Hin und weg

Zu den größten Widrigkeiten der zivilen Luftfahrt gehören neben Personalmangel, Streiks und Kofferverlust auch oft die Leute, die in den Flieger steigen. Sie nennen sich Passagiere und es gibt auch immer wieder ein paar besondere Exemplare unter ihnen. Und ich würde mal gerne beantragen, dass es extra Maschinen für Familien mit kleinen Kindern geben sollte. Es gibt ja auch schon Hotels nur für Erwachsene. Da wäre eine Familienfluglinie mit schalldichten Abteilen, unkaputtbarem Mobiliar und Schlagwerkzeugen, mit denen man diesen Status austesten könnte, die Marktlücke überhaupt.

Zumindest kommt mir gerade der Gedanke, als ich mit meiner Familie auf dem Rückflug von Mallorca bin und eine Handvoll ADHS gefährdeter kleiner Satanisten für ein bisschen angespannte Stimmung sorgen. Hinter mir und meinem Sohn sitzen zwei dieser entzückenden Exemplare zusammen mit der überforderten Mutter, während der Vater dieser Brut auf der anderen Seite des Ganges sich seine Airpods so tief in die Ohren gesteckt hat, dass er nicht Zeuge dessen werden muss, was seine Nachkommen während der Flugzeit so treiben. Im Stillen hofft er, dass niemand eine Verbindung zum Rest seiner Familie herstellen kann und erst recht, dass seine Frau nicht vielleicht verlangt, dass er sich auch mal um die Kinder kümmern könnte. „Wer sind Sie? Und von welchen Kindern reden Sie?“, würde er dann am liebsten antworten.

Beide Kinder haben diese Art von Stimmlage und Ausdrucksweise, die einen schon nach wenigen Minuten auf die Palme bringen kann: „Quengel, Kreisch, Jaul, Heul und Mama dies und Mama das.“ Dazu noch das bisher unerfüllte Verlangen den Bewegungsmangel in irgendeiner Form zu kompensieren. Wie sich schnell herausstellt, geht das am Besten, wenn man den eingeklappten Tisch, der in der Rückenlehne des Vordersitzes integriert ist, aufklappt und wieder zuklappt und wieder aufklappt und wieder zuklappt. Das ergibt so ein hübsches Klappern und die Rückenlehne wackelt so lustig.

So ungefähr 12 Mal in der Minute wird geklappert und das Ganze über zwei Drittel der Flugzeit. Hinter mir sitzt die Mutter, hinter unserem Sohn eines der verhaltensauffälligen Kinder. Und es gibt sich enorm viel Mühe bei der Sache mit dem Tisch. Das erkenne ich an seiner unaufhörlich wackelnden Rückenlehne. Hören kann ich es allerdings nicht. Ich habe auch Airpods, die mich akustisch abkapseln. Unser Sohn hat zwar auch welche, aber er hat keine Lust Musik zu hören. Er wird diesen Entschluss während der nächsten zweieinhalb Stunden noch mehrfach bereuen. Er schwankt permanent zwischen Hyperventilation und dem Drang einfach mal auf den (aufgeklappten) Tisch zu hauen oder den Einsatz von Handschellen zu erwägen. Da unser Sohn aber ein sehr sehr netter Mensch ist, nimmt er sein Schicksal an und springt nicht mit dem Fallschirm ab.

Außerdem an Bord in unserem Bereich noch ein paar andere Kinder, mehr oder weniger laut und unruhig, aber die Schlimmsten haben wir hinter uns. Ja, ich weiß, es klingt ein wenig so, als wäre ich ein Kinderhasser. Schließlich habe ich auch zwei Kinder, die vor vielen Jahren auch mal klein waren. Aber ich schwöre, so waren sie nicht. Unsere Kinder hätten gefragt: „Mutter, Vater, können wir vielleicht mal laut sein und allen Leuten auf den Sack gehen?“ Und wir hätten gesagt: „Nein liebe Kinder, das dürft ihr nicht.“ Damit wäre die Sache gegessen gewesen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es so gewesen wäre. Ich mache diesen Kindern hier auch keinen Vorwurf. Es ist ein bisschen wie bei Hunden. Wenn ein Hund völlig aus dem Ruder läuft, dann sagt man, das Problem ist am anderen Ende der Leine. Und bevor man mich falsch versteht, ich bin nicht für Leinenzwang bei Kindern. Obwohl, wenn ich so nach hinten blicke……

Der aufmerksame Leser wird festgestellt haben, dass ich im Flieger sitze. Zusammen mit dem Hasen und unseren Kindern und dass wir augenscheinlich auf Mallorca waren. Man muss jetzt keine übermäßige Kombinationsgabe an den Tag legen, um zu wissen, dass wir hier einen Urlaub verbracht haben. Einen überfälligen Familienurlaub mit neun Übernachtungen. Eine recht lange Zeitspanne, die aber das Paradoxon aufzeigt, dass Zeit nicht immer eine messbare physikalische Einheit ist. Denn jetzt, in dem Augenblick als die Maschine abhebt und die Insel unter uns rasant schnell immer kleiner wird, ist es mir, als wäre ich vor fünf Minuten erst hier gelandet. Als stünde uns dieser Urlaub noch bevor und ist nicht schon zu einer Erinnerung geworden. Als wäre nicht diese Wehmut in mir, sondern noch die Vorfreude. Aber so ist nun mal der Lauf der Dinge. Auch die schönsten Sachen finden ein Ende.

Und ja, unser Urlaub war wirklich ein schöner Urlaub. Ein Urlaub, dessen Geschichte eigentlich viel früher angefangen hat. Den schon seit Jahren war es dem Hasen und mir ein großes Bedürfnis endlich mal die Kinder zu schnappen und irgendwohin zu fliegen, wo es schön ist und warm und uns nette Menschen in einem schönen Hotel rundum verwöhnen. Nun sind unsere Kinder schon erwachsen und teilweise auch schon ausgewildert. Deshalb war der erste schwierige Schritt, einen Termin zu finden, an dem alle Zeit hätten. Vier Leute, vier Arbeitgeber, vier Urlaubsanträge, das ergibt eine leicht komplexe Schnittmenge. Ein Ziel war relativ schnell klar, denn ich war noch nie auf Mallorca und wollte schon immer da hin. Aber nicht zum Eimersaufen. Schließlich bin ich ein beinahe abstinenter Mensch und immer seriös bis ins Mark.

Nee, jetzt wirklich. Ich hatte schon oft gehört, dass Mallorca auch jenseits seiner unbegrenzten Alkoholvorräte sehr schön sein soll. Der Hase war schon dreimal auf der Insel. Einmal bevor wir uns kannten und zweimal am Ballermann mit einer Mädelstruppe. Und der Hase wollte auch gerne mal wieder hier hin, also auf die Insel und den Kindern war es letztlich egal, wohin die Reise gehen würde. Hauptsache ein Strandurlaub. Sonst hatten sie keine Wünsche. Na gut, ein schönes Hotel, eine tolle Umgebung, lecker Essen. Aber ansonsten war es ihnen eigentlich ziemlich egal, wo wir landen würden.

Das Buchen der Reise haben wir Anfang des Jahres wieder mit dem Reisebüro unseres Vertrauens abgewickelt und der Mensch dort hatte auch gleich ein paar Vorschläge, wo man auf der Insel sein sollte und der Hase war, wie immer, bestens vorbereitet und die beiden palaverten über Gegenden, die mir fremd waren und ich beschloss, einfach mal ja zu sagen zu dem, was die beiden auswählen würden. Schließlich jedoch stellte man mich vor die unlösbare Aufgabe aus zwei Varianten zu wählen. „Was meinst Du“, fragte der Hase, „dies Hotel hier, oder das andere?“ „Ja“, sagte ich abwesend und man wusste gleich, dass ich keine große Hilfe sein würde. Am Ende der umfangreichen Verhandlungen stand ein Ziel (Can Picafort) und ein Hotel (Picafort Beach) und ich nickte artig und hatte beide Namen vergessen, als wir das Reisebüro verließen.

Ich wurde im Laufe der Monate noch häufig von Bekannten und Kollegen angesprochen, wohin unsere Reise gehen würde und ich habe mir ehrlich versucht es zu merken, aber ich habe es nie behalten. „Mallorca, irgendwie dicht an irgendeinem Strand“, war meine Antwort. Aber ehrlich gesagt, es war mir auch ein bisschen egal. Ich wusste, dass Herr Reisebüro und mein Hase schon wüssten, was sie tun und das Richtige finden würden. Es würde mir auf jeden Fall gefallen. Allein schon, weil ich endlich einmal mit meiner Familie diesen Urlaub hinkriegen würde. Das war das Wichtigste. Alles andere wird sich finden, dessen war ich mir sicher.