Ein kluger Mensch hat einmal gesagt, wenn man schreiben lernen möchte, dann gibt es nur drei Dinge, die helfen:Schreiben, schreiben und nochmal schreiben. Ich habe einen Blog. Und in den schreibt man gewöhnlicherweise Dinge. Das ist in letzter Zeit zu kurz gekommen. Die Katzengeschichte lahmt gerade etwas. Deshalb erscheinen von jetzt an, in loser Reihenfolge, ein paar Fingerübungen, damit ich nicht ganz einroste. Dies ist die erste davon. Ein zweifelhaftes Vergnügen, wie ich gestehen muss, aber da müsst Ihr (oder Du, je nach Anzahl der Leser) jetzt durch….
Mein erster Kuss war ein komplettes Desaster und er sollte mein Verhältnis zu Frauen, äh Mädchen, ach sagen wir einfach mein Verhältnis zum weiblichen Geschlecht nachhaltig beeinflussen. Negativ beeinflussen. Sie, die geküsste Person, war ein Mädchen aus der Nachbarschaft. Ach, wir waren so jung und unerfahren. Sieben, um genau zu sein. Sieben Jahre waren wir jung und als sich unsere Lippen berührten, für diesen Bruchteil einer Sekunde, wurde mir erschreckend klar, dass sich mein Leben von nun an komplett geändert hatte, denn ich hatte soeben geheiratet.
Nicht in echt. Natürlich war es nur ein Spiel. Eines, dass sich meine älteren Geschwister ausgedacht hatten und das mit nachbarschaftlicher Hilfe umgesetzt wurde. Meine Geschwister waren meisterhaft im Erfinden von schönen Spielen mit Unterstützung aus der Nachbarschaft und wenn es eine Gemeinsamkeit in all diesen spielen gab, dann war es die Tatsache, dass ich am Ende der Depp war. Wie zum Beispiel, als wir „Winnetou“ nachspielten. Ich vermute es waren alle drei Teile angedacht und es wurde mir die Ehre zuteil, „Old Shatterhand“ darzustellen. Wir begannen mit der Szene, in der Old Shatterhand an einen Marterpfahl gefesselt wurde. Ich, also Herr Shatterhand, wurde von den Indianern (das waren alle anderen Nachbarskinder inklusive meiner Geschwister) gefangen genommen. Obwohl es heroischer gewesen wäre, durfte ich mich nicht wehren. Das stünde so nicht im Drehbuch, sagte mein Bruder und ich wusste nicht im Geringsten, was ein Drehbuch sein sollte. In meiner Fantasie sah ich ein Buch, dass sich drehte, warum auch immer es das tat.
Als Gefangener der Indianer hatte ich eigentlich nur ein Aufgabe: Willenlos abwarten. Während mich zwei Krieger bewachten, tagte der Ältestenrat, um über mein Schicksal zu entscheiden. Wenn ich es recht betrachte, bestand der Ältestenrat nur aus Kindern, die teilweise nicht einmal älter waren, als ich. Das kam mir schon damals widersprüchlich vor. Auch, dass sie die Köpfe zusammensteckten und abwechselnd tuschelten und kicherten, war mir ebenfalls sehr suspekt. Mein Bruder (ich denke er war Winnetou, im Film sagte doch Winnetou immer zu Old Shatterhand „Mein Bruder“) trat aus der grinsenden Gruppe zu mir und verkündete das Urteil:
„Bleichgesicht (das war jetzt ich), Du bist unerlaubt in unsere Jagdgründe eingedrungen…“ „Ja aber, ich wohne doch hier“, unterbrach ich ihn. „Mann Du Dämel, das steht doch so im Drehbuch (da war es schon wieder, dieses drehende Buch), also unterbrich mich nicht und mach gefälligst mit.“ mein Bruder war etwas ungehalten und begann von vorn. Diesmal störte ich nicht und so konnte er das Urteil verkünden: Ich sollte am Marterpfahl schmoren, bis die Geier meine Augen rauspicken würden. „Immerhin skalpieren sie mich nicht“, dachte ich während man mich zum „Marterpfahl“ brachte. Dieser war ein kleines Bäumchen auf einem Nachbarsgrundstück. Als Strick diente ein Seil unserer Schaukel. Ein mehrfach geflochtener dicker Tampen, der irrsinnig kratzig war. Während zwei der Indianer damit beschäftigt waren, mich zu fesseln (sie taten dies sehr gründlich und mit einer erschreckenden Hingabe) tanzten die anderen um uns herum und stimmten etwas an, das sie für den Kriegsgesang der Apachen hielten. Es klang wirklich schaurig, aber wahrscheinlich anders, als sie es sich gedacht hatten. Als ich dann fachgerecht verschnürt wurde, machten sich die Rothäute aus dem Staub und ließen mich zurück. Ich hörte sie noch lachen, während sie wegliefen und jemand sagte: „Mann, der ist aber auch echt dämlich. Hätte nicht gedacht, dass er mitmacht“
Ja, ich war wirklich echt dämlich. Das schwante mir spätestens, als sich nach einer halben Stunde niemand blicken ließ. Nach einer weiteren dreiviertel Stunde ahnte ich, dass man mich verarscht hatte. Natürlich versuchte ich mich zu befreien, aber das war aussichtslos, denn die Knoten waren fest und das Seil selbst gab auch kein Stück nach. Ich begann zu rufen. Zuerst nach meine Peinigern, „Ihr habt Euern Spaß gehabt, nun lasst mich frei.“ Als nichts passierte rief ich nach meiner Mama, bemerkte aber, dass es sich nicht gut macht, nach Mama zu rufen. Schließlich war ich Old Shatterhand. Ein Respekt einflößendes Bleichgesicht, dass wahrscheinlich gar keine Mama hatte. Ich denke, er hat sich mit ziemlicher Sicherheit selbst zur Welt gebracht. Also verallgemeinerte ich meine Aussage und rief einfach um Hilfe. Irgendwann, ich war inzwischen der festen Meinung, dass die Geier schon über mir kreisten und sich auf meine Augen freuten, erschien der Nachbar. Also der Vater der nachbarschaftlichen Indianer und versuchte mich zu befreien. „Wie kann man nur so dämlich sein und sich einfach fesseln lassen?“ murmelte er, während er mit einem scharfen Messer das Seil unserer Schaukel durchtrennte.
Wieder in Freiheit ging ich nach Hause, wo ich prompt jede Menge Ärger bekam, weil das Seil unserer Schaukel kaputt war. Ich versuchte meiner aufgebrachten Mutter den Sachverhalt zu erklären: „Ich war doch Old Shattehand..“ „Old wer?“ fragte sie. „Na, Old Shatterhand und ich musste an den Marterpfahl. Und dann sind die Indianer abgehauen und haben mich da angebunden gelassen und dann hat der Nachbar das Seil durchgeschnitten.“ „Wir haben doch gesagt, dass wir gleich wieder kommen“, unterbrach mich mein Bruder. „Na dann hättest Du ja warten können“, sagte meine Mutter. Der Fall war also klar und ich musste zur Strafe den Hof fegen. Hof fegen war mächtig angesagt in den siebzigern und es gab kein Kind, das diese Tätigkeit nicht hasste. Es war eine harte Strafe, besonders weil ich doch unschuldig war.
Das Verhältnis zwischen mir und meinen älteren Geschwistern war also angespannt in dieser Zeit. Sie ärgerten mich, wann immer sich die Gelegenheit ergab. Ich verpetzte sie mindestens genauso oft. Sie bekamen dann Ärger mit meiner Mutter, den sie wieder an mir ausließen, wofür ich sie wiederum verpetzte. Ein wahrer Teufelskreis. Eine Spirale der Nickligkeiten, die sich immer weiter drehte. Bis zu dem Tag, an dem ich mich entschloss, meine Strategie zu ändern.
Ich wollte nicht mehr petzen. Eigentlich wollte ich überhaupt nicht mehr zu Hause sein. Ich wollte frei sein. Genauso wie Huckleberry Finn. Als ich wieder einmal Ärger mit meinen Geschwistern hatte, war das Maß für mich voll. In einer etwas übereilten Aktion beschloss ich abzuhauen. Ich ließ noch die Luft aus den Reifen der Fahrräder meiner Geschwister. Einerseits aus reiner Boshaftigkeit, andererseits, damit sie mir nicht folgen können. Beherzten Schrittes verließ ich also mein Elternhaus und konnte förmlich den Duft der Freiheit riechen. Ein Leben voller Abenteuer wartete auf mich und niemand würde mich mehr ärgern.
Als ich in etwa zwei Kilometer weit gekommen war, begann ich nachzudenken. Wo wollte ich eigentlich hin?, Was wollte ich dort machen? Und vor allem, was sollte ich essen? Ich wusste verlässlich, zu Hause würde es an diesem Tag Bratkartoffeln geben. Plötzlich war der Duft der Freiheit nur noch muffig und ich würde alles darum geben, den Duft von Bratkartoffeln riechen zu können. Resigniert ging ich wieder zurück, bekam Ärger, weil ich die Luft aus den Reifen gelassen hatte und durfte die Räder wieder aufpumpen. Allerdings petzte ich diesmal nicht, dass ich geärgert wurde. Sehr zum Erstaunen meiner Geschwister. Die Bratkartoffel waren übrigens die Leckersten, die ich je gegessen hatte.
Wie die Geschichte mit Hochzeit ihren Anfang nahm, kann ich nicht mehr genau sagen, aber irgendwann war es beschlossene Sache, dass ich heiraten sollte. Als wenn das noch nicht schlimm genug wäre, sollte ich auch noch ein Mädchen heiraten. Ein echtes Mädchen! Igitt! Mit sieben Jahren waren die Mädchen für uns Jungs noch eher doof. Wesen mit Zöpfen, die Sache wie Gummitwist spielten und deren Leidenschaft darin bestand, Puppen anzuziehen. Ich vermute mal, dass die Mädchen damals ähnlich über uns Jungs dachten, nur dass unsere Gewohnheiten etwas anders ausgerichtet waren.
Es wurde also nach einer Braut für mich Ausschau gehalten. Die Nachbarstochter wurde auserkoren. Sie zögerte allerdings. Sie würde niemanden heiraten, der so dämlich sei, sich an einen Baum fesseln zu lassen, sagte sie sehr überzeugend. Sie wurde mit Süßigkeiten bestochen und ließ sich dann widerwillig auf diesen Kuhhandel ein. Schauplatz des Spektakels sollte unsere Garage sein, die sowieso ein Paradoxon ist, denn weder meine Mutter, noch mein Vater haben je ein Auto besessen. Was auch nicht nötig war, weil sie auch niemals einen Führerschein hatten. Aber immerhin hatten sie eine Garage. Die allerdings so unvorteilhaft geschnitten war, dass später, als wir Kinder Autos fuhren, keines davon vernünftig in dieser Garage parken konnte.
Also für ihre eigentlichen Zwecke war sie untauglich. Als Standesamt eignete sie sich damals vorzüglich. Mein Bruder, der in seiner neuen Position als Standesbeamter, für die Durchführung dieser arrangierten Ehe zuständig war befahl mir, meine Sonntagsklamotten anzuziehen. Damals gab es wirklich noch die Sonntagshose und dergleichen. „Es ist Deine Hochzeit, da kannst Du nicht wie ein Gammler rumlaufen.“ Ich bestand darauf, dass das Garagentor halb geschlossen sein müsste und zusätzlich noch eine Decke daran befestigt wurde, um unsere Zeremonie vor unerwünschten Blicken zu schützen. So stand ich da (wahrscheinlich heißt es deswegen auch Standesamt) und wartete zusammen mit meinem Bruder auf die Braut. Diese wurde auch postwendend geliefert. Meine Schwester führte sie herein. Sie, also die Braut, trug einen Schleier, der unserer Küchengardine überraschend ähnlich sah.
Es war nicht so, dass meine Zukünftige nicht hübsch gewesen wäre, wahrscheinlich war sie sogar wunderschön, aber ich hatte damals noch keinen Blick für derartige Dinge. Da konnte sie noch so hübsch sein, sie war nun mal ein Mädchen. Bei dem Gedanken daran, dass ich sie gleich heiraten sollte, bekam ich ein mulmiges Gefühl. Es waren die berühmten kalten Füße des Bräutigams vor der Hochzeit und erst später wurde mir klar, dass dies eine ganz normale Reaktion war. Eine genetisch verankerte Schutzeinrichtung, die einen Mann davor bewahren sollte, sein Leben einfach wegzuwerfen. (Das schließt natürlich meine Ehe mit dem Hasen komplett aus. Sagt sie…..Aua, nein, das war doch nur Spaß)
Aber auch meine Braut sah nicht sonderlich glücklich aus. Sie weinte sogar ein wenig. Auch hier habe ich später Parallelen zum Erwachsenenleben feststellen können. Nicht wenige Bräute weinten bei ihrer Hochzeit, wenn sie sich vor Augen führten, welchem ungehobelten Waldschrat sie ihre Zukunft geopfert hatten (von Hasens Seite habe ich an dieser Stelle allerdings keine Zeichen vernommen, dass es ihr anders ergangen ist). Die Zeremonie ging weiter und mein Bruder verlas einen Text, den er irgendwo aufgeschnappt und dazu noch etwas verfeinert hatte. „Willst Du, (es folgte mein kompletter Name, inklusive meines zweiten Vornamens) die hier anwesende (an dieser Stelle kam der Name der Braut) zu deinem Eheweibe nehmen?
Willst Du sie immer auf Händen tragen und niemals schlagen? Willst Du ihr gehören und sie niemals stören? Jetzt und immerdar? So antworte mit Ja!“ Ich wollte gerade antworten, als er dazu anhob, das Kleingedruckte zu verlesen (das Kleingedruckte ist Bestandteil einer jeden Eheschließung und wird meistens verschwiegen, das behauptete jedenfalls mein Bruder) „Wenn Du dich nicht daran hältst, dann wirst du in der Hölle schmoren!“ Das hatte gesessen. Ich bekam Angst. Ein entfernter Verwandter, der unglücklich verheiratet war, erzählte mir viele Jahre später, er hätte sich lieber für die Hölle entscheiden sollen. Dann wäre er noch glimpflich davon gekommen. Für mich stand damals jedoch fest, dass ich nicht in die Hölle wollte und so antwortete ich mit einem „Ja“, dass ich halb rief und halb quiekte. Ich war halt sehr angespannt. Für meine Braut war das Regelwerk seinerzeit nicht ganz so streng. „Sag einfach ja, und dann seid ihr verheiratet.“ lautete der Text für sie. Tja und dann waren wir Mann und Frau. Ich war binnen Sekunden um Jahrzehnte gealtert. Auch dies eine normale Reaktion.
Doch damit war die Sache noch nicht ausgestanden. „Ihr müsst Euch jetzt küssen“, sagte der Standesbeamte. In diesem Stadium meines Lebens war es für mich das Undenkbarste auf der Welt, dass ich küssen würde und erst recht kein Mädchen. Was da passieren konnte. Nun gut, ich wusste zwar nicht, ob da überhaupt etwas passieren können würde, aber ich ahnte schon damals, dass es so etwas wie „sich selbst bestätigende Prophezeiungen“ geben könnte. Ich wollte sie nicht küssen. Das stand schonmal fest. Sie mich übrigens auch nicht, was mich stutzig machte. Woher kam diese Ablehnung. Ich war doch ihr Gatte.
Aber meine Geschwister gaben keine Ruhe und so fügten wir uns in unser Schicksal. Ich drückte ihr einen feuchten Schmatzer auf die Wange und sie wischte den Sabber angeekelt weg. „Nein, so geht das nicht. Ihr müsst Euch auf den Mund Küssen!“ „Auf welchen Mund?“ Das Gesagte klang für mich derart unfassbar, dass ich mich genötigt sah, diese hirnverbrannte Frage zu stellen. „Du musst mit Deinem Mund ihren Mund küssen:“ Mir wurde schwarz vor Augen und ich hatte das unbestimmte Gefühl mich augenblicklich übergeben zu müssen. Während ich mich also wand und zierte, nahm das Mädchen, das mit mir das Leben teilen wollte, das Heft in die Hand. Sie machte einen Kussmund und schloss die Augen. Ich überwand meine Furcht, machte die gleiche Art von Mund und schloss auch die Augen. So taumelten wir blindlinks aufeinander zu, aber unsere Lippen trafen sich nicht. „Mehr rechts“, sagte mein Bruder, während meine Schwester es damit versuchte, die Richtung mit kalt, warm, wärmer und heiß anzugeben. Bei heiß trafen wir aufeinander. Daher auch heiße Küsse. Aber dieser Kuss war schlimm für mich. Es war mir bis in die Zehenspitzen peinlich und nach einer hundertstel Sekunde zog ich mein Gesicht auch schon zurück. Ich konnte nicht beschreiben, was es war, aber ich wusste sofort, dass ich noch längst nicht bereit für so etwas Intimes gewesen war.
Die Scheidung vollzogen wir noch am selben Tag. In der Folgezeit musste ich mir Schmähgesänge meiner Geschwister anhören. Einer ging in etwa so :“ Happy Belinda (an dieser Stelle folgte der Name des Mädchens, ich nenne sie jetzt einfach mal Gudrun, so hieß sie nicht aber hierfür soll es mal reichen)…. Also nochmal: „Happy Belinda, Gudrun kriegt Kinder, macht kein Theater, Matthias wird Vater.“ Das beschäftigte mich nachhaltig. Sollte es wirklich dazu gekommen sein, dass wir durch diesen Kuss Kinder bekämen?
Wochenlang wurde auf dieser Heirat herumgetrampelt mit verschiedensten Gesängen und Gedichten und das trieb einen tiefen Graben zwischen mir und den Mädchen im Allgemeinen und zu meiner Nachbarin im Besonderen. Wir gingen immer zusammen zur Schule und bis zu diesem Erlebnis machte mir das auch nichts aus. Aber nun konnte ich nicht mehr so tun, als ob nichts gewesen wäre. Ich sträubte mich dagegen, dass wir zusammen zur Schule gingen, was meine Mutter überhaupt nicht verstand. Ich wurde schließlich gezwungen mitzugehen und fügte mich in mein Schicksal. Noch heute sehe ich sie vor mir, mit einem Faltenrock und einer weißen Lederjacke (ja, es waren die siebzieger, da trug man sowas), wie sie an der Straßenlaterne steht und auf mich wartet. Ich hasse weiße Lederjacken seit dieser Zeit und es hat Jahre gedauert, bis ich mir küssende Menschen in Filmen ansehen konnte, ohne, dass es mir unangenehm war. Damals stand für mich fest: Das wars mit den Mädchen. Da bin ich mit durch. Für immer………….
oder auch nicht……