Ein Traum in oliv, der Stahlhelmblues

Lebenserfahrung ist der zeitliche Abstand, der nötig ist, um die eigene Dummheit der Vergangenheit weniger blöde aussehen zu lassen, als sie es eigentlich gewesen ist. Deshalb denke ich, dass nach meiner Bundeswehrzeit genügend Gras gewachsen ist, dass ich sagen kann:“Ja, ich war dabei, aber eigentlich war ich selbstverständlich dagegen!“ Und wie ich das war, aber ich habe es mir nicht unbedingt immer anmerken lassen. Es lebte sich damals leichter, wenn man mit dem Strom der ewig Zwölfjährigen geschwommen ist. Und von Zwölfjährigen gab es damals mehr als genug beim Bund, egal wie alt sie auch waren. Denn nirgends konnte man als eigentlich erwachsener Mann so ungehemmt dem Wunsch nachgehen, einmal noch Cowboy und Indianer zu spielen und bekam dafür sogar noch Geld. Als Wehrpflichtiger war das allerdings nicht gerade sehr viel.

Ich muss an dieser Stelle unterscheiden, zwischen der Bundeswehr zum Ende der Achtziger Jahre des letzten Jahrtausends und der heutigen Ausgabe. Damals war es eigentlich jedem klar, der beim Bund war, egal ob als Zeit- oder Berufssoldat oder als Wehrpflichtiger, außer dem berühmten Eierschaukeln hatte man hier keine großartigen Verpflichtungen und von einem Kampfeinsatz im Ausland war weit und breit nichts in Sicht. Das heißt, man bekam zwar eine Waffe zugeteilt, wusste aber von vornherein, dass man sie nie ernsthaft benutzen würde. Das ist heutzutage anders und diese Entwicklung begann kurz nach Ende meiner Militärzeit. Ich glaube es war der erste Golfkrieg, der die Wende herbeiführte und all jene Soldaten, die sich freiwillig für eine längere Zeit verpflichtet hatten, zumindest an den Rand der Möglichkeit brachte, wenn auch nur sehr eventuell, auch in einem Krisengebiet eingesetzt zu werden. Was folgte war eine Welle der Entrüstung und viele, die noch in unbeschwerten Friedenszeiten sich mit Leib und Seele dem Soldatenleben verschrieben hatten, sahen sich angesichts der neuen Sachlage dazu genötigt, festzustellen, dass sie das ganze doch gar nicht so gemeint hatten. Teufel auch, wer konnte schon damit rechnen, dass das auch mal ernst werden könnte.

Davon war aber bei meinem Eintritt in die Sturmtruppen noch nichts zu spüren. Ich war noch Teil der Bundeswehr, bei der die Form und Anzahl der Streifen, Häkchen oder Pünktchen auf den Schulterklappen der Uniform festlegten, welche Macht ein Soldat gegenüber seinen Untergebenen hatte, ohne dass ein intellektueller Hintergrund oder ein ausgeprägtes Fachwissen unbedingt von Nöten war. Als Neuling hatte man für die ersten paar Tage nicht einmal eine Uniform. Mann durfte nur eine Art Jogginganzug aus Frottierstoff in verschiedenen Blautönen tragen und war somit auch von Weitem als Vollpfosten ersten Grades für jeden erkennbar. Es war egal, was Du vorher gewesen bist, ob Straßenkehrer oder Atomphysiker, in dieser Klamotte warst du erstmal ein Niemand und diejenigen, die drei Monate vor Dir angefangen hatten, vergaßen, dass es ihnen auch so gegangen war und verspotteten Dich, genauso wie die alten Hasen des Regiments. Kurzum, die ersten Tage hatten mir so gar nicht gefallen. Aber ich war damit nicht allein, denn meinen Kameraden, die mit mir angefangen hatten, erging es natürlich nicht besser.

Was mir sehr schnell auffiel war, der vorherrschende Mangel an Weiblichkeit. Nicht eine Frau in der ganzen Kaserne. Auch nicht im Sanitätsbereich. Dort gab es nur einen „Arzt“ um den sich wilde Gerüchte rankten, dass er im Zivilleben als Chirurg gearbeitet hatte und es nicht immer so genau genommen haben sollte, an welcher Extremität er herumschnibbelte. Nach dem dritten falschen Bein sei er nicht mehr tragbar gewesen und deshalb als Stabsarzt abgeschoben worden. Andere behaupteten, dass er ein großes Alkoholproblem gehabt haben solle und auch regen Gebrauch von Narkosemitteln gemacht hatte. Wie dem auch sei, er war nicht vertrauenswürdig und seine Mannschaft auch nicht. Sanitätssoldaten, bei denen man froh sein konnte, wenn sie überhaupt das Wort Medizin richtig buchstabieren könnten. Eine Frau suchte man in dieser Abteilung vergebens.

Das einzige Wesen, was dem Begriff Frau noch am nächsten kam, war die Betreiberin des Mannschaftsheims. Das Mannschaftsheim oder auch kurz Mannheim genannt, war so etwas wie eine Art Kneipe auf dem Kasernengelände, mit Bierpreisen, die unschlagbar günstig waren und es dem gemeinen Wehrpflichtigen ermöglichten sich hin und wieder volllaufen zu lassen. Und wenn das Essen in der Kantine, seinem Namen wieder einmal nicht gerecht wurde, weil der Gefreite an der Gulaschkanone seine ersten Erfahrungen mit Gewürzen und Zutaten machte, konnte man im Mannheim erschwingliche Currywurst Pommes, einen Hauch von Schnitzel (plattgewalzte Stücke vom Schwein, bei denen die Panade dicker war als das Fleisch) oder etwas, das einer Frikadelle ähnelte, für einen fairen Kurs erwerben. Niemand wusste, aus welchem Tier die Frikadellen waren, aber genaugenommen, wollte es auch keiner hinterfragen. Die Dinger sättigten und man bekam auch nur wenig Hautausschlag davon. Kurzum, das Mannheim war der kulturelle Mittelpunkt innerhalb der Kaserne und dort konnte man sich mit den Hackfressen betrinken, die einem schon den ganzen tag auf den Pinsel gingen. Und wie es so ist, wenn Männer nur unter sich sind, sank proportional zum Alkoholgehalt das Niveau in sämtlichen Bereichen. Aus harmlosen Gesprächen wurden Pöbeleien. Jedes zweite Wort hätte zensiert werden müssen und zum Schluss reichte es nur zu ein paar Grunzlauten. (Natürlich war ich da auch keinen Deut besser, allerdings habe ich nie gegrunzt.) Und so sehr wir uns auch bemühten, schönsaufen konnten wir uns das alles nicht.

Das die Betreiberin des Mannheims eine Frau war, entdeckten wir erst nach geraumer Zeit. Sie war von imposanter Statur, hatte einen Kurzhaarschnitt, eine dunkle Stimme und musste sich wahrscheinlich noch häufiger rasieren, als so mancher Rekrut. In ihrem Mundwinkel hing immer eine halb angepaffte Zigarre und sie kannte mehr unflätige Schimpfwörter als wir alle zusammen. Erst als sie uns ihren Ausweis zeigte, auf dem als Vorname einwandfrei Erika zu lesen war, dämmerte uns, dass sie anders war, als die anderen Männer. Aber Erika war sehr nett und gab auch schon mal ein Bierchen aus, wenn am Ende des Soldes noch so viel Monat übrig war. Alle mochten Erika und ihr Mannschaftsheim war immer bis zum Bersten voll.

Meine Grundausbildung absolvierte ich in Lüneburg. Und am zweiten Tag, als wir zu einem Appell antreten mussten, wurden unsere Haarlängen kontrolliert. Wie im Film. Und ich war mir sicher, dass meine Haare nicht zu lang wären. Aber das lag im Ermessen des Ausbilders, wie eigentlich immer alles im Ermessen des Vorgesetzten lag. Und wenn Dein Ausbilder sagte, dass Deine Haare zu lang wären, dann konnte nicht einmal eine Glatze Beweis genug für das Gegenteil sein.  Ob ich ein Hippie sei, fragte mein Stabsunteroffizier. Ich verneinte. Weshalb ich dann Haare wie eine Mädchen trüge, fragte er mich und ohne eine Antwort abzuwarten bekam ich den Befehl bis zum nächsten Tag einen Frisör aufgesucht zu haben.

Es gab einen auf dem Kasernengelände, aber ich glaube das war auch der Stabsarzt. Zumindest umgab ihn ein ähnlicher Ruf. Also bin ich nach Dienstschluss in die Stadt gefahren, auf der Suche nach einer Fachkraft, die meine Haare kürzen könnte, ohne allzu große Schaden anzurichten. Hoffnungsvoll begab ich mich in einen Frisörsalon und schilderte meine Bedürfnisse: „Einmal Bundeswehrtauglich bitte.“ Eine sehr junge Frau, eine Praktikantin, wie sich später herausstellte, nahm sich meiner an und schnitt die Haare auf das gewünschte Maß. Der Einsatz der Schere kam mir dabei sehr beliebig vor. Mal schnitt sie hier, mal dort. Hin und wieder warf sie einen Blick auf ihr Werk und schüttelte entsetzt den Kopf, der bei der Gelegenheit puterrot wurde. Es hätte mich stutzig machen sollen, dass ich während der „Behandlung“ nicht einen Spiegel zu Gesicht bekam. Und auch danach manövrierte meine Scherenamateurin mich geschickt um jeden Einrichtungsgegenstand der einem Spiegel auch nur im entferntesten ähnelte vorbei.   Unbedarft wie ich war, verließ ich den Laden im festen Glauben, dass jetzt alles gut sei

. Beim Appell am nächsten Morgen, hatte mein Stabsunteroffizier Tränen in den Augen, weil er dermaßen lachen musste. „Schütze Daus, haben Sie Ihren Frisör schon verklagt?“ fragte er mich und ein erneuter Lachanfall schüttelte seinen Körper durch. „Blödes Arschloch“, dachte ich. Der Rest der Kompanie schloss sich dem Vorgesetzten an und lachte munter mit. Alles blöde Arschlöcher.  Es freute mich sehr, dass ich zur Unterhaltung der Truppe beitragen konnte.

Das Schöne beim Bund war, dass einem alles, aber auch wirklich alles, haarklein erklärt wurde. Und um es uns verständlicher zu machen, gab es überall Vorschriften, die festlegten, wie wir was machen mussten. Es gab Vorschriften dafür, wie Du Dein Hemd gefaltet in den Schrank legst und Vorschriften dafür, wie Du marschieren sollst. Es gab Vorschriften dafür, wie Du Deine Springerstiefel putzen sollst und Vorschriften dafür, wie groß der Haufen sein sollte, den Du kacken durftest. Letzteres war natürlich eine reine Übertreibung, aber ich versuchte auf diesem Sektor möglichst nicht aufzufallen. Eigentlich versuchte ich permanent nicht aufzufallen. Ich wollte mit dem Strom schwimmen, fühlte mich aber eher als ein Beobachter des zuweilen irrsinnigen Treibens um mich herum. Was die Sache komplizierter machte, war dass ich auch gleichzeitig Bestandteil dieses Treibens war. Eine befremdliche Situation.

Bevor wir eingekleidet wurden, hielt sich hartnäckig das Gerücht, dass man beim Bund so gar keine zivile Kleidung während des Dienstes tragen dürfte. Das bezog sich besonders auf die Unterwäsche. Statt der eigenen passgenauen Unterhosen sollte man nur die Bundeswehr Einheitsschlüpfer tragen. Feinripp mit doppelseitigem Eingriff. Was die Dinger so schrecklich erscheinen ließ war nicht die veraltete Passform, sondern die Furcht davor, dass man nicht wusste, wer sie vorher getragen hatte und ob sie auch wirklich genügend gereinigt wurden. Wahrscheinlich, und das war die große Furcht von uns Rekruten, würden einem die Murmeln abfaulen.

Die Einkleidung selbst war eine hektische Angelegenheit. Man bekam einen großen Seesack. Der hieß wirklich so. Und das stürzte mich schon in mein erstes Dilemma. Wozu ein Seesack? Ich war doch für das Heer eingeteilt worden und nicht für die Marine. Bevor ich diesen offensichtlichen Widerspruch genauer erörtern konnte, ging es aber auch schon los mit der Ausgabe der persönlichen Ausrüstung. Dabei gab es neben der Uniform in mehrfacher Ausführung und anderen Bekleidungsutensilien auch Gegenstände für den Soldatenalltag, deren eigentlichen Bezeichnungen mir nicht mehr geläufig sind, aber die inoffiziellen Namen haben sich dafür eingeprägt. Wie etwa der kleine Rennsack oder die Dackelgarage. Die Dackelgarage war ein Zelt. Genaugenommen die Hälfte eines Zeltes. Wenn man nun im einsatz wäre und einen Schlafplatz bräuchte, dann müsste man sich mit einem anderen Soldaten zusammentun, der ja auch über ein halbes Zelt verfügt. Aus zwei Hälften würde so ein ganzes Zelt werden. Faszinierend. Aber auch scheißen eng und unfassbar niedrig, wie sich bei einer späteren Geländeübung herausstellen sollte.

Das Zelt war so klein, dass man nur abwechselnd atmen konnte. Es war so klein, dass es nicht möglich war, mit seinem Kameraden nicht auf Tuchfühlung zu geraten. Da man aber in der Regel bei so einer Übung stank wie ein Iltis, war diese Nähe eher erschreckend als peinlich. Ich glaube das Zelt war so klein,  dass nicht der ganze Soldat hineinpasste. Je nach Geruchslage lugten entweder Kopf oder Füße hervor.

Die Unfreundlichkeit der Leute bei der Ausrüstungsausgabe war schon sehr massiv. Auch für die kleinen Scherze, dass zum Beispiel dieses Olivgrün mich an ein traumatisches Ereignis in meiner Kindheit erinnern würde und ich deswegen doch lieber ultramarinblau bevorzugen täte, hatte man keine offenen Ohren. Im Laufschritt hetzte man uns von einer Abteilung zur nächsten und überall wurde uns gesagt, was uns ausgehändigt würde und in welchen Mengen. So wie bei der Entlassung eines Häftlings aus dem Knast bei der man ihm sein Hab und Gut vom Tag der Inhaftierung aushändigt. Genauso war das hier, bloß andersrum. Der Häftling wurde entlassen und wir wurden eingesperrt. Allerdings entpuppte sich die Sache mit der Unterwäsche als Ente. Man bekam zwar welche ausgehändigt, aber man musste sie nicht tragen, wenn man nicht wollte. Wahrscheinlich hätte sich niemand getraut zu kontrollieren.

Der Dienst, den wir während unserer Grundausbildung verrichteten bestand aus einem praktischen und einem theoretischen Teil. Da ich bei der Waffeninstandsetzung eingeteilt wurde, war ein nicht geringer Teil der Theorie auch Waffenkunde. Und ich merkte schnell, welche Wunderwerke die Waffen, die instandzusetzen wir die Ehre haben würden, doch waren. Es faszinierte mich ebenso, wie es mich auch gleichzeitig erschreckte, welch Einfallsreichtum und Ingenieurskunst die Menschheit aufbrachte, um sich gegenseitig das Licht auszupusten.

Der praktische Teil war nicht weniger aufregend und mitunter auch sehr anstregend. Und wie es so Sitte war, wurde uns genau erklärt, was wir laut Vorschrift in welcher Form zu machen hatten. Wie macht man ein „Stillgestanden“? Wie richtet man sich aus, damit man beim Appell in Reih und Glied steht? Und vor allem, wie marschiert man richtig. Das war nicht ganz so einfach, wie es sich anhörte. Obwohl ein Feld-, oder Waldwebel einem genau sagte, was zu tun war. „Im Gleichschriiitt (kleine Pause), Marschsch!(Ja, wirklich mit zwei „sch“ ausgesprochen) Links! Links! Links!“ Und mit jedem „Links“ musste man den linken Fuß nach vorne bewegen. Nun herrschte aber zuweilen bei manch Rekruten eine abweichende Auffassung darüber, was genau denn „Links“ sein sollte. Das brachte Unruhe in den Verband und deshalb wurde erst einmal grundsätzlich festgelegt, welches „Links“ laut Dienstvorschrift zur Anwendung kommen solle. „Und wer sich mit der Truppe identifizeirt und es auch zeigen möchte, der kann seine Arme beim Marschieren schneidig mitschwingen lassen“, sagte unser Feldwebel und demonstrierte, wie dieses Schwingen aussehen könnte. Ich schwang nicht mit den Armen. Ganz der Rebell, der ich war, ließ ich sie sogar recht provokant hängen. Denen hab ich es gezeigt! Jawoll! Blöde nur, dass es niemand bemerkt hat.

Eines Tages war es dann soweit, wir bekamen unsere Waffen zugeteilt. Das G3, eine Art halbautomatisches Gewehr für jeden Rekruten. Letztendlich ge- und verbrauchte Schießprügel, mit denen man höchstwahrscheinlich um die Ecke schoss. Ob es das tat, und was sonst noch so alles los war, das gibt es in einer nächsten Folge….demnächst in diesem Theater….