Einmal Halbmond und zurück

Urlaub ist die schönste Zeit überhaupt. Und wenn man gar nicht weiß, wohin mit seinen paar Kröten, dann bucht man eine Reise. Diese besteht dann aus Anreise, Aufenthalt und Rückreise. Dass so eine Rückreise auch ihre Tücken haben kann, davon möchte ich hier berichten. Der Sachverhalt an sich entspricht in weiten Teilen der Wahrheit. Ich habe lediglich hier und da ein wenig hinzugefügt oder übertrieben.

Es ist nachts. Kurz nach Mitternacht um es genau zu nehmen. Ich stecke meinen Kopf durch das geöffnete Fenster des Hotelzimmers. Draußen zirpen die Grillen. Sie zirpen sehr laut. Lauter als bei uns. Türkische Grillen haben anscheinend einen wesentlich höheren Zirpfaktor. Ich muss würgen und das hört man auch. Mein Würgen bildet einen recht unromantischen Kontrast zu den anderen Nachtgeräuschen.  „Ey du Heckenpenner, kannst Du vielleicht woanders hinkotzen?“, schallt es aus der Hecke, die an unser Hotel grenzt.  Ah ein Landsmann, denke ich und antworte wahrheitsgemäß: „Ich würge doch nur.“ „Dann würg woanders, Du Assi. Ich will hier mit meiner Freundin kuscheln. Also verpiss dich!“ „Verpiss Dich selbst!“, schmettere ich zurück und bin erstaunt über meine Schlagfertigkeit. Ok, das Fenster habe ich schon wieder geschlossen. Allerdings kann ich es nicht lange geschlossen halten, es stinkt hier einfach zu sehr.

Vor nicht einmal 35 Minuten roch es hier noch angenehm. Vor nicht einmal 35 Minuten habe ich auch noch geschlafen. Wir haben alle geschlafen. Der Hase, die Kinder und ich. Und wir müssen unbedingt schlafen, denn unser Urlaub neigt sich dem Ende entgegen und in nicht einmal drei Stunden stehen wir wieder auf und werden von einem Bus abgeholt. Ich habe es zwar nicht komplett verstanden, aber uns wurde die Notwendigkeit erklärt, dass unser Rückflug derart früh startet, dass wir um vier im Bus sitzen müssen, der uns in einer einstündigen Fahrt nach Antalya zu unserem Flieger bringt. Was bescheuert. Wir sind also zeitig schlafen gegangen.

Bis kurz vor Mitternacht war auch alles in Ordnung. Der Hase und ich lagen im Bett im größeren Raum unseres Familienzimmers. Die Kinder nebenan im Kleineren. Ich glaube, ich habe gerade davon geträumt, dass ich der Sieger bei der Bauchparade am Strand geworden bin. Um dies Ziel zu erreichen, musste ich mich Tag und Nacht durch sämtliche Speisen unseres Hotels mampfen. Es war hart, aber ich habe mich durchgebissen, sozusagen, und als die Siegerehrung in vollem Gange war, mein sagenhafter Bauchumfang wurde gerade bekannt gegeben, riss mich eine verzweifelt klingende Stimme aus den Träumen: „Mein Bruder hat gekotzt.“ Eine zweite Stimme sagte klagend:“Scheiße, scheiße, scheiße!“ Der Hase war augenscheinlich sehr aufgebracht und lief mit wedelnden Pfoten, äh Händen auf und ab.  Ich war noch nicht richtig wach. Eigentlich wollte ich es auch nicht werden. „Was sind denn das für Kraftausdrücke? Müssen wir die verwenden?“, fragte ich ebenso schlaftrunken wie vorwurfsvoll und ging mit halb geschlossenen Augen in das Zimmer der Kinder. „Ach Du Scheiße, hier hat ja einer gekotzt!“ Ich hatte schon immer eine schnelle Auffassungsgabe. „Blitzmerker!“, zischte der Hase und so langsam dämmerte mir, was geschehen sein musste. Ein Betrunkener hatte sich Zugang zum Zimmer der Kinder verschafft und sich seines Mageninhaltes entledigt. „Nun steh nicht so rum, hilf mal.“ Der Hase unterbrach meine Gedanken. Hmh, vielleicht hatte ja unser Sohn auch gekotzt. Er sah ja schon recht blass aus. Das erklärte vieles. Auch, dass er fortwährend würgen musste, ließ eigentlich nur diesen Schluss zu. „Ich hab‘ s!“, rief ich laut, „Er muss wohl gekotzt haben.“ Ich zeige auf unseren blassen Sohn. Die liebste all meiner Töchter (wir haben nur eine) und der Hase blickten mich verwirrt an. Der (Achtung Wortwitz) Übeltäter selbst war zu schwach, um überhaupt etwas sehen zu können. “ Ja, da staunt ihr…..“, weiter kam ich nicht. „Du machst das Zimmer sauber und wir machen unseren Sohn sauber.“ Die Aufgabenstellung war eindeutig.

Und jetzt, eine gute halbe Stunde später stehe ich hier am Fenster, weil der beißende Geruch mir Tränen in die Augen treibt und mich würgen lässt. Ein trockenes, erbarmungswürdiges Würgen. Ich habe jede Menge Handtücher und auch zwei Fußtücher, um die Sauerei zu beseitigen. Das Bett ist schon sauber. Naja, so sauber wie ein elfenbeinfarbenes Polsterbett in nobelster Qualität sein kann, wenn das Erbrochene eines Dreizehnjährigen darin eingezogen ist. Ich betrachte das Muster und es ist wie bei diesen Augenblicken, in denen man die Wolken betrachtet und darin viele Dinge erkennt, wie zum Beispiel Drachen, Hexen, Schwiegermütter und so weiter. Aus dem Fleck im Bett erkenne ich eine grüne Wiese mit ein paar zerplatzten Kühen drauf. Doch ich schweife ab.

Das Bett war also soweit es ging gereinigt. Aber unter dem Bett ist auch noch ein nicht geringer Anteil von rückwärts gegessener Speise. Ich stehe vor einem Problem. Das Zimmer ist klein. Sehr klein. In dem Zimmer befinden sich zwei Betten, zwei Nachtschränke, ein Stuhl und diverse Gepäckgegenstände. Als Kind habe ich immer diese Spiele gehabt, bei denen viele kleine Quadrate auf einer Fläche so angeordnet werden mussten, bis sie ein großes Ganzes ergaben. Man hatte dabei nur ein freies Feld und musste die kleinen Quadrate hin und her schieben. So ähnlich ist es hier in diesem Zimmer. Ich schiebe also Betten, Nachtschränke und Gepäck solange umher, bis die besudelte Fläche freigelegt ist. Ich renne zum Fenster. Mal wieder würgen. Mein neuer Freund ist mit seiner Freundin anscheinend woanders hingegangen. Es kommen jedenfalls keine Klagen. Mit letzter Kraft wische ich weg, was wegzuwischen ist und werfe die Handtücher auf den Flur vor unsere Tür.

Ich gehe rüber zu den anderen. Im Bett liegen der Hase, unsere Tochter und eine Perücke. Ach nein, es ist doch keine Perücke, es ist der Sohn. Bisschen blass der Gute. Als er kurz die Augen öffnet, sieht es so aus, als habe die Perücke nun auch Augen. Der Hase und ich flüstern „Wie sollen wir den bloß in den Flieger kriegen?“, fragt der Hase. „Keine Ahnung. Vielleicht sollten wir ihn für ein zwei Tage hier lassen“, sage ich. „Bist Du bescheuert?“, ruft sie empört. „Wir werden laut“, stelle  ich fest und bin froh, dass der Hase nicht bewaffnet ist. „Ich bleib dann natürlich auch bei ihm“, sage ich. Wir einigen uns darauf, erst einmal abzuwarten und spontan zu entscheiden. Ein Problem gibt es allerdings noch. Was tun, wenn es ihn noch einmal überkommt? Er scheint zu schwach zu sein, als dass er bis zur Toilette gehen könnte. Wir suchen also verzweifelt nach einem Gefäß, in dass er hereinwürgen könnte. Da im Bad, ein Eimer. Heureka! „Hase“, sag ich. „Was?“ fragt mein Langohr scharfzüngig zurück. „Ich will ja nicht den Klugscheißer raushängen lassen…“ „Aber?“ unterbricht sie mich und der Ton ist an Schärfe kaum noch zu überbieten. „Aber“, fahre ich fort,“ der Eimer eignet sich so gar nicht.“ Ein kurzer Blick lässt den Hasen verstummen, denn der Eimer ist so ein stylisches Teil mit einem innovativen Lochmuster. Flüssigkeiten, und seien sie noch so zäh, würden darin nicht lange verweilen.

Man kann ja über den Hasen sagen, was man will, aber manch eine Angewohnheit von ihm ist in einer Notlage Gold wert. In unserem Falle war es die übertriebene Vorsicht, die zum Beispiel dazu führt, dass sie sämtliche Flüssigkeiten (Seife, Duschgel etc) in Tüten verpackt, bevor sie in den Koffer kommen. Wir haben also Tüten. Man muss nur mal eben sämtliche gepackten Gepäckstücke wieder entpacken, um an die begehrten Kunststoffhüllen zu kommen. Es breitet sich Chaos aus. Noch dreieinhalb Stunden bis Buffalo…..äh, bis unser Bus uns holt.

Die Auswahl des Bettes im Kinderzimmer ist für mich leicht. Ich nehme das, was nicht stinkt. Ich liege mit dem Kopf auf zwei Kissen, die ich aufgestapelt habe, weil ich nicht flach liegen kann. Das ist immer so, wenn ich schlafen will. Wahrscheinlich, weil mein Bauch sonst nach oben rutscht und mein Zwerchfell eindrückt. Ich liege mit dem Kopf am Fenster. Es ist geöffnet. Ein leichter Wind versorgt mich mit frischer Luft. Allerdings lässt er auch die Gardine wehen. Dabei bewegt sie sich hin und her und streift bei jeder Bewegung meine Nase. Ich lege mich auf die Seite. Da streift sie das Ohr. Ich schließe das Fenster. Der Geruch wird unerträglich. Ich öffne das Fenster, stecke meinen Kopf heraus und muss wieder würgen. Wieder liege ich, das Fenster auf Kipp, und wieder weht ein Lüftchen und wieder streift der Vorhang meine Nase. Ich lege mich mit dem Kopf auf das andere Ende des Bettes. Da ist aber keine Wand, an die das Bett grenzt und auch das Bett selbst hat hier keine Rahmenteile, die höher sind als die Matratze. Deshalb flutschen die Kissen unter meinem Kopf hervor und fallen aus dem Bett. Ich liege flach, der Bauch drückt aufs Zwerchfell und die Luft wird knapp. Ich bin nur noch in Bewegung. Fußende; Kissen weg, Kopfende; Wind in seinem Haar, Fenster zu; würgen, Fenster auf; Vorhang über Nase. Irgendwann knie ich, stütze meine Ellenbogen auf dem Bett ab und bete: „Oh Herr, mach, dass ich schlafen kann.“ Ich wache um drei Uhr morgens in dieser Position auf. Hat das Gebet anscheinend geholfen.

Fortsetzung folgt………