Hasenpannen

Neulich nachts in unserem Schlafzimmer: Der Hase liegt neben mir und wie ich an den Atemgeräuschen erkennen kann, schläft der Hase den gerechten Hasenschlaf. Doch dann, so in etwa gegen Mitternacht, schreckt der Hase auf. „Der Mixer!“, sagt sie, plötzlich senkrecht im Bett sitzend. Die Art, wie sie sich so plötzlich aufsetzt, erinnert mich an einen besessenen Menschen aus einem Horrofilm. Ich selbst liege im Halbschlaf daneben und versuche etwas aus dieser Aussage zu erkennen. „Der was?“, frage ich schlaftrunken und ein wenig beängstigt. Was, wenn sie wirklich besessen ist? Müssten wir dann eine Teufelsaustreibung machen? Ist der Hase besessen von einem Mixer? Hat dieses diabolische Gerät Besitz von ihr ergriffen? Mir schießt ein Wort mit zwei x in den Sinn: Mixerexorzismus! . „Der Mixer“, antwortet der Hase, „ich weiß nicht, ob der Mixer wieder zu Hause ist.“

Nun muss ich kurz erklären, dass unser Mixer auf „Montage“ war. Er kam beim „Eiersuchen“ zum Einsatz. Für alle, die nicht wissen, was das Eiersuchen ist, werde ich das in einem anderen Kapitel genauer erklären. Für den weiteren Hergang reicht es zu wissen, dass dieser Mixer an einem anderen Ort zum Einsatz kam und der Hase nicht wusste, ob er, also der Mixer, wieder zu Hause angekommen ist. Und ich frage mich ein bisschen, ob der Hase mich auch so vermissen würde.

Ich bin ein wenig verwundert darüber, dass die Sehnsucht nach diesem technischen Gerät den Hasen so unvermittelt aus dem Schlaf reißt. Und damit nicht genug. Das Ganze lässt ihr keine Ruhe und so steht sie auf, um nach unten in die Küche zu gehen und dort nach dem Rechten und vor allem nach dem Mixer zu sehen. Es ist ja nicht so, dass das nicht auch noch bis zum nächsten Morgen Zeit gehabt hätte. Ich meine, was soll man denn bitteschön um diese Uhrzeit ausrichten, wenn der Ernstfall eintritt und der Mixer nicht zu Hause ist. Allein in der Fremde. Vielleicht sogar achtlos in einem unbeheiztem Raum liegen gelassen. Ungereinigt, einsam, vergessen! Soll man vielleicht ein Suchkommando zusammenstellen? Oder die Polizei rufen? Mit einem Bild von ihm? „Ja, Herr Wachtmeister, das ist er. Ich mache mir große Sorgen. Er war noch nie alleine weg!“ Würde die eigens eingerichtete Soko „Verschwundener Mixer“ in Aktion treten? Man weiß es nicht…..

Der Hase steht also auf und geht nach unten. Ich, der ich in dem Mixer nur ein schlichtes Küchengerät sehe, schließe die Augen und gleite einem erholsamen Schlaf entgegen. Da, plötzlich, ein dumpfes Geräusch von einem Aufprall und ein gedämpfter Schrei. In meinem Halbschlaf habe ich die Stimme des Hasen herausgehört und sie hat „Aua!“ und „Scheiße!“ gesagt. Wobei das Letztere durchaus mit Inbrunst vorgetragen, mehrere Male wiederholt wurde.

Nichts Gutes ahnend erhebe ich mich mühevoll (ja, so ist das wenn man über 50 ist) aus dem Bett und gehe auf den komischerweise dunklen Flur. Ich mache das Licht an, gehe die Treppe runter und sehe meinen Hasen der Länge nach, auf den gefliesten Boden im Flur hingeschlagen, liegen. Das ganze erinnert mich fatal an eine Situation, in der ich auch auf gefliestem Boden gelegen habe und einer ärztlichen Notbetreuung bedurfte. Aber das waren andere Voraussetzungen. Hier ist kein Glatteis und der Hase ist auch nicht mit dem Fahrrad unterwegs. „Es geht mir gut!“, sagt der Hase, bleibt aber in seiner Liegeposition unverändert und hebt auch nicht ein bisschen den Kopf. Eine Bewegung scheint mir eher nicht möglich zu sein. Leichte Zweifel an dem Status „es geht mir gut“ scheinen mir angebracht.

Ich mache mir natürlich erstmal eine Menge Sorgen und spreche den Hasen an: „Hase, was machst Du denn da?“ „Wonach siehts denn aus?“, fragt der Hase, „Blumenpflücken vielleicht?“ Mein Hase scheint mir etwas angespannt, also wähle ich meine Worte sorgsam. „Naja, wenn ich es genau bedenke, könnte ich fast vermuten, dass Du hingefallen bist.“ „Blitzmerker“, zischt mein Hase. „Soll ich Dir irgendwie helfen?“, frage ich ungeschickt. „Nee, lass mich liegen, geht gleich wieder“, antwortet mein Langohr. Die Neugier in mir gewinnt Oberhand: „Und wie ist das passiert?“ „Naja“, antwortet der Hase, „ich bin so die Treppe runter und irgendwie habe ich die letzten beiden Stufen übersehen.“ „Wie kann man denn die Stufen übersehen? Die Treppe steht hier ja schon ein paar Jahre, da sind auch keine neuen Stufen dazu gekommen.“ „Naja, es war dunkel…“ „Wieso war es dunkel?“ „Naja, ich habe kein Licht angemacht“, sagt der Hase. „Warum das?“ „Ich wollte niemanden mit dem Lichtschalter wecken.“

Hmmh, das ist dann wieder einer dieser Momente, in denen mir die Worte fehlen. Ich lasse den Hergang noch einmal Revue passieren und erkenne wie absurd das Ganze ist. Ich meine, wie laut kann ein Lichtschalter sein? Wenn ich es recht bedenke, macht der nur „Klick“ und selbst mit viel Mühe würde davon niemand wach werden. Ich kann mir gerade noch ein Lachen verkneifen. Schließlich schmerzt der Hasenfuß und der Rücken momentan dann doch. Auch von meiner ersten Eingebung die Hasenumrisse mit Kreide nachzuzeichnen, inklusive ein Paar Hasenohren, nehme ich Abstand. Und ich denke mir, es gibt so Sachen, die macht auch nur mein Hase. Genau wie die Geschichte mit dem Waschbecken.

Die liegt nun schon ein paar Jahre zurück und ist in unserem Familienkreis ein kleiner Klassiker geworden. Ort der Handlung ist ein kleines Haus, Baujahr 1950 in Göttingen. In eben diesem Haus, das wirkt, als ob darin die Zeit stehen geblieben wäre, lebt des Hasens Großmutter. Und da ich des Hasens Ehemann bin (auch Hasenbändiger genannt) ist sie somit meine Schwiegeroma. Die Gute ist mittlerweile sage und schreibe 100 Jahre alt und ist mit dieser Zahl meinem Gewicht näher als jede andere Person, die ich kenne. Und für ihre 100 Jahre ist sie noch erstaunlich gut beisammen.

Zu der Zeit, als diese Geschichte spielte, war sie noch jugendliche 92 Jahre jung und derart rüstig, dass sie uns bei gelegentlichen Spaziergängen mit Leichtigkeit abhängen konnte. Das hat schon an meinem Selbstwertgefühl genagt. Ich glaube, sie wäre auch mit gebrochenem Bein noch schneller gewesen. Man hatte irgendwie das Gefühl sie wäre Yoda und würde Luke Skywalker tragen und nicht umgekehrt. Es war eigentlich zum Heulen und Staunen zugleich. Im Prinzip besuchen wir Oma mindestens einmal im Jahr und sie ist dann jedesmal völlig aus dem Häuschen. Zur damaligen Zeit wollte sie unbedingt, dass wir im Sommer als Familie für ein paar Tage bei ihr übernachteten. Das machten wir auch für ein paar Jahre und für Oma war es auch jedesmal ein Highlight. Dann wurde im Haus etwas umgeräumt und unser Junior und ich schliefen im Arbeitszimmer im Untergeschoss, während unsere Tochter und der Hase im Obergeschoss untergebracht wurden. Der Hase bekam dann das ehemalige Zimmer, des mittlerweile seit ein paar Jahren verstorbenen Großvaters. Ein kleines Zimmer mit einem Balkon und einem Waschbecken. Dem (!) Waschbecken.

In der Regel verliefen die Tage dann so, dass ich morgens Brötchen holte und wir alle gemeinsam mit Oma frühstückten. Dann verbrachten wir den Tag teilweise mit Oma und teilweise sind wir vier in die erweiterte Umgebung gefahren, um so Dinge wie die Innenstadt von Göttingen, oder auch mal Hannoversch-Münden anzusehen. Zum Abendbrot waren wir spätestens bei Oma und da die Gute, einer alten Tradition folgend, jeden Abend einen Schnaps, am liebsten Obstbrand und ein mit Wasser versetztes Bier trank, musste ich, als potentieller Schnaps- und Biertrinker meinen Pflichten als guter Gast nachkommen. Der Hase mochte noch nie Obstler oder Bier und die Kinder waren einfach noch zu jung, als dass man sie schon hätte abfüllen können. Und weil Oma in Gesellschaft auch etwas leichtsinniger wurde, tranken wir dann auch gerne mal zwei, drei Schnäpse mehr und unter zwei Bier durfte ich den Tisch nicht verlassen. Das Bier war natürlich nicht mit Wasser gemischt.

Da Oma schon immer dazu neigte und es auch jetzt noch tut, zu frieren, war in ihrem Wohnzimmer auch im Hochsommer immer die Heizung an. Es war und ist dort immer so warm, dass man einen Aufguss hätte machen können und der Obstler und das Bier stiegen mir dort immer etwas schneller zu Kopf, als ich es gewohnt war. Und auch wenn ich eigentlich ein Nachtschwärmer bin, klappten mir spätestens um halb elf die Augen zu. Der Rest der Familie und auch Oma lagen dann schon im Bett und schliefen. Das dachte ich zumindest.

Eines Abends, der Obstler und das Bier hatten gerade ihre volle Wirkung entfaltet und ich dämmerte einem unruhigen Schlaf entgegen, gab es einen ohrenbetäubenden Krach aus dem Obergeschoss. Irgendwas war dort heftig auf den Boden geprallt. Beinahe zeitgleich hörte ich einen erschreckten Aufschrei des Hasen, in Verbindung mit einigen Flüchen und einem: „Ohgottogottogott!“ Danach vernahm ich Omas Stimme und dann ein lautes, kehliges Lachen. Das alles geschah in kürzester Zeit und ich wusste nicht, wie ich es bewerten sollte, also lief ich nach oben, gefolgt von dem Jungen, der unser Sohn ist. Oben angekommen, stand Oma im langen weißem Nachthemd, einem Gespenst ähnlich, auf dem Flur in der Tür zum Hasenzimmer und unsere Tochter war auch dort. Im Zimmer stand der Hase und wusste nicht, ob er lachen oder weinen sollte. Des Weiteren in dem Zimmer befanden sich ein Bett, ein Nachtschrank, eine Kommode, ein kleinerer Sessel und ein Waschbecken, das aus der Wand gerissen in des Hasens Händen lag. Der Hase, bekannt für seine Gelenkigkeit, versuchte derweil mit einem Fuß, am Ende eines ausgestreckten Beines, den Sessel in seine Richtung zu ziehen. Da ich in der Hauptsache damit beschäftigt war, mich schlapp zu lachen, ging unsere Tochter dazu über, ihrer Mutter zu helfen und schob den Sessel unter das Waschbecken.

„Was´n das?“, fragte ich mit Blick auf das Waschbecken.“Na, was soll das wohl sein? Ein Waschbecken, Du Blödmann.“ „Aber es liegt auf dem Boden“, stellte ich fest. „Jaa, das tut es“, sagte der Hase und blickte etwas verschämt drein. „Warum tut es das?“, fragte ich. „Warum tut es das?“, äffte der Hase mich nach. Ich fand meine Frage schon berechtigt und so klärte der Hase uns Unwissenden auf. „Ja also, ich habe mir die Füße gewaschen….“

An dieser Stelle folgt eine kleine Unterbrechung. Der Hase hat saubere Füße und hatte sie schon immer, aber nicht selten gehört es zu ihrem Ritual, dessen was sie als „Fertigmachen zur Nacht“ bezeichnet, dass sie sich auch noch mal eben die Füße wäscht. Dazu stellt sie sich ans Waschbecken und vollführt eine gymnastische Übung, die mich an meine Grenzen und weit darüber hinweg bringen würde und stellt einen Fuß an der Kante des Waschbeckens ab, um ihn dort einer ausgiebigen Reinigung zu unterziehen. Beide Füße gleichzeitig hatte sich als undurchführbar erwiesen. Wenn ich meine Füße auf diese Art waschen würde, könnte ich meine Beine nie wieder zusammen kriegen. Ich wäre auf ewig dazu verdammt, einen Fuß immer in Hüfthöhe zu haben. Aber ich wasche meine Füße eigentlich nicht extra. Die werden auch so beim Duschen oder Baden mit sauber. Also zumindest für mich reicht es und das Fernbleiben etwaiger Insekten werte ich dabei als positives Zeichen. Des Hasens Füße, die eigentlich immer sauber sind, sind am Abend dann so porentief rein, das man auf ihren Fußsohlen essen könnte, wenn man es denn unbedingt wollte. Ich habe es noch nicht probiert.

Doch zurück zum Tatort. Der Hase hatte sich also die Füße gewaschen, einen Fuß, wie gewohnt auf dem Beckenrand abgelegt und dann ist das Waschbecken aus der Wand gerissen worden. Und das ist es, was ich meine. Wer kommt den auf die Idee, sich so die Füße zu waschen? Jeder vernünftige Mensch nimmt sich eine Waschschüssel und badet seine Füße drin. Aber nein, mein Hase muss daraus eine Yoga Übung machen und nötigenfalls ein Becken aus der Wand reißen.

Es war dem Hasen natürlich hochgradig unangenehm, die Gestaltung des Zimmers auf diese Weise vorgenommen zu haben und am nächsten Morgen telefonierte sie sofort mit der Versicherung. Ich war nicht bei dem Telefonat anwesend, stelle es mir aber sehr lustig vor, wie der Hase den Sachverhalt geschildert hat. „Ja, das Becken ist aus der Wand gerissen……nein….ja, beim Füßewaschen……nein, ich will Sie nicht auf den Arm nehmen…….nein, ich stand nicht auf dem Becken…….und darauf getanzt habe ich auch nicht…….ja ich kann ein Foto machen……soll ich auch den Hergang simulieren? ……..usw….“

Oma rief dann einen Klempner an und sagte uns, dass wir die Tagestour, die wir geplant hatten, ruhig unternehmen könnten, weil ja der Klempner das Teil schon reparieren würde und sie sich darauf freute, dem Mann bei der Arbeit zuzusehen. „Endlich ist mal was los im Haus“, sagte sie und lachte, rauh und dunkel wie am Vorabend. Also dachten wir uns auch nichts dabei, als wir am Vormittag losfuhren. Am späteren Nachmittag, als wir zurück kamen, bereuten wir unsere Entscheídung, denn Oma, Schwiegeroma oder auch Uroma schilderte uns ihr Martyrium.

Der Klempner kam, wie versprochen und auch recht püntklich. Zunächst wurde eine Bestandsaufnahme durchgeführt und da war für ihn deutlich zu erkennen, dass die Wand, an der das Becken hing die eigentlich Ursache war. Sie schien nicht besonders tragfähig zu sein. Also begab man sich ins Nebenzimmer, um die Wand von dort zu begutachten. War aber nicht so ganz einfach, weil ein Einbaukleiderschrank dort vorgebaut worden war. Drin waren gefühlt tausend Handtücher und weiß der Geier was sonst noch. Also musste Oma mal eben den Schrank leerräumen. Nun da alles freigelegt war, konnte der Klempner Maßnahmen ergreifen, die eigentlich schon eher in den Wirkungsbereich eines Maurers reichen. Das konnte er aber nicht alleine machen. Da er aber ohne Kollegen aufgetaucht war, musste Oma mal eben als Bauhelfer herhalten.

Ich weiß jetzt nicht, ob sie Mischung anrühren musste, oder aber schwere Eimer die steile Treppe hochtragen, aber in meiner Fantasie sah ich genau diese Bilder vor mir. Oma im Blaumann mit einer großen Bohrmaschine. Oma mit einer überdimensionalen Zange, wie sie an einer Wasserleitung herumwerkelt. Oma, wie sie den erschöpften Handwerker auf einen Stuhl setzt, während sie seine Arbeiten erledigt. Auf jeden Fall bleibt festzuhalten, dass es wohl nur sehr wenige 92jährige gibt, die überhaupt in der Lage wären, einem Handwerker bei seiner Arbeit zu helfen. Es war uns hochgradig unangenehm, aber der Klempner sah das eher pragmatisch und lobte Oma für ihren Einsatz und ihren Fleiß. Ich vermute, dass er nicht im Geringsten geahnt hat, wie alt diese nette Dame wirklich war.

Oma fand das Ganze zwar anstrengend, aber auch sehr lustig. Sie habe schon lange nicht mehr so viel Spaß gehabt, sagte sie uns später. Das Waschbecken hängt dort nun und ist befestigt für die Ewigkeit. Der Hase hat sich dort allerdings auch nie wieder die Füße gewaschen und Oma denkt noch darüber nach, eine Ausbildung zum Klempner anzustreben. Ach ja, was den Mixer betrifft, der ist übrigens zu Hause gewesen. Die Sorge und der Unfall waren also unbegründet. Und so sitze ich hier und harre der Dinge, die noch kommen mögen. Ob es wohl noch irgendwann eine neue Hasenpanne geben wird? Oder ob mir vielleicht auch mal wieder eine einfallen wird? Man weiß es nicht, aber man soll die Hoffnung ja nie aufgeben.