Hasenhochzeit Teil 2 jetzt mit Frau Eichler

Wenn ich der Stimmung auf unserer Hochzeit Punkte hätte geben sollen, so wären es mindestens 11 von 10 Punkten gewesen. Was aber weitaus mehr an der Feierwut unserer Gäste als an der Musik lag. Nicht, dass unsere Band schlecht gewesen wäre. Da gibt es ganz andere Kaliber, die wirklich übel sind. Wie Bontempi Fred. Bontempi Fred war natürlich nicht sein echter Name, aber der passt jedefalls sehr gut. Er war vor einigen Jahren oder beinahe Jahrzehnten ein Alleinunterhalter, der es sich, mit einem Akkordeon und einer Heimorgel (wahrscheinlich von Bontempi, daher der Name) bewaffnet, auf die Fahnen geschrieben hatte, runde Geburtstage für die damalige Generation 60 Plus zu beschallen. Und dabei schreckte er vor keiner Absurdität zurück. Fred wahr auch schon etwas betagter und ich denke, er konnte sogar Orgel und Akkordeon spielen. Er hatte zudem einen unfassbaren Fundus an Volksliedern und Gassenhauern, die die alten Ladies regelmäßig zum Kochen brachten. Blöd nur, das er dabei keine klare Struktur in seinem Vortrag hatte. So sehr man sich auch bemühte, es war einfach unmöglich zu sagen, welches Lied er gerade spielte, wenn man ihm lauschte. Begann es etwa mit einer Anneliese, wurde binnen kürzester Zeit eine Schützenliesel draus um dann fließend zum Jäger aus Kurpfalz zu mutieren, bevor es dann im schönen Westerwald eine blaue Nacht im Hafen gab. Dabei war es ihm auch scheißegal, ob die Worte, die seinen Mund verließen auch nur im entferntesten zu einem dieser angedeuteten Lieder gehörten. Von Takt, Rhythmus und Melodien ganz zu schweigen. Die meiste Zeit aber pfiff er oder sang „Daaadadaa daaadaaa daaadaaaa.“ Oder „Humptatdidiiiidiiii.“ Oder „Jahhhaahahha!“

Es oblag den Gästen, daraus etwas sinnvolles zu erkennen. Uns, die wir seinerzeit noch zur jüngeren Generation gehörten, fiel das erwartungsgemäß schwer und wir hielten „Bontempi Fred“ für eine komplette Niete. Unsere Eltern, Großeltern, Tanten und Onkel waren da aber komplett anderer Meinung. „Das ist noch echte Musik!“ „Der singt wenigstens die Sachen für uns!“ „Nicht so´n Hottentottenzeugs, wie das was Ihr Euch immer anhört. Das ist doch keine Musik!“ „Da ist unser Fred ganz anders. Bei dem versteht man noch, was der singt!“ Gerade beim letzten Punkt waren berechtigte Zweifel angebracht. Da wir, also die Jüngeren, nüchtern nicht in der Lage waren, den Fred zu verstehen, versuchten wir unseren geistigen Horizont zu erweitern und schütteten uns regelmäßig bei seinen Auftritten (er war sehr beliebt in der Verwandschaft) dermaßen zu, dass es gerade noch vertretbar war Mit erstaunlichen Ergebnis. Je betrunkener wir waren, desto klarer wurde der Mischmasch, den Fred so vor sich hinnuschelte. Wahrscheinlich ohne Zähne, ich bin mir da nicht so sicher.  Und wenn man sich über eine gewisse Hemmschwelle hinweggetrunken hatte, stand man auf dem Stuhl und sang : „Anneliese, Du Schützeliesel, dreimal hatś im Westerwald gekracht…..daadiiidaaaddaaaaaadidiiiii“ „Der Fred ist schon ein Toller, nicht wahr?“ „Aber sowas von!“ Allerdings musste der ein oder andere die schmerzliche Erfahrung machen, dass die Auswahl der Getränke nicht gerade unwichtig ist. Jägermeister mit Rotwein ist beispielsweise sehr fatal.

Doch zurück zu unserer Hochzeit. Unsere Band war nicht so wie Bontempi Fred und dafür bin ich dankbar. Eigentlich spielten sie auch gar nicht so übel. Also sie beherrschten ihre Instrumente ohne jeden Zweifel und die Sängerin konnte auch singen. Richtig gut sogar. Es war nur wahrscheinlich nicht die Art von Musik, die sie eigentlich spielen wollten. Wahrscheinlich hätten sie lieber Indie Rock oder Derartiges gespielt. Ich nehme mal an, dass sie Hochzeiten wegen der Kohle machten. Außerdem hatten sie sich damals gerade erst gegründet. Wie gesagt, handwerklich gab es nichts zu bemängeln. Es fehlte ihnen nur ein wenig die Leidenschaft. Aber dafür, dass sie eigentlich nur eine Notlösung gewesen sind, waren sie dann doch wieder gut. Und immerhin hatten sie auf uns gehört und zur rechten Zeit die allgemeingültige Geheimwaffe ausgepackt, mit der man auch die müdeste Feier zum kochen bringen konnte: Den Marschwalzer

Der Marschwalzer war  die Kontaktbörse, das Speedating der 80er und frühen 90er Jahre. Die ultimative Gelegenheit für einen schüchternen jungen Mann, auch einmal die schönsten Frauen des Festes im Arm zu halten. Er barg aber auch die Gefahr, dass man Tante Elfriede erwischte, die ihren Tanzpartner eher unter den Arm klemmte und durch die Gegend schleuderte. Versuche sein, in einem halbherzig wahrgenommenen Tanzkurs gleich nach der Konfirmation erhaltenes, Grundwissen bezüglich der Umsetzung von Tanzschritten an dieser Stelle praktisch umzusetzen, scheiterten kläglich. Tante Elfriede sagte wo es lang ging und ließ sich dabei auch durch so profane Dinge wie Musik, Takt, oder Rhythmus  in keinster Weise beeinflussen. Einzig Bontempi Fred hätte vermocht mit diesem Treiben Schritt halten zu können. Und als jemand, der diese Zeiten aktiv erlebt hat und der auch auf vielen Bällen und Feiern war, auf denen gemarschwalzert wurde, kann ich sagen, es gab sie immer und überall, diese Tante Elfriede. Und oftmals gab es auch mehr Elfriedes  als die begehrteren jungen und schönen Frauen. Und so hatte ich auch immer wieder eine Mischung aus Furcht und Vorfreude, wenn ich in den Sog eines Marschwalzers geriet.

Der Marschwalzer, den Unwissenden sei es erklärt, bestand aus zwei miteinander verbundenen Teilen. Dem Marsch und dem Walzer. So weit so überraschend. Der Ablauf war dann folgendermaßen. Die Herren bildeten einen Außenkreis und die Damen einen Innenkreis. Wobei sich das Verhältnis zwischen Damen und Herren meist etwas ungleich gestaltete, weil es nicht für jede Frau eine erstrebenswerte Aussicht zu sein schien, in die Fänge eines angesäuselten und geifernden Schmalspurcasanovas zu geraten, der ihr womöglich permanent auf die Füße treten würde, während er mit seiner rechten Hand an ihrem Rücken Halt suchte und dabei den Begriff Rücken auch auf untere Regionen ausdehnen wollte. Aber es fanden sich immer genügend Unerschrockene auf beiden Seiten, um eine große Prozession in Gang zu bringen. Die Band spielte dabei zunächst einen Marsch und die Kreise bewegten sich marschierend in entgegengesetzter Richtung; immer die Hände auf den Schultern des Vordermanns, oder der Vorderfrau. Stoppten die Musiker, stoppten auch die Marschierenden. Man ließ sich los und drehte sich zueinander. Und die Paare, die sich gegenüberstanden, durften, bzw. mussten nun einen Walzer miteinander tanzen. Wobei es nicht immer sehr genau damit genommen wurde, wirklich auch den Partner zu nehmen, der einem gegenüber stand. So flüchtete auch gerne der ein oder andere junge Mann vor der ihm zugewandten Tante Elfriede, um seinem Nachbarn dafür lieber die aufregendste Frau im Saal vor der Nase wegzuschnappen. Dessen aufkeimende Hoffnung auf einen kleinen Tanz mit einer schönen Frau wurden daraufhin unter Elfriedes Armen eingeklemmt.

Nach einer kurzen Walzereinlage wurden die Tanzformationen wieder aufgelöst und zu Klängen, zu denen wahrscheinlich die Deutsche Wehrmacht seinerzeit in Polen einmarschierte, setzten sich die Karawanen wieder in Bewegung. Um das Ganze aufzulockern wurde dabei auch gerne mal die Richtung gewechselt und jegliche Berechnungen der Probanten, wer denn evtl. der nächste Tanzpartner sein könnte erübrigten sich. Dieser Wechsel von Marsch und Walzer wurde dann solange wiederholt, bis sich erste Ermüdungserscheinungen breit machten und dann ging es mit der letzten Tanzpaarung direkt an die Theke, wo der Herr der Dame auf Kosten des Brautpaares einen ausgeben durfte.

Der Marschwalzer war auf unserer Hochzeit definitiv eine sehr gute Sache und das I-Tüpfelchen auf der Stimmung. Die, ich erwähnte es, bei unseren Gästen von Anfang an schon unglaublich gut war. Dafür bin ich bis heute dankbar. Denn nichts wäre alptraumhafter als ein Saal voller gähnender Leute, die sich verzweifelt in Geduld übten, um wenigstens bis zum Mitternachtsbuffet durchzuhalten. Man muss an dieser Stelle ja auch bedenken, dass so eine Hochzeit eine anstrengende Sache ist. Sowohl für die Gäste, als auch in besonderem Maße für das Brautpaar.

Unser Tag begann damals recht früh und der Hase musste dann auch relativ zeitig zum Friseur. Denn bei einer Hochzeit darf die Braut anscheinend nicht mit ihrer normalen Frisur auftreten. Ich in meiner Eigenschaft als Bräutigam hatte es da wesentlich einfacher. Ich musste eigentlich  nur grob sicherstellen, dass ich meine Haare auch waschen würde. Das fiel mir nicht schwer, denn schließlich war es ein Samstag und da wäscht man sich schonmal die Haare, auch ohne anstehende Trauung. Ein einziges Zugeständnis hatte ich gemacht, indem ich mich im Vorfeld zu einer kosmetischen Gesichtsbehandlung hatte hinreißen lassen. Eine gute Freundin, genaugenommen die Frau meines besten Freundes befasste sich beruflich mit diesem Themengebiet und so ging ich zu ihr in den Schönheitssalon, in dem sie arbeitete. „Du wirst sehen, das wird Dir gefallen. Das ist total entspannend“, sagte der Hase, sichtlich erfreut darüber, dass ich mich überwinden konnte, über diesen mächtigen Schatten zu springen. Nun ist unsere gute Freundin eine herzensgute Person und sie hat sich auch alle erdenkliche Mühe gegeben, aber ich musste anschließend feststellen, dass so eine Gesichtsbehandlung einfach nicht mein Fall ist und es auch nie sein wird. Außerdem sah ich nachher genauso dämlich aus, wie vorher. Nur meine Haut war rein, die Brauen gezupft und die Pickel erdrückt.

Ich fuhr zu meinen Eltern, denn dort lagerte mein Bräutigamsoutfit und einem alten Brauch folgend, war es mir nicht gestattet, meine zukünftige Braut zu diesem frühen Zeitpunkt in ihrem Kleid zu sehen. Faktisch waren wir an diesem Tag bereits vermählt, denn vor drei Tagen hatten wir ja standesamtlich die Ehevereinbarungen unterschrieben. Aber trotzdem war mir gleich am Morgen klar, dass dieser Tag etwas Besonderes sein würde. Mit zitternden Händen schlüpfte ich in meinen Smoking und bin heute noch froh, dass ich mich beim Binden der Fliege nicht selbst erwürgte. Mein Vater, der sonst nicht sehr viel von festlicher Kleidung hielt (eine Eigenschaft, die ich anscheinend zu hundert Prozent von ihm übernommen habe) war sichtlich gerührt, als er mich in voller Montur bestaunen konnte. Meine Mutter war erwartungsgemäß vollkommen von den Socken.

Meinen komplett ausgestatteten Ehehasen bekam ich zu Gesicht, als wir zu einem Fotoshooting fuhren.  Zum Preis eines mittleren Kleinwagens wurden in einem Studio einige höchst bezaubernde Fotos von uns erstellt. Meine allgegenwärtige Unattraktivität auf geschossenen Bildern kam dabei aber weniger zum Tragen als erwartet. Der Hase sah erwartungsgemäß wunderbar aus. Ganz in Weiß, so wie Roy Black es einst besang und die Frisur war nicht nur eine Frisur. Es war ein kleines Kunstwerk, in das auch der Schleier des Kleides integriert wurde. Es fiel mir schwer, mir auszumalen, wieviel Stunden sie dafür beim Friseur verbracht haben musste. Ich war jedenfalls dankbar, dass ich als Mann nicht einer solchen Prozedur unterworfen wurde.

Nach dem „Shooting“ bei dem Frau Fotografin regelmäßig kopfschüttelnd murmelte, wenn sie mich ansah (Fotoshop gab es damals noch nicht), stand als nächstes die Kirche auf dem strammen Programm. Gefolgt von vielen unserer Gäste, machten wir uns von unserem parkenden Brautwagen auf dem Weg in die Kirche immer mit Blick auf das Wetter, das möglichst trocken bleiben solle. Was es auch tat. Wir traten ein in das Gebäude und unsere Ohren wurden sogleich Zeuge davon, wie die ehrwürdige Orgel dieses ehrwürdigen Hauses malträtiert wurde. Frau Eichler, deren Namen ich hier bewusst verändert habe, hatte einen ihrer ersten Einsätze als Kirchenorganistin und ich weiß noch heute, dass ich mich im Stillen gefragt habe, warum sie denn ihr Instrument derart hassten würde. Mit einem ihr eigenen Tempo quälte und hastete sie sich durch den Hochzeitsmarsch, während wir ihren unvermittelten Tempiwechseln folgend, durch die Kirche stolperten.

Am Altar angekommen empfing uns unser damaliger Pastor. Er war noch recht neu in der Gemeinde und ein sehr netter und sehr weltoffener Pastor, der durch seine unverkrampfte Art in kürzester Zeit viele Sympatiepunkte in der Gemeinde gesammelt hatte. Das war dem verknöcherten Kirchenvorstand sofort ein Dorn im Auge. Bestimmt auch deswegen, weil unser Pastor schon zweimal geschieden war und in wilder Ehe mit seiner damaligen Partnerin zusammenlebte. Wir waren sehr froh ihn als Pastor zu haben. Er begann mit einer Begrüßung und alles war perfekt. Bis auf ein winziges, klitzekleines Detail. Er hatte einen Buchstaben zuviel. Als er unsere Namen nannte, war ich der Meinung, er habe an das Ende unseres Namens ein „t“ angehängt. War mir aber nicht sicher, ob ich mich nicht verhört hatte. Es entstand eine Pause, die allerdings daher rührte, dass Frau Eichler offensichtlich an ihrem Instrument eingenickt war. Den Blick nach oben zur Orgel gerichtet sprach sodann der Mann Gottes: “ Frau Eichler, Sie dürfen.“

Gerüchte, dass es daraufhin das abrupte Ende eines Schnarchanfalls zu hören gab, kann ich nicht bestätigen, aber Frau Eichler haute manisch in die Tasten, um die verlorene Zeit wieder aufzuholen. Diejenigen unter unseren Gästen, die der Kirchenlieder mächtig waren, versuchten sofort mitzusingen, mussten aber entweder recht schnell Abstand von ihrem Vorhaben nehmen oder sangen noch ein paar Takte nach dem Frau Eichler schon fertig war.

Es folgte die weitere Predigt und nun lauschte ich genauer, wenn unser Name ins Spiel kam. Und, was soll ich sagen, da war es wieder, dieses „t“ und nochmal und nochmal. Die ganze Gemeinde hielt schon den Atem an, wenn er wieder von Herrn und Frau „Daust“ sprach. Ich fühlte mich verfolgt von dem Buchstaben und ich wusste, wenn ich nicht bald etwas sagte, würde ich platzen. Um einer solchen Sauerei zuvor zu kommen passte ich einen mehr oder weniger günstigen Augenblick ab und flüsterte dem Gottesvertreter zu: „Ohne t !“ „Ohne was?“ fragte er ungläubig (kleines Wortspiel) zurück. „Daus“, sagte ich, “ Daus, ohne T!“ Jetzt dämmerte es ihm, was ich meinte und er bekam ob der Erkenntnis einen hochroten Kopf. Es entstand eine Pause. Er blickte abermals nach oben zur Orgel: „Frau Eichler, Ihr Einsatz bitte.“ Und Frau Eichler schreckte abermals hoch und galoppierte durch ihr Repertoire. Am Ende war die Welt aber in Ordnung. Unser Pastor kannte unseren Namen, Frau Eichler hatte sich weitestgehend im Griff und der Hase und ich waren vermählt vor den Augen Gottes. Und wir wussten, dass es die kleinen Pannen sein würden, die wir für immer behalten würden.

 

Fortsetzung folgt