Auch wenn der Hase mein Hase ist, muss ich doch betonen, dass weder der Hase noch ich in einem Hasenbau wohnen. Wir sind ein fortschrittliches Paar und bewohnen ein Haus. Ein echtes Haus. So mit Haustür, Wohnzimmer, Küche, Bad, ein paar anderen Räumen und einem Schlafzimmer. Einem echten Schlafzimmer. Unser Schlafzimmer ist ein Schlafzimmer wie viele andere. Mit einer aufgeräumten Hälfte, das ist die vom Hasen und einer, ich sag mal so, etwas freier gestalteten Hälfte, das ist die von mir. Ich bin in gewissem Maße ein bekennender Chaot und so ist es eigentlich schon der Regelfall, dass sich um meine Betthälfte herum diverse Kleiderstapel stapeln. Manches davon ist gewaschen (vielleicht sogar gebügelt, obwohl ich das Bügeln für die unsinnigste aller Tätigkeiten halte) und manches müsste vielleicht auch mal langsam gewaschen werden. Und wenn ich mir beim morgendlichen Anziehen nicht ganz sicher bin, zu welcher Kategorie beispielsweise die zerknüllte Socke gehört, die ich im Begriff bin, über meinen verschlafenen Fuß zu ziehen, dann hilft manchmal nur eine kurze Geruchsprobe. Wobei es die Abstufungen sauber (frischer Frühlingsduft), annähernd sauber (leicht muffig, aber noch tragbar), grenzwertig (ein Auge beginnt bereits zu tränen) und geht gar nicht (zu dem beißenden Geruch gesellt sich die Frage, ob der graue Socken nicht eigentlich weiß gewesen ist) gibt. Anmerken möchte ich, dass diese Art der Probe nicht zwingend schön ist, aber dafür ist sie sehr verlässlich und effektiv.
Und manchmal überkommt es mich. Dann habe ich eine Eingebung und ich beginne aufzuräumen. Erstaunt darüber, dass auch in meiner Hälfte des Schlafzimmers der Boden mit Teppich belegt ist (ich hatte ihn halt schon lange, lange Zeit nicht mehr gesehen), beginne ich damit, die Spreu vom Weizen zu trennen. Oder besser gesagt, die Schmutzwäsche als solche zu behandeln und dem Kreislauf des Gewaschenwerdens hinzuzufügen. Ich hoffe ich sehe sie mal wieder…. Aber die Schmutzwäsche ist ja nur die eine Hälfte des Auftrages, den ich mir erteilt habe, denn es warten ja noch diverse Haufen mit der sauberen und gebügelten Wäsche auf mich. Der Plan ist ebenso einfach wie logisch. Ich werde alles nehmen und in den Kleiderschrank packen….. Achtung, jetzt kommt´s. Ja, wir haben einen Kleiderschrank in unserem Schlafzimmer. Das ist nicht ungewöhnlich. Viele Menschen haben so etwas. Aber unser Kleiderschrank ist ein höchst geheimnisvolles Wesen, in dem vieles nicht so ist, wie es scheint, oder wie es sein sollte. Er ist zwar nicht das Dimensionstor nach Narnia, aber trotzdem ist er immer für die eine oder andere Überraschung gut.
Das beginnt mit den Abmessungen. Also genaugenommen meine ich die Breite unseres Kleiderschrankes. Also er ist in etwa 2,5m breit und in drei Abteile aufgeteilt. Rechts ist eines von einem Meter Breite und das ist das Reich des Hasen. In der Mitte ist eine Abteilung in 50cm Breite. Dort befinden sich ein paar Regalböden und auf manchen dieser Böden findet man unsere Hausapotheke. Also alles was Recht ist, aber unsere Hausapotheke macht so manchen Pharmazeuten neidisch. Es gibt eigentlich nichts, was es nicht gibt. Wenn ich mir irgendeine Krankheit ausdenken würde, und es wäre völlig egal welche Krankheit, oder welcher Erreger das wäre, ich könnte mir sicher sein, dass wir das passende Mittel dafür oder auch dagegen hätten. Und wenn mich eine seltene Schlangenart beißen würde, wir hätten das Gegengift.
Lauter Schächtelchen, Tuben, Ampullen und was weiß ich nicht noch alles stapeln sich auf zwei Ebenen in diesem Mittelteil von unserem Kleiderschrank. Und da ist auch schon die erste Besonderheit unseres Bekleidungsaufbewahrungsmöbelstücks. Diese beiden Fächer erscheinen endlos zu sein. Egal wie weit man hineinblickt, es ist immer noch Medizin vorhanden. In erster Linie Nasenspray. Davon haben wir mehr Flaschen als manch ein Getränkehandel an Bierflaschen. Das Nasenspray wird in unserem Haushalt nach der Person benannt, die es am meisten (fast ausschließlich) benutzt, weswegen es auch Hasenspray genannt wird. „Du weißt schon, dass man davon süchtig werden kann, oder?“ frage ich manchmal. „Ach, alles Quatsch!“ sagt der Hase und zieht sich noch ´ne Linie rein.
Wie dem auch sei, in diesem Mittelteil befinden sich noch ein paar weitere Fächer, die mit einigen Unsinnigkeiten belegt sind und deswegen hier noch eher unwichtig sind. Wer jetzt genau aufgepasst hat, wird wissen, dass von dem Gesamtschrank noch ein Teil von einem Meter Breite übrig ist. Ja, und das ist mein Reich. Und wenn ich die Türen öffne, stoße ich als erstes auf des Hasens Kleider. Erstaunlich. Wo der Hase doch ein eigenes Abteil hat und sich darin die Keiderstange schon durchbiegt, weil sie so viele Bekleidungsobjekte aus der Damenoberbekleidung beherbergen muss. Da sollte man eigentlich denken, der Hase hat genug zum Anziehen. Aber Pustekuchen! Das reicht dem Hasen nicht im Geringsten. Nee, da muss meine Schrankhälfte, die ja noch nicht mal eine Hälfte ist, auch noch mit herhalten. Wenn ich jetzt sage, dass mir nur 30cm übrig bleiben, übertreibe ich vielleicht etwas, aber im Kern bin ich schon richtig bei meiner Aussage. Dreißig Zentimeter seien doch schon viel für einen Mann, entgegnet der Hase zweideutig und ich solle doch zufrieden sein.
Nun gibt es auch noch eine Kommode, die auf der Hasenhälfte steht und die zu großen Teilen von meinen Klamotten belegt ist. Komischerweise alles Sachen, die ich irgendwie nie anziehe. Vielleicht auch, weil sie auf der falschen Hälfte im Zimmer sind. Da hat der Hase den Einfall schlechthin. Meine Sachen würden aus der Kommode rauskommen und dafür in den Fächern in Mittelteil des Schrankes wandern, die nur unzureichend genutzt werden. Der Hase würde dann im Gegenzug die Kommode komplett bekommen. Jau, denke ich, dann kann ich auch mal aussortieren und habe dann endlich mal alle beisammen. Ein seltener Zustand. Soweit die Theorie, denn die Praxis sah dann doch wieder ganz anders aus. Als der Hase den Mittelschrank geleert hatte, dachte sie sich so, dass es doch perfekt wäre , wenn sie diese Fächer für sich nutzen würde. Hmmh, irgendwie hatte ich das schon etwas anders verstanden. Die Kommode hat sie bei der Gelegenheit auch gleich mit in Beschlag genommen. Meine Sachen hat sich dann kurzerhand auf meine Seite des Zimmers geworfen. Mit der Ansage, dass ich doch mal aufräumen solle. Ich begann nachzudenken und gelangte zu dem unbefriedigendem Ergebnis, dass ich nun viel mehr Klamotten auf noch weniger Platz unterbringen musste. Denn aus 30cm und einer Kommode waren nun 30 cm ohne irgendwas geworden…………. Spiele mit dem Gedanken ins Gartenhaus zu ziehen, oder den Kindern zu sagen, dass sich sich langsam eine eigene Bleibe suchen sollen.
Aber ich will ja nicht jammern. Schließlich bin ich ein Mann und als solcher gibt es selbstverständlich keine Probleme, sondern nur Herausforderungen, die es zu meistern gilt und darin bin ich Meister. Da ich keinen Platz im Schrank habe, stapel ich alles was in irgendeiner Form angedacht ist, mich zu verhüllen. wieder rund um mein Bett, das ich zuweilen nur über einen Klapptritt erreichen kann,
Natürlich mache ich aus der Not eine Tugend und gestalte die Auswahl meiner Kleidung etwas einfacher. Alles was ich anziehe ist in den Farben grau, schwarz und blau gehalten. Wobei ich schon bereit bin einige Nuancen zu akzeptieren. Also wenn das Schwarz eher bläulich und das Grau eher schwarz ist, dann kann ich genauso damit leben wie mit einem Blau mit einem Hauch von grau. Auch grün ginge. Wenn es denn blau oder grau oder schwarz ist. Diese eingeschränkte Farbgebung hat einen entscheidenden Vorteil: Es passt relativ gut in den Schrank (relativ wohl gemerkt) und außerdem auch irgenwie alles zusammen. Wenn ich irgendwohin möchte, muss ich mit keine gesteigerten Gedanken machen. Ich schnappe mir das was oben liegt, oder falls es nicht im Schrank ist, das was am wenigsten stinkt und dazu noch eine Hose und schon bin ich fertig. Die Farben der Oberteile sind klar festgelegt und als Hose könnte ich entweder eine Jeans, oder eine Jeans, oder eine Jeans nehmen. Der Einfachheit halber sind es identische Hosen. Keine Experimente sage ich immer. Dazu ziehe ich das Paar Schuhe an. Ja, ich habe ein Paar Schuhe für derlei Gelegenheiten. Eigentlich sogar zwei, aber bei einem sind die Schnürsenkel kaputt und ich habe es noch nicht geschafft, hier Abhilfe zu schaffen (wie schnell dabei doch Monate vergehen können). Dann nehme ich noch meine Jacke, wenn es das Wetter erfordert und fertig bin ich. Gesamtzeit der Bekleidung inklusive der Auswahl und einer intensiven Körperreinigung, ich sag mal so 18 Minuten. Okay, so intensiv ist die Reinigung vielleicht nicht gewesen. Aber ich bin dann fertig und kann los.
Natürlich gibt es Abstufungen, je nach Anlass. Beginnend mit T-Shirt, für normales Betrinken oder Kartenspielen oder so, über Poloshirt bei halbfeierlichen Geburtstagen oder dergleichen, bis hin zur festlichen Gala, also bei Beerdigungen, Hochzeiten (also Beerdigungen der Jungesellen und Jungesellinnenzeit) oder 100. Geburtstagen. Dafür habe ich meinen Anzug. Genau, davon habe ich auch einen. Aber nur einen. Die anderen zwei oder drei, die fast vergessen im Schrank (bei den Hasensachen) hängen, haben sich nicht weiterentwickelt. Sie sind auf ihrem Standard stehengeblieben, während ich wachsen wollte. Wir haben einfach keine gemeinsame Basis. Der Hase sagt, ich sei zu dick geworden. Also bleibt ein Anzug übrig, was die Auswahl auch hier sehr vereinfacht. Eigentlich bin ich auch hier immer sehr schnell fertig. Eigentlich, denn die Krawatte und ich führen jedesmal einen Kleinkrieg. Sie möchte nicht um meinen Hals und ich möchte sie da auch eigentlich nicht haben. Aber die Etikette und mein Hase bestehen vehement darauf. Das Problem daran ist der Knoten. Ich lasse jedesmal parallel zu meinen Bemühungen ein Video laufen, auf dem das Binden des dreifachen Rittbergers, oder des doppelten Windsors (ich verwechsel das immer) für Volltrottel erklärt wird. Nach dieser Anleitung binde ich dann und bin zumindest ansatzweise begeistert von mir und meinen Krawattenknotenbindekünsten. Ich ja, der Hase eher nicht. Ein vernichtender Blick, ein paar vernichtende Bemerkungen und ich kann den ganzen Scheiß nochmal machen. Und nochmal. Und nochmal. Solange bis die Zeit knapp wird und ich mit einer Art Kompromisslösung aus dem Haus gehe.
„Du siehst aus wie der letzte Heckenpenner“, bemerkt der Hase und ich bin geneigt, das Kompliment, das hinter diesen Worten steckt, zu suchen, zu finden und anzunehmen. „Vielleicht solltest Du Dir das mal von meinem Vater zeigen lassen. Der kann das und musste beinahe täglich eine Krawatte tragen.“ Natürlich verweigere ich mich gegen diesen Vorschlag. Schließlich bin ich schon über fünfzig, da lässt man sich nichts mehr zeigen. Und deshalb erwürge ich mich regelmäßig, wenn es um den Langbinder am Hals geht und ich bin dann jedesmal schweißgebadet, wenn wir das Haus verlassen.
Zu meinem Anzug trage ich das eine Paar festliche Schuhe, das ich schon seit unserer Hochzeit besitze. Gute Qualität, wie ich finde. Die Schuhe sind dermaßen alt, dass sie zwischenzeitlich 3 bis 9 Mal modern und unmodern gewesen sind. Den momentanen Status kenne ich nicht.
Was ich insgesamt mit all dem sagen will ist, dass meine Klamottenauswahl ebenso schlicht ist, wie mein Gemüt und ich bin glücklich damit. Sowohl als auch. Denn ich möchte in diesem Bereich, dem Bereich der Bekleidung nicht das Leben meines Hasen führen. Ich glaube ich wäre schon längst daran verzweifelt und hätte die Kontrolle über einige meiner Körperfunktionen verloren, weswegen ich auch aus einer Schnabeltasse trinken müsste……
Doch mehr dazu demnächst in diesem Theater……