Man spricht Griechisch in unserem Hotel. Zumindest spricht das Personal untereinander Griechisch. Oder zumindest halte ich es für Griechisch. Es könnte aber auch Serbokroatisch oder Kaukasisch Orientalisch sein. Ich habe keine Ahnung und ich verstehe eigentlich kein Wort. Früher hatten wir einen griechischen Wirt in dem Ort, in dem ich damals lebte und wenn der mit seinen Leuten Griechisch sprach, dann konnte man, auch wenn man sich noch so viel Mühe gab, keine einzelnen Worte erkennen. Es war ein sprachlich gegrummelter Mischmasch. Eine zähe Kleistermasse der Worte, die nicht wusste, ob sie flüssig oder fest sein sollte. Das ist alles was ich an Erfahrung mit der heimischen Sprache auf Rhodos habe. Zusätzlich noch ein paar Brocken, die ich von unserem ersten Urlaub hier auf dieser Insel aufgeschnappt hatte. Einfache Dinge wie Guten Morgen, Guten Tag, Guten Abend und natürlich Prost. Aber das ist nun 26 Jahre her und ich bin gut im Vergessen, Aber dass „Kalimera“ Guten Morgen heißt, habe ich behalten und muss dabei immer an ein schwarzes Küken mit einer Eierschale auf dem Kopf denken. Warum nur?
Natürlich spricht man als Hotelangestellter mit den Gästen nicht auf Griechisch. Man ist hier ja sehr international, weswegen sich Englisch in erster Linie durchgesetzt hat. Und da fangen beim Hasen und mir die Probleme an. Es ist unbestritten, dass wir irgendwann einmal in der Schule Englisch gelernt hatten, aber wir mussten es danach eigentlich nie wieder verwenden. Englisch ist beim Hasen und mir so etwas wie ein untrainierter und nie gebrauchter Muskel, der nun schlaff herunterhängt und den man nicht so ohne weiteres wieder straffen kann. Wie um alles in der Welt sollen wir uns hier die nächsten 9 Tage durchschlagen? Ich habe da so meine Befürchtungen.
Vor vielen Jahren war ich einmal auf einer Party im Nachbarort eingeladen und ich kannte außer den beiden Gastgebern keinen der Anwesenden. Irgendwann stand ich am Tresen und neben mir der einzige Gast, der hier noch weniger Leute kannte. Er kam aus Kanada, was bei ihm zumindest die Tatsache erklärte, weswegen er den meisten hier fremd war. Warum ich, einen Ort von zu Hause entfernt, keinen kannte, oder mich keiner kennen wollte, bleibt ewig ein Mysterium für mich. Wie dem auch sei, ich kam mit dem Menschen ins Gespräch. Das heißt, ich versuchte es, denn er sprach nur Englisch und keinen Brocken Deutsch. Von „Guten Tag“ und „Vier Bier bitte!“ einmal abgesehen. Also kramte ich mein Schulenglisch, das zu dieser Zeit noch etwas präsenter war, hervor und begann ein unsicheres Gespräch mit ihm. Zunächst noch holprig und zu seiner Belustigung beitragend, gewann ich mit jedem Bier das ich trank, auch mehr Gewissheit. Und als ich schon einen trüben Blick und eine hängende Zunge hatte, meinte er, dass ich sehr gut Englisch spräche. Englisch kann man also nur betrunken sprechen. Zumindest scheint es bei mir so zu sein.
Aber das ist lange her und ich kann mir ja hier nicht jeden Tag (schon morgens beginnend) einen hinter die Binde kippen, damit ich mich flüssig unterhalten kann. Ich habe daher beschlossen mich durchzumogeln und dem Hasen das Reden in erster Linie zu überlassen. Was eigentlich gemein ist, weil ich eventuell sogar ein paar Vokabeln mehr kenne. Aber ich bin nicht bereit mit meinem Viertel von einem Halbwissen zu glänzen. Vielmehr finde ich es peinlich, wenn ich so etwas nicht kann und es dann trotzdem mache. Die Leute müssen mich für doof halten. Beim Hasen ist das dann eher charmant. Sie traut sich wenigstens und ist nicht so ein Angsthase wie ich. Aber es gibt immer wieder kleine Situationen, in denen unser gemeinsames Wissen auch an seine Grenzen kommt.
Es ist hier so Sitte, dass beim Essen, den Gästen immer eine Karaffe mit stillem Wasser auf den Tisch gestellt wird. Das kann man trinken, muss man aber nicht. Aber egal, was auch immer man sich als Getränk bestellt, das stille Wasser kommt immer auf den Tisch. Nun sind der Hase und ich eher den Getränken mit zumindest ein wenig Kohlensäure zugetan. Also bestellen wir uns entweder eine Pepsi oder ich mir ein Bier. Das ist einfach. Aber an einem Abend möchte der Hase Wasser mit Kohlensäure haben. Aber wie bestellen? „Weißt du was das auf Englisch heißt?“, fragt der Hase und ich weiß es nicht. Habe ich nie wissen müssen. Beim Bier ist ja Kohlensäure drin. Ich zucke mit den Schultern und der Hase greift sich einen der vielen und sehr aufmerksamen Kellner und bestellt. „Äh, I want to have Water with Gas“, sagt der Hase und der sehr freundliche aber ahnungslose Kellner, weiß mal so rein gar nicht, was ihm diese Worte sagen wollen. „Do you want some Water?“, fragt er und zeigt auf die Karaffe. „Yes“, sagt der Hase, „But with Gas.“ Augenscheinlich scheint Gas nicht der richtige Ausdruck zu sein. „Es muss doch ein Wort dafür geben“, sagt der Hase zu mir, aber ich bin immer noch ahnungslos. Also fasst der Hase sich ein Herz und setzt alles auf eine Karte: „Please bring me some Blubb Blubb Water!“
Ich glaube nicht, dass er das schon einmal als Bestellung gehört hat. Jedenfalls lacht er sich auf eine sehr sympathische Art halb tot und sagt: „Do you mean sparkling Water?“ Und da fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Klar doch Sparkling Water, das habe ich irgendwann schon einmal in der Werbung für ein Mineralwasser gehört. The Queen of sparkling table water, sagten die da immer. Hätte ich auch gleich drauf kommen können. Dem Hasen sage ich: „Klar doch. Sparkling Water! Habe ich doch gleich gesagt!“ „Wenn Du so schlau bist, kannst Du ja das nächste Mal bestellen“, sagt meine Queen of blubb blubb water und ich habe Mühe klarzustellen, dass ich dann doch nicht so schlau bin, wie es den Anschein haben mag. Manchmal ist ein gewisses Maß an Unwissenheit ein Segen, wie ich finde.
Am zweiten Tag gehen wir nachmittags auf unser Zimmer. Wir sind noch platt und wollen ein Nickerchen halten. Wir öffnen die Tür und sofort fällt dem Hasen auf, dass die Reinigungstruppe hier noch nicht durch ist. Zu dieser Uhrzeit, es ist halb drei, ziemlich ungewöhnlich, wie wir beiden befinden. „Die kommen heute nicht mehr“, sagt der Hase, „das nehmen wir heute mal hin, aber die ganze Woche geht das nicht.“ Nein, natürlich nicht. „Ich denke, dass es dafür eine logische Erklärung gibt“, sage ich und erkläre somit den Vorgang. Der aber das Problem nach sich zieht, dass der Hase die benutzten Handtücher auf den Boden getan hat. Das internationale Zeichen dafür, dass man gerne die Handtücher gegen frische Exemplare austauschen möchte. Ich bin da etwas entspannter, und bereit meine Handtücher auch über mehrere Tage zu nutzen. Jedenfalls liegen des Hasens Handtücher auf dem Boden und sind somit für den Hasen nicht mehr verwendbar. „Die sind konterminiert“, sagt der Hase, schnappt sich die Handtücher und verschwindet Richtung Flur. Ich denke noch darüber nach, was mein Hase vorhaben könnte, da taucht sie auch schon wieder auf. Im Arm ein paar frische Handtücher.
„Die habe ich vom Wagen der Reinigungskräfte gemopst“, sagt mein kleinkrimineller Hase stolz. Der Wagen stand zufällig auf dem Flur. Oder doch nicht so zufällig? Mir kommt ein Verdacht, Vielleicht sind die ja noch gar nicht fertig mit der Etage. Wie sich herausstellt, gibt es bei der Eingangstür von außen ein paar kleine Leuchten, oder Leuchtdioden, mit einer verblassten englischen (was sonst) Beschriftung, die signalisieren, ob ein Zimmer betreten werden kann oder nicht. Und diese Leuchten kann man von innen mit einer Art Schalter bedienen und wir haben da am ersten Tag munter drauflos gedrückt und sind sozusagen auf „Bitte nicht stören“ gekommen, ohne es zu wissen. Und nicht stören heißt numal nicht stören, also kommt hier auch niemand rein, um das Zimmer zu reinigen, oder gar konterminierte Handtücher zu tauschen. Das ganze klärt sich auf, als der Hase mit der einen Putzfrau spricht. Sie sprechen eine ganze Weile und mir scheint als wäre das Problem gelöst, weil sie so viel miteinander reden und dabei auch sehr freundlich, ja fast fröhlich klingen. Die Dame geht von dannen, der Hase kommt wieder ins Zimmer: „Sehr nett die Frau, aber ich habe kein Wort verstanden und sie mich wahrscheinlich auch nicht.“ „Dafür habt Ihr ja lange geredet“, sage ich, „nicht auszudenken wenn Ihr Euch verstanden hättet, neun Tage sind schnell vorbei“
Der Außenbereich, mit diesem Strohdach, unter dem diese Stühle und Tische stehen, den wir bei unserer Ankunft morgens aufgesucht haben, stellt sich als eine Art Versorgungsstation heraus. Auf der einen Seite ist es eine Art Imbiss, an dem man mittags ein paar Snacks essen kann. Hier gibt es kleine Nudelgerichte, zwei Sorten kleine Pizzastücke, Salate Sandwiches und diese Art von Pommes, die mit Ketchup haargenau so schmecken, wie die damals vom Imbiss im Freibad in dem Ort in dem ich wohnte. Eine Portion davon und ich habe eine Gratisreise in meine Kindheit. Denn ich habe damals tonnenweise Pommes gegessen. Damals noch ohne den nervigen Umstand, dass sich die Dinger an meinen Hüften dauerhaft niederlassen würden. Aber ich schweife ab. Auf der anderen Seite war Rücken an Rücken mit dem Imbiss, eine Bar. Da habe ich dann immer, wenn wir am Strand lagen, ein paar Pepsi geholt, die es dort frisch gezapft gibt. Eiskalt mit eiskalten Eiswürfeln drin. Eine Bar am Strand ist etwas sehr sehr schönes, wie ich finde. Und ich gehe da also immer hin und bestelle in einwandfreiem Oxford Schulenglisch: „Two Pepsi.“ Und wenn ich mal meine Manieren herauskrame, dann sage ich: „Two Pepsi, please.“ Und ich bin stolz auf mich, dass ich derart komplexe Sachverhalte so einwandfrei darstellen kann.
Und dann bekomme ich die Getränke und ich überschlage mich förmlich, wenn ich dann jedes Mal ein entwaffnend charmantes: „Thank You!“ über den Tresen schicke. Ich entdecke den Engländer in mir. Und oftmals habe ich eine junge Frau vor mir, die mich bedient und auf mein „Thank You“ antwortet sie etwas, das ich nicht recht verstehe, weil sie leise spricht, das Meer so laut rauscht, die Leute so laut reden und ich mal dringend mein Ohrenschmalz wieder absaugen lassen sollte. Ich bin aber der Meinung, dass sie jedes Mal sagt, wie gerne sie mich sieht. Was mich ein bisschen verlegen macht. Was soll der Hase denken, wenn sie merkt, dass diese nette junge Dame mit mir flirtet. Aber ich habe da so einen Verdacht und frage den Hasen: „Was antwortet man im Englischen denn darauf, wenn ich mich dafür bedanke, dass sie mir mein Getränk gezapft hat? Thank you ist es aber nicht.“ Und so sitzen wir da und überlegen. Wenn Englisch ein Meer ist, dann sind wir die Gestrandeten auf einer kleinen deutschen Insel. Wir fragen die Kinder über diesen Messenger Dienst, den die halbe Welt benutzt. „You are welcome!“ sei da sehr gebräuchlich, sagen sie. Also habe ich doch richtig gehört und das zarte Band eines Urlaubsflirts ist sofort wieder zerschnitten, denn wie ich ab jetzt höre, sagt sie zu jedem, wie willkommen er oder sie ist. Aber was für eine Redewendung. Wenn Du in einer deutschen Kneipe Dein Bier bestellst, es kriegst und Danke sagst, dann sagt doch auch keiner als Antwort: „Schön dass Du da bist.“ Wie hätte man also, wenn man es nicht weiß, darauf kommen können, was der Engländer an sich, so vom Stapel lässt.
Den Rest der Tage hier auf dieser Insel arrangieren wir uns damit, dass eigentlich niemand, bis auf ein paar kleine Ausnahmen, Deutsch spricht und wir uns in den vielen Bereichen des Alltags mit unserem Rudimentärenglisch durchwurschteln müssen. Mit der ziemlichen Gewissheit, dass „Durchwurschteln“ bestimmt auch niemand kennt. Unseren Kellner, der uns das Blubb Blubb Water gebracht hat, sehen wir die ganzen Tage, bei jeder Mahlzeit und auch wenn er eine Maske trägt, kann man erkennen, dass er immer ein bisschen schelmisch grinst, wenn er uns sieht. Und er sagt dann nicht einfach Kalimera, Kalispera, Kalinecta, oder was immer angebracht ist zu der jeweiligen Tageszeit, sondern wirft uns auch gern mal ein fröhliches Wort, das in etwa wie „Jessas“ klingt herüber. Was, wie wir später ergoogeln eigentlich zwei Worte sind, die „Geia Sas“ geschrieben werden und so viel wie „Hallo“ bedeuten. Boah, jetzt können wir auch schon Griechisch. Na dann Yammas.