Hasenalarm im Garten, oder die Rache der Forsythie

Nun ist es passiert, ich habe zum ersten Mal im Leben das Wort Forsythie geschrieben. Genaugenommen nun schon zum zweiten Mal. So sonderbar es auch ist, aber ich entdecke immer wieder Wörter, die ich im Leben noch nie geschrieben habe. Worte wie Glacehandschuh, Rasierpinsel, Häkeldeckchen oder Achterbahnschienenverbingungsbolzensicherungsstift. Sowas in der Art. Und immer wenn ich eines dieser bisher ungenutzten Worte erstmals schreibe, sieht es irgendwie falsch aus, so als ob es dieses Wort eigentlich gar nicht gäbe. Es kommt mir dann fremd vor. Manchmal hilft es dann, wenn ich mir den Gegenstand zu diesem Wort ein bisschen genauer vorstelle. Was bei einem Rasierpinsel beispielsweise doch schon recht einfach ist. Bei der Forsythie im Übrigen auch. Denn wir haben eine im Garten. Das heißt, eigentlich haben wir eine im Garten. Der aktuelle Status ist ein bisschen kompliziert und das liegt daran, dass der Hase…..nun, ich möchte nicht vorgreifen, denn es folgt jetzt eine kleine Gartengeschichte mit Hasen, Bändigern, einer kleinen Säge und den unterschiedlichen Ansichten darüber, was totes Holz ist.

Es ist Samstag im Frühling und der Hase und ich sind im Außeneinsatz. Schon lange hatte der Hase vor, draußen endlich wieder tätig zu werden. Der Winter war lang genug und der Hase scharrte oft unruhig mit den Pfoten. Der Hase scharrt eigentlich immer unruhig mit dem Pfoten. Weswegen wir auch so gut zusammen passen, denn ich scharre nie mit irgendwas und Unruhe liegt mir fern. Wie der Name schon sagt, ist sie das Gegenteil der Ruhe und ich bin geboren worden für die Ruhe. Es ist nicht so, dass ich nicht arbeiten würde. Ich arbeite sogar sehr viel und auch zu Hause und das dann auch gerne. Aber wenn sich die Gelegenheit zur Ruhe ergibt, dann nutze ich sie. Dann bin ich mit mir und der Welt im Einklang und es könnten Jahre vergehen, bis mir in diesem Zustand die Decke auf den Kopf fallen würde. Ich bin ein Ruhestifter. Und wenn es Winter ist und ich draußen nichts machen kann und drinnen nichts unbedingt Notwendiges anliegt, dann bin ich geneigt, den lieben Gott einen jungen Mann sein zu lassen und könnte mir tagelang die Wolken anstarren, während ich im Hintergrund dieses Geräusch der scharrenden Hasenpfoten höre.

Wir blicken in solchen Momenten durch dasselbe Fenster und während ich immer sehe, wie schön wir es haben, sieht der Hase zwar auch, dass wir es schön haben, hat aber immer noch ein paar Anmerkungen darüber im Gepäck, was wir noch alles machen müssen, damit es so schön bleibt, oder vielleicht noch schöner wird. Man könnte auch sagen, wir hätten einen unterschiedlichen Schwellenwert für Zufriedenheit. „Ich möchte doch nur, dass irgendwann einmal alles fertig ist“, sagt der Hase bei solchen Gelegenheiten. „Hase“, sage ich dann immer, “ Hase, man ist nie fertig mit allen Sachen. Irgendwas ist immer.“ „Ja aber, es gibt so vieles, das wir schon so lange vor uns herschieben“, sagt der Möhrennager und meint natürlich dass es viele Sachen gibt, die ich schon lange vor mir herschiebe. Womit sie natürlich auch nicht gänzlich Unrecht hat. Denn ich habe die lange Bank, auf die man etwas schieben kann, erfunden und der Hase ist ein Mensch (ja ich weiß, das klingt irgendwie komisch, aber mein Hase ist definitiv ein Mensch), der die Sachen immer gleich angeht. Die nervigsten und schwierigsten Dinge am liebsten zuerst.

Wir ergänzen uns dann immer irgendwie und gelangen zu der Einsicht, dass man manchmal die Sachen einfach machen muss, aber dass man auch nie alles machen kann. Zumindest nicht auf einmal. Und so verbringen wir den Winter damit, dass der Hase ungehalten und unruhig ist, weil wir nicht raus können, während ich mir eine Hornhaut an den Hintern davon hole, dass ich so ausgeprägt auf meinem Ohrensessel sitze. Ich habe mal von einem Mann gehört, der in seinem Sessel immer verblieben war, weil er irgendwann vor lauter Übergewicht nicht mehr aufstehen konnte. Er ist wortwörtlich mit seinem Sessel verwachsen und das hat er nicht überlebt. Also der Mann. Und der Sessel wahrscheinlich auch nicht. Insofern bin ich froh, dass der Hase bei mir ist und mir immer zu verstehen gibt, dass ich diesen meinen Sessel auch mal verlassen muss. Was mir natürlich klar ist und wie gesagt, ich arbeite ja auch gern im Garten. Es macht mir Spaß. Am liebsten sind mir die „Möh-Arbeiten“. Was im Prinzip nichts anderes bedeutet, als dass ich gerne mit Maschinen oder angetriebenen Geräten hantiere. Ich mag dieses „Möh- Geräusch“, egal welches.

Heute habe ich deswegen eine meiner liebsten Tätigkeiten ausgesucht: Ich vertikutiere den Rasen. Das hat zwei große Vorteile. Denn erstens bin ich damit den ganzen Tag beschäftigt und bin nicht in Gefahr, dass der Hase sich noch irgendwelche anderen Sachen für mich ausdenken kann und zweitens macht es mir einfach Spaß. Das war aber nicht immer so. Früher hatten wir einen Vertikutierer, den wir zusammen mit meinen Eltern und Geschwistern nutzten. Ein monströses Teil mit einem Benzinmotor. Monströs nicht wegen seiner Größe, sondern wegen seiner enormen Geräuschkulisse und der Tatsache, dass er vibrierte, wie ein großer Rüttler im Straßenbau. Er rüttelte so stark, dass man noch zwei Tage später keine Zeitung lesen konnte weil einem die Hände noch zitterten. Außerdem war er schwer zu handhaben. Es war kaum möglich ihm deutlich zu machen, dass er über den Rasen fahren müsste. Er hätte sich am liebsten sofort nach dem Starten mit seinen Walzen direkt in den Boden gegraben. Nur mit Mühe und unter Einsatz des kompletten Körpergewichtes konnte man mit dem Vibrator, äh Vertikutierer auch das machen, was man mit so einem Ding im allgemeinen macht: Den Rasen lüften und das Moos rauskratzen. Am Ende kam ich mir jedesmal so vor, als wenn ich eine Schubkarre mit 20 Sack Zement und plattem Reifen im Harz den Brocken hochgeschoben hätte.

Zwei Wochen Mukkibude waren nichts gegen einmal Vertikutieren mit dieser Ausgeburt der Hölle. Und wie mein Hase so ist, kam sie dann immer zu mir, wenn ich erschöpft, aber glücklich war, weil ich die Maschine letztendlich doch besiegt hatte und sagte beiläufig so etwas wie: „Ich sehe ja, dass Du aus der Puste bist und dass es offensichtlich anstrengende Arbeit ist, aber warum kann meine Kollegin das alleine? Und sie sagt, sie muss noch nicht mal viel schieben. Das macht sie mit dem kleinen Finger.“ Nun bin ich ja eigentlich immer ein Gemütsmensch, aber wenn man meine Arbeit in Frage stellt, dann kann ich auch schon etwas dünnhäutiger werden: „Willst Du mir irgendwie sagen, dass ich zu blöde bin“, „Nein, das habe ich nicht gesagt“, sagt der Hase dann und wir unterhalten uns noch kurz über Subtext und die Dinge die zwischen den Zeilen stehen. Irgendwie regte ich mich einmal dabei ein bisschen auf und ging rüber zum Nachbarn, ein Bier schnorren.

Der war sofort Feuer und Flamme, für meinen Vorschlag und so tranken wir ein kleines Bierchen, während seine Frau gerade den Rasen vertikutierte. Und das sah so leicht aus, dass sie es eigentlich mit dem kleinen Finger hingekriegt hätte. Hmmh, hatte der Hase also doch Recht. Das war mir zwar gar nicht Recht, weil ich eigentlich immer Recht habe, aber diesmal waren die Tatsachen eindeutig. Also konnte ich nicht anders, als ein weiteres Bier mit meinem Nachbarn zu trinken und ihn zu fragen, was seine Frau denn für Nahrungszusätze bekäme, weil sie das hier so verfluch leicht hinkriegt. „Och, wir haben uns vor ein paar Jahren mal einen billigen, elektrischen Vertikutierer gekauft…“ „…..und mit dem geht´s dann wie von selbst“, ergänzte ich. Und so stand ich vor der Wahl, entweder den teuren Benziner zu nutzen und mich immer der Erschöpfung hingeben, oder einfach mal in ein günstiges Elektrogerät investieren. Die Antwort war offensichtlich und so ging ich zum Hasen und teilte ihm meine Entscheidung mit.

„Das trifft sich gut, denn wir haben ja schon seit zwei Jahren einen elektrischen Vertikutierer im Schuppen. Noch originalverpackt. Den wolltest Du bei Gelegenheit mal zusammenbauen und testen“, sagte der Hase. Wie dünn gesät doch Gelegenheiten sein können. Aber es ist ja so bei mir, wenn ich die Notwendigkeit erkenne, schnell zu handeln (na gut, zwei Jahre klingen da etwas merkwürdig), dann ist es mit mir wie mit dem Sozialismus. In Anlehnung an einen Ausspruch von Erich Honecker könnte man auch sagen: „Den Hasenbändiger in seinem Lauf, hält weder Hase noch Esel auf“. Wobei ich betonen möchte, dass ich an dieser Stelle nicht der Esel bin. Ich nahm all meine Restenergie zusammen und montierte das Teil. Dafür brauchte ich sagenhafte 7 Minuten. Die fachgerechte Entsorgung der Verpackungsmaterialien schon mit einberechnet. Keine Ahnung, warum das nun zwei Jahre gedauert hatte. Ich sprach es aber lieber nicht an, mir fehlten ein bisschen die Argumente.

Um es abzukürzen, es war eine Offenbarung. Das elektrische Maschinchen war leicht und ist es immer noch. Leicht zu handhaben und trotzdem mit einer enormen Wirkung auf den Rasen. Das erste Mal, als ich mit ihm vertikutierte, war ich so glücklich, wenn ich singen könnte, ich hätte ein Vertikutiererlied gesungen. Es ist der Menschheit erspart geblieben. Manchmal ist es auch einfach gut, wenn man nicht alles kann, oder meint alles zu können. Aber seitdem freue ich mich auf jeden Frühling und darauf, dass mein kleiner „Möh-Apparat“ und ich sanft über den Rasen gleiten und das Moos unbarmherzig herausreißen. Ein schönes Kontrastprogramm. Ich habe einen Geräusche reduzierenden Bluetoothkopfhörer, den ich dann trage und deswegen nicht alles hören kann, was sich dabei ereignet. So bleibt mir das „Krmpf“, wenn ich über eine Baumwurzel fahre, ebenso verborgen, wie das „Krack“ eines Steines (ja genau, das Krack wie bei Carglas), oder aber das „Pflump“, wenn Nachbars Katze im Weg war. Ich wundere mich dann eventuell über die roten Stellen im Rasen, aber Hauptsache das Moos ist weg.

Natürlich war das mit der Katze ein Scherz. Ein ziemlich Übler und Billiger, aber was tut man nicht alles für einen halben Lacher. An diesem Samstag also habe ich mir diese Aufgabe zugeteilt und ich gehe ihr kontinuierlich nach. Einmal in Längsrichtung bürsten und dann alles wegharken und dann einmal in Querrichtung das gleiche Spiel. Ob man das so machen sollte, weiß ich nicht. Es gibt im Internet rund 4,5 Millionen verschiedene Experten, die einem das Eine, oder das Andere, oder irgendwas komplett Anderes raten. Ich mach es jedenfalls so und ich fühle mich gut dabei. Scheiß auf die Experten.

Ich ziehe also meine Bahnen, während der Hase sich damit beschäftig, ein paar Sichtschutzzäune und die dazugehörigen Pfosten mit einer Holzlasur zu streichen. Das macht der Hase nicht zum ersten Mal und deswegen auch gut. Ich kann da echt nicht meckern. Es ergibt sich allerdings dabei jedesmal eine leichte Diskrepanz (habe ich im Übrigen eben auch zum ersten Mal geschrieben) zwischen der Angabe der Quadratmeter die man mit einem Kanister der Lasur anstreichen kann und dem was der Hase tatsächlich schafft. Auf dem Kanister stehen 65m² und er ist fast leer, als der Hase einen ganzen und einen halben Zaun, sowie zwei Pfosten bepinselt hat. Was in etwa, wenn man es großzügig auslegt, rund 12m² ergeben. Also alles was Recht ist, wenn mein Hase Holz mit Lasur einstreicht, dann ist das danach in etwa so lange haltbar wie Tupperware. Aber ich will hier ja nicht kritisieren. Es sieht ja auch wirklich gut aus hinterher.

Das ist auch kein Problem. Das einzige Problem heute ist, dass der Hase zu früh fertig ist mit dieser Tätigkeit. Zu früh deswegen, weil ich noch längst nicht fertig bin und der Hase es nicht leiden kann, wenn ich arbeite und sie nicht. Weswegen sie auf meinen Vorschlag, sich doch einfach hinzusetzen und die Zeitung zu lesen, gar nicht einlassen will. Ich höre wieder die Hasenpfoten scharren. Der Hase braucht also ein neues Tätigkeitsfeld und der Hase findet auch eines. Ein Beet hinten im Garten, das an das Gartenhaus ragt, möchte ein wenig bearbeitet werden. „Was willst Du da denn jetzt?“, frage ich. „Och ein bisschen Büsche beschneiden und Efeu rausreißen“, sagt der Hase, Was mich ein bisschen verwundert, denn ich bin gerade vor einer Woche hier gewesen und habe die Büsche beschnitten. Jetzt also nochmal Hand anzulegen, ist nichts weiter als versteckte Kritik an meiner Arbeit und damit habe ich ja so meine Probleme. „Wenn Du meinst, dass Du es besser kannst…..“, brumme ich und wende mich ab.

Und so geht der Hase, bewaffnet mit einer Rosenschere, einer Astschere und einer kleinen Säge auf das Beet zu. Das Beet in dem auch die Forsythie steht. Und wenn diese geahnt hätte, was auf sie zukommt, hätte sie ihre Wurzeln geschnappt und die Flucht ergriffen. Es liegt eine leicht verrückte Note im Gesichtsausdruck des Hasen, als sie damit anfängt zu schneiden. Sie wirkt manisch und beginnt zunächst mit ein paar kleinen Zweigen, die sie mit der Rosenschere kappt. Doch kaum hat der Hase Blut (oder Pflanzensaft) geleckt, da muss auch schon das größere Besteck ran und sie haut ein paar dicke Dinger mit der Astschere weg. Und den Hasen in seinem Lauf hält weder Bändiger noch Esel auf. Wobei ich mir ziemlich sicher bin, hier beides zu sein.

Es wird geschnitten und gerupft und Blätter, Zweige und Äste fliegen aus dem Beet, als wenn ein Maishäcksler hier durchpflügen würde. Der Hase blickt manisch und manchmal kommt sie mit einem halben Baum aus dem Unterholz. „Der war tot“, sagt sie und hat wahrscheinlich recht, weil sie ihn so einfach abbrechen kann. Noch hat der Hase ja keine Superkräfte. Dann kommt der Hase zur Forsythie. Auch hier beginnt sie erst im Kleinen und stutz ein paar Zweige. Dann auch wieder ein paar Äste und dann mehr. Und ich sage:“ Hase, warum schneidest Du da so viel weg?“ „Das Holz ist tot“, sagt der Hase und guckt ein bisschen wie Klaus Kinski in einem Edgar Wallace Film. „Und warum hängen da gelbe Knospen an den Zweigen?“, frage ich. Der Hase ignoriert meinen Einwand „Und außerdem ist der Busch alt und außer Form“, sagt sie und nimmt die kleine Säge, die wir gerade neu erworben haben, in die Hand. Und ich denke, alt und außer Form geraten bin ich auch. Und ich denke weiterhin: „Hase“, denke ich, „Hase, leg die Säge weg!“ Und ich sage so im Scherz: „Am Besten, Du schneidest die Forsythie direkt unten ab.“ Und ich merke, da versteht der Hase keinen Spaß.

Kaum dass ich mich einmal weggedreht habe, ist der Busch Geschichte. Nur ein paar kümmerliche Stümpfe sind noch kurz über dem Boden zu erkennen. Ich gebe auf, Einwände vorzubringen und harke mein Moos zusammen. Später erzählt mir der Hase, dass man Forsythien auch immer mal wieder auf den Stamm schneiden solle und dass das genau das wäre, was sie gemacht hatte. Auch wenn es keinen erkennbaren Zusammenhang gibt, muss ich spontan darüber nachdenken, dass der Hase mir auch immer die Haare schneidet. Ich hoffe nicht, dass da irgendwann irgendwas bis auf den Stamm geschnitten werden muss. Als wir abends auf dem Sofa liegen, ist der Hase total erschöpft. Alles tut ihr weh und sie liegt da, wie niedergestreckt. Niedergestreckt von einem Busch. Und ich sage: „Hase, dass ist die Rache der Forsythie.“, während der Hase daliegt und ein bisschen unruhig mit den Pfoten scharrt.