Fingerübung Teil …

Ich schlafe nicht sehr viel. Ohne einen besonderen Grund. Ich bin einfach lange wach, gehe spät ins Bett und stehe recht früh wieder auf. In meiner Jugend war das zumindest am Wochenende anders. Da konnte ich oft bis mittags schlafen und nachmittags manchmal noch weiter machen. Frühes Aufstehen war für mich einer der Grundpfeiler des Spießertums, von dem ich mich möglichst weit entfernt sehen wollte. Das hat sich geändert. Natürlich sind die Kinder schuld. Diese kleinen selbstsüchtigen Zwerge kamen auf die Welt, unfähig sich meinem Lebenswandel anzupassen. Gerade in den ersten anderthalb, bis zwei Jahren war der eigene Nachwuchs nicht gerade sehr sensibel und schon gar nicht einsichtig. Mit dem Sprechen hatten sie es nicht so, aber dafür wussten sie wie man schreit und was in diesem Zusammenhang Ausdauer alles bewirken kann.

Natürlich standen der Hase und ich jedesmal ratlos vor einem unserer, in diesen Momenten rotgesichtigen, Kinder und mutmaßten auf blauesten Dunst, was die Ursache dafür sein könnte, dass sich diese genetische Vermengung unser beider DNA so gar nicht wohl fühlte. Waren es die Zähne, die unsichtbar für uns einen Einschuss vollzogen? Diese Vermutung lag nahe, aber wenn ich es grob überschlage, wie oft wir diese Begründung anführten, müssten unsere Kinder pro Kiefer mindestens 78 Zähne haben. Also waren es nicht nur die Zähne, die dieses markerschütternde Gebrüll verursachten. Koliken waren auch immer sehr beliebt. Genauso wie der aufgehende Mond, die untergehende Sonne, Wasseradern unterm Haus, Westwind, der von Osten kommt, Regen, kein Regen und der berühmte Sack Reis, der in China umfällt. Kurz gesagt, wir wussten es nicht. Überhaupt nicht und es ist eine der größeren Gemeinheiten der Natur, dass einem der Nachwuchs bereitgestellt wird, ohne eine Gebrauchsanleitung beizufügen. Doch bevor ein Kind das Licht der Welt erblickt, ist noch alles relativ einfach zu erklären.

Es gibt zum Beispiel Geburtsvorbereitungskurse, auch gerne „Hechelkurse“ genannt und es gab sie auch damals schon, in den guten alten neunziger Jahren.  Fortschrittlich wie ich war, ja, ich war mir damals schon sehr bewusst, dass ich emanzipiert bin und auch gelernt hatte, meine weibliche Seite zu akzeptieren, nahm ich auch daran teil, zumindest beim ersten Kind. Und das, obwohl es nicht gerade sehr wahrscheinlich war, dass ich selbst eine Niederkunft haben würde. So weiblich war ich nun doch wieder nicht.  Ein winziges Detail, das allerdings nicht weiter ins Gewicht fiel.

Der Hechelkurs bestand aus, ich glaube es waren zehn, Übungsabenden, die zeitlich gesehen immer kurz nach meinem Feierabend stattfanden. Manchmal musste ich regelrecht hetzen, um pünktlich zu erscheinen. Und das im Sommer, wo mir sowieso schon warm genug war und ich gewiss keine Hektik gebrauchen könnte. Aber ich ließ mich nicht gehen und den Hasen nicht hängen. Deshalb war ich an allen Abenden dabei und mir wurden zwei Dinge schon beim ersten Mal schlagartig bewusst. Zum einen, dass man als Mann bei der Zeugung vielleicht eine nicht ganz unwichtige Rolle spielte, aber bei der Geburt war niemand überflüssiger als der Vater. Die zweite und grundlegend wichtigere Sache war, dass unsere Kursleiterin einen Sprachfehler hatte, der mich manchmal an den Rand der Verzweiflung bringen sollte.

Erstere Annahme manifestierte sich darin, dass wir Männer in diesem Kurs eigentlich nichts weiter waren als eine Art Rückenlehne für die Frauen, die zu schwängern wir die Dreistigkeit besessen hatten. Wir wurden darauf trainiert, es unseren Gefährtinnen so gemütlich wie möglich zu machen und im Ernstfall die werdende Mutter daran zu erinnern, dass sie möglichst weiteratmen sollte. Nicht auszudenken, wenn sie das vergessen würde.

Wie das wohl in der Praxis aussehen würde? Würde der Hase vor lauter Aufregung einfach aufhören zu atmen? Würde ihr Gesicht blau anlaufen und das medizinische Personal stünde ratlos an ihrem Bett? Würde ich mich dann an diesen Kurs erinnern, den Hasen an die Schulter ticken und sagen:“ Du musst atmen!“ Würde der Hase aus einer geistigen Starre erwachen und sagen: „Verfluchte Scheiße, das hatte ich ganz vergessen. Danke, dass Du mich gerettet hast?“ (Der Hase würde diese Kraftausdrücke benutzen, weil ich einmal irgendwo gehört hatte, dass Frauen bei der Geburt fluchen wie ein betrunkener Seemann auf Landurlaub auf dem Hamburger Kiez).  Und würden dann alle mich für meine Geistesgegenwart bewundern und mir auf die Schulter klopfen? Und würde ich dann denken, „Wie gut, dass Du diesen Hechelkurs mitgemacht hast“`? Würde es so sein? Die Wahrscheinlichkeit war groß.

Aber natürlich ging es dabei um spezielle Atemtechniken, die mit Wortlauten wie „Hah“ und „Pah“ verbunden waren und dabei helfen sollten, Schmerzen zu lindern, oder besser gesagt wegzuatmen. Und Schmerzen waren auf jeden Fall zu erwarten, daran ließ die Kursleiterin keinen Zweifel, als sie auf recht anschauliche Art die Größenverhältnisse des Kindes und des Geburtskanals beschrieb. „Stellt Euch vor, Ihr müsstet einen Basketball durch einen Gartenschlauch drücken!“ Ich hatte schon immer eine lebhafte Fantasie und ich stellte mir die Sachlage vor und übertrug das Ergebnis auf die körperlichen Gegebenheiten………..Das nächste was ich sah, waren diverse neugierige Augenpaare die mich anstarrten, während ich zur Decke blickte und die Kursleiterin, die mir ein paar leichte Ohrfeigen gab. Sowas hätte sie ja noch gar nicht erlebt, dass hier einer ohnmächtig geworden wäre, sagte sie und an den Hasen gewandt: „Vielleicht solltest Du jemand anderen mit zur Entbindung nehmen.“

Eigentlich war ich natürlich nur unterzuckert. Ich hatte noch nichts gegessen. Seit dem Mittag nicht. Dafür war mein Körper einfach nicht ausgelegt. Aber nach diesem kleinen Schwächeanfall bekam ich ein Glas Wasser (ein Schnitzel wäre mir weitaus lieber gewesen) und mein Kreislauf beruhigte sich. Unsere Kursleiterin fuhr dann fort mit umfangreichen Informationen bezüglich der Krankenhäuser, in denen entbunden werden könne. „Es kann sehr entscheidend sein, dass eine Kinderklinich in diesem Krankenhaus vorhanden ist“, sagte sie und ich blieb bei der Kinderklinich hängen. Da war er, der leichte Sprachfehler! Ich weiß nicht, ob eine gewisse Absicht ihrerseits dahintersteckte, aber gefühlt jedes fünfte Wort war fortan die Kinderklinich.

Es sprang mich förmlich an und wenn ein Satzaufbau dieses Wort erwarten ließ, schloss ich vorsorglich die Augen. Die Ohren schließen konnte ich nicht und meine Finger reinstecken würde wohl etwas blöde aussehen. Faszinierend daran war, dass sie sehr wohl ein „k“ am Ende eines Wortes aussprechen konnte. Wenn sie beispielsweise „Knack“ hätte sagen müssen, wäre dabei kein „Knach“ daraus geworden(ok, das war jetzt mit „ck“, aber der Sinn ist der selbe). Aber bei der Kinderklinich war das anders. Diese falsche Aussprache brachte mich an den Rand der Verzweiflung und ich versuchte durch Grunzlaute, die ich von mir gab, diese fatale Silbe zu übertönen (Kinder machen sowas häufig, wenn sie ihren Eltern nicht zuhören wollen). Was allerdings zur Folge hatte, dass mich alle anderen ansahen, als hätte ich nicht mehr alle Latten am Zaun. „Ich habe Tourette, meinefressescheiße!“ log ich und der Hase schämte sich ein bisschen.

Wir besuchten auch einmal das Krankenhaus innerhalb dieses Kurses und bekamen dabei einen Einblick in den Kreißsaal. Das heißt in den provisorischen Kreißsaal, denn der eigentliche, der neue, der hochmodernde und urgemütliche Kreißsaal war noch in der Bauphase. Das Provisorium war eigentlich nichts weiter als ein überstürzt umfunktioniertes Patientenzimmer, in das man alle notwendigen Gerätschaften für eine Geburt reingepfercht hatte. Ein ernüchternder und trostloser Anblick. Ein Schock für die werdenden Mütter und höchste Alarmstufe für die werdenden Väter, die alles taten, um ihre Holden zu beruhigen. „Ich möchte den Chefarzt sprechen und mich beschweren!“ sagte der eine. „Schatz, wir können ja die Entbindung daheim auf dem Sofa machen.“ sagte der andere. „Bist Du nicht ganz dicht?“ fragte dessen Gattin. Und ich konnte mir eine Frage nicht verkneifen. „Und wo ist die Kinderklinich?“ fragte ich unsere Kursleiterin und ließ das „ch“ genüsslich aus dem Rachen kommend durch meine Zähne gleiten. „Seit wann hast Du denn einen Sprachfehler?“, fragte sie mich. “ Also zur Kinderklinik geht es dort entlang“ , fügte sie hinzu und zischte  genüsslich das „k“ am Ende des Wortes.

Die anderen Kursteilnehmer waren eigentlich recht nette Leute, allerdings wurde ich das unbestimmte Gefühl nicht los, dass sie die ganze Sache eher etwas verbissen sahen. Die Männer waren, soweit es in ihren Möglichkeiten lag, ebenso werdende Mütter, wie ihre Frauen und es herrschte insgesamt ein gravierender Mangel an Humor, den ich erfolglos auszugleichen versuchte. Aber wie gesagt, sie waren alles sehr nett und haben bestimmt den Hasen bedauert, weil sie mit so einem ungehobelten Waldschrat geschlagen war. Im Laufe der Sitzungen gewöhnten wir uns aber aneinander. Ich riss weniger Zoten und bemühte mich ernsthaft, die Kursinhalte zu verinnerlichen (Hah…. Pah… Hah… Pah…. einatmen…. ausatmen). Im Gegenzug wagte hin und wieder jemand von den werdenden Übereltern mal ein mitleidiges Lächeln, wenn ich der Versuchung auf einen kleinen Scherz nicht ganz widerstehen konnte.

Am Ende des letzten Abends gingen wir allesamt essen und blickten ein wenig verunsichert in die Zukunft. Die Geburt war nicht mehr fern und das ließ keinen kalt. Auch mich nicht, wie ich betonen möchte. Und so war für genügend Gesprächsstoff gesorgt.  Ein beliebtes Thema unter werdenden Eltern ist immer die Frage der Namensgebung und auch hier hatte ich einen klaren Standpunkt. „Ich möchte keinen neumodischen Namen, der wie ein schwedisches Regal klingt“, ich glaube, an dieser Stelle zuckten schon diejenigen Zusammen, die ihren Sprösslingen Namen wie Malm, Hölm oder Billy geben wollten.

„Und vor allem“, fügte ich hinzu, “ muss er kurz und prägnant sein“, sagte ich. Warum die Kürze so entscheidend sei, wurde ich gefragt. „Weil es eben einfacher ist einen kurzen Namen zu schimpfen. Schrei doch mal so etwas wie Max oder Bernd, das geht richtig gut!“ , sagte ich und bemühte mich um einen Tonfall, der die Ironie dahinter unterstreichen sollte. Es wurde still. totenstill, Eine Galerie vorwurfsvoller Augen blickte mich entsetzt an. „Was, Du willst Dein Kind anschreien?“  „Weißt du, was Du dieser zarten Seele damit antust?“ Rabenvater, Kindesmisshandler las ich in ihren Augen, während sie mit Fackeln und Mistforken auf mich zu kamen um mich zu lynchen oder zumindest mit Verachtung zu strafen.

Ich habe niemanden aus der Gruppe wieder gesehen und es war auch nicht weiter schlimm, dass es so gekommen ist. Ich habe es aber auch nie bereut, diesen Kurs mitgemacht zu haben. Man hat natürlich auch eine Menge dabei erfahren und natürlich habe ich das meiste davon wieder vergessen. Was das Anschreien meiner Kinder angeht, so habe ich weitestgehend keinen Gebrauch davon gemacht, aber ich kann nicht leugnen, dass mir auch mal der Kragen geplatzt ist. Ich behaupte, dass jemand, der ein Kind groß zieht und dabei nie aus der Fassung gerät, ein Heiliger sein muss oder sich mit verschreibungspflichtigen Medikamenten in einen entrückten Bewusstseinsstatus katapultiert hat.

Spätestens nach der dritten Nacht ohne Schlaf am Bett eines infernalisch schreienden Bündels kommen einem berechtigte Zweifel, an seiner eigenen Friedfertigkeit. Sicher, es gibt auch diese Momente, die den ganzen Stress auch wieder aufwiegen. Ein Lächeln, ein Lachen, der erste Zahn, der erste Zahn, wie er sich in Deine Schulter bohrt, weil das Kind soeben auf Deinem Arm eingeschlafen ist, ein erster Schritt, das gestammelte „Wawa!“, von dem die Mutter  meint, dass es Mama hieße und der Vater natürlich Papa rausgehört hat, es aber eigentlich bedeutet:“ Ich habe mir gerade in die Windel gekackt und ihr Deppen könnt das jetzt wegmachen!“. Momente, die Dir sagen, dass Du gerade das wundervollste Geschenk der Welt großziehen darfst. Aber wenn der Nachwuchs meint, heute ist mal wieder Plärren und Kreischen dran, dann hast Du diese Momente für diese Zeitspanne auch gerne wieder vergessen.

Aber soweit waren wir zu dieser Zeit noch nicht. Es war die letzte Zeit der Schwangerschaft und wir standen kurz davor, zum ersten Mal Eltern zu werden. Die Vorsorgeuntersuchungen häuften sich jetzt, da der Termin in greifbare Nähe gerückt war. Seinerzeit war der Ultraschall ein beliebtes Untersuchungsgerät und die Aufnahmen davon  begleiteten uns über die Schwangerschaftsmonate hinweg. Während es heutzutage möglich ist, per Ultraschall, oder womit auch immer, schon im Mutterleib zu erkennen, welche Farbe die Augen einmal haben werden und welche Plätze für die zukünftigen Zähne vorhergesehen sein werden(vermutlich kann man auch den Namen schon lesen), war die Technik damals noch längst nicht in dem Maße fortgeschritten.

Ein damals erstelltes Ultraschallbild warf für den Laien mehr Fragen auf, als es beantwortete und ich habe nie etwas Vernünftiges darauf erkennen können. „Ich glaube, ich sehe England!“ „Das ist die Wirbelsäule Ihres Kindes!“ „Oh, hatte mich schon gewundert, wo denn der Ärmelkanal sein könnte.“ Aber der Hase und der Frauenarzt wussten vollkommen Bescheid. Er brauchte ihr gar nicht zu zeigen, was zu sehen war, sie erkannte es auch so. „Guck mal da, das linke Auge!“ rief sie hocherfreut. „Ja, ich erkenne auch die Wimpern!“, erwiderte ich. Ich täte nicht genügend Interesse zeigen und sie sei sehr enttäuscht von mir, sagte der Hase. Also schwieg ich lieber und tat interessiert, wenn mir wieder eine neue Impression gezeigt wurde. Auch die Bestimmung des Geschlechts war damals eine eher unzuverlässige Sache mit einer Trefferquote von 50%. Was ich denn lieber haben würde, fragte der Hase, Junge oder Mädchen? „Ich würde sagen, ein Kind wäre mir am liebsten.“ War anscheinend auch nicht die richtige Antwort…………..

Wie diese Geschichte weiter geht, das erfahren sie in der nächsten Folge………….