Ich habe es nicht so mit Namen. Also mit den Namen von Leuten, die ich kurz kennenlerne und an die ich mich dann im Nachhinein wieder zu erinnern versuche. So als wenn man mal irgendein Telefonat mit einer Versicherung, oder dem Stromanbieter, oder sonst einem Servicewüstenaußenbereich geführt hat und man sich klugerweise den Namen des Gesprächspartners hat geben lassen. Schließlich will man ja im Fall, dass irgendwas nicht rund läuft, was natürlich niemals, auf gar keinen Fall vorkommt (ich hoffe die feine Ironie ist ein wenig durchgedrungen), wissen, mit wem man gesprochen hat. Also lasse ich mir den Namen geben, wiederhole ihn im Laufe des Gesprächs noch ein paarmal, damit er im Hirn haften bleibt und wenn ich dann auflege, ist das alles wie weggeblasen. Mit Ach und Krach kann ich mir noch zusammenreimen, ob es ein Mann, oder eine Frau war, mit dem oder der ich gesprochen habe. Aber der Name ist weg und musste in meinem Gedächtnis so fundamentalen Dingen, wie: „Ist noch genug Schinken im Kühlschrank?“ weichen. Wobei ich jetzt nicht weiß, ob wirklich genug Schinken im Kühlschrank ist. Ich sollte mal nachsehen.
Aber das wollte ich ja eigentlich gar nicht sagen. Habe den Faden verloren. Auch so eine Eigenschaft von mir. Also Moment, ich lese mal nach, was ich eigentlich wollte…..Ach ja, Namen. Ich vergesse sie einfach zu schnell. So auch den Namen von dieser Frau, die allein eine Bierzeltgarnitur bevölkert und zu der wir uns, nach Anfrage natürlich, setzen.
Da fällt mir ja ein, es wird nun niemand wissen, wer „wir“ sind und wo wir sind und was es mit der Bierzeltgarnitur auf sich hat. Meine Erzählstruktur ist mitunter ein bisschen sprunghaft. Vielleicht sollte ich etwas früher in die Geschichte einsteigen, damit auch meine zweieinhalb treuen Leser sich ein bisschen besser zurechtfinden. Also, nun von vorn.
Wer das zweifelhafte Vergnügen hat, mich besser zu kennen und auch nur ansatzweise einen Funken Interesse für Musik hat durchblicken lassen, der wird, ob nun ungewollt oder nicht, mit meiner Musik in Kontakt gekommen sein. Mit „meiner Musik“ ist nicht gemeint, dass ich selbst welche mache. Dieses ebenso zweifelhafte wie nervtötende Schicksal ist sowohl der aktuellen, als auch der Nachwelt erspart geblieben. Bis auf ein paar Gesangseinlagen (betrunken und schlecht in früheren Zeiten und ebenso schlecht aber unhörbar weil die Musik laut genug ist, auf Konzerten) und den heiligen drei Akkorden auf der Gitarre, von denen ich eigentlich nur einen konnte, habe ich mich nie durch eine, wie auch immer geartete, Musikalität hervorgetan.
Ja, ich weiß, mein Satzaufbau ist mitunter ein bisschen kompliziert. Aber so arbeitet es in meinem Hirn. Also muss ich ein gewisses Maß an Konzentration einfordern, bevor ich nun weitermache, mit dieser Geschichte. Zur Not hilft es vielleicht auch, sich beim Lesen ein paar Bier oder ein Fläschchen Wein zu genehmigen. Oder Schinken in den Kühlschrank zu füllen. Vielleicht erscheint es dann alles sinnvoller. Aber wo war ich (schon wieder) stehen geblieben? Ach ja, die Musik.
Eine meiner größten Leidenschaften ist die Musik und ich bin auch immer bereit diese Leidenschaft mit anderen Menschen zu teilen. Wobei das Wort „Leiden“ schon mit drin steckt. Also penetriere ich, der ich immer auf der Suche nach dem neuen Lied, der nächsten besten Band, ach einfach nach der Musik die mich bewegt, bin, auch gerne wiederholt und mitunter auch dauerhaft eben diese Leute, die ich kenne und die nicht schnell genug flüchten konnten, mit meinen Entdeckungen (schon wieder so ein komplexer Satz, man möge mir verzeihen). Das neueste und heißeste Eisen im Feuer ist momentan die Finnische Formation: „Von Hertzen Brothers“. Wer kennt sie nicht? In Finnland kennt sie jeder, da sind sie Superstars und in England/ Großbritannien sind sie auch eine feste Größe.
In Deutschland sorge ich dafür, dass die „Von Hertzen Brothers“ (wer kennt sie nicht) ein bisschen bekannter werden. Zumindest bilde ich mir ein, sie hier bekannter zu machen. Verdientermaßen, wie ich betonen möchte. Und wer ein bisschen etwas dafür übrig hat, sollte sich das Lied: „All of a sudden you´re gone“ anhören. Ich habe auch nur 23 Durchläufe gebraucht, bis ich es richtig gut gefunden habe. Gefallen hatte es mir eigentlich sofort. Uff, jetzt fange ich auch hier schon an, die Leute zu belästigen. Ich kann anscheinend nicht anders. Dieses Lied hatte mich gepackt und ungelogen bis in den Schlaf hinein verfolgt. Im positiven Sinne, wie ich betonen möchte. Ich hörte es überall, auch wenn es gar nicht lief. Ein klein bisschen merkwürdig war und ist das schon.
Jedenfalls bin ich über dieses Einstiegslied ein großer Fan der „Von Hertzen Brothers“ (wer kennt sie nicht) geworden und habe diesen modernen Streamingdienst bemüht und mich ausgiebig mit dem Liedgut der drei Brüder (sie heißen wirklich „Von Hertzen“ mit Nachnamen) und ihrer zwei Mitmusiker zu beschäftigen. Was noch fehlte war, dass ich mal die Gelegenheit kriegen würde, sie live zu erleben. Und ja, es gäbe da eine Möglichkeit. Sie würden in Norddeutschland spielen. Blieb bloß die spannende Frage, wo das sein würde.
In Twistringen natürlich, wer kennt es nicht? Ich zum Beispiel. Ich weiß zwar, dass es von Bremen aus eine Bahnlinie direkt dahin gibt, aber das allein reicht nicht aus, zu behaupten, dass ich Twistringen kenne. Aber diese halbjunge Dame, die diese Bierzeltgarnitur bevölkert, die kennt Twistringen ganz bestimmt. Was vielleicht daran liegen könnte, dass sie aus Twistringen kommt und vielleicht auch daran, dass sie als freie Mitarbeiterin für die lokale Presse hier in Twistringen tätig ist.
Aber noch ist ja das Geheimnis nicht geklärt, wo diese Bierzeltgarnitur steht und warum wir mit dieser Frau an einem Tisch sitzen. Also, die „Von Hertzen Brothers“ (wer kennt sie nicht) spielen hier in Twistringen auf dem „Z.O.A.“, was im eigentlichen „Ziegelei Open Air“ bedeutet und ein kleines aber feines Festival ist. Und wenn sie hier nicht spielten, wäre ich nie auf die Idee gekommen, dieses Festival irgendwann mal aufzusuchen. Was schade wäre, denn sonst wäre mir so einiges entgangen. Zum Beispiel die mit Abstand saubersten Toiletten, die ich je auf einem Festival aufsuchen durfte. Dass sie so sauber sind, liegt nicht zuletzt an Gertrud. Ob Gertrud nun auch wirklich Gertrud heißt, weiß ich nicht, ich nenne sie für diese Geschichte einfach mal so.
Als ich den Toilettenwagen, der so rein und strahlend keimfrei ist, dass ihn eine glänzende, helle Aura umgibt, für einen kleineren geschäftlichen Anlass aufsuche und den natürlichen Dingen ihren Lauf lasse, kommt Gertrud rein. Gertrud ist jenseits der 60er Marke und offensichtlich für den Laden hier verantwortlich. Die Türen sind offen und ich bin der Einzige am Urinal, von denen es jeweils fünf Stück an gegenüberliegenden Wänden gibt. Jedenfalls kommt Gertrud rein, geht zu den Becken hinter mir und beginnt irgendwas irgendwie zu wischen. Mit den fröhlich geflöteten Worten: „Keine Angst, es passiert nichts Schlimmes“, tritt sie ein und wischt hinter mir so rum, während ich mich auf eine gewisse Zielgenauigkeit konzentriere.
Und ich denke mehrere Dinge gleichzeitig. „Was sollte denn schlimmes passieren? Muss ich jetzt Angst haben? Wird der Lappen auch an mir persönlich ausprobiert?“ Das nächste was ich gleichzeitig denke ist: „Solange ich mich jetzt nicht umdrehe, wird wirklich nichts Schlimmes passieren!“ Ich bin eigentlich nicht sehr verklemmt, also nicht mehr als andere auch, aber ich muss schon sagen, dass es eine etwas seltsame Situation ist. Aber sauber ist es wirklich, da beißt die Kuh keinen Faden vom Eis, oder so. Ich beende meine geschäftlichen Angelegenheiten und Gertrud und ich gehen unserer Wege. Und nein, es ist nichts Schlimmes passiert.
Und da ich ein reinlicher Mensch bin, halte ich selbstredend zum Händewaschen bei ein paar Waschbecken, stirnseitig des Toilettentrakts im Außenbereich an. Und auch hier bin ich wieder von den Socken. Mehrere Waschbecken sind nebeneinander. Die Wasserhähne sind stylisch, die Spiegel über den Becken streifenfrei sauber und man meint, dass es irgendwie frisch duftet. Was vielleicht auch daran liegt, dass zwischen den einzelnen Becken eine gut sortierte und riesige Menge an Deodorants, Haarsprays und was auch immer man in einem Bad auffinden könnte, platziert ist. Ich habe ja schon einige Erfahrung mit Festivals und Konzerten und allem was dem nahe kommt, aber so einen Service habe ich noch nie gesehen. Und wenn man bedenkt, dass es ein ehrenamtlich organisiertes Festival ist, dann ist das nochmal eine Nummer besser. Also Chapeau Gertrud.
Das „Z.O.A.“ also und wir sind hier. Für eine lange Zeit, sah es nicht so aus, als würde ich, würden Leute die ich kenne, hierher kommen. Denn ich habe sehr damit gehadert. Einerseits weil Twistringen eine gute Stunde Fahrt ist. Andererseits, weil ich noch nie auf diesem Festival war und es auch nur unzureichend Bildmaterial im Internet zu sehen gibt. Das Festival erstreckt sich über drei Tage (Fr. bis So.) und es spielen einige Bands an diesem Wochenende hier in Twistringen. Von denen kenne ich eigentlich insgesamt nur zwei und eine davon auch nur ansatzweise. Von manchen Bands hatte ich entfernt schonmal gelesen, aber die meisten Namen sagten mir nichts. Am Freitag, dem Tag an dem wir hier aufgeschlagen sind, spielen insgesamt vier Bands und ich kenne nur meine „Von Hertzen Brothers“ (wer kennt sie nicht).
Das Problem war, wie will man irgendwelche Mitstreiter gewinnen, die eine Stunde durch die Botanik jetten würden, um Bands zu sehen, die sie höchstwahrscheinlich so rein gar nicht kannten und die an einem Ort spielten, von dem sie nicht wussten, ob es dort schön oder eher blöd isr. Es gibt allerdings zwei gute Argumente zum Mitmachen. Erstens kostet die Eintrittskarte für einen Tag (also den Freitag) sage und schreibe nur 25€ und die kann man verschmerzen, wenn es einem im Nachhinein so rein gar nicht gefallen hat. Und zweitens kann man einfach auch mal meinem Musikgeschmack vertrauen und mir sozusagen blind folgen. Was könnte schon schiefgehen? Alles vielleicht? Man weiß es nicht.
Nach langer Zögerei habe ich mich dann doch entschlossen hinzufahren, wenn nötig auch alleine. Aber ich konnte meine Tochter, zwei meiner Schwager und eine Kollegin eines Schwagers davon überzeugen, dass es das Richtige ist, wenn sie mir folgen. Und weil ich der Anstifter für alles gewesen bin, fahre ich auch an diesem Freitag. Ein bisschen gespannt sind wir schon, als wir hinfahren und nachdem wir Twistringen bis auf wenige Kilometer nahe gekommen sind, stellt meine Tochter eine nicht ganz unberechtigte Frage: „Müssten wir nicht langsam mal sowas wie ein Plakat, oder gar einen Hinweis für dieses Festival sehen?“
An jeder zweiten Straßenlampe oder Ecke hängt irgendein Plakat für irgendein Schützenfest, das schon war oder gerade ist oder bald sein wird. Aber rein gar nichts deutet darauf hin, dass irgendwo um die Ecke die Supergroup aus Finnland spielen wird. Man könnte fast den Verdacht haben, dass das alles nur Fake ist und das Z.O.A. genausowenig existent ist, wie Bielefeld. Dann hätte ich die anderen umsonst irgendwohin geschleift und der damit verbundene schlechte Ruf und die Lästereien dazu würden mich mindestens lebenslänglich begleiten. Aber dann, so aus dem Nichts kommen wir an einigen parkenden Autos und einer kleineren Wiese, auf der gecampt wird, vorbei und dann noch zweimal um die Ecke und wir befinden uns bei der alten Ziegelei in Twistringen. Und da es eine Abendkasse und ein abgesperrtes Arreal, von dem verhalten laute Musik herüberdröhnt, gibt, mehren sich die Anzeichen, dass es hier auch wirklich dieses Festival geben wird. Ich in erleichtert.
Das Gelände ist nicht sehr groß. Ich bin schlecht im Schätzen, aber ich denke, mit rund 3.000 Leuten wäre es wahrscheinlich zum Bersten voll. Momentan sind allerhöchstens 70 bis 80 Leute da und eine Schülerband aus Heiligenhafen spielt auf der Bühne. Die Jungs stehen kurz davor, dass der Bartwuchs einsetzen wird, und man hat Bedenken, dass die spiddeligen Arme die Gitarren halten können. Aber Musik machen können die schon wie die Großen. Hut ab, die sind wirklich gut und reißen die 12 Fans, die vor der Bühne stehen und tanzen, vollkommen mit. Sollte ich jemals Vorurteile gegenüber Schülerbands gehabt haben, dann sind die von „Broken Eardrum“, komplett weggefegt worden. Band Nummer eins ist also schonmal sehr gut. Das sieht auch der Rest der Fahrgemeinschaft so. Ich bin erleichtert, weil es sich schon ein bisschen gelohnt hat.
Zeit, sich mal ein bisschen umzusehen. Das Gelände ist schnuckelig und vor allem übersichtlich groß. Eingerahmt wird es von Bäumen und dem Fertigungsgebäude der alten Ziegelei, das nun ein Veranstaltungszentrum ist. Auf dem Gelände gibt es ein paar Futterbuden, einige Bierstände, Stände an denen Schnickschnack und Tünnef verkauft wird (Halstücher und so Zeugs) und einen großen Grillstand. Gegenüberliegend vom Eingang ist die Bühne. Sie ist mittelgroß und im Singular vorhanden. Das heißt, alle Bands spielen hier auf dieser einen und einzigen Bühne und somit gibt es Umbaupausen und keine Überschneidungen. Alles ist hier total schnell erreichbar und so ist der Weg vom Bierstand bis zu Gertruds Pullerparadies auch in Notfällen mehr als kurz. Sehr kurz um es genau zu sagen. Ich bin sofort verliebt in all das hier. Ich der ich das Hurricane gewohnt bin, auf dem der Weg vom Zelt bis zur Bühne auch schonmal eine stramme halbe Stunde dauert und es überall Schlangen, besonders vor den schmucklosen und hygienisch mitunter befremdlichen Toiletten, gibt, genieße die Übersichtlichkeit und bin sofort heimisch. Ich glaube dem Rest geht´s ähnlich.
Broken Eardrum ist fertig und wir nutzen die Pause, um mal was zu trinken und ich statte Gertrud den ersten Besuch ab. Dann plagt uns der Hunger und wir haben die Wahl zwischen veganen Burgern, Pizza, Champignons, irgendwas aus Indien und dem großen Grillstand. Wenn bei den veganen Burgern etwas Fleisch dabei wäre, dann könnte das eine Alternative sein, aber wir sind nicht so für Experimente mit indischem Essen und niemand, wirklich niemand möchte die Champignons essen. Das geht den ganzen Abend so. Keine Sau verirrt sich zu diesem Stand. Nur einmal stehen zwei Personen vor dem Tresen. Wir sind uns nicht ganz sicher, ob es sich dabei eventuell auch um die beiden Personen handelt, die eigentlich sonst auf der anderen Seite des Tresens stehen. Der Pilz an und für sich ist nicht sehr beliebt. Das Pils aber schon, denn an den Bierständen ist einigermaßen viel los.
Wir entschließen uns für den Grillstand, an dem es Pommes gibt und Bratwurst und Bratwurst mit Pommes und Krakauer und Krakauer mit Pommes und Currywurst und Currywurst mit Pommes gibt. Die Feinaschmeckerseele in uns erwacht und wir sind uns alle einig, dass Currywurst mit Pommes die Erfüllung unserer momentanen kulinarischen Träume sein wird. Also stellen wir uns zu fünft in einen Bereich dieses sechseckigen großen Tresenkonstrukts und bringen die beiden Nahrungserzeuger auf der Innenseite mal eben direkt an deren Grenzen des Machbaren. Außer uns stehen noch drei bis vier Leute an der Wursttheke und wir alle sind im Begriff bestellen zu wollen.
Das Grillbudenpersonal besteht aus einem Mann und einer Frau, die beide auf dem besten Weg in Richtung Rente sind, oder sie vielleicht auch schon erreicht haben. Sie bedient die Fritteuse, während er der Mann am Rost ist. Das dynamische Duo verfällt in leichte Panik, als es diesen unerwarteten Kundenandrang wahrnimmt und er packt erstmal auf Verdacht drei Bratwurst auf den Grill. Es scheint, als habe er den Verdacht, dass eventuell die ein oder andere Wurst bestellt werden könnte. Und sein Instinkt sollte nicht trügen. Aber bevor man nun einfach mal ein paar Bestellungen am Stück aufnimmt und so vielleicht mal sehen kann, was man eventuell in größeren Mengen zubereiten kann, wird hier einzeln abgefragt. Acht oder neun Leute sind wir und eigentlich will hier jeder das Gleiche.
Einmal Currywurst Pommes ruft der Held des Grilles seiner frittierenden Kollegin zu, die das Gerufene noch einmal lautstark bestätigt. So als würden beide noch einmal auf Nummer sicher gehen wollen, dass es auch wirklich die richtige Bestellung ist, die sie da hören. Während er auf Verdacht schon einmal drei Wurst auf den Grill legt, pültscht sie eine unbestimmte Menge an Pommes in das siedendheiße Frittenfett. Er wendet die Wurst im Viertelminutentakt und nimmt verwegen schon die nächste Bestellung an. „Einmal Currywurst Pommes“, schallt es durch den planenbedeckten sechseckigen Grillbratwurstverkaufsstand und ein weibliches Echo flötet „Einmal Currywurst Pommes!“, zurück.
Er beginnt zu rechnen. Drei Würste sind auf dem Grill, zwei sind schon bestellt und es stehen noch sieben Leute an. Hmmmh, das wird nicht reichen, scheint er zu denken und nimmt sich eine halbe Großpackung Wurst und verteilt diese auf dem Grill, der locker auch achtzig Würste gleichzeitig beherbergen könnte. Er rechnet wieder und denkt sich: „War wohl doch ein bisschen viel Wurst auf einmal“, und nimmt die Hälfte wieder zurück. Und weil er so in Fahrt ist, nimmt er die nächste Bestellung auf. Und mein Mund formt tonlos die Worte :“Einmal Currywurst Pommes!“ Die doppelte Vertonung lässt nicht lange auf sich warten. Bis es zu einer dramatischen Entwicklung kommt. „Einmal Bratuwurst!“ ruft der Griller des Monats. Und die Fritteurin desselben Monats blickt fragend herüber. Keine Pommes? Waas? Rebellion!
Jetzt komme ich an die Reihe und kann das natürliche Gleichgewicht wiederherstellen. „Einmal Currywurst Pommes!“ rufe ich laut zu beiden herüber, die sich verstohlen ansehen und nach ihrem Text ringen. Nun besteht das Leben ja nicht nur daraus Bestellungen aufzugeben, sondern auch daraus das Bestellte zu erhalten. Und an dieser Stelle werden wir Zeugen von einer Symbiose. Eine Symbiose ist die Zusammenführung zweier Lebewesen zu gegenseitigem Nutzen. Und diese zwei Lebewesen führen sich nun auf Bedienerebene zusammen. Und in einem hochkomplexen Verfahren führen sie ihre zwei Komponenten (Currywurst und Pommes) unter den Augen des zu Bedienenden zusammen und das Ergebnis ist eine einwandfreie Mantaplatte. „Was soll noch rauf auf die Pommes?“ Ich nehme Mayo und trage meine Speisen zu den anderen herüber, die sich an dieser Bierzeltgarnitur niedergelassen haben, auf der bisher nur diese eine Frau alleine, oder mit einem Typen gesessen hat.
Und das ist sie, die ihren Namen sagt, den ich sieben Minuten später wieder vergessen habe und mit der diese Geschichte begonnen hat. Man muss nur lange genug aushalten, dann ergeben die Dinge auch manchmal einen Sinn. Sie spricht viel, diese namenlose Fremde und sie fragt auch viel. Was für eine freie Mitarbeiterin für die lokale Presse vielleicht auch nicht ungewöhnlich ist. Aber ich kenne sie noch keine fünf Minuten, in denen sie von den anderen erfahren hat, dass ich eigentlich ja eine Art Kollege von ihr bin, weil ich ja auch als freier Mitarbeiter manchmal unterwegs bin und sie fragt mich doch glatt, was ich denn bei der Zeitung verdiene. Finde ich seltsam und halte mich in meiner Antwort dann auch bedeckt.
Ansonsten ist sie ein Quell der Informationen für uns. Sie kommt ja aus Twistringen und wenn man ihr so zuhört, dann muss das hier der Nabel der Welt sein. Alles was mit Twistringen zu tun hat ist anscheinend viel besser als irgendwo sonst auf der Welt. Höchstwahrscheinlich auch die freien Mitarbeiter für Zeitungen. „Ich bin jetzt seit zwanzig Jahren dabei“, sagt sie, „und dann will mir ein neuer Volontär erzählen, wie ich zu schreiben habe?“ Ich erwähne, dass ich seit acht Jahren für die Zeitung schreibe, aber ich glaube sie interessiert sich nicht so recht dafür, was ein dahergelaufener Anfänger für Schreiberfahrung hat. „Weißt Du“, sagt sie, “ da kommt der frisch von der Uni und weiß man gerade, wie man die Tastatur richtigrum hinlegt und dann will der mir sagen, dass mein Schreibstil nicht genehm ist? Na dem habe ich erstmal den Marsch geblasen!“ Sie wird mir schlagartig immer sympathischer (Ironiealarm).
Aber sie hat auch ein paar Fakten für uns auf Lager. Dass es das elfte Z.O.A. ist und dass es für einen Freitag schon richtig voll ist. Sie vermutet so rund 600 Leute. Ich kann das nicht abschätzen. Hätten auch 1.500 oder 200 Leute sein können. Es verteilt sich auch ein bisschen auf dem Gelände. Sie findet das Festival natürlich phantastisch, weil es halt in Twistringen ist. Ich muss ihr Recht geben, es ist wirklich toll hier, aber das sehe ich eher ortsunabhängig. Das sage ich natürlich nicht. Man möchte ja nicht in Frittenfett getaucht werden. Als zweite Band spielen die „Intergalactic Superlords“ aus Köln und unsere aufdringliche Reporterbekannte ist da total Fan von. „Habe die vorhin interviewt. Das wird ein Hammer Konzert“, freut sie sich. „Weswegen seid ihr denn hier und woher kommt ihr?“, fragt sie.
„Wir kommen aus dem Raum rund um Sottrum“, sagt mein einer Schwager, “ und sind wegen ihm hier“, und zeigt auf mich. Nachdem ich ihr erklärt habe, wo Sottrum (wer kennt es nicht) liegt, kläre ich sie auf, dass mich die „Von Hertzen Brothers“ (wer kennt sie nicht (naja, die Pressetante hier vielleicht)) hergeführt haben und ich die anderen in einer Art Geiselnahme mit hergeschleppt habe. Das findet sie sehr interessant und fragt nach unseren Vornamen, damit sie die im Text für ihre Reportage vom ersten Festivaltag unterbringen kann. Ein Foto von uns lehnen wir dankend ab. Ich sehe immer scheiße aus auf Fotos und dann muss das nicht noch unbedingt veröffentlicht werden.
Die „Intergalactic Superlords“ treten auf und sind…hmh nunja, wie soll ich sagen, sie sind nicht so ganz mein Fall. Sie machen so eine Art Retro Classic Rock Geschichte mit zwei Gitarren einem Bass, einem Schlagzeug und einer Sängerin. Und es ist jetzt nicht so, dass ich diese Musikrichtung grundsätzlich nicht mögen würde und die Band weiß auch mit den jeweiligen Instrumenten umzugehen, aber es packt mich einfach nicht. Die Sängerin, die eigentlich keine schlechte Stimme hat, singt immer so, als wäre es einen Halbton daneben und keines der Lieder hat irgendwas an sich, was mit mitreißen oder im Gedächtnis hängen bleiben lassen könnte. Man könnte auch sagen, mir fehlt da der intellektuelle Zugang für. Wahrscheinlich erhalte ich den, wenn ich auch mal zwanzig Jahre für die Zeitung arbeite. Heute Abend allerdings, sind wir fünf, die wir hierher gekommen sind der gleichen Meinung. Es hat uns nicht recht gefallen mit den Superlords.
Wir trinken rundenweise Bier, Alster und Cola (für mich als Fahrer) und so verwundert es nicht, dass es für mich mal wieder an der Zeit ist, die Toilette aufzusuchen. Diese ist trotz der fortschreitenden Zeit immer noch der sterile Reinraum, den ich vorhin kennengelernt habe. Und wieder bin ich der einzige Gast am Becken, als es hinter mir raschelt. Getrud ist wieder da und wischt mal wieder. „Na Gertrud, denke ich, „das ist doch wohl jetzt nichts Persönliches , oder?“ Aber das Wissen, dass hier nichts Schlimmes passieren wird, lässt mich entspannen und ich gehe wieder zur tadellosen Waschstation. Es ist echt der Hammer hier.
Als dritte Band spielt „Dr. Victor“, eine Dreimannkombo aus Prag, die in ihrer Heimat Superstars sind und dort auch schon im Vorprogramm von AC/DC auftreten durften. Dr. Victor machen Musik der etwas härteren Gangart und haben auch einige Momente in denen sie mitreißen und mich zu Bewegungen animieren. Mir gefallen sie ganz gut, beim Rest der Truppe sind die Gefühle eher gemischt, aber sie sind um Längen besser als die Superlords. Der Sänger ist eine echte Rampensau und holt auch mal ein paar Leute auf die Bühne. Einen alten Knacker, der wahrscheinlich noch jünger ist als ich und deshalb eigentlich eher ein junger Knacker sein müsste, und ein junges Mädel. Sie sollen mal ein bisschen mitgehen zur Musik und Headbangen. Für den Knacker, der lange graue Haare hat, eine Selbstverständlichkeit. Die junge Dame hat dann schon ein bisschen Probleme damit. Nach zweimal Kopfwackeln wird erstmal wieder die Frisur in Ordnung gebracht und zwar immer wieder. Sieht irgendwie lustig aus.
Am Ende holen die Dr. Victors gefühlt zwei Drittel des Publikums auf die Bühne und es wird gemeinsam gerockt. Also mir hats gefallen und somit steht es zwei zu eins in Sachen guter Musik. Und das fulminante Ende wartet ja noch. Zumindest hoffe ich, dass es fulminant wird. Eine letzte Umbaupause und eine Stippvisite zu einem Stelldichein mit Gertrud sind nun an der Reihe. Draußen wird es langsam dunkel und das macht die gesamte Location noch gemütlicher. Ich liebe diese Lichtverhältnisse, wenn die Lightshow auf der Bühne so langsam ihren Effekt erfüllt und nicht jeder sehen kann, wenn ich ein bisschen tanze. Und ich hoffe, dass ich tanzen werde und dass die „Von Hertzen Brohters“ (wer kennt sie nicht) zumindest ansatzweise so gut sind, wie ihre Studioaufnahmen nahelegen. Ein kleiner Teil in mir hadert und denkt sich, was wäre, wenn sie nicht gut sind.
Die Sorgen sind unbegründet. Meine aktuelle Lieblingsband aus Finnland ist wirklich famos. Die Dinge, die ich mir erhofft habe, erfüllen sich und sie legen diese eine Schippe drauf, die ein Konzert zu einem besonderen Ereignis macht. Und als dann mein Lieblingslied dran ist, bin ich hin und weg. Im Finale des Liedes schwingt sich der Sänger in hohe Tonlagen auf, die unerreichbar für mich sind und die mir wirklich die Tränen in die Augen treiben. So ergriffen bin ich. Meiner Tochter ergeht es ähnlich, als ich versuche mitzusingen und ihr Ohr nah bei mir ist. Wahrscheinlich sind es Schmerzen in ihrem Trommelfell. Mit dem bombastischen „Peace Patrol“ endet das Konzert. Genaugenommen mit einem mehrminütigen Gitarrensolo, dass mir eine wohlige Gänsehaut verursacht und mit dem ich meinen Hasen jagen könnte. Ich recke die Arme in den Himmel, grunze laute Töne der Begeisterung Richtung Bühne und applaudiere langanhaltend. Ich wende mich den anderen zu, denen es augenscheinlich auch gefallen hat. Zumindest hoffe ich dass es so ist, da zupft mich meine Tochter am Ärmel. Ich solle mich umdrehen sagt sie. Es gibt noch eine Zugabe. Für mich? Okay, wohl auch für alle anderen, aber: „Yeah!“
Musik macht glücklich. Zumindest kann sie glücklich machen. Ich bin jedenfalls immer noch glücklich, als wir fahren. Auch wenn ich Gertrud nicht mehr zu sehen kriege, als ich ein letztes Mal das Örtchen aufsuche. Mir hats Spaß gemacht und so fahre ich durch die Nacht mit meinen erschöpften Mitreisenden, die teilweise einschlafen. Mein Auto ist alt, weswegen ich mein Handy nicht mit dem Radio koppeln kann. Also kann ich nicht die „Von Hertzen Brothers“ (jetzt kennt sie wohl jeder hier) hören. Aber in meinem Kopf in Dauerschleife singt eine enorm hohe Männerstimme die letzte Zeile meines Lieblingsliedes :“The song we used to sing is just a howl in the wind!“ singt sie und dem kann ich nichts mehr hinzufügen.