Ich bin ein Landei. Ein absolutes Landei, durch und durch. Das Dorf in dem ich lebe hat eine dreistellige Einwohnerzahl und keine Ampel. Nicht mal einen Zebrastreifen und und auch keinen Giraffenstreifen und wenn einmal fünf Autos hintereinander über die Dorfstraße fahren, dann grenzt das an ein erhöhtes Verkehrsaufkommen. In dem Dorf, in dem ich lebe, gibt es kein Haus, das höher ist, als zwei Stockwerke und manchmal kriegt man seine Hand nicht mehr ans Lenkrad, weil man irgendwie jeden grüßt, der am Straßenrand steht. Es ist egal wen man sieht, man sagt immer Moin. Die meisten hier kenn ich, oder ich tue wenigstens so. Aus der Sicht eines Großstädters betrachtet, wirkt es vielleicht wie die tiefste Provinz und wir Dorfbewohner vielleicht auch wie die letzten Hinterwäldler. Aber ich kann beruhigen, wir können alle lesen und schreiben, haben Computer und High Speed Internet, das bei uns das schnelle Internet heißt und wir treiben es nicht mit den Nutztieren. Aber ja, ich bin, wie erwähnt, ein Landei. Und das wird mir immer dann bewusst, wenn ich in große Städte komme, oder, wie in diesem Fall, auf große Flughäfen von großen Städten.
In diesem Fall ist es der Flughafen von Hannover. Es ist nicht so, dass ich noch nie auf einem Flughafen gewesen wäre, aber doch eher selten. Und noch seltener bin ich auch geflogen. Genaugenommen habe ich bisher nur zwei Flugreisen unternommen, was mir einen einigermaßen guten CO2 Fußabdruck verschafft. Letzteres war aber ehrlicherweise nie der Grund für meine Abstinenz beim Fliegen. Letztendlich ist es dem Hasen und mir einfach nur zu teuer gewesen, auf diese Art zu verreisen. Doch diesmal wollen wir es wirklich durchziehen. Das Ziel ist bekannt: Rhodos! Und es wäre mir weitaus lieber gewesen, wenn wir mit dem Auto hinfahren könnten. Meinetwegen, auch auf einem Esel reitend, denn, wie ich aus meinen seltenen Flugreisen gelernt habe, das Fliegen macht mir irgendwie keinen Spaß. Dem Hasen geht es ähnlich. Dass wir es trotzdem machen, liegt ganz einfach nur daran, dass wir ein unstillbares Fernweh in uns tragen. Der Hase vielleicht noch mehr als ich, denn sie würde am liebsten auch sehr weit reisen, während mir der Mittelmeerraum oder vielleicht noch die Atlantikküste weit genug entfernt sind. Obwohl ich manchmal davon träume nach Neuseeland zu kommen, aber da reitet erst recht kein Esel hin.
Auf dem Flughafen Hannover war ich noch nie. Der Hase allerdings schon einmal für einen Malle Kurztrip. Trotzdem sind wir aufgeregt, wie die Schulkinder, als wir das Parkhaus 3 erreichen. Hinter uns liegt eine ungewöhnliche Fahrt, die wegen einer Vollsperrung der Autobahn, über die Landstraße führte und das Navigationssystem auf Hasens Handy an seine Grenzen brachte. Das Navigationssystem auf Hasens Handy ist einfach schlecht. Andauernd kein GPS Signal und tausend Änderungen der Strecke. Wenn ich so fahren würde, wie es das Hasenhandy möchte, dann wären wir heute Abend vielleicht nach Budapest gekommen, oder Castrop Rauxel oder Fedderwardergroden, man weiß es nicht. Mit meinem, natürlich hervorragendem, Handy, das außer Navigation und Musik kaum relevante Funktionen hat, und meinem untrüblichen Orientierungssinn, haben wir es dann doch geschafft. Nun gut, am Ende habe ich mich dann doch noch einmal verfahren, aber das lag nicht an mir. Die Beschilderung war irreführend. Ja, das muss es gewesen sein.
Aber nun stehen wir mit unserem Auto vor Parkhaus 3 an der Schranke und brauchen das ausgedruckte Reservierungsformular mit dem QR Code drauf, der als Grundlage dafür dient, dass wir ein Ticket bekommen und sich die Schranke öffnet. Das ist der erste Moment, wo sich die strategisch perfekt durchorganisierte Planung des Hasen bezahlt macht. Wenn Du spät abends, und es ist schon abends, weil unser Flieger nachts losfliegt, also wenn Du spätabends auf einem großen Flughafen vor einer Schranke eines großen Parkhauses stehst und ein Formular brauchst, dann empfiehlt es sich, einen Hasen im Auto zu haben. Ich muss nicht mal fragen, sondern nur meine Hand ausstrecken und schon hat der Hase mir den Wisch gegeben. Und zwar so richtig rum, dass sogar ich nichts mehr falsch machen kann. Und ich lasse den Code einscannen und das Ticket kommt aus dem Automaten und ich ziehe es heraus und die Schranke öffnet sich. Für ein Landei wie mich, ist das der Innbegriff von technischer Revolution und ich sehe der Schranke beim Öffnen gebannt zu. „Vielleicht solltest Du einfach mal durchfahren“, sagt der Hase. Ja, vielleicht sollte ich das wirklich mal tun. Und ich fahre und im Rückspiegel sehe ich, wie sich die Schranke schließt. Faszinierend! In dem Dorf in dem ich wohne, gibt es keine Schranken. Was aber auch irgendwie sehr offen klingt. Schranken grenzen auch aus, wenn man es richtig betrachtet.
Der Hase meint, ich könne ruhig weiter fahren und nach einer Parklücke suchen, weil die Wahrscheinlichkeit, dass die Parklücke uns sucht, eher gering einzuschätzen sei. Und ich solle aufhören immer „Faszinierend!“ zu sagen. Also suche ich nach einer Parklücke, was eigentlich nicht schwer ist, weil um diese Zeit viele Parklücken frei sind. Aber die meisten davon sind nicht richtig für uns, wie der Hase zu verstehen gibt. Der Hase ist bei der Parkplatzwahl gern mal kritisch. Kritischer als bei der Wahl des Ehemannes, da hat sie ein paar Augen zugedrückt, aber das ist ein anderes Thema. Der Parkplatz, also der ideale Parkplatz für den Hasen ist, nach eigenem Ermessen in der Nähe des Ausganges und mindestens eine Seite sollte an eine Gebäudewand oder einen fetten Betonpfeiler grenzen. Denn der Hase hat immer die Angst, dass irgendwer, der neben uns steht. die Tür zu weit aufreißt, unsere Tür beschädigt und sich dann kriminellerweise aus dem Staub macht. Gebäudewände und dicke Betonpfeiler haben keine kriminelle Energie und auch keine Türen, sofern es keine Ausgänge sind. Also parken wir auch nie direkt an Ausgängen.
Wir parken ein und laufen ein wenig planlos über das Flughafengelände und sind auf der Suche nach Terminal B. Vor uns liegt Terminal C und links von uns ist ein Schild das besagt, dass in dieser Richtung Terminal D käme. Hier zahlt sich meine umfassende Schulbildung aus und dass ich weiß, in welcher Reihenfolge die Buchstaben im Alphabet stehen. Der Sherlock Holmes in mir erfasst die Lage und kombiniert, dass, wenn wir vor C stehen und es links in Richtung D geht, B in der rechten Richtung sein muss. „Wir müssen rechts lang“, sage ich dem Hasen, der allerdings schon rechts abgebogen und mir einige Meter voraus ist. So ein Terminal ist eine unübersichtliche und große Angelegenheit. Das Dorf in dem ich lebe passt vermutlich zweimal in Terminal B und dem Hasen und mir ist anfangs nicht recht wohl, weil wir noch gar nicht so genau wissen, wo wir in diesem Gebäude hin wollen. Und ein klein wenig freut es mich, dass auch der Hase so ein Landei in diesen Dingen ist.
Aber die Beschilderung ist einwandfrei und somit um Längen besser als im Straßenverkehr. Wir müssen erstmal zum Check In. Da werden wir unsere großen Koffer abgeben und bekommen im Tausch dafür unsere Bordkarten. Und da fangen die ersten Ungewissheiten an. Denn nun schlägt mehrfach die Stunde der Wahrheit. Erstens müssen wir jede Menge Formulare und lauter so Zeugs vorzeigen und parallel dazu wird das Gepäck gewogen. Und da waren sie wieder, meine großen Probleme. Welche Formulare müssen wir haben? Wie ist das mit dem Einreisedingens, dass der Hase zwölmal ausgedruckt hatte. Müssen wir dafür noch ein paar Leute mitnehmen, damit die Anzahl wieder passt? Und wo haben wir das alles überhaupt? Ich bin ja so schrecklich unvorbereitet. Diese Art der Vorbereitung ist nicht meine Kernkompetenz. Aber die vom Hasen! Und natürlich hat sie alles parat. Alles ist in einer DIN A 5 Ledertasche und sie weiß auch was wo gebraucht wird. Sie unterhält sich mit der Schalterfrau und ich habe beinahe das Gefühl, dass der Hase ihr noch erklärt, was jetzt Phase ist. Manchmal fühle ich mich, als habe ich das rundum Sorglospaket gebucht.
Bleiben aber noch die Koffer. Wir haben zwei recht große Koffer am Start und im Vergleich zu denen der anderen Reisenden, die mit uns in der Schlange stehen, scheinen sie etwas größer zu sein, als der Durchschnitt. Noch zu Hause habe ich gelästert, als wir die Hasensachen in meinen Koffer packten, dass wir den einzigen Flieger haben würden, der mit Anhänger hintendran fliegen wird. Oder mit der Thule Box oben auf dem Dach. Und nun stehen wir hier an dem Schalter und ich weiß, dass wir das Gewicht nicht zu hundert Prozent eingehalten haben, Und ich sehe uns schon, wie wir ein paar von meinen T-Shirts am Flugshafenschalter auspacken und wegwerfen werden. Ich komme mir vor, als würde ich etwas Ungesetzliches machen, als ich die beiden Kleiderschränke nacheinander auf diese merkwürdige Waage am Schalter stelle. Gleich wird ein Alarm losgehen und eine rote Rundumleuchte wird rundum leuchten, daran besteht kein Zweifel. Aber nichts da, Pustekuchen. Es interessiert weder die Dame noch die Waage, wie viel Kilo wir im Koffer haben. Wenn der Hase das vorher gewusst hätte, würde ich vielleicht noch eine unübersichtliche Sammlung von beigen oder dunklen Hosen des Hasen in meinem Koffer haben. Oder noch ein paar Paare Schuhe. Da kann man als Hase nie genug von haben. Das erinnert mich fatal daran, dass. als der Hase und ich noch relativ frisch ein Paar waren, wir nach Südfrankreich gefahren sind. Im Auto hatten wir mehr Schuhe vom Hasen als Profil auf den Reifen. Und wie sich herausgestellt hatte, brauchte sie nur zwei Paar davon und da waren die Badelatschen schon mit bei.
Wir haben ab jetzt noch ein Weilchen Zeit, bis wir zum Abfluggate gehen müssen. Also vorher noch zu Mäckes, ein bisschen was Ungesundes zur Nacht essen. Es ist halb elf am Abend und bei Mc Donalds im Flughafen Hannover ist nichts los. Aber irgendwie sind hier alle etwas seltsam. Sowohl Personal als auch die Gäste, mit Ausnahme vom Hasen und mir natürlich, sind alle ein bisschen gruselig. Mag ein Zufall sein, oder vielleicht wird hier gerade ein Zombie Film gedreht. Jedenfalls bin ich irgendwie froh, als wir unsere Cheeseburger gegessen haben, bevor wir von irgendwem gegessen werden.
Danach müssen wir in den gesicherten Bereich des Flughafens um zum Abfluggate zu kommen. Dafür müssen wir durch die Sicherheitskontrolle. Das Handgepäck und Armbanduhren, Handys, Jacken und alles mögliche packt man in eine eine Art Plastikwanne, die auf einem Förderband verschwindet. Dann kann man entweder freiwillig in einen Ganzkörperscanner gehen, oder falls man sich in seinen Persönlichkeitsrechten eingeschränkt fühlt, sich lieber einer Leibesvisitation unterziehen. Mir erschließt sich zwar nicht, was an der Visitation besser sein soll, als an dem Scanner, aber es gab bestimmt mal jemanden, der sich das rechtlich erstritten hat. Warum auch immer. Nach dem Scanner muss ich noch extra zu einem Sicherheitsbeamten gehen, der wissen will, was ich denn bitteschön noch in meinen Hosentaschen habe. Zwei FFP 2 Masken und zwei Packungen Fischermans Friend. Von denen er aber keines haben möchte. Vielleicht hat er Bedenken etwas zu essen, was lauwarm aus der Hosentasche eines anderen kommt.
Danach muss ich noch auf meinen Rucksack warten, weil der gesondert untersucht wird. In ihm sind jede Menge Sprengstoff und ein paar Handfeuerwaffen und ich mache mir Sorgen, dass ich die nicht mitnehmen darf. Was natürlich nicht stimmt, denn im Rucksack sind Hasensachen und ein Blutdruckmessgerät, das ich mitnehmen musste, weil der Hase Angst hat, dass es mir mal nicht gut gehen könnte. Da man mit diesem Gerät aber weder schießen noch Bomben zünden kann, darf ich nach dieser leichten Verzögerung weiter gehen. Und ich fühle, wie mich ein Hauch des Geheimnisvollen und des Gefährlichen umgibt, seitdem ich gerade ein potentieller Terrorist gewesen bin.
Wir gehen zu dem Gate und sitzen da herumlungernd zusammen mit ein paar Dutzend anderer Herumlungerer. 0.40 Uhr geht der Flieger und wir haben noch grob anderthalb Stunden Zeit. Zeit, die nicht vergehen mag und in mir so langsam ein bisschen Nervosität aufkommen lässt. Nicht dass ich Angst vorm Fliegen hätte, aber mir fallen gefühlt 345.000 Gründe ein, warum es während des Fluges zu einer Katastrophe kommen könnte. Und dabei ist die Option, dass ich die Außentür mit der Klotür verwechsle, während wir gerade in 10.000 Meter Höhe und 985 km/h über die Alpen, das Mittelmeer oder sonstwo langrasen, noch die Harmloseste. Eine andere Vorstellung ist, dass in der Luft auf einem Mal das Flugbegleitungspersonal plötzlich in große Hektik verfällt und sich betend und kopfschüttelnd auf ihre Sitze setzen und sich panisch anschnallen. Nein, ich habe keine Angst vorm Fliegen, es ist mir nur nicht wohl dabei.
Ich bin schweigsamer geworden und möchte meinen Gedanken, was eventuelle Abstürze angeht, ein wenig nachhängen. Dafür redet der Hase jetzt ein bisschen mehr. Über den Urlaub, die Arbeit, das Fliegen, wieder über den Urlaub, darüber, dass wir es wirklich endlich geschafft haben. An dieser Stelle unterbreche ich: “ Wir haben es erst geschafft, wenn wir da gelandet sind!“ Aber der Hase hört mir Miesepeter nicht richtig zu und redet weiter, sieht aber in meinem Blick, dass irgendwas nicht so ganz richtig ist. „Geht´s Dir gut?“ Die obligatorische Hasenfrage, wenn immer sie meint, dass irgendwas nicht stimmt. „Alles gut“, sage ich. „Hast Du Angst?“ „Wer, ich?“ „Ja du, Blödmann!“ „Äh nein, Angst habe ich nicht….“ „Aber?“ „Aber Bedenken!“ „Das ist wie Busfahren“, sagt der Hase. „Zeig mit einen Bus, der mit tausend Sachen in 10 km Höhe unterwegs ist, dann hören die Bedenken auf“, sage ich. „Airbus!“, sagt der Hase. Aber die Bedenken bleiben. Und ich sehe mich um und frage mich, warum in aller Welt sich so viele Menschen in diese Gefahr begeben und vor allem, warum ich einer von ihnen bin. Ich bin ja immer so inkonsequent. Was aber besser ist, als inkontinent. Was aber nichts mit interkontinental zu tun hat, verblüffenderweise.
Und dann ist es so weit, der Flieger kommt. Eine Boeing 737, die, wie ich gelesen habe, zu den sichersten Flugzeugen gehört, was mich aber auch nicht vollkommen beruhigt. Eine Art Schlauch wird an die Tür im Flugzeug angedockt und durch diesen Schlauch entsteigen die Passagiere trockenen Fußes dem Flieger und gehen ins Flughafengebäude. Es sind sehr viele Menschen und ich sehe sie mir genau an. Niemand wirkt ängstlich oder verstört, eigentlich sind sie eher gelassen bis gelangweilt. Sollte so ein Flug letztendlich doch nicht so aufregend sein? Klar, ich bin schon ein paar wenige Male geflogen, aber das ist lange her und hinterließ bei mir eher zwiespältige Gefühle. Es dauert, bis die ganzen Passagiere die Maschine verlassen haben. „Geht´s Dir gut?“ fragt der Hase. „Natürlich geht es mir gut“ beschwichtige ich und mache mir gerade Gedanken darüber, wie viel Kerosin wohl in den Tank so einer Maschine getankt wird und ob wir da nicht gleich auf einem Pulverfass sitzen, an dem auch irgendwie die Lunte schon brennt. Auch abfallende Tragflächen und ausfallende Triebwerke sind sehr realistische Gedankenoptionen. Aber abgesehen davon, geht es mir wirklich gut. Denn schließlich habe ich Urlaub, den kann man sich natürlich nicht von abgerissenen Tragflächen vermiesen lassen.
Unser Gepäck wird verladen. Also das Gepäck von allen Passagieren, die hier gleich eintsteigen werden. Und das sind sehr viele geworden im Lauf der Zeit. Was den Hasen etwas beunruhigt. Wir haben uns Plätze reserviert, damit wir auf jeden Fall nebeneinander sitzen, aber der Hase befürchtet, dass neben uns noch eine weitere Person sitzen wird. „Der Flieger ist voll, da sitzt bestimmt einer“, sagt sie. Und ich habe vor Augen, wie ein verschwitzter alter dicker Mann sitzt und….ach, das bin ich ja selber. Aber neben mir sehe ich direkt vor mir, wie noch ein solches Exemplar neben mir sitzt und währen des Fluges schnarchend einschläft und permanent seinen Kopf auf meine Schulter legen wird. Oder eine Mutter mit einem schreienden Kind, das offensichtlich schon in der Lage ist, meine Gedankengänge zu haben, sich aber nicht sprachlich äußern kann und deswegen schreit. Vielleicht sollte ich ja auch mal schreien….. „Warten wir mal ab“, sage ich, „vielleicht haben wir ja Glück und es wird gar nicht so voll.“ Aber der Hase bleibt im Hasenpessimismusmodus.
Dann ist es soweit, wir können einsteigen. Wir müssen vorbei an einem jungen Fluglinienmitarbeiter, der unsere Tickets einscannt und es macht jedesmal „Piep“, wie im Supermarkt, wenn es gescannt wird. Wir gehen durch diesen Schlauch und durch ein paar Fenster im Schlauch kann ich einen kurzen Blick auf das Cockpit erhaschen, welches um einiges kleiner aussieht, als ich es mir vorgestellt habe. Lauter Instrumentenanzeigen und technischer Schnickschnack und zwei recht kleine Frontscheiben. Die Piloten passen da mal gerade so rein. Wir erreichen die Maschine und steigen ein. „Oh“, denke ich, „wir fliegen wohl nach Sardinien.“, weil wir hier eingepfercht wie die Sardinen sitzen werden. Die dicht gedrängt platzierten Sitzreihen sind mit augenscheinlich gemütlichen Sitzen ausgestattet, aber der Ingenieur, der das alles konzipiert hat, war offensichtlich Liliputaner. Wie zum Geier soll ich da meine Beine mit reinkriegen?
Die Leute strömen in die Maschine und ich versuche so schnell wir möglich den Gang freizugeben. Was einige körperliche Koordination erfordert, weil ich gleichzeitig meine Jacke ausziehen und unser Handgepäck (eine Tasche und ein Rucksack) in die oben angebrachten Fächer zu packen. Für meine Aktivitäten bleibt mir dabei der Platz einer handelsüblichen Briefmarke und ich muss aufpassen, dass ich erstens niemanden im Gang mit meinem Ellenbogen umhaue und zweitens, dass ich mir dabei nicht die Schulter ausrenke. Der Hase sitzt am Fenster und ich setze mich daneben. Meine Beine halte ich geschlossen, weil man ja nie weiß, ob der Sitz neben mir frei bleibt. Es ist schwierig, weil meine Knie, wenn ich so sitze, sich in den Sitz vor mir bohren. Gemütlich geht anders. Meine linke Schulter berührt dabei die Schulter des Hasen und sie sitzt seltsam eingedrückt am Fenster.
Aber wir haben Glück, die Maschine ist nicht voll besetzt und neben mir möchte keiner sitzen. Ich würde vielleicht auch nicht neben mir sitzen wollen. Die Lüftung ist an und es rauscht ziemlich laut. Die Triebwerke brummen im Hintergrund und nachdem alle Leute drin sind, gibt es eine Durchsage vom Flugkapitän. Es ist eine türkische Fluglinie, mit der wir fliegen und der Kapitän spricht sehr leise und sein Englisch ist mit einem sehr starken türkischen Akzent belegt. Wenn jemand mit türkischen Akzent Englisch spricht, dann klingt das so, als würde ein Sachse auf Bayrisch Plattdeutsch reden. Außer der Begrüßung: „Gut Iwwning Leedies end Schentelmen“ und einem hingenuschelten: „Thank You for flying with us!“ verstehe ich nur „Humbediwumademdihabb“. Wahrscheinlich erzählt er die ganze Zeit zotige Witze und niemand merkt es.
Nachdem er zu Ende gesprochen hat, führt eine Flugbegleiterin die Sicherheitsmaßnahmen vor, die auch vom Kapitän im Einzelnen beschrieben werden. Und so „Humbediwumademdihabbt“ er durch das Bordmikrofon, während sie pantomimisch darstellt, was man machen soll, wenn es mal nicht so gut läuft mit dem Flug. Ich hab´s gewusst, da ist was im Busch. Ich versuche aufmerksam dem Gezeigten zu folgen, bin aber im Stillen mit ein paar Gebeten beschäftigt. Gerade als ich dabei angekommen bin, dem Herrn meine Sünden zu offenbahren (alle beiden, ich bin ja ein beinahe sündenfreier Mensch), endet die Präsentation und ich bin genauso schlau wie davor. Ich glaube dem Hasen geht es ähnlich.
Und dann ist es so weit, das Brummen der Motoren wird lauter und wir fahren langsam über das Rollfeld bis zu der Startposition. Das langsame Fahren gefällt mir….vielleicht machen wir einfach damit weiter. Mir ist natürlich klar, dass dem nicht so sein wird und meine Nervosität steigt an. „Geht´s Dir gut?“ Der Hase sorgt sich ein bisschen, ist aber auch nervös. Deswegen spricht der Hase nun beinahe ununterbrochen. Immer kurze Sätze oder Fragen und ich möchte mich in diesen eventuell letzten Augenblicken auf diesem Planeten einfach nicht unterhalten. Die Turbinen werden lauter und wir nehmen Fahrt auf. „Jetzt gibt er Gas“, sagt der Hase und ich bin dankbar für die Mitteilung, denn es wäre mir sonst verborgen geblieben. „Gleich geht´s los!“ sagt der Hase, während wir in die Sitze gepresst werden, weil die Maschine gerade etwas mehr beschleunigt. Die Leuchten auf der Startbahn sausen vorbei und mein ganzes Leben macht gerade genau das Gleiche vor meinem inneren Auge. Und es war ein gutes Leben. Und dann heben wir ab und der Hase fragt ob es mir gut geht und ich sehe die Lichter der Großstadt Hannover klein werden und ich bin erstaunt darüber, wie viel Beleuchtung in der Nacht an einem normalen Wochentag noch an ist. Wir fliegen weiter über viele erleuchtete Ortschaften oder Städte, man kann das nicht immer erkennen und ich frage mich, wer muss denn all diese Lampen zu diesem Zeitpunkt haben? Irgendwann haben wir unsere Reisehöhe erreicht und der Flieger begibt sich in eine waagerechte Position. Ich habe Hoffnung, denn ich habe irgendwann einmal gelesen, dass die meisten Flugzeugunglücke entweder kurz nach dem Start oder kurz vor der Landung geschehen. Wobei die Katastrophen nach dem Start weitaus katastrophaler sind, weil da noch die Tanks mit Kerosin gefüllt sind.
So weit oben in der Luft ist das Fliegen wirklich wie Busfahren, nur eben enger. Neben mir sitzt niemand und daher setze ich mich nun halbwegs auf zwei Plätze, was dem Hasen etwas mehr Luft verschafft. Ich arbeite daran eine günstige Position für meine Beine zu kreieren um mir eventuell auch ein wenig Schlaf zu ermöglichen. Denn wir fliegen durch die Nacht und unser Urlaub beginnt und ich würde gerne nicht allzu müde sein, wenn wir beim Hotel ankommen. Der Hase spricht immer noch ununterbrochen, weswegen ich sie unterbreche, denn ich würde ja so gerne schlafen. Unser Flug dauert etwas mehr als drei Stunden. Etwas mehr als drei Stunden und wir sind da und unser Urlaub beginnt. Sofern wir heile landen werden.
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