Die vielen Gesichter des Hasen

Wenn man einen Hasen heiratet, dann könnte man eigentlich auch gleich eine Bedienungsanleitung dazu bekommen. Denn man heiratet nicht einfach nur einen Hasen, sondern viele Hasen in einem. Ein Potpourri (hat jemand unter den Lesern aus dem Stehgreif gewusst, wie man das schreibt? Ich jedenfalls nicht) der verschiedensten Wesenszüge und ich bin immer wieder überrascht, was dabei zu Tage kommt. Manchmal nenne ich meinen Hasen beispielsweise auch Stasi Hasi, oder ganz zärtlich meinen kleinen Erich Mielke. Aber das ist eine ganz andere Geschichte.

Aber es steckt noch sehr viel mehr in meinem Hasen. Gerade jetzt in diesem Augenblick, als wir hier auf Mallorca das erste Mal abends nach dem Essen ins Meer gehen, entdecke ich, dass ich eigentlich mit Jesus verheiratet bin. Denn ich schwöre, dass mein Hase gerade übers Wasser läuft. Kurz nachdem unsere Tochter gesagt hat, dass ihr ein großer Fisch ans Bein geschwommen ist. Die Größe, die sie daraufhin mit ihren Händen anzeigt, liegt bei etwa 25 cm. Eindeutig zu groß für den Hasen und eindeutig groß genug für eine Panikattacke. Besonders als sie meint, dass einer dieser riesigen Fische auch an ihr Bein geschwommen ist. Sie schreit auf.

Ein wenig kreischend rudert sie mit den Armen, zunächst im Wasser stehend, in Richtung Strand und beschleunigt dabei wie ein Formel 1 Fahrzeug, als sie die Beinarbeit zusätzlich aufnimmt. Ich schwöre, ich habe noch nie jemanden schneller aus dem Wasser flüchten sehen und die letzten Meter läuft der Hase in wilder Panik auf der Wasseroberfläche. Mein Hase ist in diesem Augenblick der einzige Mensch, den ich kenne, der im Wasser eine Staubwolke aufwirbelt. Da es abends ist, ist die Strandwacht (oder wie immer auch das spanische Pendant zu Baywatch heißt) nicht mehr besetzt. Was gut ist, denn man könnte eine mittlere Katastrophe annehmen, oder einen ertrinkenden Ehemann, wenn man meinen Hasen so sieht.

Mein Hase mag das Meer, aber nicht die Fische darin und die sonstigen Bewohner, die dort heimisch sind. Eine Berührung mit einem Fisch ist der größte Alptraum für meinen Hasen. Ein noch größerer wäre ein Schwarm großer Fische, der nichts besseres zu tun hat, als immer wieder an ihre Beine zu schwimmen. Oder vielleicht ein Hai. Gibt es die nicht hier auch manchmal? Fische hat mein Hase am liebsten gebraten. Oder gegrillt, oder sonst wie lecker zurecht gemacht. Einmal hatte sie sich dazu hinreißen lassen, die Füße in so ein Bassin zu stecken, in dem viele kleine Fische schwimmen, die einem die Hornhaut von den Sohlen nagen. Wobei sich mir noch nie erschlossen hat, warum diese Fische die Hornhaut an Menschenfüßen so lecker finden. Überraschenderweise hat es dem Hasen jedenfalls nicht gefallen.

Sie mag den Sandstrand, aber nicht den Sand an dem Strand. Zumindest nicht den Teil, der sich überall niederlässt und in jede kleine Ritze weht. Außerdem mag mein Hase die Berge. Zumindest dann, wenn sie nicht hochlaufen muss. Sie mag die Aussicht, aber nicht die Fahrt mit dem Auto da hin. Schon gar nicht als Beifahrer und wenn sie hinten sitzt noch viel weniger. Aber selber fahren möchte sich auch nicht. Mein Hase ist ein wenig wie Onkel Heini (der Postbote von „Neues aus Uhlenbusch“), dem seine Mutter ein Hähnchen gemacht hatte und der sagte, er würde keine toten Hühner essen mögen und seine Mutter erwiderte, dass er lebendige Hühner ja auch nicht äße. Also ist mein Hase nicht nur Jesus, sondern auch Onkel Heini.

Und eine Mischung aus Mutter Drombusch und Mutter Beimer, die immer alle Sorgen der Welt um die Kinder und deren Erzeuger mit sich trägt und immer Angst hat, dass sie nicht alle Risiken abschalten kann. Das Gefühl, dass sie als einzige sieht, was alles passieren kann und die eklatante Unvernunft ihrer eigenen kleinen Familie bringen sie an die Belastungsgrenze. Die Welt steckt voller Gefahren für die Hasenfamilie und der Hase ist die einzige Person unter uns, die das erkennt. Wir drei anderen sind einfach nur leichtsinnig und der Hase lässt keine Gelegenheit aus, es uns zu sagen. So wie vorgestern.

An unserem Mittelmeerabschnitt ist in einiger Entfernung zum Strand eine gelbe Boje im Wasser und am dritten Tag wollen die Kinder da gerne mal hinschwimmen. Was hier auf Mallorca einen Alarmzustand beim Hasen hervorruft. Denn das Meer steckt voller Gefahren und Strömungen. Verweise darauf, dass viele andere Leute da auch hinschwimmen, ignoriert sie. Die anderen Menschen sind ihr in diesem Zusammenhang egal. Über uns hätte sie aber schon gerne die Kontrolle. Aber das ist nicht immer einfach, denn der Hase möchte jetzt nicht unbedingt so weit aufs offene Meer. Wegen der ungebratenen Fische. Sie bleibt also in Strandnähe und sucht nach einem Kompromiss, der ihr eine gewisse Sicherheit gibt, dass niemandem irgendwas zustößt. Wenn sie also nicht selbst mitschwimmt, dann muss das jemand anderes übernehmen. Am besten ein sportlicher und seriöser Mann, der immer verantwortungsvoll mit allen Lebenslagen umzugehen weiß. Oder aber ich, wenn der andere nicht verfügbar sein sollte. Also sagt sie zu mir: „Schwimm Du mal mit und pass auf die Kinder auf!“

Ein lustiger Satz, denn ich bin der wesentlich schlechtere Schwimmer im Vergleich zum Hasen. Und es ist eher so, dass die Kinder mich retten müssten, wenn es mal eng würde. Dass ich schwimmend auf die Kinder aufpasse ist so als wenn der Patient den Pfleger pflegt. Aber das Mittelmeer ist ziemlich salzig und verschafft ungeahnten Auftrieb, was mich irrsinnig leicht macht und mich quasi im Wasser schweben lässt und ich weiß jetzt, dass ich diese Strecke schwimmen kann. David Hasselhoff kann einpacken, ich bin der neue Rettungsschwimmer. Ich kann das. Yes, I can.

Das heißt, ich denke, dass ich das kann. Die Boje scheint in erreichbarer Entfernung zu sein. Und ein gutes Stück des Weges haben wir noch Boden unter den Füßen. Dann schwimmen wir los. Und wir schwimmen und schwimmen und schwimmen, immer direkt auf die Boje zu. Die irgendwie wie Herr Tur Tur aus Jim Knopf ist. Ein Scheinriese, der immer kleiner wird, je mehr man ihm näher kommt. Egal wie lange ich schwimme, die Boje wird nicht größer.

Es ist etwas zwiespältig, denn einerseits bin ich mir sicher, dass ich das schaffe (und wenn ich das schaffe, dann die Kinder erst recht) und andererseits ist da immer das Gefühl, dass der Boden tiefer ist, als ich groß bin. Egal wie weit ich die Zehenspitzen strecke, ich komme nicht an den Grund. Das Wasser ist total klar und ich kann bis zum Grund sehen, aber nicht abschätzen wie weit der letztendlich entfernt ist. Sind es drei Meter, sieben Meter, oder gar noch wesentlich mehr? Ich weiß es nicht. Kopfkino macht sich ein bisschen breit und ich erkenne deutlich den Unterschied zum Freibad. Da kann man wenigstens an den Rand schwimmen, wenn man keinen Bock mehr hat oder ein bisschen aus der Puste ist. Hier auf einem Weltmeer hat man diese Option nicht. Da heißt es Zähne (soweit vorhanden) zusammenbeißen und durchziehen, bis man wieder Boden unter den Füßen hat.

Plötzlich, ohne einen besonderen Grund befindet sich die Boje ganz dicht vor uns. Wir klopfen einmal an und schwimmen zurück. Das Wasser ist ziemlich glattgebügelt und es ist überhaupt nicht anstrengend hier zu schwimmen. Wir drei paddeln gleichmäßig vor uns hin. Unser Sohn schafft dabei das Kunststück mit der Strömung langsamer zu sein, als gegen sie. Er erstellt dabei eine neue Dimension im Langsamschwimmen. Aber ich glaube, er könnte es ewig machen. Er würde es auf diese Weise bis nach Afrika schaffen. Würde halt nur ein paar Wochen dauern. Die Wassertemperatur ist auf Badewannenniveau und alles wird leicht und ich summe stumm ein entspanntes Lied vor mich hin. Einer dieser Augenblicke, an denen die Welt ein freundlicher Ort ist und nichts diesen Eindruck trüben kann. Ein Zustand der viel zu selten vorkommt in diesen Zeiten. Mehr im Urlaub angekommen sein geht nicht. Der Hase liegt derweil am Strand und macht sich Sorgen. Solange bis wir wieder an Land sind. Das soll sich für den Rest der Tage hier auch nicht groß ändern.

Das war vorgestern. Jetzt verbringen wir zwei Tage damit in einem gemieteten Wagen die Insel zu erkunden. Nach vier Tagen in Folge am Strand mal eine nette Abwechslung. Am ersten dieser beiden Tage ist unser Ziel Palma, die Hauptstadt der Insel. Der Weg dorthin führt uns über die Ostküste. Der Hase hatte mal gehört, dass dort viele schöne Badeorte sein sollten. Und ich dachte an verträumte kleine Dörfer oder Städtchen, die noch so sind, wie ich mir das ursprüngliche Mallorca vorstelle. Hell verputzte Häuser mit bunten Fensterläden und roten Dachziegeln. Alte Männer die vor ihren Häusern sitzen und sich unterhalten, während an jeder Ecke ein Esel steht. Und überall gibt es schöne Strände, die man über einen kleinen Trampelpfad erreicht. Die Hitze ist flirrend und dauerhaft ist Siesta.

Aber Pustekuchen. Die Orte sind weder klein noch idyllisch. Es sitzen keine alten Männer an irgendwelchen Hauseingängen. Die Häuser sind oft größere Mehrparteienbunker, Hotels oder Ferienwohnanlagen. Einen Strand zu finden ist nicht leicht, weil die Städte eben so groß sind, dass man in kurzer Zeit keinen Überblick bekommen kann. Und Siesta macht hier niemand. Und der einzige Esel sitzt am Steuer unseres Wagens. Nichts ist so wie erhofft. Vielleicht auch der Tatsache geschuldet, dass so viele Touristen hier unterwegs sind und deswegen die Dinge durcheinander bringen. Schlimm solche Touristen. Die versauen einfach alles. Wenn ich mal so einen erwischen sollte, würde ich ihm mal sagen, was er alles anrichtet. So sind wir also von einem Ort zum anderen gesprintet und ich vermute, dass wir mit einer gewissen Zielsicherheit die schönsten Ecken übersehen haben. Sightseeing auf der Fastlane, wie man in Neudeutsch sagen würde.

Porto Christo war einer der Orte, durch die wir in Bestzeit gefahren sind. Dort liegen aber noch die Drachenhöhlen. Imposante Tropfsteinhöhlen, durch die man mit einem Boot fahren kann und die für viele Touristen (da ist es schon wieder dieses schlimme Wort) der Anlaufpunkt auf einer Inselerkundungstour sind. Ein Hotspot wie er im Buche steht und auf der dazugehörigen Internetseite wird darauf hingewiesen, dass es hier immer ziemlich voll ist und man am besten vorab online reservieren sollte. Wir sind uns aber relativ schnell einig (auch der Hase), dass es für uns keinen Sinn macht hier etwas zu buchen, weil wir nicht wirklich wissen, wann wir dort sein werden. Porto Christo liegt mittig auf unserer Route und da vorher alles Neuland für uns ist, und wir nicht wissen, wie lange wir wo sein werden, kann man eben nicht abschätzen, wie schnell man damit durch ist.

Schnell, um genau zu sein. Früher als erwartet kommen wir an dem Parkplatz für die Höhlen an. Hier stehen dutzende (oder hunderte?) Autos und einige Reisebusse. Ich denke ein bisschen über die Gesamtsituation nach und kombiniere, dass es hier wohl voll sein könnte. Schlau wie ich nunmal bin. Und ich habe recht. Und weil es so übervoll ist, haben die einen Vorlauf von über zwei Stunden. Solange zu warten, um dann von der Menge durch die Tropfsteine geschoben zu werden wie im Bayernzelt, wenn es Freibier gibt, macht irgendwie keinen Sinn. Also haken wir den Programmpunkt „eindrucksvolle Höhle besichtigen und aus dem Staunen nicht herauskommen“ ab und fahren weiter.

Das heißt, eigentlich habe ich gedacht, dass wir die Sache abhaken. Der Hase ist nicht ganz überzeugt von dem Vorgehen. Denn eigentlich hätte sie die Höhlen schon gerne mitgenommen. Aber das sagt ein Hase nicht so gerade raus. Sie sagt nicht: „Schade, da wäre ich gern mal reingegangen.“ Nein, mein Hase ist da ein bisschen subtiler und ich bin nach all den schönen Jahren mit meinem Hasen auch schon ein wenig sensibilisiert, was ihre Kommunikationsmethoden angeht. Die Art, wie der Hase schweigt, sendet deutliche Signale und für mich tauchen wie in einem Comic gedankliche Sprechblasen über ihrem Hasenhaupt auf.

„Na denn fahren wir mal weiter“, sage ich. Der Hase schweigt. „Also ich meine, wir steigen jetzt mal ins Auto und fahren zu unserem nächsten Ziel“, starte ich einen weitern Versuch, ein Gespräch zu beginnen. Der Hase sagt immer noch nichts und ich merke, da ist was im Busch. Also versuche ich ein Gespräch in weniger gefährlicheren Umlaufbahnen zu führen. „Ganz schön heiß heute“, sage ich. Was angesichts der Hitzewelle, die wir gerade haben, eine nahezu bahnbrechende Feststellung ist. Noch immer sagt der Hase nichts. „Wie gut, dass wir eine Klimaanlage im Auto haben“, stelle ich fest und mache mir Sorgen, was ich denn noch so smalltalken könnte. Vielleicht, dass unser Auto vier Räder hat, oder dass die Sonne viel senkrechter steht, als bei uns zu Hause. Es ist schwer, einen stummen Hasen zum Sprechen zu bringen.

Aber das Gefühl, dass ein kleiner Vulkan in ihr brodelt wird stärker, weswegen mein Hase auch ein Vulkanier ist. „Wir sind schlecht vorbereitet“, sagt der Hase unvermittelt und meint eigentlich, dass ich schlecht vorbereitet sei. „Wir hätten uns gestern online einen Termin reservieren müssen“, sagt der Hase. „Hätten gibt es nicht“, klugscheiße ich. Macht sich in dieser Situation nicht so besonders gut beim Hasen. Wir fahren los. Aber der Hase ist noch nicht durch mit dem Thema: „Wir waren echt schlecht vorbereitet.“ Mir ist, als hätte ich das irgendwann schon mal gehört. Ich biege in die nächste Straße. „Oder sollen wir jetzt ein Ticket kaufen und zwei Stunden warten?“ „Oder wir fahren für zwei Stunden nach Palma und kommen dann zurück und fahren dann wieder nach Palma.“ „Oder wir fahren morgen auf unserer anderen Tour zu einer anderen Tropfsteinhöhle“, sagt unsere Tochter. „Außerdem ist das Restprogramm heute auch nicht von schlechten Eltern, das wird noch knapp genug“, sage ich.

Das sieht der Hase ein und wir fahren weiter. Der Hase ist insgesamt nicht besonders gesprächsfreudig. Das Schweigen wird lauter und ich habe das Gefühl, irgendwie muss jetzt langsam mal eine Botschaft raus, sonst platzt der Hase: „Wir hätten online reservieren müssen. Aber nee, wir sind ja mal wieder ganz schlecht vorbereitet!“ Jetzt brodeln meine Magensäfte ebenfalls und ich sage: „Wir waren uns doch gestern Abend einig, dass das keinen Sinn macht.“ „Ja“, sagt der Hase, „aber besser vorbereitet hätten wir schon sein können!“ Es tritt ein wenig Dampf aus meinen Nüstern und ich sage etwas lauter: „Hase!“. Und es klingt ein wenig so, als würde eine Bulldogge bellen. Damit beende ich die Diskussion und wir fahren weiter nach Palma.

Ich freue mich auf Palma und Palma freut sich auf uns. Und die Kinder freuen sich auch auf Palma. Und der Hase freut sich erstmal so rein gar nicht. Denn wir sind auch für Palma schlecht vorbereitet. Vielleicht hätten wir online ja mal einen Termin mit der Stadt machen sollen. Ich kann mir nicht helfen, aber ein bisschen klingt ein „Mimimi“ durch beim Hasen und ich stelle fest, dass ich auch mit Beaker von den Muppets verheiratet bin. Also ist mein Hase: Jesus, Onkel Heini, Mutter Drombusch / Beimer, ein Vulkanier, Beaker und außerdem noch die Reinkarnation von Erich Mielke und manchmal hat sie auch vom Befehlston her eine leichte Ähnlichkeit mit meinem damaligen Kompaniefeldwebel beim Bund. Aber natürlich ist mein Hase auch mein bester Freund, eine tolle Mutter, zuweilen extrem witzig und im Besonderen meine Ehefrau, in guten wie in schlechten Zeiten. (Das muss man auch erstmal können). Ich habe also viele Hasen für den Preis von einem und man kann sagen was man will, es wird nie langweilig mit ihr.