Gipfelstürmer….nur wo Du zu Fuß warst, bist Du auch wirklich gewesen

Unterwegs am Meraner Höhenweg

280m hoch

1.100m runter

Wanderstrecke 12,5km bei 5 Stunden Wanderzeit

Pfelders heißt der Ort, in dem „Alpenblick“ steht und Pfelders ist bestimmt noch nicht wach, als zwei Herren mittlerem bis älterem Alters in einem Doppelbett liegen und mein Schlafgenosse das kleine Licht um 6 Uhr anmacht. Was allerdings nicht ganz richtig ist. Erstens ist es 7 Minuten vor 6 und zweitens verwechselt er die Lichtschalter, die über dem Bett positioniert sind. Er macht also statt der kleinen Leselampe über seinem Bett die große Zimmerbeleuchtung an. Diese stammt offensichtlich aus dem Flutlichtmast eines mittelgroßen Fußballstadions und kann wahrscheinlich durch Wände scheinen. Man kann damit röntgen. Gefühlt zweieinhalbtausend Watt strahlen eine Helligkeit aus, bei der die Sonne ein schattiges Plätzchen ist und es ist mir, als würde ein Engelschor Hosianna singen, oder Halleluja. Wenn dieses Licht ein Musikinstrument wäre, dann eine Trompete und sie würde direkt in mein Ohr geblasen. „Oh, falsche Lampe“, sagt Opa, während ich für einen kurzen, aber sehr prägenden Moment glaube, dass ich mein Augenlicht für immer verloren hätte. Er schaltet dann doch lieber die kleinere Lampe an, macht das Inferno aus und ändert die Beleuchtung von grell und hell in immer noch hell, aber nicht mehr so schlimm. Er wollte mich nicht wecken, sagt er. Was aber eh egal ist, denn eigentlich bin ich schon seit halb sechs wach (wie immer). Aber mit so viel Licht zur Begrüßung des neuen Tages habe ich nicht gerechnet. Es ist, als wenn der Tag Dich gleich morgens lauthals anschreit, oder eben Trompete spielt.

Es entsteht keine Gesprächsrunde, als wir beide uns aus dem Bett schälen. Kein: „Hallo Hase.“, nur ein knappes „Guten Morgen“, ist die Begrüßung, die wir beide uns zuraunen. Eine kurze Erkundigung danach, wie der jeweils andere geschlafen hat, bringt zwei Überraschungen zu Tage: Erstens habe ich anscheinend so gut wie gar nicht geschnarcht und zweitens habe ich doch wirklich einigermaßen gut schlafen können. Und das obwohl das Bett tief und weich gewesen ist und ich es mit Opa teilen musste. Sollte seine Anwesenheit, also die Anwesenheit von dem genetischen Basismaterial des Hasen, dafür gesorgt haben, dass ich meine innere Ruhe finde? Getreu dem Motto, wenn schon kein ganzer Hase, dann wenigstens ein bisschen was davon. Wir wechseln uns ab im Bad und stellen routiniert eine angemessene Kleiderordnung her. Vor meinen Augen flackern immer noch bunte Lichter und ich kann im Spiegel so rein gar nichts erkennen. Macht nichts, ich weiß ja, wie enttäuschend mein Spiegelbild sonst morgens aussieht und das wird heute kaum besser sein. Ich führe in dieser Hinsicht ein überraschungsarmes Leben.

Das Hotel kommt nicht ganz so gut an, wie die anderen, weil es vergleichsweise doch ein bisschen älter ist , aber der Service, das Abendessen und das Frühstück sind über jeden Zweifel erhaben. Somit ist es also immer noch besser als unser erstes Domizil in Oberstdorf. Die Sachlage mit dem Einzelzimmer, das wir nicht bekommen haben, liegt ja auch nicht in der Verantwortung des Hotels. Der Mann von ASI, mit dem Opa gestern im Bus telefoniert hat, war im übrigen der Gleiche wie der, der am Sonntag schon viele leere Versprechungen gemacht hat. Er sagte gestern sinngemäß am Telefon, dass er ja schon immer an den anderen Tagen das Einzelzimmer organisiert habe, es diesmal aber nicht möglich sei, weil in ganz Pfelders kein Bett mehr frei gewesen wäre.

Opa korrigierte ihn dahingehend, dass er ihm klarmachte, dass er bisher einen Scheißdreck für uns gemacht hatte und sich nur den Arsch wundgesessen und uns unserem Schicksal überlassen hatte. Natürlich hat Opa das nicht wortwörtlich so gesagt, aber im Subtext war er dann doch eindeutig. Bisher haben wir immer nur die Einzelzimmer bekommen, weil entweder Opa oder aber eine nette Wirtin sich darum gekümmert hatten. Dass es diesmal nicht klappt, hat der Typ von ASI anscheinend kurzfristig vom Hotel Alpenblick erfahren und deswegen Opa angerufen, um den Sachverhalt zu schildern und sich selbst in ein besseres Licht zu setzen. Und wenn sich einer mit Licht auskennt, dann Opa! Das hat er ja heute morgen bewiesen. Opa weiß, wie man es heller machen kann. Eine Entschädigung soll auf den Weg gebracht werden, aber Opa wiegelt ab. Er habe jetzt Urlaub und den wolle er genießen und sich nicht mit Entschädigungsfragen rumschlagen.

Einziger Lichtblick (schon wieder Licht), er, also der ASI (auch gern Assi ausgesprochen) Krisenbewältiger ohne die Fähigkeit Krisen zu bewältigen, hat für heute Einzelzimmer in der letzten Übernachtungsstätte organisierten können. Diese wird die Villa Laurus sein und wir sind gespannt, ob das Haus/ die Villa den guten bis sehr guten Standard, den wir mittlerweile gewohnt sind, und unter dem wir nicht mehr hausieren wollen, auch beibehalten wird. Zunächst aber stehen wir vor der letzten (schon?) Etappe unserer großen Alpentour, der wir insgesamt mit gemischten Gefühlen entgegen sehen. Während ich mich über lediglich 280 Höhenmeter Anstieg freue, weil das die Chancen erhöht, dass ich komplett dabei sein kann, befürchtet so mancher, dass die 1.100m Abstieg schlimm werden könnten. Ich glaube Opa ist der einzige, der sich wirklich auf jeden Meter freut. Die Strapazen perlen ja an ihm auch ab, wie Wasser an fettigem Haar. Auch wenn Neid zuweilen eine hässliche Sache ist, ich beneide ihn wirklich.

Unsere Busfahrt zum Start der Wanderung dauert nur 10 Minuten und führt nach Außerhütt. Das ist natürlich die Haltestelle nach Innerhütt, wer würde das anzweifeln wollen. Gestern noch herrschte bei uns vieren eine gewisse Aufregung, weil 50% der Wetterdienste für heute vor möglichen schweren Gewittern gewarnt hatten. Gewitter hatten wir ja schon, war auch mal nicht schön und muss man nicht unbedingt nochmal haben. Aber mein Wetterdienst sagte Sonnenschein voraus. Ich mag es ja eigentlich nicht, wenn ich rechthaberisch bin, finde es aber gut, wenn das was ich sage auch wirklich stimmt. Und das tut es meistens. Also hat sich das Wetter anscheinend nach mir gerichtet und die Sonne strahlt hell. Beinahe so hell wie die Lampe heute morgen.

Heute auf dem Programm: Viel Wald, überall wilde Bäche und Flüsse (wie eigentlich immer), viele gut zu laufende Strecken und die Jausenstation namens Christelhof. Bei letzterer handelt es sich um ein großes Wohnhaus, ohne irgendeinen direkten Hinweis darauf, dass man hier Speis und Trank kriegen könnte. Ein paar sehr schlichte und rustikale Sitzgelegenheiten, ein wunderbarer Ausblick und eine alte Frau, die hier die Leute bedient. So wie man es sich auch ein bisschen klischeehaft vorstellt. Außerdem auf unserem Weg ist das Kirchlein in Ulfas, das ein wirklich kleines Kirchlein ist. Dahinter geht es mit einem kleinen Weglein weiter. Krichlein und Weglein stehen so in der ASI Streckenbeschreibung.

Das Ende der Strecke hat es dann aber doch noch sehr in sich. Die meisten der 1.100 Höhenmeter Abstieg fallen auf die letzten paar Kilometer, die dadurch natürlich reichlich steil sind. Und felsig sind sie und wurzelig und schwierig zu laufen und nicht nur ich denke, es wird Zeit, dass das mal endlich aufhört. Und dann, die Füße tun schon mächtig weh und Knie und Oberschenkel murren wie ich, dann ist es plötzlich so weit. Es ist vorbei, der letzte Schritt in den Alpen ist ebenso gelaufen, wie unsere Tour. Es bleiben zwar noch einige Meter in Sankt Martin, dem Ort an dem wir aus den Bergen kommen und unseren Bus nach Meran nehmen. Und auch in Meran werden wir sicherlich noch ein paar Strecken zu Fuß bewältigen, aber das zählt nicht mehr dazu. In den Bergen ist halt in den Bergen. Der Rest sind Spaziergänge. Und mit dem letzten Schritt macht sich eine große Erleichterung breit und ich erinnere mich an meine Ängste, die ich vor Antritt der Wanderungen hatte. Manche haben sich erfüllt (das Gewitter und mein Abbruch am vorletzten Tag), aber ich bin vor Durchfall und diesen fürchterlichen steilen, todbringenden Stellen (die es zweifelsohne in den Alpen gibt) verschont geblieben.

Aber mit den letzten Metern macht sich natürlich auch eine gewisse Wehmut breit. Denn so anstrengend der ganze Mist auch manchmal ist, es ist einmalig und mit nichts vergleichbar. Wir hatten fünf aufregende und tolle Wandertage und dass ich das mit meinen Kindern zusammen machen konnte, war für mich toll und wichtig und ich denke, dass es für die Kinder auch eine grandiose Erfahrung war. Auch wenn sie ihren Alten durch die Alpen gefühlt ein bisschen mitschleifen mussten. Und für Opa war es bestimmt in vielerlei Hinsicht eine bedeutende Sache. Er hatte noch einmal die Gelegenheit hier zu sein und zu wandern. Etwas was in seinem Alter nicht gerade selbstverständlich und für die meisten seiner Altersgenossen höchstwahrscheinlich unmöglich ist. Und ich denke, dass es für ihn auch ein Erlebnis war, dass seine Enkelkinder dabei waren. Und wahrscheinlich war es ihm ein inneres Fest, seinem missratenen Schwiegersohn einmal zu zeigen, was eine Harke ist. Aber abschließend gesagt, ist es wie immer, nichts ist eindeutig und so ist man gleichzeitig glücklich und traurig und man beendet die Tour mit dem zufriedenstellenden Gefühl es geschafft und überlebt zu haben und dem leicht bedrückenden Gedanken, dass es vielleicht in dieser Form und Konstellation ein einmaliges und einmalig faszinierendes Erlebnis war, ist und wahrscheinlich bleiben wird.

Wir fahren mit dem Bus nach Meran und müssen da noch eine Weile laufen. Es ist mega warm und wir beschließen als erstes ein echtes italienisches Eis zu essen. Was durchaus sehr lecker ist, aber genauso schmeckt, wie bei einem guten Eiscafe in Deutschland, das italienisches Eis anbietet. Wir gehen weiter zur Villa Laurus. Meran ist keine kleine Stadt und ist eingerahmt von majestätisch anmutenden Bergen. Es wachsen sogar Palmen in Meran. Für mich der Inbegriff von Urlaub, an einem Ort zu sein, an dem Palmen wachsen, ausgenommen die Zimmerpflanzenabteilung im Baumarkt oder Gartencenter. Außerdem weiß ich ja, dass wir in Italien sind. Ich wundere mich aber, dass sämtliche Beschilderungen immer zuerst in deutscher Sprache und erst dann darunter in italienisch geschrieben sind. Was gut ist, denn es sprechen auch die meisten Leute hier deutsch und wenn man müsste könnte man sich sogar verständigen.

Die Villa Laurus ist, wenn man es genau nimmt, wirklich eine Villa. Ein prächtiges, großes, hell verputztes Haus mit passenden Fensterläden. So wie man sich eine südländische Villa vorstellt. An der Rezeption sind zwei junge Menschen (Mann und Frau) und wenn man in Österreich schon sehr sehr nett war, legen die beiden sogar noch eine Schippe drauf. Er reserviert uns ein Taxi für unseren Transfer morgen früh zum Bahnhof, wo unser Bus losfährt. Und außerdem reserviert er uns einen Tisch für heute Abend in einer Pizzeria. Bis wir dahin gehen, bleiben wir noch in unseren gediegenen Zimmern und lassen den letzten Tag Revue passieren.

Ein letzter Abend mit einer original italienischen Pizza und einem Spaziergang an einem schönen Fluss mit einem schönen Mond und dem Flair einer südeuropäischen Stadt und einer Außentemperatur von 27°C abends um halb elf, sind der eigentliche Schlusspunkt unserer Reise. Und es war und ist fabelhaft und der Wunsch bleibt groß, dass man auch gerne mehr Zeit gehabt hätte. Zeit innezuhalten, sich umzusehen und wahrzunehmen, wo man wirklich ist. Das hat eigentlich nur während der Wanderungen geklappt. Weswegen der Spruch „Nur wo Du zu Fuß warst, bist Du wirklich gewesen“, den jeder ASI Mitarbeiter auf seinem T-Shirt hatte, wirklich zutrifft. Aber das mit der rasenden Zeit ist im Urlaub ja immer so. Man hat nie genug davon und alles ist zu schnell vorbei. Wie bei uns auch. Morgen ist noch die Rückreise.

Wir gehen über einen anderen Weg zur Villa Laurus. Die Straße ist klein und eine Sackgasse an deren Ende eine kleine Pforte auf das Grundstück führt. Sie, die Pforte, hat zwar ein Schloss, ist aber nicht verschlossen und so marschieren wir sozusagen durch die Hintertür auf die Villa zu. Sie kommt uns allerdings ein bisschen fremd vor. Aber das ist ja nicht weiter verwunderlich, wenn man bedenkt, wie oft wir in den letzten Tagen umgezogen sind. Auf einem Balkon steht ein junger Mann und spricht uns an und fragt, was wir denn hier wollen. „Zur Villa Laurus natürlich“, sage ich. „Ja die ist aber da, ein Haus weiter“, sagt er und uns wird peinlicherweise bewusst, dass wir auf einem Privatgrundstück sind. Wir stolpern durch die Dunkelheit und gehen ein Haus weiter erneut auf ein Grundstück. Sehr schnell erkennen wir, dass wir richtig sind. Geschichte……Noch bevor man uns fälschlicherweise für Einbrecher halten kann, gehen wir in die feudalen Betten in den feudalen Zimmern und sinken in einen feudalen Schlaf. Gute Nacht Ihr Alpen, war schön bei Euch.