Natürlich hat der Hase nicht mit Waffengewalt die Telefonzentrale gestürmt. Aber das kann man ja vorher nicht wissen. Menschen neigen in Extremsituationen zu ungewöhnlichen Maßnahmen. Hier nun als kleiner Einwurf der Hergang dieser Nebenhandlung……………..
In diesem Fall hat der Hase lediglich bei der Apotheke, die wir schon bemerkt haben, ein paar Medikamente besorgt, die unserem geschundenen Nachwuchs wieder auf die Beine helfen sollen. Auch hier gab es sprachliche Barrieren, die dazu führten, dass der Hase mit den Mitteln der Gestik und Mimik veranschaulichte, dass ihr Sohn sich mehrfach übergeben habe und einer entsprechenden Medizin bedürfe. Die eine Hand hielt sie dabei in Schulterhöhe um die Größe ihres Sohnes zu demonstrieren, während sie mit der anderen Hand, einem geöffneten Mund und einer herausgestreckten Zunge das Erbrechen an und für sich demonstrierte. Der türkische Apotheker übersetzte es sich folgendermaßen:“ Mir steht es schon bis hierhin (die Hand in Höhe der Schultern) und wenn ich nicht bald Medizin kriege, dann kotz ich Euch auf den Tresen (die restliche Gestik)!“ Eiligst suchte der gute Mann zusammen, was in solchen Fällen helfen könnte: Tabletten gegen Mückenschiss und Schlangenbiss und ein verdächtiges weißes Pulver. Nach diesem medizinischen Intermezzo war sie bei einem Infoschalter und hat dort Bescheid gesagt, dass niemand auf der Krankenstation ist und die haben dann angerufen und so weiter und so weiter. Deshalb höre ich die Stimme meiner Ehefrau aus dem Hintergrund.
Das eigentliche Telefonat ist auf türkisch und so langsam begreift die gute Frau auf der Station, was ich von ihr will. Man kann förmlich sehen, wie es in ihrem Oberstübchen arbeitet und wie bei einer Mehrstufenrakete kommt es zu einigen Zündungen, bei denen sich der ansonsten trübe Blick eindrucksvoll aufhellt. Sie nimmt den potetiellen Patienten bei der Hand, und erklärt ihm auf gut türkisch, was er machen soll. Hinlegen soll er sich und eine Art Arzt würde auch kommen. Es kommt aber zunächst eine offensichtlich hochschwangere Frau mit dem, der sie wahrscheinlich geschwängert hat. Sie spricht türkisch. Das trifft sich gut, denn die Krankenschwester spricht auch in dieser Sprache. Die beiden verstehen sich auf Anhieb. Faszinierend. Mein Sohn muss wieder aufstehen und die schwangere Frau darf sich hinlegen. Wir warten im Warteraum. Der Hase kommt rein. Ich gehe los, die anderen vom Stand der Dinge informieren. Auf halben Weg kommt mir die eine Tochter entgegen. Sie wollte sich über den Stand der Dinge informieren. Es kommt zu einem Informationsaustausch. Sie geht zu den Großeltern und ich gehe zur Krankenstation.
Naja, eigentlich gehe ich nicht ganz dahin. Eine junge Frau mittleren Alters kommt mir entgegen. Im Schlepptau ein ungefähr dreizehnjähriger Junge mit extrem blassen Teint. Irgendwie kommen die beiden mir bekannt vor. Sie sei meine Frau und er mein Sohn behaupten die beiden. Das könne nicht sein, entgegne ich, denn meine beiden Angehörigen befänden sich schließlich auf der Krankenstation, wo meinem Sohn geholfen werden solle. Das wäre im Ansatz auch richtig, erläutert die zugegeben sehr attraktive Frau, aber die Durchführung der Behandlung sei an den finanziellen Rahmenbedingungen gescheitert. „Der Scheißarzt wollte hunderfuffzich Mücken für einen Beutel Kochsalzlösung haben!“ war der genaue Wortlaut. Ich rechne gerade hundertfünfzig Euro in Bierkisten um und komme zu dem Schluss, dass das entschieden zuviel Geld für so eine popelige Behandlung ist. „Nee, dann nehmen wir Simon lieber so mit. Wenns gar nicht besser wird, könnten wir ihn ja vielleicht im Frachtraum des Flugzeugs unterbringen. Da kann er wenigstens liegen“, sage ich und der Hase überlegt die Machbarkeit meiner Idee. „Meinste nicht, dass das da zu kalt ist?“ „Ach, da wird er ein bisschen zwischen die Koffer geklemmt, und dann ist das nicht so wild.“ Im Hintergrund sieht der aufmerksame Beobachter, wie ein blasser Junge sich haufenweise Arzneien in den Rachen schüttet und seinen Eltern immer wieder zuruft: „Mir geht es schon viel besser!“ ………
Tja und damit endet praktisch die Aufregung. Wir verabreichten die Medizin, wobei wir im Falle des verdächtigen Pulvers nicht recht wussten, wie es einzunehmen ist. Wahrscheinlich sind wir die einzigen, die Koks im Wasserglas aufgelöst haben, um es dem eigenen Sohn trinken zu lassen. Der Hase hat vorsichtshalber auch etwas eingenommen, weil die latente Angst vor einem Durchfall in 10.000m Höhe doch zu sehr an den Nerven zerren könnte. Jedenfalls ging es dem Kranken nach den Medikamenten wesentlich besser und der Flug war dann auch kein Problem. Alles beruhigte sich. Er bekam wieder Farbe im Gesicht und die war ausnahmsweise weder grün noch grau. Der Hase entkrampfte sich vollends. unsere Tochter musste sich nicht mehr schämen, meine Schwiegereltern flüchteten nicht mehr und wir konnten Abschied nehmen. Abschied von der Türkei, den netten Menschen, die unseren Hotelaufenthalt so unvergleichlich gut gestaltet haben, von unserem Urlaub und von einer nicht alltäglichen Rückreise.
Im Nachhinein kann man sagen, wir hatten selten mehr Spaß. Besonders unser Sohn (höhö). Und so mischt sich in all die wehmütigen Gedanken, wenn ich an diese einmalige Reise denke, auch immer ein fettes Grinsen und die Erinnerung an einen Vorhang, der von einer leichten Nachtbrise getrieben in unregelmäßigen Abständen meine Nasenspitze streift.