Kater unser….

Ich habe auf unserem Grundstück einen kleinen Haufen mit Splitt gefunden. Ich mag Splitt. Der kratzt so angenehm am Rücken, wenn man sich darin wälzt. Und genau das mache ich gerade. Ich liege auf dem Rücken und drehe mich hin und her. Dabei mache ich ein verzücktes Gesicht. Der Hase und die Kinder kommen vorbei. Sie bleiben stehen und sagen solche Dinge wie:“Oh, guck mal, ist das nicht niedlich, wie er sich räkelt?“ Und der Hase, der auch sehr angetan ist, sagt:“Ich habe doch immer gesagt, dass er eine Bereicherung für uns ist.“…..

Nein, ich bin nicht bescheuert. Nicht mehr als sonst. Natürlich räkel ich mich nicht im Splitt, sondern unser Kater. Mir gefiel nur die Vorstellung, ich könnte es gewesen sein. Schon ergibt das alles wieder Sinn. Mich hat allerdings noch niemand dafür bewundert, dass ich einfach nur herumliege, etwas fresse und mit der Zunge mein Fell und sämtliche Körperregionen reinige. Das würde auch zugegebenermaßen einige heikle Positionen ergeben, auf deren visuelle Umsetzung getrost verzichtet werden kann. Man könnte auch sagen: Das sähe echt scheiße aus und niemand will es sehen. Aber bei einer Katze bewundert man solche Sachen. Ich bin augenscheinlich in der falschen Gestalt auf die Welt gekommen und das nicht nur, weil ich zu dick bin. Unser Kater heißt übrigens Charly, hat gestreiftes Fell, macht den ganzen Tag nichts und ist der absolute Liebling vom Hasen und den Kindern. Doch zu unserem Kater gibt es eine Vorgeschichte. Die werde ich nun erzählen und das ist manchmal nichts für schwache Nerven. Also Vorsicht beim Lesen.

Kapitel 1

Findus

Es ist nicht so, dass ich ein Haustierhasser bin. Ich will nur keins haben. In meiner Kindheit hatten wir einen Kater. Er hieß Max, hatte gestreiftes Fell (!) und war ein hinterhältiges Mistvieh. Er war nicht besonders. In keinster Weise. Nicht besonders groß, nicht besonders dick und vor allem nicht besonders niedlich. Nichts an ihm war richtig niedlich oder irgendwas in der Art. Er hatte einen finsteren Blick und einen Heidenspaß daran, Mäuse zu quälen, bevor er sie tötete. Das waren die einzigen Augenblicke an denen er zufrieden wirkte. Ansonsten ließ er niemanden an sich heran. Für eine Katze war er ein eiskalter Hund.

Wir Kinder hielten zu ihm immer einen gebührenden Abstand. Nicht, dass er einen von uns noch mit einer Maus verwechseln würde. Nur einmal ist Max bei mir zutraulich geworden. Wir trafen uns auf der Straße und er kam auf mich zu. Mir wurde mulmig. Ich rechnete mit einem tätlichen Angriff, aber meine Angst war unbegründet. Er streifte mit seinem Fell meine Beine und schnurrte zufrieden. „Ja Max, Du bist aber ein Süßer“, sagte ich mit einem leisen Anflug der Hoffnung, dass seine Verhaltensauffälligkeiten vorüber seien. Da war der Moment auch schon wieder vorbei. Max war in dieser Hinsicht gänzlich anderer Meinung. Süß zu sein gefiel ihm nicht so recht. Er funkelte mich kurz an, stieß einen röchelnden Laut hervor und ging seines Weges. Erst später bemerkte ich, dass er mir ans Bein gepinkelt hatte. Daher das Schnurren. Ja, so war er, unser Max. Ich kann nicht mehr sagen, ob er dann gestorben ist, oder einfach nur das Weite gesucht hat. Wir Kinder waren auf jeden Fall erleichtert, als er weg war. Und für mich war es seit dieser Zeit kristallklar, dass ich nie wieder eine Katze haben wollte. Eher würde ein Kamel durch ein Nadelöhr gehen. Jahrzehnte später musste ich feststellen, dass ein Nadelöhr so groß sein kann, dass ich (als Ersatzkamel sozusagen) sogar hindurch passe. Bequem hindurch passe. Mit Platz zu allen Seiten.

Ich weiß nicht genau, wie lange es her ist, aber die Kinder waren noch recht klein, als ein kleines Kätzchen (ich mag die Verniedlichung dieser Tiere eigentlich nicht, aber es war wirklich ein Kätzchen) tagelang um unser Haus schlich. „Das ist eine Julikatze.“ Der Hase, der zu dieser Zeit noch gar nicht der Hase war, sondern einen eher normalen Spitznamen trug, wollte mich offensichtlich verarschen. „Ja nee, ist klar.“ „Nee wirklich. Es gibt zwei Zeiträume, in denen Katzen werfen….“; sie redete noch weiter, während ich mich gedanklich mit der deutschen Meisterschaft im Katzenwurf beschäftigte. Wie weit muss man eine Katze werfen, damit man es in die vorderen Ränge schafft? Gibt es unterschiedliche Katzengewichts-klassen für Männer und Frauen? Womit trainiert man den Katzenwurf? Das waren echt bedeutsame Fragen.

„Du hörst mir schon wieder nicht zu!“, unterbrach mich der Hase. „Äh, doch!“ „Na, was hab ich denn gerade gesagt?“ „Irgendwas mit fliegenden Katzen.“ Der Hase atmete durch. „Das eine musst Du Dir merken“, sagte sie, „wenn eine Katze herrenlos herumstreunert, dann darf man sie nicht füttern. Die geht sonst nie wieder weg.“ Das leuchtete mir ein und ich signalisierte, dass ich diese Passage vernommen hatte. Irgendwas mit Füttern schwirrte mir im Kopf herum und ich bekam spontan Appetit. Ich ging zum Kühlschrank und aß erstmal etwas. Ich bekomme immer Hunger, wenn von Fütterungen oder dergleichen die Rede ist. Aber auch wenn es nicht den Anschein macht, ich hatte durchaus verstanden, dass ich diese Katze nicht füttern darf.

Diese Katze ließ sich aber nicht beirren. Sie streifte auch weiter um unser Haus. Vielleicht hatte es auch etwas damit zu tun, dass der Hase ein wenig Milch in einer kleinen Schale vor die Haustür stellte. „Welche Art von ´nicht füttern` ist denn das?“ wagte ich zu fragen. „Wir können das kleine Würmchen doch nicht verhungern lassen.“ Hmh, Hunger hatte ich allerdings auch. Ich ging zum Kühlschrank…. „Musst du immer was Essen?“ Ich überlegte kurz. „Ja, aber davon mal abgesehen, wie hast Du Dir das jetzt mit der Katze vorgestellt? Wie willst du die wieder loswerden?“ Ich hatte den Finger in eine offene Wunde gelegt.

Weil die Situation nun etwas verfahren war, holte meine tierliebe Frau ein Glas mit Wasser. Sie öffnete die Haustür. Davor stand die wahrscheinlich niedlichste kleine Katze (ja, sie war echt verdammt niedlich, auch in meinen Augen) der Welt und blickte mit diesen Kullerkatzenaugen nach oben und freute sich auf noch mehr Milch. Stattdessen gab es eine kalte Dusche und die Tür wurde zugeknallt. „Bingo“, dachte ich und hoffte im Stillen, dass das Thema Katze von Tisch sei. Neben mir stand mein Hase und ich konnte wirklich hören, wie ihr Herz brach. „Nein, das kann ich nicht“, stammelte sie und öffnete abermals die Tür. Davor stand die wahrscheinlich begossenste niedliche Katze der Welt und blickt sowas von erbärmlich nach oben, dass ich sogar meinen Hunger vergaß und ich wusste, von nun an würde nichts mehr so sein wie früher. Wir waren nicht mehr allein. Unsere Familie vergrößerte sich um vier Pfoten.

Die Katze war ein Kater mit gestreiftem Fell. Ich halte nichts von Reinkarnation, aber dass Max aus dem Reich der Toten mir dieses Tier untergejubelt hatte, erschien mir sehr plausibel.  Findus war sein Name. Zumindest ab dem Zeitpunkt, als die Kinder ihn in ihr Herz schlossen. Das dauerte keine drei Sekunden. Ich habe jahrelang um die Gunst meiner Kinder gebuhlt. Habe mir sinnbildlich so manches Bein ausgerissen für ein Lächeln dieser kleinen Racker. All die Bemühungen und Aufwendungen, um die Liebe meiner Liebsten zu gewinnen, waren von einem Augenblick zum Anderen wirkungslos verpufft. Sie waren sozusagen für die Katz. Ich wusste nun wenigstens, wo diese Redensart ihren Ursprung hat.

Doch bevor der kleine Spielkamerad seiner Bestimmung übergeben und er hemmungslos gestreichelt werden konnte, gab es noch Einwände vom hauseigenen Hygieneministerium. „Kinder, ihr könnt noch nicht mit Findus spielen, denn er hat ja frei in der Wildnis gelebt….“ Es folgte eine detaillierte Beschreibung dessen, was so eine Katze alles frisst, und welche Ungeziefer deswegen in ihrem Körper wohnen. Unser Nachwuchs wurde leicht grün im Gesicht. Ich hatte das Wort Fressen vernommen und, naja man ahnt es schon, der Kühlschrank war in greifbarer Nähe. Der Hase zählte derweil die Dinge auf, die notwendig waren, damit so eine Katze haushalts- und kindertauglich würde. Ich erstellte im Stillen eine Hochrechnung der Kosten und mir war klar, ich musste Überstunden schieben.

Es folgten Monate der kindlichen Verzückung und der väterlichen Überflüssigkeit. Ja, ich gebe es zu, ich war eifersüchtig. Jede kleine Bewegung von dem Fellmonster wurde mit freudigem Gejohle bedacht und auch der Hase war hin und weg. Ich konnte da nicht gegen an stinken. Was ich auch tat, niemand schenkte mir Beachtung. Ich versuchte es mit etwas melodramatischeren Mitteln. „Ich glaube ich ziehe aus!“ ließ ich die Bombe beim Abendessen platzen. Allerdings saß ich da schon allein am Tisch. Der Rest der Sippe spielte auf dem Flur mit meinem schärfsten Konkurrenten. Also sprach ich die Worte abermals, nur etwas lauter.

„Ich helf Dir beim Packen“, sagte der Hase. „Oh ja, packen!“ Die Kinder waren begeistert. Es kostete mich einige Mühe klarzustellen, dass ich meinen Vorschlag nicht ernst gemeint hatte. Danach änderte ich meine Strategie und arrangierte mich mit der Situation. Ich versuchte den Kater zumindest zu akzeptieren und er dankte es mir, indem er schnurrend sein Fell an meinem Bein rieb. Hmh, das kam mir bekannt vor. Aber im Gegensatz zu Max, der alten Hyäne, war dies eine rein freundschaftliche Geste, ohne ans Bein pinkeln. Wir hatten eine Übereinkunft geschlossen. Ich verrate jetzt ein Geheimnis. Katzen können reden und ich kann manchmal verstehen, was sie sagen. Findus sah mich an, bewegte seinen Unterkiefer auf und ab und ich sah förmlich die Worte die er sprach vor mir. So als wären es Untertitel in einem Stummfilm. Und er sagte:“Alter, mach Dir keine Gedanken. Du darfst weiterhin hier wohnen bleiben.“ Ich bewegte meinerseits auch den Unterkiefer und antwortete: „Danke!“

Doch, wie es so ist im Leben, nichts währt ewig. Eines Nachts im Winter suchte Findus ein warmes Plätzchen. So sehr er auch eine Spielkatze war, aber nachts war er immer draußen. Das warme Plätzchen, dass er sich suchte, war vermutlich im Motorraum vom Auto unserer Nachbarin. Sie fuhr morgens los und nach wenigen Metern hatte Findus wohl den Halt verloren und kam wörtlich gesehen unter die Räder. Das war auf mehrere Arten tragisch. Einerseits waren unsere Kinder todunglücklich, dass sie ihren Spielkameraden verloren hatten und andererseits war der Hase unglücklich, weil die Kinder unglücklich waren und weil sie ja den Kater auch sehr gemocht hatte. Unsere Nachbarin war erst recht unglücklich, weil sie sehr tierlieb ist und selbst über manch Haustier verfügte. Ich sah das Ganze zwar etwas distanzierter, verkniff mir aber jedwede unsachliche Bemerkung, was mir ein paar Sympathie-punkte einbrachte. Doch die größte Hürde stand noch bevor: die Beerdigung.

Niemand verlangte von mir, dass ich einen Sarg zurecht zimmerte, wofür ich sehr dankbar war. Es wurde ein passender stabiler Karton gesucht und Findus, der trotz des Unfalls noch recht gut erhalten war, darin gebettet. „Darf ich ihm noch etwas zum Spielen hereinpacken?“,, fragte unser Sohn unter Tränen und seine Schwester hatte sogar einen Brief geschrieben, der auch mit in den Karton kam. In einer kleinen Prozession marschierten wir los zu einem Platz, an dem wir ihn bestatten wollten. Ich vorweg mit Spaten und Karton, gefolgt vom Hasen und den Kindern, die immer noch unendlich traurig waren.

„Hier ist es richtig“, befanden die Kinder und wir kamen zum Stehen. Nun war es an mir, das Loch zu graben. Ich holte mit dem Spaten aus und ließ die messerscharfe Schneide gen Erdboden schnellen, von dem sie unvermittelt wieder abprallte, was einen schmerzhaften Stich in meiner Schulter zur Folge hatte. Gefroren! Der Boden war gefroren! Ich holte ein zweites Mal aus und wieder das gleiche Spiel. Auch wenn ich es mir nicht anmerken ließ, aber meine Geduld schwand. Der nächste Versuch! Erfolglos! So ging es ein Weilchen weiter. Mit jedem Hieb verzerrte sich mein Gesicht zusehends und ich begann zu fluchen. „Was für ein besch…ener verfl…chter Schei..boden!“ Die Kinder bekamen Furcht und der Hase wurde ungehalten. „Reiß dich zusammen, oder ich grab Dich gleich mit ein!“ Da durchstieß der Spaten die gefrorene Schicht des Bodens und ich jubelte. Sogleich wurde ich mir aber bewusst, aus welchem Anlass wir uns hier eingefunden hatten und ich grub stumm das Loch für den Karton. Die leicht verdrehten Augen des Hasen, der hinter mir stand, konnte ich förmlich spüren. Der Rest der Beerdigung verlief ohne Zwischenfälle und ich folgte einer plötzlichen Eingebung und markierte die Grabstelle, damit die Kinder sie immer wieder finden würden. Diese Geste versöhnte mich mit meiner Familie.

Nach zwei, drei Monaten, war die Trauerzeit vorbei und niemand hat diesen Ort je wieder aufgesucht. „Das war ein Zeichen dafür, dass wir einfach keine Katze haben sollen“, sagte ich später einmal zum Hasen. „Wahrscheinlich.“ Diese Antwort beruhigte mich und ich schloss mit dem Thema ab. Zu früh, wie sich herausstellen sollte.

Fortsetzung folgt……