Einmal noch……….und dann?

Mein Nasenhaarschneider spricht zu mir. Ein Umstand der Fragen aufwirft. Zunächst die drängendste: Habe ich wirklich einen Nasenhaarschneider? Ja, habe ich. Zu Weihnachten bekommen, von meinem, seltsam erfreut grinsenden, Hasen. Überreicht mit den Worten: „Den kann man auch für die Ohren nehmen.“ Gefolgt von dem heiklen Satz: „Den musst du aber auch verwenden, es sieht so nicht schön aus!“ Und Zack, Weihnachten war nachhaltig beschädigt. Nur unter Einsatz von einer Menge lecker Essen und einer noch größeren Menge Rotwein mit Schwiegervater, war mein angeknacktes Selbstbewusstsein wieder in Teilen zu reparieren gewesen.

Nicht genug damit, dass mein Gesicht aufweicht, die Konturen verliert und sich mit zunehmenden Alter immer mehr in das meines Großvaters mütterlicherseits in seinen sehr späten Jahren verwandelt. Nein, jetzt müssen mir also noch Haare aus Nase und Ohren wachsen, während es auf der Schädeldecke immer weniger werden. Auf einer Attraktivitätsskala bis 250 tendiere ich zu einem Wert von 0,5. Das ist kurz über der ostpolynesischen Warzenkröte. Und da steckt wahrscheinlich noch ein verzauberter Prinz drin, wenn man sie küsst. Das mit der Küsserei hat der Hase bei mir auch versucht, aber es kam nur sehr wenig Prinz zum Vorschein. Einzig ein paar Kronen im Gebiss schienen so etwas wie Adel darzustellen, aber das ist nicht ganz das Gleiche.

Jedenfalls lautet die zweite der Fragen: Brauche ich wirklich einen Nasenhaarschneider? Ja, es ist wohl so. Und bevor nun jemand denkt, mir würde permanent ein bisschen Taschentuch aus den Nasenlöchern baumeln, stecke ich mir lieber diesen sanft rotierenden Stab in die diversen Kopföffnungen, außer dem Mund, schalte ein und lausche gebannt dem leichten Knistern, wenn hin und wieder eine Borste gemäht wird. Und es knistert wesentlich häufiger, als ich gedacht, vermutetet, gehofft hatte

Die dritte Frage lautet: Was sagt das Ganze über mich aus? …. Ich bin keine 23 mehr….. Hatte ich zwar auch nicht vermutet, aber irgendwie geht das nun alles viel zu schnell. Alt werden ist zwar alternativlos, aber schön ist es nicht immer. Man beschäftigt sich vermehrt mit dem körperlichen Verfall und die Gespräche die man mit Gleichaltrigen führt, drehen sich mehr und mehr um die Gesundheitsfragen des Alltags: Darum, ob der Darm schon mal gespiegelt wurde, welche Gelenke knirschen und ob man noch aus dem Stand an seine Schuhe kommt. Man hat sogar einen Urologen, zu dem man regelmäßig geht.

Man kann damit hadern (wird man auch immer ein bisschen tun) oder sich damit abfinden und das Beste draus machen. Natürlich schafft man auch das, aber es gibt immer etwas, das nicht mehr so geht, wie früher, das man vielleicht aufgeben muss und dem man dann wehmütig nachtrauert. So wie das Hurricane Festival, dessen Ausgabe des Jahres 2023 mir mehr als deutlich gemacht hat, dass ich zu alt für den Scheiß bin….. Kein Scherz….. Es war heiß, die Wege weit, das Bier wollte nicht so recht schmecken und meine körperlichen Grenzen waren schon am ersten Tag erreicht. Und am Festivalsonntag stand für mich eindeutig fest: DAS WAR´S! Schluss mit Lustig. Und das ist irgendwie traurig. Aber der Entschluss war gefasst. Auch wenn es mit unserer Truppe mal wieder Spaß gemacht hatte. Doch wenn es nicht mehr geht, dann muss man dem Ganzen ins Auge schauen und zu diesem Entschluss stehen. Es ist Feierabend! Vorbei! Eindeutig! Unumkehrbar! Nachhaltig sicher! ….Ein Mann, ein Wort, ja so bin ich

Am Montag danach war dann der etwas wehmütige Moment, wo mir klar wurde, welch eine lange Geschichte für mich zu Ende gehen würde. Eine wirklich ganz besondere Geschichte. Wer das Festivalleben so gerne mag wie ich, der wird wissen, wie es um mich bestellt ist. Was hatte man nicht alles erlebt, gesehen, getrunken und erduldet. Aber es ist ja immer so, auch die schönsten Dinge gehen irgendwann mal vorbei. Der letzte Meter durch, in diesem Jahr, staubige Wiesen war gegangen, die letzte Band gesehen und das letzte Bier dort getrunken. Auch wenn es für mich das schwerste Hurricane war, der Abschluss war würdig genug. Die letzte Klappe war gefallen und ich war bereit dem Leben ohne sowas entgegen zu treten. Und so überrascht es dann auch nicht, dass ich, als innerhalb der Gruppe offen darüber geredet wurde, in 2024 wieder hinzufahren und dazu schnellstens Frühbuchertikets zu holen, der erste war, der sagte: „Natürlich fahren wir hin! Ein Ticket für mich bitte!“ Ein Mann, ein Wort! Ich sag´s ja.

In den Folgemonaten war ich dann hin- und hergerissen zwischen dem sicheren Empfinden, das Richtige getan zu haben und den berechtigten Zweifeln, die diese Entscheidung mit sich brachte. Und dann kam mein Nasenhaarschneider und er sprach zu mir. Nein, nicht wirklich, sondern eher metaphorisch. Der Kopföffnungenenthaarer war so etwas wie die Stimme der Vernunft und sagte Dinge wie: „Muss das noch sein, Du alter Sack?“. Das Engelchen auf der einen Schulter, wenn man so will. Und mein innerer Spaßminister, Bruder Leichtfuß, die Stimmung für die tollen Stunden bei den Konzerten und besonders auf dem Campinggelände waren der Gegenpol. Das kleine Teufelchen auf der anderen Schulter. Von hier waren die Stimmen eindeutig: „Scheiß was drauf, das Altenheim kommt noch früh genug!“ Und wenn ich ehrlich bin, dann siegt bei sowas immer das Teufelchen. Aber der Sieg war diesmal knapp. Nach Verlängerung und Elfmeterschießen. 2023 hatte schließlich tiefe Spuren hinterlassen. Bis zuletzt gab es immer diese Bedenken, ob ich all dem gewachsen sein würde.

Aber es ist wie in einer Achterbahn. Wenn man erstmal drin sitzt und weit nach oben fährt, dann steigt man nicht mehr aus und geht zu Fuß runter. Dann fährt man auch bis zum Ende. Jeden Abhang runter, immer bereit dem Tod ins Auge zu sehen. Man verliert die Selbstkontrolle, lässt los und gibt sich dem aufregenden Treiben hin. Immer im Hinterkopf, die Fassung, den Mageninhalt und vielleicht einzelne Körperteile auf der Strecke zu lassen. Was am Ende zählt ist das nackte Überleben und das, durch nichts zu ersetzende, Gefühl, die eigenen Bedenken überwunden und die Fahrt mitgemacht zu haben. Ein Gefühl der Freiheit, das man so in seinem Alltag nie bekommen kann.

So geht´s mir mit dem Hurricane. Wobei die Bedenken mit zunehmendem Alter immer größer wurden. Aber in diesem Jahr, in 2024, bin ich noch ein allerletztes Mal bereit, diese Bedenken über Bord zu werfen. Einmal noch werde ich es auf mich nehmen, einmal noch durch Staub und Schlamm und plattgetretenes Gras zu stapfen. Hundert Meter bis zum nächsten KLo (mindestens) dreihundert bis zum nächsten guten, wassergespülten Porzellanklo, anderthalb Kilometer bis zur Hauptbühne, zweieinhalb Tagesmärsche bis zu roten Bühne, all diese Strapazen, die exorbitant hohen Getränkepreise und den allgegenwärtigen Schlafmangel, all das will ich auf mich nehmen, um mehr Spaß mit meiner Truppe zu haben, als ich sonst in einem halben Jahr habe. Hurricane, ich, der Ritter von der traurigen Gestalt, werde über dich kommen. Ich bitte um standesgemäßen Empfang, vorgekautes Essen und seniorengerechte Sitzplätze vor den Bühnen.