja, sicher doch. Wie konnte ich nur fragen. „Eine was haben wir?“ „Eine Katze. Du weißt schon, vier Pfoten, Fell und Miau.“ „Wau.“ Mehr fiel mir nicht ein. Und es war ein deutsches „Wau“ nicht das englische „Wow“. Ich hasse Anglizismen und Fremdwörter, erst recht wenn sie auf englisch sind. „Wieso haben wir eine Katze?“ „Na, weil ich eine gekauft habe.“ Der Hase schäumte regelrecht über vor Freude. „Lass mich raten, die Kinder sind begeistert.“ „Das kannst Du laut sagen.“ Was ich auch tat. „Die Kinder sind glücklich, wir haben eine Katze!“ brüllte ich und streckte meine Arme in die Luft.  Die Leute starrten mich an und ich glaube die Band hörte kurzfristig auf zu spielen. „Ich erkläre es Dir, wenn du wieder zu Hause bist.“ sagte der Hase und das Festival war für mich gestorben.

Wieder zu Hause wurde mir das Ergebnis der letzten Katzeneinkaufstour präsentiert. „Weißt du in der Wochenendzeitung steht immer das Tier der Woche“, sagte der Hase und rieb mir ein Bild unter die Nase. Darauf war eine gestreifte Katze abgebildet. Jung, gesund und munter und zudem noch ausgesetzt worden. Damit nun dieses Tier wieder ein Zuhause finden kann, kommt eben so ein Bild in die Zeitung und schon strömen die Leute herbei und blechen für das Tier. Ich sah mir das Bild noch etwas genauer an und dann erblickte ich den Fang, den meine Restfamilie gemacht hatte. „Der sieht aber nicht so aus, wie dieses Tier auf diesem Bild hier.“ bemängelte ich, denn Jerry der Kater erweckte keinen gesunden Eindruck. „Ja, das weiß ich. Das ist auch nur eine der Katzen, die da waren.“ erklärte der Hase. „Und ihr musstet ausgerechnet dieses Exemplar mitnehmen?“ „Weißt Du, sie, oder besser er, war ein Schnäppchen.“

Ich weiß zwar nicht, wie dieser Kuhhandel, oder sollte ich sagen dieser Katzenhandel, von Statten ging, aber es wird in etwa so gewesen sein. Meine Familie fuhr zu dieser Einrichtung mit dem festen Willen, das Tier zu kaufen, das in der Zeitung abgebildet war. Sie gingen vorbei an lauter schönen und gesunden Katzen mit seidigem Fell und strahlenden Augen. Vorbei an Katzen, die vielleicht schon ein wenig eingeschränkt waren (fehlende Gliedmaßen oder Augen oder so), bis sie an eine Tür kamen, auf der stand: „Sonderangebot“. Dahinter machten sich gerade zwei Tierpfleger mit einem Defibrillator an einer Katze zu schaffen, die mittels eines ausgeklügelten Gurtsystems in einer aufrechten Position fixiert wurde. „Mami, was machen die Männer da?“ fragte eines unserer Kinder, während Jerry durch einen Stromstoß geschüttelt wurde. „So etwas wie eine Katzeninspektion.“ antwortete der Hase.  „Ich glaube, wir müssen ihn beatmen.“ sagte der eine Pfleger und wirkte angewidert.“ Ach scheiße, das kannst du heute machen.“ antwortete der andere. Doch dann geschah das Wunder. Jerry der Kater erblickte meine Familie und kam zurück aus dem Reich der Toten. Sein Blick wurde klar und mit letzter Kraft schaffte er ein laut vernehmliches „Miau!“ „Jippieh!“ riefen die Kinder. „Der ist unser!“ strahlte der Hase. „Hurra!“ riefen die Pfleger. „Röchel!“ sagte Jerry und war froh, dass er atmen konnte.

Wie gesagt, das ist meine Vermutung über das Verkaufsgespräch, aber ich denke, sie ist nahe an der Wahrheit. Jerry wirkte etwas dünn, hatte gestreiftes Fell und einen trüben Blick. Er war irgendwie anders, als man sich eine Katze vorstellt. Wenn die Kinder mit ihm spielen wollten, wirkte er meist teilnahmslos. Er lief auch keinen Bällen oder dergleichen hinterher. Er beobachtete diese Dinge lieber. „War der im ersten Leben Beamter?“ fragte ich. „Nein, wir müssen ihm nur etwas Zeit geben. Außerdem hat er wahrscheinlich Katzenschnupfen.“ „Katzenschnupfen?!“ „Ja, das kann auch manchmal schlecht ausgehen.“ „Wieso kauft ihr eine Katze mit Katzenschnupfen?“ „Ach, er sah so süß aus und die Kinder hatten sich sofort in ihn verguckt.“ „Süß? Der sieht aus wie ein Drogensüchtiger auf Entzug.“ „Mama, was ist Entzug?“ fragte unser Sohn. „Das ist, wenn Papa eine Woche kein Bier trinkt!“ Mein Hase hat manchmal den Hang zur Unsachlichkeit. Aber um sicher zu gehen, konsultierte sie auch noch eine Tierärztin. Demnach gab es zwei Möglichkeiten. Entweder, wir geben das Tier in Behandlung, die erstens nicht zwingend von Erfolg gekrönt sein muss und zweitens so teuer ist, dass man das Gefühl nicht los wird, man würde der ganzen Praxis einen Urlaub auf Mallorca finanzieren. Oder, und das ist die zweite Möglichkeit, wir lassen es darauf ankommen und hoffen auf Besserung, die auch nicht komplett unwahrscheinlich ist. Ich war für Tor zwei. Ist halt günstiger.

Eine Zeit lang ging es auch relativ gut. Wir haben nur die Messlatte nicht so sehr hoch gelegt. Verglichen mit dem Jerry vom Anfang, war es enorm besser geworden. Verglichen mit einer normalen Katze, sah unser Jerry so aus, wie diese Katze vom Friedhof der Kuscheltiere, die aus dem Reich der Toten zurückgekehrt war. Nur dass unser Jerry nicht bösartig war.   Im Laufe der Monate wurde seine Atmung immer auffälliger. Schnappatmung, würde ich mal sagen.

Es gibt noch einen faszinierenden Punkt in unserer Katzengeschichte. Ich bin ja kein Freund von ihnen. Ich tue ihnen nichts an, aber ich meide sie, wenn möglich. Doch irgendwie übe ich wohl eine magische Anziehungskraft aus, denn wie schon  seine beiden Vorgänger, suchte auch Jerry häufig meine Nähe. Und wenn ich abends allein auf dem Sofa lag, dann kam Gevatter Jerry vorbei und legte sich auf die Rückenlehne des Sofas. Der Aufstieg fiel ihm sichtlich schwer und er atmete dabei  noch lauter als gewöhnlich. Eines Abends, er schleppte sich gerade wieder mit letzter Kraft auf das Sofa, da sprach er zu mir. (Wie bereits erwähnt, kann ich die Sprache der Katzen verstehen… manchmal zumindest)Seine Atmung erinnerte mich an jemanden. „Luke“, sagte er und röchelte lautstark, „Luke, ich bin Dein Kater!“ Ja, Sinn  für Humor hatte er auch noch. Und wie so oft schlief ich mit dem gleichmäßigen Geröchel von Darth Vader ein.

Und so ging die Zeit ins Land. Man konnte nicht behaupten, dass Jerry unglücklich war. Er hatte nur nicht genug Energie, um seine Zufriedenheit nach außen hin darstellen zu können. Meine drei Mitfamilienmitglieder machten ihm das Leben bei uns auch so angenehm wie möglich. Aber er war halt auch ein Pechvogel. Wie zum Beispiel, als er zu seinem Fressnapf in den Hauswirtschaftsraum gehen wollte und es einen Luftzug gab, der die dazugehörige Tür zufallen ließ. Das wäre weitaus weniger schlimm, wenn er nicht seinen Schwanz darin geklemmt hätte. „Mein Alter“, sagte ich, „Du hast aber auch gar kein Glück.“ Sein Schwanz hatte danach im mittleren Bereich einen kleinen Knick. Als Mann kann man in dieser Hinsicht sehr mitfühlend sein.

Der aufmerksame Beobachter ahnt es bereits, Jerry wurde nicht sehr alt. Wir bemerkten, dass er tot war, als er eines Tages stumpf zur Seite fiel und sich nicht mehr regte. Nein, das stimmt nicht ganz, denn er fiel häufiger mal zur Seite und regte sich nicht. Als er aber nach zwei- drei Stunden immer noch nicht zuckte, wussten wir, da ist was im Busch……Im Prinzip hätte es so sein können, aber das Ableben des Jerry Vader verlief doch gänzlich anders. Als sich sein Ende näherte, sah er noch schlapper aus als sonst und alles fiel ihm noch schwerer. Da wir schon eine gewisse Übung hatten, gingen wir das Thema „Tod eines Haustieres“ sehr offen an und unsere Kinder suchten einen besonders schönen Karton aus, in den sich Jerry legen durfte, um in die ewigen Katzenjagdgründe zu fahren. Damit er es bequemer hatte, wurde der Karton auch noch ausgepolstert. Unser dahinsiechender Kater schien angetan von dieser Form eines Sarges zu sein und nahm sehr rechtzeitig Platz darin. Alles war perfekt, er musste nur noch das Zeitliche segnen. Um dieser Pflicht nachzukommen, nahm er ein letztes Mal Platz in seinem Karton, legte sich hin, schloss die Augen und…. In diesem Moment kam eine meiner Schwestern zu Besuch, was unseren kleinen getigerten Zombie dazu brachte, sich wie die Freiheitsstatue aufzurichten und quicklebendig zu wirken. Am nächsten Morgen war er gestorben.

Die Intensität der Trauer bei unseren Kindern war einer gewissen Gewohnheit gewichen. So war es auch weit weniger dramatisch, als der Hase sagte:“Jerry ist jetzt im Katzenhimmel.“ Die Beerdigung musste ohne mich verlaufen, weil ich arbeiten musste und wir ihn möglichst schnell mit Erde bedecken wollten. Ich saß gerade auf einem Gabelstapler (mein Arbeitsgerät zu dieser Zeit), als es in der Hose brummte. Handy!  Ah, der Hase, allerdings der sehr aufgebrachte Hase. „Ich kriege hier kein Loch in den versch…enen Sch….boden gegraben. Die Erde ist gefroren!“ „Und wie soll ich dabei helfen? Soll ich einen Hitzestrahl rüberschicken?“ Der Hase belegte mich mit einer Anzahl von Flüchen, die ich hier nicht wiedergeben möchte. „Was mach ich denn jetzt?“ Wie tief bist Du denn gekommen?“ “ Nicht besonders. Ich hacke hier schon ne halbe Stunde auf dem Boden rum und jetzt ist Essig mit tiefer kommen.“ „Na dann mach das Beste draus.“ Was das Beste war, das sie daraus machen konnte, weiß ich nicht. Wir haben nie darüber gesprochen und auch die Kinder vermeiden dieses Thema. In meiner Fantasie sehe ich ein kleines Grab mit einem Grabstein auf dem steht: „Hier ruht Jerry der Kater…. größtenteils.“, während im Hintergrund ein paar Katzenpfoten aus dem Boden ragen…..

Das war es endgültig mit den Katzen und uns. Deutlicher konnte es nicht sichtbar werden. Wir hatten einfach kein Händchen für knuddelige Vierbeiner und jede Katze, die auch nur halbwegs bei Verstand war, würde einen riesengroßen Bogen um uns machen. Also wenn ich eine Katze wäre, würde ich es zumindest tun. Aber soviel Verstand scheinen Katzen nicht zu haben……….

Fortsetzung folgt…..