Endlich

Es ist merkwürdig mit der Zeit, wenn man die Tage im Prinzip nur in einem Raum verbringt. Sie scheint rückwärts zu vergehen. Irgendwie ist immer gestern. Ich fühle mich wie ein ewig Gestriger. Und dann klimpert man einmal mit den Augen und schon ist übermorgen. Paradox, ich weiß, aber man ist so vollkommen befreit von der Außenwelt, dass man nicht weiß, welcher Wochentag ist. Es wird einem irgendwie egal, was draußen vor sich geht. Ich glaube wir haben da auch Wetter, aber welches es ist, kann ich nicht sagen. Wenn ich aus dem Fenster sehen will, muss ich aufstehen. Die Fensterbank ist hoch, das Bett zu niedrig. Aber eigentlich frage ich mich, wozu ich das überhaupt wissen müsste. Ist doch eh egal, hier drinnen regnet es nicht. Man isoliert sich schon ein bisschen.

Ein seltsamer Zustand, der zu einigen Auswüchsen führt. Ich schlafe, trotz Schlafmittel, eigentlich genauso scheiße, wie ich es ohne machen würde. Ich bin nur in Etappen weg. Mal für eine Stunde, mal für zwei, mal für anderthalb, so in der Art. Ich träume wildes Zeug. So als wenn sich die Arbeit mit einer Mittelmeerkreuzfahrt auf einer Achterbahn verbindet. Das ist alles sehr schräg und erscheint so wirklich, dass ich manchmal einen Moment brauche, um Traum und Wirklichkeit zu trennen. Aber das Bett ist keine Achterbahn, das Krankenhaus keine Mittelmeerkreuzfahrt und die Arbeit ist gerade so fern, wie die Sonne vom Mond. Mir wird der Brägen langsam ein bisschen matschig. Das kommt bestimmt davon, dass ich mir hier laufend die Hände desinfiziere. Die Dämpfe sind bestimmt nicht gut für die grauen Zellen (alle beide).

Aber trotzdem genieße ich die Tage der Ruhe und versuche das Warten, das ja der eigentliche Sinn meines Aufenthalts zu sein scheint, immer so gut wie möglich zu gestalten. Mit einem Laptop, dem Handy und einem Buch bin ich bestens gerüstet für alles, was ich an Stunden vor mir habe. Ich habe das eigentlich ziemlich gut unter Kontrolle, aber als ich einmal in meinem Buch lese und versuche auf der Seite den Text hoch zu wischen, statt umzublättern, bin ich doch schon ein bisschen von den Socken. Der Irrsinn macht sich breit in meinem Oberstübchen. Und ich nehme mir vor, ein wenig mehr auf mich zu achten. Wo soll das sonst hinführen? Ziehe ich auch irgendwann die Schuhe anderer Leute an und entgleitet mir die Wahrnehmung so, dass ich Waschbecken und Klo nicht mehr auseinanderhalten kann?

Der Dienstag ging dann ereignislos zu Ende. Die Kardioversion war erfolglos und ich einigermaßen ratlos. Das Ende der Fahnenstange war erreicht. Was wollte man jetzt noch machen? Nochmal die Tabletten? Oder schicken die mal den Klinikclown? Schocktherapie mit allen großen Hits von Modern Talking und den Kastelruter Spatzen in Dauerschleife? Zwei Tage in einem Zimmer mit Stan Laurel? Lebenslang kein Hackepeter? Ehrlich gesagt, ich wusste es nicht und hatte keine Ahnung, was noch kommen könnte. Eigentlich rechnete ich damit, dass man mich am Mittwoch irgendwann als austherapiert entlässt. Scheiße, aber ist dann halt so. Die Nacht zum Mittwoch ist dann auch nicht ganz ruhig.

Wenn man dann so morgens (bei mir meist halb sechs oder früher) endgültig aufwacht, dann fragt man sich, besonders heute, natürlich, was denn wann passiert. 10 Uhr ist nicht selten so eine Zeit, in der man mal zum EKG muss oder man vielleicht mal einen Arzt, eine Ärztin zu Gesicht bekommt und sei es auch nur für einen flüchtigen Augenblick. Eigentlich bin ich dann am Entspanntesten, denn ich erwarte nichts und somit wäre jedes EKG oder Gespräch eine Abwechslung im alltäglichen Einerlei. Aber heute ist das anders, heute wird sich entscheiden, wie es weiter geht. Ob man was machen kann und wenn ja, was? Oder ob das Pulver verschossen ist und man mir irgendwelche Alternativen oder weiß der Schinder was, an die Hand gibt.

Was jetzt nicht heißt, dass ich irgendwie besonders ungeduldig werde. Es erschreckt mich beinahe selbst, wie ruhig ich bin und ich kontrolliere manchmal, ob ich überhaupt noch atme. Was ich glücklicherweise positiv bestätigen kann. Oben ein und unten aus…kleiner Scherz… Aber es ist ja so, mit Ungeduld geht die Zeit auch nicht schneller rum. Als um 10 Uhr eine Schwester reinsieht, ergreife ich die Chance und frage sie, ob sie vielleicht irgendwas gehört hat. Was nicht der Fall ist, sie will aber mal nachhaken und wenn bis Mittag nichts passiert ist, solle ich sie nochmal ansprechen. Das sind so in etwa die zeitlichen Dimensionen, in denen man hier rechnen muss. Zwei Stunden im Krankenhaus sind das was im realen Leben einen Wimpernschlag ausmacht. Und so verbringe ich den Wimpernschlag bis Mittag damit, in meinem Buch zu wischen, oder mal Nachrichten zu lesen. Das sollte ich lieber sein lassen. Die Welt ist ein merkwürdiger Ort geworden und man hat das Gefühl, dass die Menschen nur noch verrückt spielen. Geht es nur mir so, oder ist es wirklich der Fall, dass, ich sag mal, vor fünf Jahren alle entspannter waren? Der Irrsinn ist weit verbreitet auf der Welt. Da fühlt man sich in seinem Krankenhauszimmer beinahe wie auf einer stillen, ruhigen und friedlichen Insel.

Als gegen Mittag die nette Schwester meine Insel betritt, sage ich ihr, dass mein Name Robinson wäre und ich auf Freitag warten würde. Natürlich ein Scherz, denn Freitag will ich eigentlich nicht mehr hier sein. Also sage ich eigentlich, dass ich noch niemanden gesehen habe. Sie rollt verständnisvoll mit den Augen und sagt, dass sie jemanden finden wird. Natürlich kann sie nichts dafür und sie weiß auch, dass ich das weiß, aber sie möchte es aus eigenem Antrieb auch gerne mal geklärt wissen. Alles was Recht ist, aber die Schwestern und Pfleger hier sind wirklich gut und auf Draht.

Ich esse, vegetiere und warte und lese und so weiter, bis um 14.30 Uhr eine andere Schwester (es war Schichtwechsel) fragt, ob ich Tee haben wolle (das fragt man hier jeden Nachmittag) und ich verneine. „Aber ich wüsste dafür gerne Bescheid, wie es mit mir weiter geht“, sage ich und sie kann mir auch nicht helfen. Die Informationen kommen von „Unten“, also da wo behandelt wird. Das Blöde ist nur, dass man gar nichts macht bei mir. Also weder irgendwelche Tabletten zusätzlich gibt, oder mal ein EKG macht, oder mir die sogenannte Telemetrie anlegt. Dieses Messgerät, mit dem man meine Pumpe immer unter Kontrolle hat. Und da habe ich dann doch ein ganz leichtes Problem mit dieser Situation. Auf etwas warten, das gemacht werden soll, ist nicht schlimm. Auch nicht das Warten während man eine medikamentöse Behandlung anschiebt und die Dosis einstellt. Auf all das kann ich warten und es ist eigentlich egal, wie lange es dauert. Aber hier einen Tag mit dem großen Nichts zu verbringen, ohne dass irgendetwas geschieht, oder gesagt wird, ruft dann gegen 16.30 Uhr schon eine ganz kleine Ungeduld in mir hervor. So weit ist es nun, ich werde hektisch. Eine Ärztin guckt zwar irgendwann gegen 13.45 Uhr mal rein, aber eigentlich weiß sie noch weniger als ich. Sie wolle sich erkundigen und sich wieder melden, sagt sie und schwupp, ist sie wieder weg.

Dem Hasen sage ich, dass ich mich, wenn es morgen keine entscheidende Wende gibt, selbst entlasse. Das klingt jetzt natürlich sehr drastisch, ist es aber nicht. Es ist nur, dass ich ja nicht hier sein und anderen den Platz klauen muss, wenn gar nichts gemacht wird. Aber irgendwie bin ich ja auch immer ein bisschen sehr zurückhaltend mit ungewöhnlichen Maßnahmen und eine Selbstentlassung ist für mich ungewöhnlich. Sowas erfordert Mut und Entschlossenheit und den Willen sich darum zu kümmern und zu bemühen. Dafür bin ich eigentlich viel zu gemütlich. Es entsteht ein kleiner Widerstreit in mir, aber ich denke, ich werde es so durchziehen. Hoffentlich hält man mich nicht für einen Spinner. Aber vielleicht kann man sich aber auch nicht ganz vorstellen, wie es sich anfühlt komplett im Ungewissen zu sein. Selbst für so eine lapidare Behandlung wie meine. Jeder sieht schließlich das Leben nur von seiner eigenen Seite. Ich denke zu viel. Ich glaub, ich sollte mal wieder im Buch lesen, mit Umblättern.

Mit meinem neuen Zimmergenossen komme ich bestens klar. Wir reden nicht mehr als nötig und mögen es beide, dass das Fenster offen ist. Ich bin jeden Tag hier dankbar, dass ich in einem Zweibettzimmer liegen darf. Manchmal sitze ich auch an dem Tisch im Zimmer auf einem der doch sehr gemütlichen Stühle. Es klopft an der Tür, es ist 17.30 Uhr. Ein bisschen früh für das Abendbrot, denke ich und sehe die Ärztin von 13.45 Uhr hereintreten. Sie hat sich äußerlich nicht verändert, aber ich hoffe ihr Wissen darum, was man nun machen möchte, ist mehr geworden. „Der Chefarzt möchte morgen eine weitere Kardioversion durchführen“, sagt sie. Er persönlich, the Godfather himself. Donnerwetter! Das ist so, als wenn der Kanzler den Rasen vor seinem Kanzleramt mähen würde. Naja, beinahe so. Aber nun bin ich wieder zufrieden, wie ein kleines Kind, das beim langen Einkauf an der Kasse ein Überraschungsei kriegt, weil es die ganze Zeit nicht geweint oder gezickt hat. Und schließlich habe ich nicht geweint oder gezickt. Nicht sehr zumindest.

Diese Kardioversion, also Strom an, Herz aus, bis 3 zählen, Strom nochmal an, Herz wieder an, wird dann die dritte sein, die ich in dieser Zeit hier habe. Die erste hatte ich schon bei der Ablation. In meiner jüngeren Vergangenheit habe ich damit zusammengenommen sechs oder sieben von diesen Eingriffen gehabt. Wenn ich so weiter mache, wird man ein Windrad für mich bauen müssen. Ich bin so routiniert darin, dass ich, wenn ich nicht immer sediert gewesen wäre, es auch selbst machen könnte. Ich denke, es ist aber jetzt auch der allerletzte Versuch und ich bin bereit in mitzunehmen. Was habe ich schon zu verlieren.

Nichts, um genau zu sein. Am Donnerstag muss ich natürlich wieder warten und natürlich wieder nüchtern sein. Ich bin hier jeden zweiten Tag vormittags nüchtern. So langsam gewöhne ich mich daran, zu dieser Zeit nichts zu essen und wegen dem leeren Magen aus dem Hals zu stinken wie der Abfluss von einem Waschbecken, wenn man den Siphon abnimmt. Der Hauch der stinkenden Kanalisation umgibt mich und ich bin froh, dass ich mich nicht selbst behandeln muss. Hoffentlich bricht der Chefarzt nicht zusammen, wenn er mit den beiden Bügeleisen (also den Panels, oder wie auch immer die heißen) vor meiner Brust steht. Nicht dass er dann das Wiedereinschalten vergisst.

Ich werde ausnahmsweise zeitig darüber informiert, dass es gleich losgeht und kann mir deswegen das OP Hemd überstreifen. Man schiebt mich nach unten und dort gleich zum EKG. Das ging ja mal schnell. Dann auch gleich in den Behandlungsraum. Mir wird beinahe schwindelig bei dem Tempo. Aber dann ist auch erstmal Essig mit den Fortschritten. Was nicht schlimm ist, ich hatte ja eh nichts Besseres vor. Der Zugang ist noch gelegt, weswegen die Schwester, die mich dann doch verkabelt, keinen neuen legen muss. Ich lasse das Ganze stoisch geschehen, ist ja nicht neu für mich und warte auf den Chefarzt. Man kriegt ihn nur selten zu sehen und wenn ich mal ein paar Fragen habe, wäre der Moment vor dem Einschläfern doch ideal dafür. Soll ja auch nicht lange dauern.

Es ist „nur“ der Oberarzt, die rechte Hand vom Chefarzt, die zu mir kommt. Also so, als wenn der Innenminister den Rasen vorm Kanzleramt mäht. Aber ich bin auch mit dem Innenminister zufrieden. Den, also den Oberarzt, kriegt man auch nur sehr selten zu sehen und er weiß auch vieles, was andere normale Ärzte vielleicht nicht wissen, also werde ich ihn ansprechen. Soll auch hier nicht lange dauern. Aber so ein Oberarzt muss sich natürlich auch um die wichtigen Dinge, die komplizierten Eingriffe, die Spezialfälle kümmern, da will er natürlich so wenig Zeit wie möglich mit dem Mähen vorm Kanzleramt verbringen. Ich schaffe eine halbe Frage, da hat man mir auch schon die Sedierung gegeben und ich schlafe noch vor seiner Antwort ein.

Wie immer fühlt es sich wie ein Sekundenschlaf an, den man verbringt. Ich glaube aber. es waren diesmal rund 10 Minuten, die ich weg war. Als ich die Augen öffne ist der Arzt nicht mehr da. Ich sehe nur noch eine Staubwolke. Was doof ist, schließlich würde ich gerne von ihm hören, ob der Rasenmäher funktioniert hat. Aber die Schwester kann mich beruhigen. Es hat geklappt. Hätte ich nicht gedacht. Prächtig! Das freut mich. Wir machen noch gleich im Anschluss ein EKG und ich bin mir nicht sicher, ob da noch alles so super ist, wie ich denke, dass es sein soll. Die Schwester kann und darf mir über das Ergebnis keine Auskunft geben und schiebt mich in die Wartezone, zur Abholung bereit. Ich fühle meinen Puls. Die gute Nachricht ist, es gibt ihn noch. Die nächste gute Nachricht ist, er schlägt regelmäßig. Ein bisschen flach vielleicht, aber das ist nach einer Sedierung auch kein Wunder.

Man hat mir eine Lösung (wahrscheinlich Kochsalz und Minerale oder so) an den Zugang gehängt und „ernährt“ mich so schon ein bisschen. Denn der Transportdienst hat noch immer Fachkräftemangel und deswegen stehen um mich herum noch fünf Betten mit Abzuholenden und eine Frau im Rollstuhl, die auch wieder zurückgebracht werden möchte. Warten also. Na egal, dann bleibe ich ein bisschen. Und auch hier fällt es mir wieder auf, dass ich mit Abstand der Jüngste bin, der hier rumliegt. Ich wollte natürlich gerne wieder mal jung sein, aber so richtig und nicht vergleichsweise. Und es fällt mir auf, dass die meisten älteren Menschen sehr ungeduldig sind und öfter mal meckern, wenn sie hier lange liegen. Da bin ich anders, aber ich bin auch längst nicht so alt. Werde ich später auch so? Ich hoffe nicht und man darf mich sehr gerne darauf aufmerksam machen, falls es der Fall sein sollte. Dann, nach eine ganzen Weile unter nörgelnden Spätrentnern ist es so weit. Die Leute vom Transportdienst kommen und holen alle der Reihe nach ab. Einen dreiviertel Wimpernschlag später bin ich wieder auf meinem Zimmer. Der Puls ist immer noch gerade, aber es fühlt sich so an, als wäre sein Zustand irgendwie zerbrechlich und schon die kleinste Aufregung könnte ihn wieder aus dem Takt bringen.

Daher ist die Nachricht, dass man mir heute kein Mittagessen zurückgestellt hat und auch nichts mehr auf der Station für mich verfügbar ist, eine gefährliche Angelegenheit. Ich habe seit gestern Abend 18 Uhr nichts mehr gegessen und so merkwürdig das auch erscheinen mag, ich bin hungrig. Richtig hungrig! Aber der Puls ist immer noch gut. Stresstest eins ist bestanden. Ich verfasse eine kurze Nachricht, dass es gut verlaufen ist und es mir auch gut geht, an alle, die in der letzten Zeit öfter mal nachgefragt haben. Und an den Hasen sende ich noch den Zusatz, dass ich nichts zu Essen bekommen habe. Wir telefonieren kurz und ich höre ein wenig heraus, dass mein Hase etwas ungehalten ist. Sie wird kommen und mir irgendwas bringen, sagt sie und ich bin froh, dass ich nicht mit im Auto sitze. In solchen Momenten ist die Schallmauer nicht sicher vor dem Hasen. Ich vertröste mir die Zeit mit einer Erstversorgung mit Kinder- und Marsriegel.

Der Hase kommt, bringt Brötchen mit Fleischkäse und Senf und ich muss aufpassen, dass ich nicht versehentlich meine Finger mitesse. Sieht auch ein bisschen eklig aus, weil der Fleischkäse immer aus dem aufgeschnittenen Brötchen glitschen möchte. Aber es ist jetzt auch nicht die Zeit für gute Tischmanieren. Das Tier hat Hunger und das Tier muss gefüttert werden. Ich glaube es hat länger gedauert die beiden Brötchen aus der Tüte zu holen, als sie aufzuessen. Mit beängstigender Geschwindigkeit verschwindet alles in meinem Schlund und ich fühle mich besser. Der Hase und ich reden ein bisschen und sind froh über den Verlauf des Ganzen, da bemerke ich ein komisches Klopfen in der Brust. Ich kenne die Signale mittlerweile und ich weiß, wann da irgendwas nicht stimmt mit der Pumpe. Und es ist so, dass ich neben einigen regelmäßigen Schlägen auch einen Extraschlag habe, der nach einer kleinen Pause einsetzt.

Puh, das ist ja blöde, die Störung ist wieder da. Es ist auch schon einigermaßen spät am Nachmittag, also kann ich das jetzt auch nicht mit irgendwem besprechen. Ich denke, morgen werde ich meine Zelte abbrechen und dann muss ich mal sehen, wie ich mit dem ganzen Kram umgehen möchte. Ehrlich gesagt, war meine Sicht der Dinge von Anfang an so, dass ich die Chance auf Erfolg eher gering eingeschätzt habe. Dann ist die Fallhöhe geringer, wenn es nicht klappt. Der Hase und ich sind uns einig, dass das nun zwar doof, aber nicht das Ende der Welt ist und sie fährt wieder nach Hause. Ich schreibe den Leuten, denen ich immer geschrieben habe, dass es nur ein Strohfeuer war und ich wieder bei Null bin. Die müssen auch langsam denken, dass der viele Strom irgendwas mit meinem Hirn gemacht hat. Ich sag nur Umblättern.

Ich setze mich gemütlicher auf mein Bett und rücke die Telemetrie, die man mir zwischenzeitlich angelegt hatte, so zurecht, dass ich vernünftig sitzen kann. Da merke ich eine Veränderung in meiner Brust. Also wenn ich es nicht besser wüsste, ich könnte glatt denken, dass der Puls wieder in Ordnung ist. Ich fühle. Ja, er ist in Ordnung. Näh, denke ich, das gibt´s ja nicht. Ich warte. Ich fühle erneut. Ich warte nochmal ein bisschen und fühle nochmal. Keinen Zweifel, er ist wieder gerade. Ich schreibe dem Hasen. Wir freuen uns und er bleibt gerade, also der Puls. Für den Rest des Abends und auch für die Nacht. Manchmal, aber nur ganz ganz selten, habe ich das unbestimmte Gefühl, als stimme da was nicht. Aber der Pulstest ist eindeutig. Auch am nächsten Morgen. Ich weiß gar nicht, wie oft ich fühle, aber es ist alles im Lot, jedes Mal. Ich genehmige mir, ein bisschen optimistisch zu sein und schreibe den Leuten, denen ich öfter schreibe, dass doch alles gut ist. Jetzt bin ich mir sicher, dass sie mich für komplett bescheuert halten.

Der Rest ist Warten. Warten auf das, was nun kommt. Soll ich noch in Beobachtung bleiben, oder kann ich nach Hause? Dann plötzlich, wie aus dem Nichts, klopft es an der Tür und die Ärztin tritt ein. Hatte noch nicht so früh damit gerechnet, es zu erfahren, aber ich darf nach Hause. Aber heute ist Freitag, da denke ich, dass man, gerade mit Hinblick auf das anstehende Wochenende, versucht die eindeutigen Fälle abzuwickeln. Über eine Woche war ich jetzt hier und es kommt mir unwirklich vor, dass es doch so lange gewesen ist. Ich packe meine Sachen, ziehe erstmals seit neun Tagen wieder eine lange Hose und echte Schuhe an und verabschiede mich von meinem Mithäftling. Wir wünschen uns alles Gute, gegenseitig, und ich verlasse das Zimmer. Mit seinen hellgrünen Wänden, dem hellen Linoleum Boden, auf dem dutzende von Spuren der Rollen unter den Betten zu sehen sind, und der von merkwürdigen Flecken, deren Ursprung man nicht wissen möchte, übersät ist, den Steckdosen mit den grünen Einsätzen, dem Waschbecken, das auch beinahe eine Toilette gewesen ist, und seinen alten Fenstern, ist es mir beinahe zu einer Art Wohnzimmer geworden.

Die Welt draußen ist auch unwirklich und das eigene Zuhause riecht im ersten Moment so anders, als man es dachte. Zu Hause angekommen, bin ich dann auch erstmal platt. Drei Sedierungen in den letzten zehn Tagen machen sich anscheinend bemerkbar. Ich döse am Nachmittag und schlafe in der Nacht zwar noch nicht durch, aber schon viel besser als in der letzten Zeit. Ich bin froh, dass es dieses Endergebnis gegeben hat und bleibe erst einmal vorsichtig, was Belastungen angeht. Ein Gang zum Dorfladen am Samstagmorgen (rund 500m eine Strecke) reicht für den Anfang. Bin gespannt, wie es langfristig weiter geht.

Was nimmt man mit von so einer kleinen „Kur“ auf der Kardiologischen Station? So viel Ruhe werde ich definitiv nie wieder haben. Aber es ging mir ja auch immer gut, was auf dieser Station wohl eher selten ist. Wenn man dort ein paar Tage mehr verbringt, dann kriegt man auch ein bisschen was mit. Von alten Leuten, die im Flur aufs Klo gehen und die Tür sperrangelweit auf lassen, von Leuten, die das Bett nicht verlassen können, die einfach mal so herumschreien, warum auch immer, von manch einem, der noch einiges jünger ist als ich und nur durch Zufall dem plötzlichen Herztod entronnen ist, von Menschen, deren Leben an seidenen Faden hing oder noch hängt und deren Überleben nur durch moderne Technik gewährleistet werden kann. Und dann wird man ein bisschen demütiger und dankbarer dafür, das es einem doch auch an schlechten Tagen viel besser geht, als den meisten hier an deren besseren Tagen. Möge es immer, oder zumindest möglichst lange so bleiben.