Ebbe is, where my Heart is

Ich bin mal mit dem Hasen in Zingst gewesen. Für ein paar Tage vor ein paar Jahren Anfang Mai. Es war herrliches Wetter, aber auch arschkalt. So richtig mit Nachtfrost. Frost, liebe Kinder, ist wenn die Luft weh tut, wenn man in kurzen Klamotten nach draußen geht. Frost ist, wenn das Wasser in den Pfützen hart wird. Wenn auf der Haut so komische kleine Beulen entstehen, weil die Luft so kalt ist. Das ist Frost. Nacht ist, wenn es draußen dunkel wird und die Spätfilme im Fernsehen anfangen.

Zingst hingegen ist ein malerischer Ort weit im Osten, auf dem Darß. Was der Darß ist, weiß ich nur annähernd, aber wer es möchte kann es ja recherchieren. Und es hat mir da auch wirklich sehr gut gefallen. Auf dem Darß in Zingst, dem Ostseebad. Obwohl die meisten Ostseebäder sich ja auch irgendwie ähneln. Weißer Strand, viele Ferienhotels und -appartments und eigentlich auch immer eine Seebrücke am gefühlten Zentrum des Ortes. Wie gesagt, die Orte ähneln sich. In Zingst ähneln sich allerdings auch die Urlauber.

Wie gesagt, wir waren außerhalb der gängigen Ferienzeiten da, was die Anzahl der Familien mit schulpflichtigen Kindern sehr dezimierte. Der Hase und ich hatten ein kleines Ferienappartment bewohnt und sind viel durch den Ort und auch am Strand entlang gegangen. Und wenn man das über ein paar Tage macht, beginnt man die Menschen zu beobachten. Das erste was mir auffiel war, dass alle die gleichten Jacken trugen.

Das heißt, eigentlich ist das dem Hasen aufgefallen. „Guck mal, die tragen hier alle diese ……-Jacken“, sagte sie. Ich habe den Markennamen wieder vergessen. Kann ich mir nie merken. Markennamen. Okay, bei Bier vielleicht. Jedenfalls hatten so ziemlich alle Jacken das selbe Symbol von diesem Hersteller drauf. Die Jacken waren auch so ziemlich in der selben Farbe. Also alle waren dunkel. Über Schuhe und Hosen machte ich mir keine Gedanken. Vielleicht waren die auch alle ähnlich. Aber viel interessanter war die optische Ähnlichkeit der Personen.

Die Männer waren allesamt so um die 30, hatten auffallend ähnliches Haar und ihre Bärte waren derart identisch, dass ich vermutete, es gäbe einen Bartladen, wo man sich die Dinger zum antackern kaufen kann. Die dazugehörigen Frauen. Also zu den Männern und nicht zu den Bärten, waren ebenfalls um die 30, eher etwas kleiner als groß und hatten alle mittellanges Haar, dass sie hinten zu einem Pferdeschwanz gebunden hatten. Wahrscheinlich gab es die Frisuren auch in dem Bartladen. Zu je einem dieser barttragenden Männer gehörte eine pferdebeschwanzte Frau und eine fest zugeteilte Anzahl an Kindern. Und wenn es möglich wäre, hätte man die Durchschnittszahl von 1,35 Kindern gehabt. Da man aber kein 0,35 Kind am Strand spazieren schicken kann, einigte man sich auf die Anzahl zwei. Ein Junge und ein Mädchen jeweils. Allerdings lag bestimmt noch ein mit einer Klage verbundener Antrag bei der zuständigen Behörde vor, dass die Geschlechtsbezeichnung zunächst nur vorläufig ist. Schließlich hatte ein Elternteil auch im Nebenfach Jura studiert und wusste, welche Rechte ihren Kindern zustanden.

Diese Kinder waren in der Regel im Vorschulalter und auf jede Familie entfielen also durchschnittlich zwei dieser Nachkommen, die höchstwahrscheinlich später einmal Jura oder Finanzwesen studieren werden (oder Zahnmedizin eben alles was die elterlichen Fußstapfen hergeben) und bis dahin mit Einser- Zeugnissen glänzen, während sie vier Instrumente gleichzeitig spielen und neun Fremdsprachen nacheinander sprechen können werden. Die Kinder sahen sich übrigens auch allesamt sehr ähnlich. Die Familien waren dermaßen identisch, dass es nicht verwundern würde, wenn jemand mit der falschen Frau nach Hause ginge. Der Nährboden für einen handfesten Ehebruch. Zumindest wenn es irgendjemandem auffallen würde, dass der falsche Partner im Bett liegt.

Weiteres festes Bestandteil jeder Familieneinheit war eine Digitalkamera. Aber nicht so ein 08/15 Teil. Nein, wenn schon, dann eine sündhaft teure Profi-Edition, mit auswechselbaren Objektiven, die manch ein Starfotograf sich nicht leisten konnte, Damit wurde so ziemlich jedes Sandkorn am Strand und das Weiße im Auge manch einer vorbeifliegenden Möwe abgelichtet. Optional zum Familienpaket gab es auch das frisch verrentete Elternpaar des Mannes oder der Frau. Menschen um die 60. Er in Würde ergraut und Sie immer auf der Flucht vor dem Altwerden. Während Ihm der wirtschaftliche und frühere berufliche Erfolg aus jeder Pore zu leuchten schien, erweckte die Gattin den Anschein sich nie um mehr gekümmert zu haben, als darum, dass die Bediensteten im Haus auch immer genug Beschäftigung finden würden. Wahrscheinlich war er Leiter eines Firmenimperiums oder oberster Richter, oder Ähnliches.

In der Regel war der Senior der Truppe, also Großvater, entweder mächtig stolz auf seinen Sohn, oder hocherfreut über seinen Schwiegersohn, der ein Senior Buisiness Development fucking Desaster Manager oder etwas ähnliches war und in der Stunde mehr Geld verdient, als ein Straßenbauer im halben Jahr. Während die dazugehörige Ehepartnerin ebenfalls aus dem Elite Partner Regal stammt und auch in leitender Position beschäftigt ist.

Zusammen bevölkerten diese Familieneinheiten den Strand und konnten gar nicht genug davon kriegen, sich gegenseitig permanent auf die Schulter zu klopfen, oder aber sich in perfekte Posen für perfekte Bilder zu bringen. Wobei den Kindern eine Sonderrolle zukam. Je nach Entwicklungsstand wurde ein freies Stehen, die ersten Schritte oder aber eine archäologische Grabung am Strand ebenso inszeniert, wie auch für die Nachwelt festgehalten. Es hätte mich nicht gewundert, wenn eins von diesen Blagen auch hätte fliegen können.

Kurzum, Zingst wird auch nachgesagt, dass sich hier die Reichen und Schönen tummeln. Und weil ich nichts von Vorurteilen halte, bin ich damals auch ziemlich unbedarft hingefahren. Und was soll ich sagen, ja das Gerücht stimmt tatsächlich. Irgenwo liefen der Hase und ich einem Mutter/Tochter Gespann über den Weg. Tochter so um die 18 und die Mutter nach diversen Schönheitskorrekturen optisch in etwa so alt wie die Tochter. Und die Tochter beschwerte sich irgendwie darüber, dass ihre Handtasche von…….. (Unterbrechung.. ich habe keinen Schimmer von Handtaschen und davon, wer da die obertollsten Hersteller sind, daher nehme ich an dieser Stelle einen Hersteller an und hoffe,dass ich nicht komplett daneben liege…..(Unterbrechung Ende). ………Versace ihr nicht mehr gefiele und sie sich nach einer besseren Handtasche,umsehen würde. Wahrscheinlich Gutschi oder Knutschi oder wie die Jungs so heißen, die aus erlegten Krokodilen in Kinderarbeit diese modischen Accessoires herstellen lassen.

Ich hatte schon Vermutungen was den Wert solcher Exponate angehrt, aber der Hase sagte, dass man für eine derartige Tasche auch ein kleines Grundstück kaufen könnte.Oder 32 Wochen Urlaub in Zingst machen könnte. Und sowas kauft man sich mit 18 und findet es dann noch nicht mal hübsch. Nein, das war nicht ansatzweise die Welt, in der ich lebe. Ich habe weder Krokodile noch Handtaschen.

Insgesamt aber muss ich sagen, dass ich Zingst sehr schön in Erinnerung habe. Ich fühlte mich als normaler Mensch nur manchmal wie ein Alien. Und wenn abends die Sonne unterging, dann war ich natürlich am Strand. Weil ich immer am Strand bin, wenn die Sonne untergeht und ich es irgendwie möglich machen kann, diesem Schauspiel beizuwohnen. In der Regel bin ich dann allein und nur meine Familie ist dabei, weil sie mich nicht allein lassen wollen. Ich glaube nicht, dass sie dabei den gleichen Spaß empfinden wie ich. Der Sonnenuntergang am Strand gehört eigentlich mir! Jawoll!

In Zingst war das anders. Denn hier gehörte der Sonnenuntergang noch zum perfekten Tagesablauf der perfekten Gastfamilien. Allerdings nur wenn der Sonnenuntergang auch perfekt war. Dann standen sie zu Hunderten auf der Seebrücke und verdarben mir diese einmalige Stimmung, die ein Sonnenuntergang am Strand nunmal erzeugt. Und natürlich wurde dann auch mit den sündhaft teuren Kameras fotografiert. Und wahrscheinlich hat auch irgendwer „Bitte lächeln“ zur untergehenden Sonne gesagt und wahrscheinlich hat die Sonne auch gelächelt.