Es ist etwas mehr als zwei Jahre her, oder anders gesagt, es war im Januar 2020, da hatte ich mal wieder einen grippalen Infekt oder eine Erkältung, oder beides. Was nicht erstaunlich ist, weil ich in den Jahren davor immer mit einer gewissen Regelmäßigkeit so etwas hatte. Das Besondere in diesem Januar 2020 war der ungewöhnliche Verlauf. Ich möchte ja nicht jammern, aber ein Männerschnupfen war Kindergarten dagegen. Besonders der Husten war ziemlich stark und wollte nicht weichen. Ich habe wochenlang rumgehustet wie ein Tuberkolosekranker und kein Mittel half.
Es war unheimlich und auch wenn ich derlei Erkrankungen im Allgemeinen heldenhaft niederringe (ich weine nur selten und leise), war es diesmal eine komplett andere Hausnummer. Hinzu kam, dass ich so schlapp war, wie ein nasser Lappen. Und das über Wochen. Drei Wochen war ich krankgeschrieben und auch danach war das Ganze kein Zuckerschlecken. Ich glaube nach rund sechs Wochen verschwanden die Symptome langsam und ich muss sagen, ich hatte bis dahin noch nie einen derart langwierigen und heftigen Husten gehabt. Man kann auch zusammengefasst sagen, so eine Form der grippalen Erkältung hatte ich noch nie. Und manchmal habe ich den Verdacht, dass ich, wenn man es damals schon getestet hätte, Covid-positiv gewesen wäre. Ich hätte Patient Null sein können, vom Gefühl her zumindest. Aber da es noch vor Corona Ausbruch war, ist das eher eine Vermutung. Schließlich war ich noch nie in China und in Wuhan schon gar nicht. Und dort ist ja der Ursprung des Unglücks.
Wie gesagt, das ist rund zwei Jahre her und jeder weiß, was in dieser Zeit alles passiert ist. Eine Zeit durch die ich immer gekommen bin, ohne selbst infiziert zu sein. Jeder Test war negativ. Und ich habe viele Tests gemacht, Ich habe so viele Tests gemacht, dass ich mittlerweile ein Nasenloch mehr habe. Ich habe so viele Test gemacht, dass mir das Licht durch die Nasenlöcher in den Kopf strahlt und durch die Ohren wieder austritt. Ich habe so viele Tests gemacht, wenn man die Wattestäbchen aneinanderreihen würde, hätte man die halbe Stecke zum Mond geschafft. Und wie gesagt, alle waren sie negativ. Ich war irgendwie der Chuck Norris der Pandemie. Keine noch so hochinfektiöse Variante konnte mir etwas anhaben. Sie perlten an mir ab wie das Wasser an meinen ungewaschenen Haaren. Ich war unbesiegbar. Zumindest glaubte ich, unbesiegbar zu sein.
Bis neulich. Es ist ein Sonntagmorgen und ich erwache mit Erkältungssymptomen. Jetzt nicht so sehr ausgeprägt, aber schon vorhanden. Und ich habe immer gesagt, wenn ich Symptome habe, werde ich mich auf jeden Fall testen. Man hat ja auch ein gewisse Verantwortung seinen Mitmenschen gegenüber. Also mache ich einen Test. Und weil ich mir ja für keinen billigen Scherz zu schade bin, habe ich schon häufig den fulminanten Witz untergebracht: „Ein Streifen heißt, Du bist schwanger, zwei Streifen, Du bist schwanger mit Zwillingen. Drei Streifen heißen, Du bist Adidas!“ Eine humoristische Sternstunde wie ich finde. Ich mache also diesen Test und wie immer ist das nicht ganz so einfach. Denn Test ist nicht gleich Test.
Es gibt mittlerweile mehr Hersteller für diese Schnelltests, als es Biersorten in Deutschland gibt und jeder kocht da sein eigenes Süppchen. Kein Test ist wie der andere und ich spreche nur von den Tests für die Nase. Beginnt schon damit, dass man das Wattestäbchen unterschiedlich handhaben muss. Während man bei einem ein Stück von der Hirnrinde abschaben muss, reicht es beim anderen, wenn man flüchtig gegen ein Nasenhaar prökelt. Manchmal musst Du im Nasenloch 15 Sekunden im Uhrzeigersinn hin- und herdrehen und manchmal 10 Sekunden an der Nasenscheidenwand langschaben. Manchmal reicht ein Nasenloch und manchmal muss man sich noch ein Weiteres ausleihen. Und dann sehen die Röhrchen, in die Du das vom Schnodder besudelte Wattestäbchen eintauchen musst, auch unterschiedlich aus. Da muss man nun den Nasenabrieb mit der Flüssigkeit im Röhrchen verrühren, das Ganze aufkochen und heiß servieren. Mit einem Minzblatt garniert, kriegt man einen schönen kleinen Cocktail.
Aber mal Spaß beiseite, wenn man nun die Testflüssigkeit mit dem eigenen Sekret angereichert hat, muss man einen kleinen Deckel auf das Röhrchen schrauben, drücken oder stecken (je nach Hersteller) und dann einige Tropfen in ein Tropfenauffangfenster auf dem Teststreifen träufeln. Wie viele, das ist auch wieder unterschiedlich und weil man ja nichts falsch machen will, liest man die Beschreibung auf der Verpackung durch. Was aber auch nicht sooo einfach ist. Mein Handy hat eine Lupenfunktion und mit der Vergrößerung eines Sternenteleskops erkennt man Konturen in der winzigen Schrift auf der Verpackung. Man könnte sich glatt zu der Vermutung hinreißen lassen, dass es Buchstaben seien. Unklar bleibt ob es Deutch, Kyrillisch oder Chinesisch ist, was man da liest und das kommt mir spanisch vor. Ich sehe ja ein, dass diese Tests notwendig sind und dass es mehrerer Hersteller bedarf, um den Bedarf abzudecken. Aber warum zum Geier kann man da keine einheitliche Norm machen, wie diese Tests gestaltet sein sollen und ob man nun zwei, drei oder vier Tropfen auf dieses Fenster träufeln muss. Ist das typisch deutsch, oder ist die ganze restliche Welt auch so doof?
Hier muss ich nun vier Tropfen tropfen. Was aber für mich auch etwas schwierig ist und mit einer Lesebrille, die ich aus Eitelkeit nur selten aufsetze, dann letztendlich doch gut funktioniert. Und dann beginnen die bangen Minuten. 15 Minuten sind es in der Regel, in denen man auf diesen Test starrt und auf die Information wartet, die die eigene Nase freigegeben hat. Ich gehe davon aus, dass eigentlich jeder schon gesehen hat, wie das funktioniert, weswegen ich mir eine genauere Beschreibung verkneifen werde. In den unzähligen Tests, die ich bisher hatte, verlief das alles nach Plan. Das längliche Fenster, also das Schaufenster sozusagen, verfärbte sich mit einem ansteigenden Balken und in Höhe des Buchstabens C tauchte dann irgendwann ein Streifen auf. Schwanger! Der Buchstabe T unter dem C blieb immer ohne Streifen.
Diesmal ist es anders und es bildet sich zunächst bei T ein Streifen. Und weil ich auch immer ein bisschen zur Verwirrtheit neige, wusste ich in diesem Moment nicht, dass das ein schlechtes Zeichen ist. Erst als der zweite Strich bei C dazukommt schwant mir, was die Stunde geschlagen hatte. Es ist 8.45 Uhr. Aber das tut hier nichts zur Sache. „Hase“, sagte ich, „Hase, ich kriege Zwillinge!“ „Watt?“, fragt der Hase und weiß nicht was ich meine. Sie kannte den Witz wohl nicht. „Ich habe zwei Streifen auf dem Test!“ Im Bruchteil einer Sekunde ist unser Haus, das einen friedlichen Sonntagmorgen beherbergte, zu einem virologischen Hochsicherheitstrakt mutiert. Wir haben sofort Masken im Gesicht und ich beziehe das Zimmer unserer Tochter, die nicht mehr bei uns wohnt. Natürlich war die Gefahr groß, dass ich den Hasen schon angesteckt haben könnte, aber wenn nicht, dann wollten wir nichts riskieren.
Ich habe das Zimmer noch nicht ganz erreicht, da hat der Hase auch schon einen Termin beim nächsten Testzentrum für mich gemacht, um mit deren Mitteln vorläufig diesen Befund zu bestätigen. Mein Hase ist immer schnell, wenn es um sowas geht. Und da ich ein bisschen klöterig bin und leicht benommen, bin ich froh, dass ich mich nicht darum kümmern muss. Ehrlich gesagt, hätte ich jetzt auch gar nicht gewusst, ob man zu einem Testzentrum muss und wo das nächste seiner Art ist. Aber meine Haseneinsatzzentrale leistet bei sowas immer ganze Arbeit. Eine Verlässlichkeit, die mir sehr gefällt, muss ich sagen und mit präzisen und kurzen Informationen erhalte ich meinen Marschbefehl: „Heute, Sonntag, zehnhundertzwanzig, in Rotenburg gegenüber vom Krankenhaus, einfinden, testen und rückmelden!“ Ich schlage die Hacken aneinander, salutiere aus der Ferne (man geht sich ja aus dem Weg) und schmettere ein strammes: „Jawoll !!!“ Dann mache ich auf dem Absatz kehrt und fahre zackig los.
Das Testzentrum ist gut besucht an diesem Sonntagmorgen. Ich gehe rein, vorbei an einigen Gestalten, die hier apathisch sitzen oder stehen. Sie sehen so aus, wie ich früher, wenn ich um fünf Uhr morgens angesäuselt ins Bett gekommen und dann viel zu früh aufgestanden bin. Es überfällt mich ein zwiespältiges Gefühl. Einerseits denke ich, könnten die mich hier anstecken, falls mein Test doch negativ ist und andererseits frage ich mich, ob ich eine Gefahr für die Leute hier bin, wenn es beim Positiven bleibt. Wir tragen alle eine Maske und keiner blickt dem anderen in die Augen. Eine freundliche junge Dame in Ganzkörperschutzkleidung und maskiert, winkt mich zu sich heran. Ich nenne meinen Namen und sage, dass mein Hase, äh meine Frau mich schon angekündigt habe. Und zusätzlich erwähne ich, dass mein Selbsttest positiv gewesen ist.
„Das ist gut, dass Sie das so offen sagen“, sagt sie, „dann können wir damit auch anders umgehen.“ Anscheinend ist es nicht selbstverständlich, dass die Leute diese Information weitergeben. Und während ich mich frage, warum das so ist, werde ich schon zur Kollegin geschickt. Die ist genauso gekleidet, wie die Empfangsdame und wenn ich nicht wüsste, wo ich bin, würde ich mich schon fragen, in welchem Fetischkeller ich mich hier befinde. Der Unterschied von dem Test hier, zu dem Test zu Hause ist der, dass mit dem Wattestäbchen zunächst im Rachen rungerührt wird und dann genau dieses Stäbchen in die Nase gesteckt wird. Und auch wenn es sich um meine eigenen Körperflüssigkeiten handelt, fühlt es sich so an, als würde ein Fremder in meiner Nase popeln.
Ich bin schneller wieder draußen aus diesem Zentrum, als ich reingekommen bin und meine ein leichtes Aufatmen zu vernehmen. Wahrscheinlich haben die anderen Wartenden solange die Luft angehalten. Würde die bläuliche Gesichtsfärbung bei manch einem von ihnen erklären. Ich steige ins Auto und mache eine erste telefonische Meldung, dass ich hier fertig bin und nach Hause käme. Dort angekommen, gehe ich kontaktlos direkt nach oben in mein Quarantänezimmer und lege mich hin. Denn auch wenn die Symptome nicht gravierend sind, fühle ich mich schon ziemlich erkältet. Und weil ich ja auch schon alt bin und ein paar Vorgeschichten habe, ist auch der Hase sehr darauf bedacht, dass ich mich schone. Und ich bin auch darauf bedacht, dass zu tun, was der Hase mir sagt. Zumindest in dieser Situation.
Ich lege mich hin und die Maske ab. Einmal Treppe steigen reicht, um mich an den Rand der Erschöpfung zu treiben. So ist es zumindest sonst immer, an jedem Tag, aber heute ist es erschöpfender. Ich bin platt und der Rest der Familie und ich nutzen nun in den eigenen vier Wänden die modernen Mittel der Kommunikation. Facetime heißt das Zauberwort. Zumindest sagt der Hase, dass es so heißt und mir fehlt die Energie um herauszufinden ob das stimmt oder nicht. Also telefonieren wir mit Videofunktion. Ist so als ob man normal miteinander reden würde, nur ganz anders. Es ist etwas unpersönlich und man fällt sich immer wieder gegenseitig ins Wort, weil es keine ganzheitlichen körperlichen Signale gibt, ob jemand seinen Wortbeitrag beendet hat. Aber dass sowas überhaupt möglich ist, ist schon sehr gut, denn wir müssen nun einige strategische Dinge besprechen. Dinge wie, wer wann wo ist und wie man sich aus dem Weg gehen kann. Und mal ehrlich, ich danke dem Herrn, dass wir ein ganzes Haus haben und einen Garten darum und nicht nur eine Zweizimmerwohnung im Wohnblock. Natürlich bin ich in der Hauptsache auf ein Zimmer eingeschränkt, aber es gibt einen Fernseher, mehrere Streaminganbieter, meinen Kopfhörer, das Internet und ein gemütliches Bett. Der Garten Eden für den Infizierten. Ich glaube, ich komm hier bestens klar.