Zwischen der Buchung unserer Reise und dem eigentlichen Abflug lagen noch ein paar Monate. Monate, in denen der Hase sich vorfreute. Und wenn die Freude zu groß wurde, dann verunsicherte sie sich selbst immer wieder mit dem Lesen von schlechten Bewertungen über unser Hotel. Und die Angst, dass unser Urlaub nicht der perfekte Urlaub werden könnte, wie ihn der Hase im Stillen schon geplant hatte und dass wir alle unzufrieden sein könnten und den Hasen indirekt dafür verantwortlich machen könnten, war groß beim Hasen. Unbegründete Sorgen. Denn ich würde den Hasen nie indirekt für den Zustand des Hotels verantwortlich machen. Das würde ich schon direkt machen.
Was natürlich ein Scherz ist, denn sowohl die Kinder als auch ich waren über die gesamte Zeit zuversichtlich, dass wir genau den Urlaub erleben würden, den wir zu erleben uns gewünscht hatten. Aber das Jahr 2022 wäre nicht das Jahr 2022, wenn es nicht auch ein paar Überraschungen parat halten würde und diese nicht unbedingt positiv wären. Ein paar Wochen bevor wir abheben, melden einige deutsche Flughäfen Schwierigkeiten. Es fehlt an Bodenpersonal. Komischerweise haben die Leute, denen wegen Corona gekündigt wurde, nicht zwei Jahre lang abgewartet, bis sie wieder anfangen durften zu arbeiten und sich zwischenzeitlich neu orientiert. Und ebenso komischerweise haben alle großen Fluggesellschaften dieses Problem erst erkannt, als schon Holland in Not war.
Und was macht man, wenn man so ein Problem erkennt? Man sitzt es aus und wartet ab, was sich so ergibt. Das ist, als würde man im Kanu auf einen Wasserfall zufahren und die Paddel wegschmeißen, in der Annahme, dass der Wasserfall vielleicht ja noch eingeebnet wird. Wer konnte auch schon erwarten, dass die Menschen in ihren Ferien wegfliegen? Ganz neue Sitten. Und wie groß die Überraschung doch ist, wenn weniger Arbeitskräfte mehr Arbeitsaufwand nicht einfach mal eben kompensiert kriegen. Wie da die richtige Lösung aussehen könnte, weiß ich im Detail auch nicht. Aber ich bin ja auch keine Fluggesellschaft. Aber in meiner einfachen Gestricktheit habe ich die Vermutung, dass es irgendwie nützlich sein könnte, wenn man sich rechtzeitig um mehr Personal kümmert. Nur so ein verwegener Gedanke.
Man kann natürlich auch mit Beginn der Urlaubszeit die Nachricht raushauen, dass man in den nächsten Wochen 2.000 Flüge streichen möchte. Da es an allen Ecken und Enden fehlt, bricht auch bei der Gepäckabfertigung das Chaos aus. Tausende Koffer bleiben erstmal auf der Strecke und verschwinden oder fliegen gar nicht erst los. Vor den Sicherheitschecks bilden sich Schlangen, die seit der Fall der Mauer in dieser Form nicht wieder erreicht wurden. Es gibt Sondersendungen im Fernsehen und Fluggäste werden ersucht, online Check in zu betreiben und statt der üblichen zwei Stunden, mindestens vier Stunden vor Abflug am Flughafen einzutreffen.
Das alles fängt rund zwei Wochen vor unserem Abflug an und verschlimmert sich täglich. VERDI kündigt Warnstreiks an, sofern denn Personal da ist, das streiken könnte. Wenn ich ehrlich bin, ist nicht nur der Hase beunruhigt. Auch der Rest der Familie blickt sorgenvoll auf die Nachrichtenlage. Unser Flieger wird unter den ersten sein, die morgens abheben und es gibt eigentlich täglich einen Flieger, der zu dieser Zeit abhebt und gen Mallorca fliegt und jeder dritte fällt aus oder fliegt verspätet ab. Wir können nur abwarten und vielleicht auch mal ein paar Bewertungen für unser Hotel lesen.
Die allermeisten sind echt super ausgefallen, aber es gibt ja auch immer ein paar Leute, die etwas zu bemängeln haben. Nur wenige vergeben dabei lediglich einen der fünf möglichen Sterne und ich werde das Gefühl nicht los, dass diese Menschen einzig auf Reisen gehen, um sich im Nachhinein einfach nicht wohlgefühlt zu haben. Weil sie nicht in der Lage waren, ihre Beanstandungen an Ort und Stelle vorzubringen. Einen Stern vergibt man, wenn die Bettwanzen die Bettwäsche wegtragen. Einen Stern vergibt man, wenn das Essen gammelig, das Personal unfreundlich und das Hotel eine Baracke ist. Einen Stern zu vergeben, für ein 4-Sterne Hotel ist eigentlich irgendwie so richtig, wie man den deutschen Urlauber als Klischee sehen möchte. Wird Zeit, dass wir hier mal einmarschieren und für Ordnung sorgen. Genug Deutsche sind ja schon da.
Und auch wenn man sich dagegen wehrt, bleiben Ausdrücke wie Kantinenessen und schlechte Schallisolierung im Hinterkopf. Vielleicht ist ja auch was dran, an den Sachen. Ich beschließe mich überraschen zu lassen. Währenddessen kümmert sich der Hase zwei Tage vor Abflug darum Online einzuchecken. Ein einfacher Vorgang, bei dem man die vorhandenen Daten eingibt und dann einen QR-Code bekommt, mit dem man sich am Schalter später viel Zeit spart, oder wenn man mutig ist, an einem Automaten das Gepäck aufgeben und somit einchecken kann.
Und wie so oft im Leben gibt es einen Unterschied zwischen Theorie und Praxis. Wir haben nicht nur den Flug gebucht, sondern auch schon die Sitzplätze reserviert. Das kostet pro Flug und Person 15,- Euro. Macht zusammen 120,- Euro. Lustigerweise tauchen bei den Buchungsbestätigungen der Airline nur zwei von uns als Reisende auf. Da ich dabei bin, macht mir das nicht viel aus. Ich komm schon mal hin. Über den Reiseveranstalter tauchen auch die beiden anderen auf. Aber mit dem Erstellen der digitalen Bordkarten lässt sich das nicht vereinbaren. Und von einer Sitzplatzreservierung ist überhaupt nicht die Rede. Also sind die ersten 60,- Euro für die Katz. Und der Hase in Panik. So kurz vorm Abflug noch so viel Ungewissheit, das sind so Dinge, die liebt mein Hase.
Wir kontaktieren unser Reisebüro und der Reisebüromann kümmert sich, hängt eine 3/4 Stunde in irgendeiner Warteschleife und kriegt dann das Kunststück hin, dass wir unsere Bordkarten bekommen. Die Sitzplätze für den Hinflug muss er neu reservieren, da niemand eine Reservierung unsererseits erkennen kann. Keine Ahnung, was da alles nicht gepasst hat, aber nun ist alles in Ordnung und wir können losfahren.
Was wir dann auch machen. Unser Flug geht morgens um 6.12 Uhr ab Hamburg und der Flughafen öffnet 3 Stunden vorher. So steht es jedenfalls im Internet und um 3.30 Uhr beginnt der Check in. Und weil wir diese tumultartigen Szenen aus dem Fernsehen kennen und einen aufgebrachten Mob vor dem Eingang befürchten, wollen wir versuchen, zumindest so weit wie möglich, vorn in der Menschenmenge zu sein. Es gehen in der ersten Stunde rund 20 Flieger in alle möglichen Richtungen und selbst bei vorsichtigen Schätzungen ergibt das rund 4 bis 5.000 Reisende, die da an die Tür klopfen werden. Ich habe keine genauen Kenntnisse vom Hamburger Flughafen, aber mir erscheint ein Bild, in dem die Bevölkerung einer kleinen Kleinstadt auf einmal durch zwei Türen in das Gebäude gelangen will. Das sieht in etwa so aus, wie der Sand, der durch eine Sanduhr fällt. Und wir wollen bei den Sandkörnern ganz weit vorne sein.
Deshalb fahren wir um 1 Uhr nachts los und haben gut eine Stunde Fahrtzeit vor uns. Dann wären wir also um zwei vor Ort. Das sollte eigentlich reichen. Und weil das so mitten in der Nacht ist, legen wir uns um 19 Uhr ins Bett und versuchen zu schlafen. Und ich befürchte, dass es nicht meine Schlafzeit sein wird. Wir ziehen die Jalousien runter und verdunkeln das Schlafzimmer so gut es eben geht. Und der Hase liegt neben mir und sagt: „Ich glaube ich werde gar nicht einschlafen können.“ Wobei sie das letzte Wort schon ganz schwach ausspricht. Als ob man sie sediert hätte, schläft der Hase innerhalb von wenigen Minuten ein. Sie hat ja dieses Schlaftalent, um das ich sie wirklich beneide. Egal zu welcher Tageszeit, wenn der Hase zum liegen kommt, dann schläft der Hase.
Ich liege natürlich noch wach. Ich würde aber gerne schlafen. Also beginne ich Schafe zu zählen. Ein Schaf, mäh, zwei Schafe, mäh, mäh, drei Schafe, mäh, mäh, muh (?) und so weiter. Das ist zwar ziemlich langweilig, hilft aber nicht weiter. Ich gehe sonst im Allgemeinen lieber um Mitternacht ins Bett. Dass ich zu dieser Zeit nun aufstehen soll, ist wider meine Natur. Ich wälze mich hin und her und wecke dadurch den Hasen auf. Weswegen der Hase nicht wirklich begeistert ist. Wir grummeln uns an und ich gehe runter, leg mich aufs Sofa und hoffe dort den Schlaf zu finden, der eigentlich langsam mal nötig ist. Um halb eins schlafe ich ein. Für fünf Minuten, dann regt sich Leben im Haus. Wir fahren pünktlich los und ich habe Ringe unter den Augen. Der Rest der Mannschaft hat entweder wenig (unser Sohn) oder fast gar nicht (unsere Tochter) geschlafen. Der Hase kriegt aber ein paar Stunden zusammen.
Den Platz im Parkhaus haben wir schon langfristig im Vorfeld gebucht und eine Nummernschilderkennung an der Schranke erkennt unser Auto und die Schranke öffnet sich. Was es nicht alles gibt auf der Welt. Der Weg vom Parkhaus zum Terminal ist nicht weit und zu unserer großen Überraschung hat der Flughafen schon geöffnet. Wir gehen rein, es ist ruhig und einige müde Gestalten schlurfen durch die große Halle vom Terminal 1. Wir finden den Schalter, der für unseren Flug zuständig sein wird und stellen uns in eine übersichtliche Schlange an. Vor uns zwei junge Frauen, die zusammen einen Koffer als Reisegepäck haben. Zwei Frauen, ein Koffer? Wie soll das gehen? Ich habe nur einen Hasen und der braucht anderthalb Koffer. Ich glaube, ich muss mit dem Hasen mal ein ernstes Gespräch darüber führen, was man unbedingt in seinen Koffer packen muss und was nicht.
Die Mädels vor uns haben einen Koffer mit dreistelligem Zahlenschloss. Was irgendwie blöd ist, weil sie das Schloss aus Versehen aktiviert haben, ohne den richtigen Code zu kennen. Ich habe mal gegoogelt, sie haben tausend mögliche Zahlenkombinationen und sie probieren sie alle aus. Zumindest so lange, wie sie noch warten müssen. Es ist ja noch Zeit bis es losgeht. Unsere Koffer haben ebenfalls alle ein Zahlenschloss und ich bete, dass keins davon aus Versehen aktiviert wird, traue mich aber nicht, zu kontrollieren, ob das nicht eventuell schon geschehen ist. Wahrscheinlich würde ich da versehentlich irgendwas in Gang bringen.
Die Reihe vor unserem Abflugschalter wird immer länger und wir sind im vorderen Drittel. Und ich habe das unbestimmte Gefühl, dass wir einfach mal alles richtig gemacht haben. Ein sehr schönes Gefühl. Neben uns ist eine weitere Schlange vor den Automaten, an denen man sein Gepäck persönlich aufgeben und hoffen kann, dass da alles mit rechten Dingen zugeht. Unser Mann vom Reisebüro hat uns geraten lieber den normalen Schalter zu nutzen. Und wir sind uns einig, auf ihn zu hören. Die Automaten öffnen übrigens auch erst, wenn der normale Schalter öffnet.
Dann ist es soweit, ein paar Damen vom Bodenpersonal nehmen Platz und eröffnen das Bording. Ich glaube zumindest, dass es das Bording ist. Zunächst sind es drei Schalter, die die Menge abwickeln und es geht erstmal schleppend voran. Dabei wird die Menge ab einem gewissen Punkt durch eine Art Irrgarten geführt, damit nicht alle hintereinanderstehend den Flughafen blockieren. An diesem Punkt angekommen, steht ein Mitarbeiter, der uns überreden möchte, die Automaten zu nutzen, weil das schneller geht. Wir verneinen und gehen in den Irrgarten. Der Hase sieht, dass es beim Automaten schneller geht und sagt: „Beim Automaten geht es schneller.“ Sie würde am liebsten umkehren, aber wir sind schon so mitten drin, dass wir nur für Chaos, Tumult und Unruhe sorgen würden, wenn wir umkehrten. Die Zombies um uns rum würden das nicht gut finden und ich wollte nicht gegessen werden.
Man muss halt auch mal Geduld haben. Eine Paradedisziplin vom Hasen. Mit jeder Minute die vergeht wird sie unruhiger. Sie blickt sorgenvoll auf den schleppenden Fortschritt bei uns und kummervoll auf die Automatenabfertigung, die sehr schnell vorangeht. Sollten wir letzten Endes doch die falsche Entscheidung getroffen haben? Was, wenn wir dadurch unseren Flieger nicht mehr erwischen würden? Schließlich müssen wir ja noch durch die Sicherheitskontrolle und da soll das Chaos ja richtig groß sein, denn es gibt nur eine Kontrolle für das ganze Terminal, also für fast alle der 20 Flüge, die hier in der ersten Stunde abheben.
Die Sorge ist unberechtigt, denn wir sind doch recht schnell durch und noch viele Leute sind hinter uns. Sehr viele Leute um genau zu sein. Die Koffer sind weg und ich verabschiede mich von unserem Gepäck, ohne zu wissen, ob wir es jemals wieder sehen würden. Für den Notfall haben wir ein paar Sachen im Handgepäck. Ein T-Shirt, eine kurze Hose und eine Unterhose zum Wechseln (ach, sowas macht man?). Wir gehen zum Ende der Schlange vor der Sicherheitskontrolle. Zumindest denken wir, dass das was wir sehen, das Ende der Schlange ist. Doch statt der rund zwanzig Meter, die wir vermutet haben, geht diese Schlange einmal durch das ganze Terminal. Ich weiß nicht, wie viele Menschen vor uns sind, aber ich glaube mit 1.500 bin ich schon recht nah dran. Und das Beste ist, es geht überhaupt nicht vorwärts. Angesichts der Tatsache, dass in rund einer Stunde der Flieger geht, ist die Stimmung nicht nur beim Hasen angespannt.
„Was, wenn wir es nicht schaffen?“, fragt der Hase und ich sage: „Natürlich schaffen wir es.“ Und ich denke: „Was, wenn wir es wirklich nicht schaffen?“ Da sogar unsere Kinder schon ein wenig mit der Situation hadern, und das tun sie so schnell nicht, versuche ich die größtmögliche Sicherheit auszustrahlen. Im Inneren schiebe ich Panik und möchte losstürmen und sagen: „Lassen Sie mich durch, ich bin Arzt!“ Aber nachher gibt´s einen medizinischen Notfall und ich möchte niemanden versehentlich ins Jenseits befördern. In diesem Moment geht ein Ruck durch die Schlange und haben wir für die ersten Meter noch gut 10 Minuten gebraucht, so sprinten wir beinahe mit einem Mal durch das Terminal. Der sichtbare Teil der Schlange geht irgendwann durch eine Tür durch und unsere Tochter, die hier schon mal losgeflogen ist, sagt, dass dahinter auch wieder diese Irrgartenabtrennung ist und uns noch viel Chaos erwartet.
„Ach, was Du immer hast“, sage ich und vermute, dass sie sich nicht richtig erinnert. Es hilft auch keinem weiter, jetzt unnötig Panik heranzutragen. Wir erreichen die Tür und ich blicke als Erster hindurch. Ein Ameisenhaufen ist eine Oase der Ruhe gegen das, was ich sehe. Überall Menschen in verschiedenen Schlangen. Dir Stimmung ist gereizt, Kinder weinen, alte Leute wissen nicht mehr weiter und manch einer kann sich mit Mühe beherrschen, um hier nicht lauthals loszuheulen. Ich bin der Mancheiner. „Wir werden es nicht schaffen“, sage ich. Wasser auf des Hasens Mühlen und die Kinder sind auch nicht gerade hoffnungsvoll.
Aber ich muss dem Personal mal meine Hochachtung aussprechen, denn wie durch Zauberei kriegen sie die Massen an Reisenden bewältigt und wir sind eine halbe Stunde vor Abflug an dem richtigen Gate. Das haben sie wirklich exzellent gemacht. Jetzt kann der Urlaub losgehen. Wir sind ebenso erschöpft wie glücklich und verdrängen die Tatsache, dass wir mal eben die Nacht durchgemacht haben. Wie in alten Zeiten, als man bis zum Morgengrauen auf Partys war. Nur konnte man sich danach hinlegen und schlafen. Das geht jetzt nicht. Aber es ist Urlaub. Wir werden das schon hinkriegen. Im Flieger sitzen wir jedenfalls schon und das ist ein enorm gutes Zeichen. Es wäre schön in diesem Zusammenhang, wenn er auch starten und landen würde und das möglichst unversehrt und möglichst mit uns an Bord.