Der zweite kleine Finger von Dave Grohl……oder mit Kukident und Dosenbier Teil 7

Ich bin also Budda. Oder besser, ich bin so beinahe Budda. Aber ich wäre lieber jemand anderes. Und nein, ich wäre nicht gerne Madonnas Dickdarm. Das sind ja schon die Ärzte. Ich wäre viel lieber Dave Grohl. Und weil der so scheiß taleniert ist und weil er den Grunge mit erfunden hat und weil irgendwie alles was er so anfasst, zu Gold wird, wäre ich gerne irgendwas von Dave Grohl. Und weil er im kleinen Finger hundertmal mehr Talent hat, als ich im gesamten Rest von mir (und wahrscheinlich auch inklusive des kleinen Fingers), wäre ich gerne der kleine Finger von Dave Grohl. Und wenn unter seinen beiden kleinen Fingern einer wäre, der etwas untalentierter ist, dann würde es mir auch vollkommen reichen, wenn ich der zweite kleine Finger von Dave Grohl wäre. Vielleicht auch der talentierte Nagel vom zweiten kleinen Finger von ihm.

Aber es ist wie es ist. Die Karten sind gemischt und verteilt und jeder ist der, der er letztendlich ist und damit muss man leben. Und ich bin der Hasenbändiger und das darf auch nicht jeder sein. Und außerdem bin ich gerade auf dem Hurricane und es ist Sonntagabend und ich habe ein sehr gutes Festival gehabt. Abgesehen von der Biernot und den Schwächeleien am Anfang. Aber nun stehe ich hier, ein wenig Wehmut umgibt mich und ich möchte noch ein letztes Mal begeistert werden an diesem Abend. Und das übernimmt soeben Herr Grohl mit seinen Foo Fighters. Die ich im übrigen schon zum zweiten Mal sehe. Das erste Mal ist schon etwas her und ich war ziemlich hingerissen damals. Aber ich war zu der Zeit schnell zu begeistern und daher weiß ich nicht, ob das auch ein zweites Mal klappt. Schon allein deswegen, weil ich kaum Lieder von den Foo Fighters kenne und von denen auch meist nur so semi begeistert bin.

Ich glaube es sind gerade zweieinhalb Töne gespielt, als ich meine negativen Gedanken beiseite lege. Zweieinhalb Töne die mir zeigen, ich bin zum richtigen Zeitpunkt auf dem verdammt richtigen Konzert. Und ich vergesse alles, was ich über die Lieder denke, die ich kenne, denn hier und jetzt sind sie nur das Grundgerüst für den positiven Wahnsinn. Gefühlt wird jedes Lied auf über 10 Minuten ausgedehnt und an allen möglichen Verstärkern verstärkt und mit rund 250% mehr Leidenschaft und Hingabe gespielt. Und Dave, der alte Haudegen scheint beinahe zu explodieren vor lauter Spielfreude. Und ich denke so: „Alter, das ist eigentlich sein Job, wenn man so will. Und wenn Du so abgehst für Deine Arbeit, dann hast Du einfach alles richtig gemacht im Leben!“ Und es geht die ganzen zweieinhalb Stunden so weiter und ich spüre, wie es in mir brodelt und ich beginne leicht mit dem Fuß zu wippen. Der ultimative Ausdruck von Ü50 Begeisterung. Aber ich merke, das wird nicht genügen und ich wackel auch mit dem Kopf.

Meine imaginär langen Haare, die ich nicht habe, also die von mir erdachte Matte schleudert dabei in meinen Gedanken hin und her und ich entdecke den Headbanger in mir. Aber ich merke, auch das reicht nicht. Ich werde mehr geben müssen und außerdem ist Dave Grohl ja auch beinahe so alt wie ich. Und wenn der auf der Bühne so abgehen kann, dann kann ich auch mehr aus mir raus kommen. Aus dem Wippen wird ein leichtes Hoppeln (der Hase ist einfach überall) und der Kopf schleudert schon ein wenig. Wobei mir etwas schwummrig wird. Und ich recke immer wieder die Faust nach oben und verleihe meiner Begeisterung durch eine Art Indianerkriegsgeheul Ausdruck. Ich kann nicht auf Fingern pfeifen und ich möchte es aber auch irgendwie in die Welt herausschreien.

Spätestens, als auf der Bühne der Schlagzeuger mit einer Hebebühne so circa sechs bis acht Meter, zusammen mit seinem Schlagzeug, in die Höhe gefahren wird und er dort oben voll die Rock´n Roll Band Schlagzeugsolonummer und dergleichen abfackelt, bin ich komplett von den Socken. Ich werfe alles über Bord, das mir sagt, ich sei zu alt und es sähe peinlich aus, wenn man in diesem Alter solche Dinge tut, und hüpfe wie einer von diesen Abertausenden jungen Menschen um mich rum und für einen kurzen Augenblick ist es für mich, als wäre ich auch so jung. Als wäre ich Teil von diesem Ganzen und nicht nur der Quotenopa, der sich den ganzen Kram aus der sicheren Seniorenentfernung ansieht. Ich bin das „Sport 1“ des Abends. „Mittendrin, statt nur dabei!“ Und für diesen Moment finden mein biologisches und mein eigentliches Alter wieder zusammen.

Mein biologisches Alter ist offensichtlich. Ich muss da nicht lange drumrumreden, ich bin 52 und ich sehe auch aus, als wäre ich 52. Mein ganzer Körper fühlt sich auch so an, als sei er 52. Vielleicht auch etwas älter. Aber auf keinen Fall würde ich mich für einen jüngeren Mann halten, wenn ich mich neutral betrachte. Es ist halt so, wie es ist. Aber ich habe auch ein eigentliches Alter. Ich glaube jeder hat so ein eigentliches Alter. Das Alter, in dem er für seine eigene Entwicklung stehen geblieben ist und das er immer haben wird. Jeder kennt bestimmt diese Leute, die schon als kleines Kind so vernünftig und ernsthaft sind, wie andere mit fünfzig. Oder die, die immer kindisch bleiben. Das ist deren eigentliches Alter. Mein eigentliches Alter liegt so in etwa bei 23, 5 Jahren. Ich fühlte mich als Jugendlicher schon immer etwas älter. Ein Umstand, den man mir bestimmt nie angemerkt hat. Und später merkte ich, dass ich mich immer weiter von diesem Alter entferne. Manchmal verblasst es auch ein wenig. Manchmal ist mein eigentliches Alter nur noch der Schatten eines Hauches aus der Vergangenheit und ich empfinde wenig Freude darüber.

Aber jetzt und hier sind wir wieder vereint und ich bin der 23,5 jährige Opa, der alle Hemmungen abwirft und seinem Körper alles abverlangt, um mit Dave Grohl und seinem zweiten kleinen Finger mithalten zu können. Und dann ist es so weit. Das Konzert ist vorbei. Der letzte Ton verklungen. Das Licht auf der Bühne geht aus und die Massen von Leuten verlassen das Gelände. Unter ihnen mein Bruder und ich. Wir bringen noch meine Tochter zum Bahnhof. Es ist dunkel und man verliert manchmal unter den vielen Leuten die Orientierung. Und als wir sie dem Hasen, der die Hasentochter dort abholen möchte, übergeben haben, also die Tochter, nicht die vielen Leute, gehen mein Bruder und ich zurück. Und wir machen das, was sich bei uns beiden zu so einer Art Tradition gemausert hat. Wir laufen noch einmal über weite Teile des Campinggeländes.

Bewaffnet mit einer Dose Bier und den flachsten Witzen, die schon am Rand der Erträglichkeit sind, streifen wir umher und quatschen so ziemlich jeden voll, den wir zu sehen kriegen. Die Stimmung insgesamt ist seltsam. Viele Zelte sind schon abgebaut und diejenigen, die noch einmal ein Fass aufmachen wollen, bäumen sich ein letztes Mal zur letzten Spontanparty, oder was auch immer, auf und alle haben im Hinterkopf, dass spätestens am nächsten Morgen der ganze Spaß vorbei ist. Und egal wie besonders und geil dieses Wochenende war, jetzt wirkt es irgendwie auch ein bisschen abgenutzt. Aber wir lieben das. Wir genießen diese Momente des Unperfekten und sinnieren darüber, was alles so war und wie es uns gefallen hat und welchen Platz dieses Hurricane in der ewigen Bestenliste einnehmen wird. Es wird ein Platz weit oben sein. Und wir erinnern uns an die Dinge die in all den Jahren gewesen sind.

Daran, dass ein Typ, der sich komplett und ziemlich realistisch als Braunbär verkleidet hatte, zu meinem Nachbarn, der damals mit uns auf dem Hurricane war, ging und mit ihm sprach. Und nach einem kurzen Wortwechsel hat der Bär dann den Nachbarn, der in voller Motorradclubmontur vor einer Bühne stand, kurzerhand auf die Schultern genommen und getragen. Eigentlich heißt es, dass man jemanden einen Bären aufbindet. Diesmal wurde dem Bären ein Horst aufgebunden. Und wir erinnern uns daran, dass wir bis über die Knie im Wasser standen, weil es so fürchterlich geregnet hatte und zu allem Überdruss, die Blitze zuckten wie in einer Disco. Und daran, dass wir auch viele gute Konzerte gesehen haben in all den Jahren und dass die besten davon eher die waren, die man vorher nicht auf dem Schirm hatte. Es würde den Rahmen sprengen, alles aufzuzählen. Was bleibt, ist die Ungewissheit, ob es diesmal nicht das letzte Hurricane war, zu dem ich gehe.

Eigentliches Alter hin oder her, die Biologie lässt sich nicht endlos austricksen und ich weiß in diesem Moment wirklich nicht, ob ich den ganzen Scheiß noch einmal bewältigen kann. Es ist immer ein schmaler Grat zwischen cool und peinlich und ich möchte nicht, dass ich das aus den Augen verliere. Aber sollte es das letzte Mal gewesen sein, dann wäre der zweite kleine Finger von Dave Grohl das würdige Sahnehäubchen auf dem großen Kuchen……..hmmh, das Bild mit dem Finger auf der Torte ist vielleicht nicht das beste (auf den Nägeln kauen kriegt dabei auch eine etwas eigene Bedeutung), aber ich denke, man versteht mich……

Nachtrag:

Es hat keine zwei Wochen gedauert, bis ich davon überzeugt wurde, in 2020 noch einmal anzugreifen. Die Karte war schnell erworben und die Mannschaft beinahe wieder komplett im Boot. Sogar ein alter Haudegen war wieder mit dabei und wir hatten uns schon mit den Vorbereitungen befasst, als Corona alles änderte und nun ist Essig in diesem Jahr. Wir haben uns für 2021 umschreiben lassen und sind gespannt, was dann geht……..