Gipfelstürmer……Epilog, Abschied von den Alpen

Tag 7

Abreise……

mit dem Bus nach Oberstdorf und dann mit dem Auto nach Hause….

Ich habe einen neuen Berufswunsch. Ich möchte neuerdings Taifahrer werden. Aber nicht irgendein Taifahrer. Nein, ich möchte so werden wie der Taifahrer, der uns hier in Meran von der Villa Laurus zum Bahnhof gebracht hat. Der Gute hat uns vier und noch vier weitere Fahrgäste zum Bahnhof gebracht, er fährt einen Kleinbus, da passen so viele Leute rein. Und für diese Fahrt, die nicht länger als 10 Minuten dauert kassiert er einen Festpreis, weil wir ja auch unterschiedlicher Gruppen angehören und es mit dem Auseinanderrechnen nicht gerade einfach ist. Er blickt kurz in die Luft, denke nach und sagt: „Macht 6 Euro pro Person.“ Er spricht einwandfrei Deutsch, damit es keine Missverständnisse geben kann. Ich beginne zu rechnen. Sechs mal Acht…..das macht…..öh…..ah, ich hab´s, das macht 48 Euro. Waaaasss???? 48 Euro für 10 Minuten? Was ist das für ein Stundenlohn. Und ich denke: „Alter, was bist Du von Beruf? Anwalt?“ Und ich spiele mit dem Gedanken ihm eine Radkappe zu klauen, als Entschädigung sozusagen, lass es aber sein, denn man hört ja so viel von Leuten, denen man einen Betonsockel an die Füße pappt und dann mit denen schwimmen geht. Das möchte ich nicht. Dan finanziere ich doch lieber die Ausbildung der Kinder des Fahrers.

Aber der Reihe nach. Beginnen wir mit dem Erwachen. Wenn man in einer Villa erwacht, dann trompetet kein grelles Licht die Nacht weg. Was auch daran liegt, dass ich wieder ein Einzelzimmer habe. Nein, der Tag kommt auf leisen Sohlen und alles ist irgendwie schön. Wahrscheinlich wäre hier auch schlechtes Wetter schön. Der Regen würde wahrscheinlich in Watte verpackt auf leisen Sohlen auf die Erde fallen. Die Vöglein zwitschern gedämpft und ein zaghafter Sonnenstrahl huscht vorsichtig durchs Fenster. Ich liege auf dem zweitbequemsten Bett, nach dem in Sölden, auf dem ich je lag und habe bestens geschlafen. Es ist so gediegen hier, dass meine schmutzigen Wanderstiefel wirken, als kämen sie aus einer anderen Welt. Ich persönlich komme definitiv aus einer anderen Welt, fühle mich aber sauwohl hier…..werde mir wohl auch mal ne Villa zulegen müssen.

Und dann das Frühstück. Geschmacklich erste Sahne, wie auch an den anderen Tagen, aber in einem schicken lichtdurchfluteten Raum ist alles sehr ansprechend angerichtet. Die Kinder und ich sind der Meinung, dass der Hase es für uns zu Hause ruhig auch mal so gestalten könnte. Wir sind jetzt einen anderen Standard gewohnt, da kann sie sich gern ein bisschen nach ausrichten. Wir speisen, gehen auf die Zimmer, packen ein letztes Mal die Sachen und begeben uns nach unten, zum auschecken. Ich bin als erster da und gebe meine Schlüsselkarte fürs Zimmer ab. „Macht einsachtzig“, sagt die nette Frau an der Rezeption. Huch, wofür das denn? Die italienische Frau, die frappierend gut deutsch spricht, sagt: „Kurtaxe.“ Bis zu diesem Moment noch war ich beseelt von der Villa und dem italienischen Flair, das hier alles umgibt. Aber dann kommt dieses knatternd deutsche Wort „Kurtaxe“ und man ist mit einem Schlag an der Nordseeküste, wo die Leute auf ihrem Dauercampingplatz immer die Hecke schneiden. Nichts gegen die Nordsee, aber ich bin doch im Süden und da sollte es Worte wie Kurtaxe nicht geben. Und wenn, dann auch italienisch: „La Taxa, de la Kuro“, so als Beispiel.

Dann kommt dieses Taxi und der Raubritter und Wegelagerer bringt uns und andere Wanderer zum Bahnhof. Wie uns auffällt, ist die ganze Villa Lauro voll mit Wanderern und zumindest ein Teil von ihnen ist auch mit ASI unterwegs. Am Bahnhof sollen wir Ausschau halten, nach einem weißen Kleinbus, der extra für die Fahrt nach Oberstdorf gechartert wurde. Es kommt zunächst ein großer weißer Reisebus und dann der kleinere weiße Bus, nach dem wir Ausschau halten sollten. „Der ist unser“, denken wir und strömen auf das Gefährt zu. Bereit das Gepäck selbstständig in den Kofferraum zu packen, in das Gefährt zu stürmen und dann die besten Plätze zu ergattern, bevor es irgendwer anderes macht. Handtücher auf den Sitzen drapieren geht nicht, wir haben keine dabei. Nur wer schnell genug ist, kriegt auch die guten Plätze.

Den Fahrer fast beiseite schiebend, nähern wir uns dem Fahrzeug. Nur mit Mühe kann er uns aufhalten. „Das ist nicht der Bus nach Oberstdorf!“, sagt er verzweifelt. Aber wir wollen uns von derlei Kleinigkeiten nicht abschrecken lassen, wir wollen Fensterplätze. „Der da fährt nach Oberstdorf!“, sagt er und zeigt auf den großen Reisebus, der vor seinem Kleinbus parkt. Okay, dann halt dieser. Soll uns recht sein. Der ist viel größer und hat somit viel mehr Platz. Der neue Busfahrer nimmt unser Gepäck und verstaut es im Kofferraum unten im Bus. Die Rucksäcke nehmen wir mit rein in den Bus. Und weil dieser so groß ist und so viele Plätze hat, setzen wir uns jeweils an einen Fensterplatz. Den jeweiligen Rucksack setzen wir daneben. Es ist viel Platz und so ein Rucksack kann es auch mal gemütlich haben. Wir gehen einfach davon aus, dass es zu Coronazeiten keinen vollen Bus geben wird.

Es ist noch Zeit bis zur Abfahrt und immer mehr Leute tauchen auf und steigen in den Bus. Zur Abwechslung gibt es sogar noch ein paar Leute mehr, die mitwollen. Gefolgt von weiteren Menschen, deren Reiseziel Oberstdorf ist. Die Sitzordnung, die wir uns gewählt haben ist nicht länger tragbar und bevor sich jetzt eine fremde Person neben mich setzt, suche ich meine Tochter heim. Sie ist ja viel schmaler als ich, also passt es auch für mich mit dem Sitzplatz. Sie selbst wird ein bisschen gequetscht, aber das sind Einzelschicksale, auf die man nicht immer Rücksicht nehmen kann. Ist ja auch nur für viereinhalb Stunden, denn Abfahrt ist um 8 Uhr und um 12.30 Uhr kommen wir in Oberstdorf an. Sagt zumindest ASI in seiner Broschüre. Und auch, wenn die sich in dieser bei den Wanderzeiten oft verhauen haben und wir länger brauchten, als angegeben, werden die doch sicherlich bei der Bustour wissen, was sie schreiben.

Wir fahren los und der freundliche Busfahrer begrüßt uns an Bord und sagt, dass wir die geplante Ankunftszeit von 13.30 Uhr nicht einhalten können werden. Moment, denke ich, das klingt nicht wie 12.30 Uhr und was soll das heißen, wie können die Zeit nicht einhalten? Wird es noch später als eine Stunde später. Das wäre dann ja…..öhm…..ja also später. Das ist nicht gut, weil wir ja auch noch die acht Stunden von Oberstdorf nach Hause fahren. Der Fahrer vermutet, dass wir bei zwei neuralgischen Punkten Stau haben werden und es schlecht zu schätzen ist, wie groß die Verzögerung sein wird. Wir sollten gedanklich noch eine Stunde dazu zählen, sagt er. Und ich zähle dazu und ich komme auf….genau 14.30 Uhr. Den anderen schwebt ein ähnliches Ergebnis vor. Unsere Begeisterung ist kaum noch zu zähmen.

Im nächsten Ort steigen noch ein paar Leute dazu. Der Bus ist voll und die Besetzung besteht zu 100% aus Wanderern. Die meisten von ihnen eher etwas jünger. So wie meine Kinder vielleicht, also Anfang bis Mitte Zwanzig. Die Coronamaßnahmen im Bus erstrecken sich auf eine altersschwache Lüftung, die viel Lärm erzeugt, aber erstaunlich wenig Luft in den Wagen pustet und auf eine geltende Maskenpflicht, auf die auch deutlich hingewiesen wird. An die sich aber nicht unbedingt jeder hält, wie wir entsetzt feststellen müssen. Da ist zum Beispiel das junge und vor allem frischverliebte Paar, das vor mir und meiner Tochter sitzt und in der Hauptsache damit beschäftigt ist, sich gegenseitig die Zunge in den Hals zu stecken, oder zumindest wild herumzuknutschen und das ist mit Maske nun wirklich schlecht möglich. „Wisst Ihr, dass man davon schwanger werden kann?“, möchte ich am liebsten sagen um so ein wenig Unsicherheit zu säen und das schamlose Treiben zu beenden. Aber ich bin heute milde gestimmt.

Ein paar Orte weiter stecken wir plötzlich in einem Stau, dessen Ende hinter einer Kurve liegt. „Halb so wild“, sage ich zu meiner Tochter, „solange die Leute nicht aussteigen, geht es bestimmt schnell weiter.“ Woraufhin die ersten Autotüren sich öffnen und die Leute aus den Fahrzeugen steigen. Bingo! Der Busfahrer, der wirklich auf Zack ist, hat auch in kürzester Zeit eine Info für uns. Es habe an der nächsten Kreuzung einen Unfall gegeben und die Bergungsarbeiten liefen. „Das ist für uns schlecht, weil wir dann später zu den neuralgischen Punkten am Fernpass und bei Füssen kommen und es dann viel voller dort sein wird.“ Unsere Ankunftszeit wird sozusagen mit Füssen getreten und wir errechnen ein wahrscheinliches Eintreffen um 16 oder 17 Uhr. Dann wären wir wahrscheinlich nicht um 21 sondern eher um 26 Uhr zu Hause. Na toll.

Nach einer halben Stunde geht es endlich weiter. Die Strecke die wir fahren ist nicht die schnellstmögliche, aber die kürzeste. Am schnellsten wäre man über Bozen und en Brenner gewesen. Aber sei es drum, wir können es nicht ändern. Aber dafür ist unsere Strecke wirklich schön. Wir haben jede Menge tolle Aussichten und ich denke, nur wo Du mit dem Bus gewesen bist, bist Du viel rumgekommen. Unterwegs kommen wir sogar an der Zugspitze vorbei. Diese ist ebenso schön wie auch furchteinflößend und ich möchte genauso gerne unbedingt da mal hoch, wie ich auch lieber hier im Tal bleiben möchte. Es ändert sich einfach nie hier in den Bergen.

Der neuralgische Fernpass entpuppt sich als Papiertiger und beinahe ohne Stau kommen wir weiter. Bei Füssen ist der Grenzübergang von Österreich nach Deutschland und weil der König von Bayern, der Söder Marcus, immer ein strenges Regiment gegen Corona führt, ist man sich ziemlich sicher, dass der Grenzgang kein leichter wird. Ich rechne mit einer Hunderstschaft berittener Polizei, die mit Hunden den Bus erstürmen und mich einer Leibesvisitation unterziehen, weil sie meinen, ich würde unter meinem T-Shirt Medizinbälle schmuggeln, oder etwas in der Art. Aber es stellt sich heraus, dass es hier nur einen einzelnen Grenzpolizisten gibt, der müde auf einem Stuhl sitzt und den vorbeifahrenden Fahrzeugen zusieht. Also kommen wir auch hier schnell durch.

Es wird dann immerhin nur 14.30 bis wir in Oberstdorf ankommen und wir sind soweit, dass wir dankbar sind, nur zwei Stunden später als ursprünglich angegeben hier einzutreffen. Wir steigen aus und gehen ein paar hundert Meter zum Parkplatz, auf dem das Auto steht. Oder wo wir es zumindest stehengelassen haben. Denn wenn man sein Auto eine Woche lang allein auf einem öffentlichen Parkplatz zurücklässt, entstehen mindestens zwei Ängste. Erstens: Wird es noch da stehen? Und zweitens: Habe ich auch wirklich keine Innenbeleuchtung angelassen. Und ich kann beide Fragen mit ja beantworten und somit steigen wir ins Auto, starten und fahren los. Froh endlich alleine zu sitzen und die Masken nicht mehr zu benötigen verlassen wir Oberstdorf. Wir fahren weg und viele, viele Autos kommen. Autos in denen Menschen sitzen, die vielleicht auch einmal durch die Alpen wandern wollen, so wie wir es in den letzten Tagen gemacht haben. Für uns ist es aber vorbei. Wir haben unseren Spaß gehabt. Während die Berge im Rückspiegel immer kleiner werden, sind wir froh, dass wir alles unbeschadet hinter uns gebracht haben. Aber es ist auch bewegend, denn die Wahrscheinlichkeit, dass wir es in dieser Konstellation noch einmal hinbekommen würden, ist verschwindend gering. Und wir sagen stumm „Tschüss“ zu den Alpen, denn unser Abenteuer ist nun vorbei.

Nachtrag

Diese Gipfelstürmergeschichtchen sind in erster Linie als eine Art Tagebuch für uns vier gedacht, die wir zusammen im Berg waren, wie man so schön sagt. Bei allen anderen Unglückseligen, die ihre Zeit damit vertan haben, sich das alles durchzulesen, möchte ich mich für eventuelle Langeweile entschuldigen und hoffe, dass es vielleicht dafür gereicht hat, besser einschlafen zu können. Eventuell aber hat der ein oder andere auch den Gedanken gefasst, eine ähnliche Tour zu unternehmen. Vielleicht konnte man dann zumindest ein bisschen erfahren, darüber wie es so ist und was einen erwartet. Ein paar dinge würde ich unbedingt empfehlen: Kauft Euch vernünftige Schuhe. Die sind zwar arschteuer, aber auch ihr Geld wert. Probiert dabei lieber ein paar mehr aus, bis ihr den richtigen gefunden habt. Man sollte vorbereitet sein, rein konditionelle, denn diese Etappen einzeln sind nicht leicht, aber fünf Tage hintereinander ist schon eine ganz andere Hausnummer. Und wer zu Übergewicht neigt, sollte zusehen, dass er ein bisschen was von den Rippen kriegt, denn jedes Kilo in den Bergen möchte auch hochgetragen werden und das ist mitunter kein Vergnügen. Ansonsten ist es das aber schon. Ich persönlich würde es jederzeit wieder machen. Und wenn es möglich wäre, würde ich dann gerne ein bisschen mehr Zeit haben, um auch zwischen den Etappen ein bisschen etwas von den Orten zu erleben, in denen man übernachtet.