Hasenbändiger unter Strom

Es ist ja so, dass mein Herzrhythmus gestört ist. Mein Herz schlägt so unregelmäßig, wie ein Haufen Blechdosen, die eine Treppe runterkullern. Das ist zwar nicht lebensbedrohlich, aber auch nicht gerade gut für alles. Wahrscheinlich komme ich deswegen kaum noch die Treppe der Bahnhofsbrücke hoch. So als Beispiel. Die Liste der Schlappheiten ist lang und muss hier und jetzt nicht unbedingt weiter ausgewalzt werden. Kurz gesagt, wenn die gebrechlichen und alten Menschen Dich mitleidig ansehen und Dich fragen, ob es Dir gut geht und ob sie Dir helfen können und sie Dir im vollbesetzten Zug ihren Platz anbieten, dann ist irgendwas im Argen. Wichtig ist eigentlich nur, dass nach meinem Schlaganfall klar war, dass man diesen Rhythmus behandeln müsse. Die Frage war nur, wann das geschehen sollte.

Kurzum, es ist weit mehr als ein halbes Jahr vergangen, bis es endlich soweit war. Was aber auch ein gutes Zeichen ist. Denn wenn es bedrohlich wäre, hätte man nicht so lange gewartet. Oder lag diese Zeitspanne daran, dass man eine Kosten/Nutzen – Rechnung aufgestellt hatte und das Ergebnis nicht ganz eindeutig war? Man weiß es nicht und es ist auch egal, denn heute ist es soweit. Heute bin ich im Krankenhaus und lasse das machen, was man im Volksmund eine Elektrokardioversion nennt.

Ein schöner wohlklingender Name, hinter dem sich die einfache Tatsache verbirgt, dass man mein Herz mit einem Stromstoß anhalten und mit einem weiteren Stromstoß wieder in Gang bringen möchte. In der Firma, in der ich arbeite (ein Autohaus) haben wir Gerätschaften, zum Überbrücken von Autos, die nicht mehr anspringen wollen. Wir nennen sie Booster und nachdem ich mal erzählt hatte, was man mit mir machen würde, im Krankenhaus, kam sofort bei den lieben Kollegen der Gedanke auf, dass man das Ganze doch kostensparend mit dem Booster erledigen könnte. Es scheiterte allerdings daran, dass ich mich weigerte und man nicht genau wusste, wo man die Polklemmen (zwei richtig fiese Dinger mit enormer Klemmkraft) ansetzen sollte.Wenn man meinen Oberkörper betrachtet, blieb da auch nicht viel übrig, wo es klappen könnte. Nein, ich werde an dieser Stelle jetzt nicht so etwas wie Nippelalarm schreiben und nein, so groß ist mein Bauchnabel nun wieder auch nicht.

Elektrokardioversion also. Ich hatte eine Woche vorher ein Vorgespräch, wo man mir das Ganze erklärt hat und ich entscheiden konnte, ob ich es machen lassen wollte, oder nicht. Ich wollte. Denn irgendwie bin ich oft mit meiner körperlichen Verfassung so rein gar nicht zufrieden und erhoffte mir durch diesen Stromstoß eine eindeutige Besserung. Dass man meine Pumpe dabei ausschalten würde, hat mich komischerweise so rein gar nicht nervös gemacht. Das muss das Alter sein, Ich glaube vor zwanzig Jahren, hätte ich tagelang die Hosen voll gehabt. Diesmal nicht.

Man muss mich betäuben. Das ist mir sehr recht. Wer will schließlich wach sein, wenn das eigene Herz zum Stillstand gebracht wird? Und dann vielleicht irgendwas nicht richtig läuft und Arzt und Schwester in hektisches Treiben verfallen? Nee! Betäubung! Auf jeden Fall! Ein bisschen Schlaf kann ja nicht schaden. Und weil man mich betäuben muss, darf ich 24 Stunden kein Auto fahren und daher ist der Hase mein Fahrdienst. Der Hase wäre aber auch so und auf jeden Fall mitgekommen. Deshalb war ich auch immer sehr nett zum Hasen. Nicht dass sie noch Einfluss auf die Stromstärke oder das Wiedereinschalten von meinem Herzen im Allgemeinen nehmen würde.

Wir sind dann früh losgefahren und sitzen nun im Wartezimmer. Der Hase hat sich für die Mittagszeit einen kleinen Nudelsalat mitgenommen, denn mir ist im Vorfeld gesagt worden, dass die ganze Sache, inklusive Vorgespräch, Behandlung, Erholungsphase, Nachuntersuchung und Abschlussgespräch, gerne auch mal fünf bis sechs Stunden dauern kann. Und weil ich von Krankenhausseite eine kleine Mahlzeit bekommen soll und weil der Hase nicht hungern will, gibt es also nachher den Nudelsalat.

Und ganz ehrlich, ich bin immer noch verhältnismäßig ruhig. Na klar macht man sich so seine Gedanken, denn ein kleines Risiko bleibt ja immer und es ist ja auch nicht alltäglich, dass einem das Herz stehen bleibt. Außer bei der Post vom Finanzamt, wenn man seine Steuererklärung abgeben hatte. Der Hase ist für Hasenverhältnisse auch sehr ruhig. Eigentlich ist sie doch immer diejenige, die aufgeregt und ängstlich ist, wenn bei einem von ihren Lieben irgendwelche Eingriffe vorgenommen werden. Wie soll ich diese Ruhe deuten? Bin ich keiner mehr von ihren Lieben? Muss ich mir doch Sorgen um die Stromversorgung machen? Doch da, ein bisschen nervös scheint der Hase dann doch zu sein. Das beruhigt mich.

Neben dem Elekroschocker habe ich auch noch eine Voruntersuchung mittels einer Sonde durch die Speiseröhre auf dem Plan. Schlauch schlucken also. Damit eine erneute Gerinnselbildung im Herzvorhof ausgeschlossen werden kann. Mit Gerinnsel könnte man das Schocken nicht machen. Es droht sonst ein Schlaganfall. Und den hatte ich ja schon. Da habe ich einen Haken hinter gemacht und ich wollte auch keinen weiteren haben.

Diese Untersuchung wird nun schon zum dritten Mal seit dem Frühling gemacht und die anderen beiden Male habe ich eine Beruhigungsspritze gebraucht, weil ich diesen Schlauch, der sich für mich wie ein C-Rohr von der Feuerwehr anfühlte, oder zumindest wie ein Gartenschlauch, nicht ohne großen Würgereiz schlucken konnte. Man hat mir damals jeweils ein Beruhigungsmittel gegeben. Mit dem Erfolg, dass ich es zwar immer noch gemerkt habe und ich immer noch würgte, es mir aber komplett egal war. Genau, die Scheißegalspritze! Von der es das unbestätigte Gerücht gibt, dass sie auch beim KGB und beim Standesamt verwendet wird. Es ist echt faszinierend, wie das Zeug wirkt. Sowas kriegt man sonst nur mit einer Sambucca Session hin. Der Hase und ich haben da eine einschlägige Erfahrung gemacht. Aber davon wollen wir hier und jetzt nicht reden.

Es wird ein EKG gemacht und der Blechdosenholperrhythmus ist komplett in seinem Element. Was auch wieder gut ist. Wäre nix blöder, als wenn man herkommt und man ist gesund wie ein 20 Jähriger. Ich sitze wieder im Wartezimmer, während der Hase sich mit den Helferinnen über ein paar Details der Abrechnung unterhält. Es geht darum, dass ich eine Krankenhauseinweisung brauche, weil ich teilstationär aufgenommen werde. Was immer das auch heißen soll. Kriege ich ein Bett, das dann draußen auf dem Parkplatz steht? Man weiß es nicht.

Da reicht die normale Überweisung, die ich schon zum Vorgespräche letzte Woche eingereicht habe, nicht mehr aus. Und es ist egal, dass das alles das selbe Haus ist und die Hauptbehandlung auch auf derselben Station von letzter Woche gemacht wird. Die Daten von mir sind da eigentlich immer die Gleichen, aber man muss das neu erfassen. Sogar meine Versichertenkarte muss ich heut erneut dabei haben, obwohl ich sie doch erst vor einer Woche habe einlesen lassen. Ich persönlich verstehe das alles nicht so ganz und in mir keimt der Verdacht auf, dass das ganze medizinische Wesen zu 75% mit Verwaltungsscheiße beschäftigt ist. Deutschland, wie es leibt und lebt.

Natürlich ist mein Hase mit solchen Sachen sehr sorgfältig und natürlich hat sie auch schon dafür gesorgt, dass diese Krankenhauseinweisung unterwegs ist. Weil die Terminvergabe so denkbar knapp war, wurde der Schein vom einweisenden Arzt per Post verschickt. Ist aber wohl noch nicht angekommen. Wie gesagt, es ist alles sehr kurzfristig gewesen. Nach einem kurzen Wortwechsel ohne Hand und Pfotengemenge sind die Fronten geklärt und man möchte die Behandlung durchführen. Das mit der Einweisung würde man im Nachgang erledigen. Aber der Hase ruft zur Sicherheit noch einmal beim einweisenden Arzt an. Die Einweisung wurde verschickt. Per Post, Fax geht nicht. Aber um sicher zu gehen, wird noch eine zweite auf den Weg gebracht.

Mir ist das irgendwie auch wieder egal und ich werde zur Notaufnahme geschickt, um mich dort anzumelden. Ich glaube es sind mindestens fünf DIN A 4 Seiten, die ich mitnehme. Fünf Seiten für eine Teileinweisung……..wieviel muss man dann erst bei einem richtigen Vorfall mit langem stationären Aufenthalt haben? Allein schon von dem ganzen Hickhack kann man eine Herzrhythmusstörung kriegen. Mir ist das alles irgenwie zu doof, aber man hat ja keine Wahl und mir tun die Leute auch leid, die sich damit beschäftigen müssen.

Dann habe ich ein Vorgespräch mit dem behandelnden Arzt. Er ist recht jung, von meinem Standpunkt aus. Aber verglichen mit mir sind ja viele Menschen jung. Das bringt das Alter so mit sich. Er hat einen Migrationshintergrund, wie man so schön sagt, ist sehr nett und spricht auch sehr gut Deutsch. Ich habe sofort vollstes Vertrauen und lasse mir alles erklären. „Wir machen das hier mehrmals am Tag und bis jetzt ist noch jeder wieder aufgewacht“, sagt er. „Na dann wollen wir die Statistik mal nicht durcheinander bringen“, sage ich und bin wirklich immer noch ruhig. „Die Videos, mit Patienten, die vom Stromstoß von der Liege katapultiert werden, sind nicht echt“, sagt er. „Ich sehe mir sowas grundsätzlich nicht an“, antworte ich, weiß aber so gar nicht wovon er spricht. Wahrscheinlich warnen dubiose Quellen vor den Gefahren dieser Behandlung. Ich überschlage kurz, wieviel Strom nötig sein würde, um mich von der Liege zu katapultieren und denke nicht, dass man hier soviel Strom auftreiben kann, ohne dass in Bremen das Licht ausgeht.

Dann wieder ins Wartezimmer. Der Hase ist ein bisschen unruhig und wenn ich ehrlich bin, hat sich bei mir auch ein klein wenig Nervosität eingeschlichen. Aber eigentlich mehr vor der Narkose, als vor der Behandlung. Ich kann mich nicht so ganz mit dem Gedanken anfreunden, dass man mich einschläft. Ich bin es einfach gewohnt, selbst einzuschlafen. Der Hase sät noch ein paar Unruheelemente: „Ist der Arzt nicht ein bisschen jung? Der kommt aus Aleppo. Meinst Du, die haben da auch sowas schon gemacht?“ Vielen Dank für die beruhigenden Worte, denke ich.

Dann ist es soweit. Ich werde von der Schwester aufgerufen, die auch das EKG gemacht hatte. Ob ich nochmal zur Toilette wollte, fragt sie. Und weil ich nicht weiß, wie lange das alles dauert, bis ich wieder aufstehen kann, gehe ich nochmal. Gehe ich vielleicht zum letzten Mal? Kann ja was schieflaufen. Bei jeder Behandlung ist auch immer ein Restrisiko. Ich habe diese Gedanken, aber komischerweise verunsichern sie mich nicht. Ich gehe einfach mal davon aus, dass alles glatt geht. Und wenn nicht, kriege ich ja nichts davon mit.

Ich gehe vorbei am Wartezimmer und winke dem Hasen nochmal. Dann gehe ich den Flur entlang, drei Stufen hoch auf die nächste Ebene und bin auch schon am Ende……..am Ende des Flurs angelangt. Die Tür zum Behandlungszimmer steht schon offen. Ich trete ein und mache meinen Oberkörper frei. Kein schöner Anblick, aber ich denke, da hat die Schwester schon so einiges gesehen und wird mein Elend nicht weiter registieren. Nun werde ich verkabelt und mit lauter Saugnäpfen und Sensoren beklebt. Sie ist sehr gründlich und erklärt mir alles, was sie macht. Sie klebt soviel Sachen auf, dass sie wahrscheinlich froh ist, dass ich so dick bin. Dann hat sie wenigsten genug Platz.

Es gibt nun eine Art Betäubungsspray für den Rachen, das nach einer wilden Mischung aus Banane und Desinfektionsmittel schmeckt. Der Arzt kommt herein und sagt mir, dass wir gleich mit der Betäubung loslegen wollen. „Das Schlimmste haben Sie ja schon überstanden“, sagt er und meint damit dieses merkwürdige Mittel, das man in meinen Rachen gesprüht hat. Ich muss noch auf eine Art Beißring beißen. Ein Plastikdings mit einer Öffnung in der Mitte, das an einer Art kleinem Gurt befestigt ist. Ich beiße da drauf, damit ich den Schlauch von der Sonde, der mir in den Rachen gerammt wird, nicht kaputt beißen kann. Und der Gurt ist dafür da, dass dieses Plastikteil in seiner Position fixiert werden kann. Und so liege ich da, auf die linke Seite gedreht, mit diesem Teil im Mund und meine Schneidezähne beißen drauf. Ich glaube irgendwie, dass ich einen jämmerlichen Anblick angebe. Und der Doktor gibt mir diese Betäubungsspritze. Und mit einem Mal fühle ich mich total elend. Tausend Gedanken schwirren mir durch den Kopf und es sind keine guten Gedanken.

Ich habe für einen Moment eine Scheißangst. Aber dieser Moment dauert nicht sehr lange, denn ich höre noch, wie die Schwester sagt: „Na dann bis gleich.“ Und ich denke, okay, bis gleich und nach einer minimalen Phase, in der mir ein bisschen schwindelig wird, bin ich weg vom Fenster. Es wird dunkel. So plötzlich, als wenn jemand in einem fensterlosen Raum das Licht ausschaltet…………..

Bis hierhin war es angenehm. So einigermaßen zumindest. Bleibt es das auch? Sehe ich im Dunkel das mich umgibt ein Licht? Gehe ich drauf zu? Warum wird der Hase sich schämen? Diese und weitere Fragen werden beantwortet in der nächsten Folge von

Hasenbändiger unter Strom