Er ist wieder da…..der Koloss auf Rhodos

Wir sind gelandet und ich muss schon sagen, das hat der Pilot sehr gut hingekriegt. Ich hätte es nicht besser machen können. Vielleicht ein bisschen, wenn ich in Übung wäre, aber ich halte mich lieber zurück mit Bemerkungen. Die Maschine kommt zum Stehen und dann bricht die übliche Panik aus. Es gibt nur einen Ausgang und alle wollen so viel Urlaub wie möglich und so schnell wie möglich haben. Jeder möchte der erste an der Tür sein. Man weiß ja nie, wie lange die auf ist. Schließlich ist man ja im Ausland und da sind die Dinge oft anders. Also springen alle auf, schnappen sich ihr Handgepäck und blockieren erstmal den Gang und auch den Ausgang. Noch kommt es nicht zu Handgreiflichkeiten, aber man ist kurz davor. Wir bleiben lieber sitzen und warten, bis sich die Lage entspannt. Und entspannt sind wir. Seit der Landung bin ich es jedenfalls und das ist das Ziel für den Urlaub. Keine Hektik. Weder hier im Flieger, noch am Buffet, oder in der Cocktailbar. Nun gut, wenn es mit dem Biernachschub für mich nicht klappen sollte, vielleicht doch, aber sonst werden wir die Ruhen in Personen sein, soviel ist sicher.

Auf dem Airport Rhodos gibt es keine Schläuche, die an die Türen der Flugzeuge geschnorchelt werden, aber dafür steigt man in einen Bus, der einen über das Rollfeld bringt. Und damit man nicht unnötig viele Busse nutzen muss, wird so ein Gefährt auch gerne mal sehr voll gestopft. Ah, denke ich, doch Sardinien. Da war die Sitzreihe im Flieger eine weite Prärie gegen. Die Türen gehen gerade noch so zu und man hat seine Nase auch gerne mal in der Achselhöhle des Nebenmannes, der Nebenfrau, wenn es der Größenunterschied hergibt. Alles Deutsche im Bus. Zeit sich gleich mal aufzuregen. Ein dürrer Mann, dessen Akzent auf tieferes Sachsen als Herkunft schließen lässt, nörgelt sich zusammen mit einem Pärchen ein bisschen durch die Fahrt. Das Paar ist mir in Hannover schon aufgefallen. Beide um die 50. Er noch trendy auf jung gekleidet und sie auch, aber zusätzlich mit einem dicken Klunker von einem Ring mit einem fetten Edelstein am Finger bewaffnet, strahlen die beiden einen offensichtlichen Reichtum aus. Man meint die Geldscheine aus den Taschen herausblinken zu sehen. Natürlich sind die jetzt nicht froh. Wahrscheinlich hatten sie eine Stretchlimo erwartet und müssen nun mit dem stinkigen Volk dichtgedrängt stehen. So direkt an sozialen Elend fühlt man sich einfach nicht wohl.

Es ist sehr früher Morgen und wir sind so ziemlich die einzigen Fluggäste im Gebäude. Was die Gepäckrückgabe sehr beschleunigt. Auch unser Reiseveranstalter ist mit einem Infostand direkt in der Nähe. Es klappt einfach mal alles. Wir sollen raus zu einem Bus, der uns ins Hotel bringen wird. Aber den zu erreichen ist einfacher gesagt, als getan. Denn vor der Ausgangstür steht eine dichte Traube von Leuten, deren Nikotinsucht sofort an Ort und Stelle befriedigt werden muss. Nur mit äußerster Not hat man den Ausgang noch rechtzeitig erreicht. Manch einer blieb vermutlich auf der Strecke, aber die Masse war bereit Opfer zu bringen. Dicht gedrängt, dichter noch als im Bus, steht man und bildet neben der Traube auch eine große kollektive Rauchwolke. Inmitten all dieser dichtgedrängten Teerroristen sind auch der Sachse und das Paar mit Klunker. Allerdings nicht mehr so unentspannt. Die Nähe im Rauch ist wohl eine andere. Der Hase bahnt sich resolut und mit einem sehr großen Koffer bewaffnet einen Weg durch die Menge, die sie teilt, wie Moses das rote Meer. Wenn mein Hase ein Ziel hat, sollte man sich nicht in den Weg stellen.

Ich folge in einem gewissen Sicherheitsabstand. Der Bus fährt uns zu unserem Hotel, das auf den ersten Blick ein ziemlich großer Betonklotz ist. Das ist es auf den zweiten Blick zwar auch, aber es sieht trotzdem nicht nach Ostzonenplattenbau aus, sondern es wirkt ein bisschen gediegen und edel. Ein Eindruck, der sich auch innen fortsetzt. Hier ist alles schon sehr schnieke und ich ertappe mich bei dem Gedanken, dass es hier eine Nummer zu edel für meine beschränkte Etikette sein könnte. Muss ich hier etwa doch Hemd und Krawatte tragen? Brauche ich mehr Tischmanieren, als ich habe? Ich bin ein Landei, wie gesagt, und es wird mir hier noch einmal sehr bewusst. Aber ich bin auch entspannt. Eigentlich immer und im Urlaub erst recht und ich bin mir sicher, dass alles gut wird und ich mit meinem einwandfreien Auftreten zwar nicht begeistern, aber auch nicht unangenehm auffallen werde. Die wichtigen Dinge des Alltags: Rülpse und pfurze nicht in der Öffentlichkeit, wenn es vermeidbar ist und wische Dir nicht den Mund an der Tischdecke ab. Ja, ich denke, das kriege ich hin.

Wir sind zusammen mit zwei Pärchen, die auch unsere Kinder hätten sein können, ausgestiegen und stehen nun in der Empfangshalle, die mit einem hellen steinernen gediegenen Boden und einigen Säulen ausgestattet ist und einen Blick nach oben freigibt, der schon beeindruckend ist. 9 Etagen geht es hoch und alles ist irgendwie in ein warmes angenehmes Licht gehüllt. An der sehr sehr großen Rezeption steht ein einsamer Portier (sagt man das heute noch? Ich weiß es nicht) und begrüßt uns mit einem ebenso gebrochenen, wie auch gut verständlichen Deutsch. Er ist ruhig und gelassen und das macht ihn mir gleich sympathisch. Ich liebe es, wenn die Menschen entspannt sind. Er erläutert uns ein paar Dinge. Wo wir erstmal mit unseren Koffern bleiben können. Wann wir erfahren, welche Zimmer wir kriegen und zu welchem Zeitpunkt wir rein dürfen. Und dass wir ab 7 Uhr Frühstück kriegen können. Ein sehr sehr wichtiger Punkt, denn ich bin entgegen meiner sonstigen Neigungen echt hungrig, nach dieser Nacht auf Reisen.

Und der Hase fragt, ob es geklappt habe, dass wir ein Zimmer möglichst weit oben bekommen. Das hatte sie nämlich im Vorfeld angefragt und per Mail bestätigt bekommen. Und er sagt: „Ich schaue nach. Ja, es wird die 8. Etage werden. Sind Sie damit zufrieden?“ Und der Hase sagt: „Ja, sehr zufrieden.“ Und er sagt:“ Wenn Sie zufrieden sind, dann bin ich auch zufrieden.“ Ich werde nicht extra nach meinem Zufriedenheitsgrad gefragt. Man geht wohl davon aus, wenn jemand mit einem Hasen verheiratet ist, dann ist dieser Jemand zufrieden, wenn der Hase es ist. Und auch wenn der Portier es ist. Und wenn alle so zufrieden sind, dann will ich es natürlich auch sein. Obwohl mir auch ein bisschen die Angst vorschwebt, dass das Balkongeländer nicht meinen Anforderungen in Höhe und Ausführung entspricht und ich deswegen lieber nicht auf den Balkon gehe und den Ausblick vielleicht lieber aus dem Zimmer heraus genießen werde.

Um sieben gibt es Frühstück, wie gesagt und es ist erst sechs Uhr. Zeit also, sich umzusehen. Wir gehen ein wenig durch das gediegene Hotel, über eine breite, mit einem aufwändigen Geländer verzierten Treppe eine Etage herunter und dann nach draußen in den Außenbereich mit seinen unzähligen Liegen, die um einen malerisch blau leuchtenden riesengroßen Pool angeordnet sind. Wir gehen über eine Art Brücke über den Pool und dann zum Strand. Es ist menschenleer und ruhig. In der Luft liegt ein süßlicher Duft, den ich dem Mittelmeer nicht recht zuordnen kann. Ein mit einer Art Strohdach überdachter Bereich, in dem mehrere Stühle und Tische stehen, ist in direkter Nähe zum Meer. Wir setzen uns. Das Wasser ist wie glattgebügelt und es ist noch dunkel. Die Luft ist angenehm warm und das ist der Moment, in dem der Urlaub richtig anfängt. Das wird uns bewusst und der Hase ist mächtig gerührt. Es war halt schon lange ein großer Wunsch von uns und der ist nun Wirklichkeit geworden. Das muss man erstmal verarbeiten.

Ich gehe noch bis ans Wasser und auf einen Steg, der noch ein paar Meter weiter führt. Das Mittelmeer liegt vor mir und ich denke ein bisschen, ich könnte hier ewig sein. Nicht dass ich Norddeutschland nicht lieben würde. Ich würde mich als Nordlicht durch und durch bezeichnen, aber diese Kulisse mit den Palmen überall, dem schicken Hotel und dem Mittelmeer, das kriegt man eben nicht alle Tage zu sehen und irgendwie würde ich das aber gerne so haben. Und auch wenn ich weiß, dass wir zukünftig häufiger verreisen wollen und dass wir auch wieder an schöne Orte, vielleicht auch nochmal hierher kommen, wird es diesen Augenblick des ersten Ankommens nicht noch einmal geben. Man möchte so viel davon aufnehmen, wie möglich. Sodass später die Erinnerung daran so lebendig sein wird, dass man immer diesen Anblick und den süßlichen Geruch vor sich hat, als könne man das alles beinahe anfassen.

Die Dämmerung dauert nicht sehr lange so weit im Süden. Es wird ein bisschen orange am Horizont und zack, da geht auch die Sonne schon auf. Wie eingeschaltet. Und mit der Sonne kommen auch die ersten Leute an den Strand, um sich die besten Liegen zu sichern. Eine Frau hat irgendwelche rosa leuchtenden…..keine Ahnung was das ist, aber Handtücher sind es nicht….dabei und belegt mal eben sechs Liegen. Schamlos diese Touristen. So weit muss man sich erstmal herablassen, um so etwas zu machen. Ich finde das ein bisschen skandalös. Aber da ich im Urlaub bin und das generöse Ich in mir entdecke, bin ich bereit auch solche Menschen zu dulden und ihr schändliches Treiben zu akzeptieren. Wie hätte ich in diesem Moment auch schon wissen können, was noch alles so kommt in diesen Tagen.

Es gibt Frühstück. Das freut mich und den Hasen auch. Und es freut uns noch mehr, was es hier alles gibt. Einfach gesagt, gibt es wirklich alles, was ich mir für ein Frühstück so vorstellen könnte. Und es gibt sogar noch viel mehr, weil ich nur eine beschränkte Auffassung davon habe, was es zu einem Frühstück geben könnte. Ich bin ja mehr der Mittags- und Abendesser und wenn ich das hier an diesem Morgen betrachte, dann freue ich mich jetzt schon auf die anderen Mahlzeiten. Der Hase besorgt uns noch je ein Gläschen Sekt, das ich entgegen meinen Gewohnheiten nicht auf ex weghaue.

Wir haben noch Zeit nach dem Frühstück, denn wir erfahren erst um 11 Uhr, wann wir ins Zimmer können. Das könnte sich bis 14 oder 15 Uhr hinziehen und ich bin jetzt schon müde. Wir schlendern noch ein bisschen rum, würden aber gerne schon die Sachen ausgepackt haben und im Zimmer ein Schläfchen halten. Wir setzen uns in einen Bereich nahe der Rezeption auf herumlungernde Sessel, die man hier überall in kleinen Grüppchen finden kann. Die Rückenlehne ist leicht nach hinten geneigt und ich nehme sofort eine ebenso geneigte Sitzposition ein. Als nächstes sackt der Kopf nach hinten und der Mund öffnet sich. Ich schlafe mehrfach kurz ein und schrecke dann immer wieder auf. Der Hase versucht mich dauerhaft wach zu halten, aber keine Chance. Nach dieser durchflogenen Nacht bin ich mal echt müde. Ich hoffe, dass ich jetzt nicht noch laut schnarchen werde. Der Hase hofft das auch und die Leute, die an uns vorbei gehen, sehen mich ein bisschen pikiert an. So früh und schon so betrunken. Aber dabei bin ich das doch gar nicht, aber auch zu müde, um es richtig zu stellen.

Dann ist es 11 Uhr. Die gute Nachricht ist, wir können schon um 12 aufs Zimmer. Eine schlechte Nachricht gibt es nicht. Draußen füllt sich alles mit Leben und die Liegen um den Pool herum werden in Beschlag genommen. Als wir insgesamt erstmal genug geschlendert sind, ist es 12 und wir nehmen an der Rezeption von einer netten Dame unsere Zimmerkarten in Empfang. „Do you need someone for the luggage?“, fragt sie und während ich noch der Meinung bin, dass Luggage so etwas wie Plumpudding ist, wiegelt der Hase ab und erklärt mit einem Gemisch aus Deutsch, Englisch und Hasenzeichensprache, dass wir unsere Koffer selbst nach oben kriegen würden, weil da ja Rollen dran sind. Also schnappen wir unsere Koffer und gehen zum Fahrstuhl. Und trotz der Intervention des Hasen, kommt doch jemand für unser Luggage. Den wehren wir freundlich aber bestimmt ab und flüchten in den Fahrstuhl. Wir sind es nicht gewohnt, dass man uns das Gepäck trägt.

Das Zimmer ist nicht riesig, aber vollkommen ausreichend und sehr modern und sauber. Alles Attribute, die ich nicht habe. Das Bad ist offen, also durch keine Tür abgetrennt und die Toilette, die in dem Badbereich ist, hat eine Tür aus Milchglas, das zumindest einen schemenhaften Blick auf das Treiben dahinter ermöglicht. Die Tür beginnt rund 15cm über dem Fußboden und endet ungefähr 38,75cm unterhalb der Decke. Schall und Gerüche können also ungebremst entweichen. Ich frage mich, was um alles in der Welt den Architekten dazu bewogen hat, das hier so zu gestalten. Ich bin ja jemand, der sich mit solchen Dingen eher alleine hinter einer richtigen Tür beschäftigt. Man muss das, was wir hier haben, schon mögen, aber ich mag es nicht so und hoffe, dass die Lüftung hier sehr gut ist. Ich kann so viel schon verraten, die Lüftung ist hervorragend. Was mich beim Erleichtern auch erleichtert.

Wir packen unsere Koffer aus und dann legen wir uns endlich hin. Ich bin müder als der Hase und das soll schon was heißen. Aber jetzt, wo ich hier liege, ist alles gut. Man hört zwar das Stimmengewirr von unten, aber das macht mir nichts aus. Es ist 12.30 Uhr, als ich denke, dass in unserem Zimmer ein übergroßer Lautsprecher sein muss. Es dröhnt eine megalaute Musik und ich falle fast aus dem Bett. Mit letzter Kraft schleppe ich mich zum Balkon, um zu sehen, was da los ist. Das ZDF Freibadballet gibt eine Vorstellung außerhalb des Fernsehgartens oder so. Aber eigentlich ist es eher so, dass sich eine Menschenmenge im flacheren Teil des Pools versammelt hat und da lustig rumhüpft. Aquagymnastik ist das, wie ich später rausfinde und die ist hier wohl täglich von halb eins bis eins.

Das Balkongeländer ist im übrigen auch für mich hoch genug. Es besteht aus einer großen Glasscheibe und gibt ungebremst den Blick auf das Mittelmeer, die Poollandschaft und alles was da sonst noch so ist, frei. Ich schließe die Balkontür, lege mich hin und als um eins die Musik aufhört zu dudeln, schlafen wir sofort ein. Das Bett ist im Übrigen das beinahe Gemütlichste in dem ich je gelegen habe. Ich entwerfe Gedankenkonstrukte, wie ich dieses Wunderwerk von einem Bett in den Flieger kriegen könnte, komme aber zu keinem zündenden Gedanken, als ich einschlafe. Nur so viel denke ich noch: „Es ist toll hier und das haben wir uns verdient!“ Und der Hase, der all meine Gedanken lesen kann wie ein Buch, stimmt mir zu. Ja, das haben wir mal wirklich.