Der mit der Mischmaschine tanzt

Die eigenen vier Wände. Wer hätte sie nicht gerne und was ist man bereit dafür zu tun. Man verschuldet sich bis über beide Langohren und nicht selten, muss man auch selbst Hand anlegen, weil die geldlichen Mittel nicht ausreichen, um den gesamten Bau, geschultem Fachpersonal zu überlassen. Der professionelle Halsabschneider, äh Banker, spricht in diesem Zusammenhang von der Muskelhypothek. In manchen Fällen ist diese ein erheblicher Bestandteil der Hausfinanzierung.  Der betroffene Eigenheimanwärter verabschiedet sich für die Bauphase von Wein, Weib und Gesang und auch von seiner Freizeit. Das geht mitunter sehr an die Substanz, aber es ist wie bei einer Geburt, sobald das Werk vollendet ist, sind die Schmerzen Nebensache. Aber bis dahin ist es ein steiniger Weg und nicht immer läuft alles glatt. Das war auch bei unserem Hausbau nicht anders. Um die Schwierigkeiten zu verdeutlichen habe ich exemplarisch einen Tag herausgepickt und mich weitesgehend an die Fakten gehalten. Allerdings habe ich auch hierbei meiner Neigung zur Übertreibung nachgeben müssen und mir ein paar unwesentliche dichterische Freiheiten genommen. Aber das Grundgerüst dieses Tages, den ich im Folgenden beschreibe, ist schon stimmig………….

Der Vormittag

Mein neuer bester Freund heißt Waldemar. Waldemar ist gut fünf Jahre älter als ich und ich kenne ihn eigentlich nicht. Was ihn zu meinem besten Freund macht, ist die Tatsache, dass er Maurer ist. Und weil er den Verblender für unser Haus vermauert, ist er sogar mein ganz spezieller bester Freund. Er weiß das nicht, und ich vermute, es wird ihm auch egal sein. Zu Beginn unseres Hausbaus hatten wir unseren ersten Kontakt, als er den Sockel für unsere Fundamentplatte gemauert hat. Das Erste was mir damals auffiel, er entsprach so gar nicht meiner Vorstellung von einem Maurer. Kein Filzhut, kein unerwünschter Einblick auf ein teilentblößtes Hinterteil (Maurerdekollete) und kein Gemecker. Er war derart freundlich, dass ich in Stillen argwöhnte, es könne sich bei ihm unmöglich um einen Maurer handeln. Ich habe ihn aber nicht danach gefragt. Die Art, wie er allerdings die Steine mit dem Mörtel zu einem schnurgeraden Verband aufschichtete, überzeugte mich dann doch von seinen Qualitäten.

Nun, gute drei Monate später, ist der Rohbau soweit, dass Verblender vermauert werden kann. Es ist morgens um halb sieben im November. Es ist noch dunkel, aber der Nagel, der aus einem Brett herauslugt und auf den ich trete und der sich in meine Fußsohle bohrt, lässt einen stechenden Schmerz in mir auffahren und für einen kurzen Moment ist es wie ein Aufblitzen vor meinen Augen. „Ah, wird schon hell“, denke ich, während sich Tränen in meinen Augen bilden. Ich bin recht schmerzempfindlich und da niemand außer mir da ist, lasse ich mich zu einem Aufschrei mit anschließendem Gejammer hinreißen. Danach muss ich mich zusammennehmen, nicht dass ich noch einen schlechten Eindruck hinterlasse. Der Trick ist, sich nichts anmerken zu lassen und die Verwundung gar nicht erst zu erwähnen. Kein Wort drüber. Nicht eins. Da bin ich eisern.

Das Wichtigste bei Maurerarbeiten ist die Vorbereitung. Steine und Mörtelkübel müssen an strategisch wichtigen Plätzen stehen, damit der Maurer sich nicht mit unnötigen Bewegungen aufhalten muss. Außerdem wird eine unermessliche Anzahl an halben und dreiviertel Steinen benötigt und ich habe ungefähr eine halbe Millionen von den Dingern in mühevoller Heimarbeit zurecht geflext. Die Steine liegen also an Ort und Stelle und ich bin gerade dabei den Mörtel anzumischen, man sagt dazu auch „Mischung machen“. Wobei ich diesen Terminus eher mit Cola-Korn in Verbindung bringe. Waldemar kommt, natürlich pünktlich, um sieben. Er ist, wie immer die Ruhe selbst und sehr höflich. „Ich habe noch einen Bekannten mitgebracht. Er heißt Johann und ist auch Maurer.“ Ich begrüße Johann und beschließe, dass er auch mein bester Freund sein wird. Es ist einfach, Freundschaft mit mir zu schließen.

„Dann wollen wir mal“, sage ich und beginne damit, die Mischung per Schubkarre zu den Kübeln zu bringen und umzufüllen. In einem kleinen Nebensatz erwähne ich, dass ich auf einen Nagel getreten bin, der höchstwahrscheinlich rostig war und sich tief in meinen Fuß gebohrt hat.  „Wir brauchen zwei gerade Kanthölzer“, sagt Waldemar, dem mein geschundener Fuß augenscheinlich egal ist. Ich mache mich also auf die Suche nach den gewünschten Hölzern. Es liegen einige Kanthölzer umehr, aber 95% davon sind krumm. Aber, wir werden fündig und meine Maurer richten sie an den Hausecken aus und machen Markierungen drauf. Für die Schnur, damit sie das richtige Schichtmaß bekommen.

Ich muss schon sagen, meine Vorarbeit ist hervorragend und ich kann dem Tag ganz entspannt entgegen  sehen. Die Striche sind gemacht und die Handwerker beginnen mit der Arbeit. Es dauert nicht lange und die Mischung wird knapp. Aber da bin ich drauf eingestellt. Selbstverständlich habe ich schon neue Pampe angerührt und  ich eile, um einer Mörtelunterversorgung vorzubeugen. Meine beiden Freunde bewegen sich scheinbar nicht übermäßig. Aber trotzdem kommen sie zügig voran. „Matthias, Deine Mischung ist echt gut. Mit etwas mehr Wasser wäre sie perfekt“, ruft mir Waldemar freundlich zu. Ich bin geneigt, seinem Ansinnen zu entsprechen. „Ach ja, wenn es keine Probleme macht, könnten wir auch wieder Steine gebrauchen.“ Ja, er ist schon höflich, das kann man nicht anders sagen. Ich bringe den beiden also Steine. Mischung wäre auch wieder knapp, meint Johann. Also mische ich wieder. Ein Eimer Wasser, drei Schaufeln Sand, eine Schaufel Kalk; das dann dreimal, zwischendurch noch Zement dazu. Alles rein in die Mischmaschine, die mit einem röhrenden Ton, der mich an einen Elch in der Brunft erinnert, zuverlässig ihren Dienst tut. Ich komme an mit der Mischung. Steine fast alle. Wo lassen die beiden  die nur? Kaum dreht man ihnen den Rücken zu, da verschwinden die Dinger, wie von Zauberhand, und tauchen vermauert an der Wand wieder auf.

Auch wenn meine Maurergesellen mich recht gut auf Trab halten, habe ich es mittlerweile unter Kontrolle. Ich laufe halt nur etwas schneller. Da droht neues Ungemach. In den Bereichen, wo Fenster oder Türen vorgesehen sind, gibt es Sondermaße für die Steine. Nichts was man mit halben, dreiviertel oder ganzen Steinen bewältigen könnte. Waldemar ruft mir ein Maß zu und ich schneide ihm dann den entsprechenden Stein zurecht. „Siebzehnkommazwo“, sagt er und ich erfülle seinen  Wunsch. Das heißt, ich bin bemüht. „Der ist siebzehnkommadrei“, sagt er mit einem als Unterton getarnten Vorwurf in der Stimme, als er das Ergebnis meiner Schneidkünste betrachtet. „Ja und“, denke ich, “ ihr seid Maurer und wir sprechen hier über einen Millimeter….“ Maurer haben in der Regel recht schlichte Zollstöcke, mit den Maßangaben: Zu kurz, oder zu lang. Alles dazwischen passt, oder wird so hingeschoben, dass es gut aussieht. Oder es wird dem Bauherren erklärt, warum das so sein muss, wie es ist. Das sind Maurer. Maurer sind froh, wenn sie das richtige Grundstück erwischen. Und meine beiden Pedanten? Ich bin fassungslos, verspreche aber, in Zukunft sorgfältiger zu sein. Insgeheim glaube ich, dass die beiden mich auf die Schippe nehmen, lasse mir aber nichts anmerken.

Mein Arbeitsfeld ist also erweitert. Mischen, Steine stapeln und Steine schneiden. Siebzehnkommfünf hier, dreizehkommaacht da und so weiter. Ich denke darüber nach, mir spontan noch zwei drei Arme wachsen zu lassen. Allmählich gerate ich aus der Puste, während meine Steinroboter unentwegt weiter mauern. „Wir brauchen noch halbe Steine.“ die nächste Hiobsbotschaft. Wie können die schon alle sein? Das gibts doch gar nicht. „Vierzehnkommafünf“, bestellt Johann. “ Mischung wäre auch wieder alle, meint Waldemar.

Dann ist Frühstück. Neun Uhr, der Hase bringt Kaffee und Brötchen.   „Du solltest Dir Hilfe holen.“ schlägt sie vor. „Ach was, das geht schon.“ antworte ich knapp. Das halbe Mettbrötchen ragt noch aus meinem Mund, als ich meine Pause verfrüht beende. Ich muss diese Zeit nutzen, um einen gewissen Vorsprung zu bekommen. Hin und wieder schmerzt mein Fuß in dem Bereich, wo der rostige Nagel heute morgen mir eine Botschaft gesendet hat, aber ich ignoriere den Schmerz. Zumindest, nachdem ich dem Hasen haarklein erzählt habe, was sich zugetragen hat, und wie tapfer ich doch bin. Sie hört mir gar nicht zu und spricht lieber mit den Maurern, die ihr in fröhlicher Eintracht erzählen, dass ich vielleicht Hilfe bräuchte. Ich ignoriere die Bedenken und widme mich meinen zahlreichen Aufgaben. Ich humpel demonstrativ ein wenig, damit hier auch ohne Worte erkannt wird, wie ich dem Schmerz trotze. Aber ich glaube es sieht niemand hin.

Die Maurer des Teufels scheinen noch einen Gang zugelegt zu haben. Ich muss derart flitzen, dass ich mir manchmal selbst begegne und mich mit einem knappen „Moin“ begrüße. Für ausgedehntere Gespräche reicht die Zeit nicht, sonst hätte ich mir die Geschichte mit dem Nagel in meinem Fuß erzählt, aber wenn ich mir nicht einmal selbst zuhöre, wer soll es dann machen? Ich bemerke nicht, dass sich Johann mitunter selbst die Mischung holt und Waldemar mit der Flex sich seine nächste sechzehnkommsechs zurecht schneidet. Es gerät so langsam aus den Fugen. Meine Wahrnehmung ist leicht gestört. Alles ist von einem Nebel umhüllt. Durch diesen Nebel kommt Herr Elrond auf mich zu und sagt :“Aragon, Du brauchst mehr Männer!“ „Na dann rufe ich bei Gimli und Legolas an“, erwidere ich und greife nach Isildurs Schwert, dass er bei sich trägt. Aber er möchte es mir nicht geben. „Das ist mein Schwert“, sage ich, “ mein Schatz!“

Herr Elrond ist natürlich nicht Herr Elrond, sondern mein Maurer Waldemar, der ziemlich konsterniert wirkt, als ich etwas von Gimli und Isildurs Schwert stammel und versuche ihm seine Wasserwaage aus der Hand zu reißen „Ich glaub es geht ihm nicht gut“, sagt er zu Johann. “ „Vielleicht sollten wir ihm mal mit ner Dachlatte eins überbraten.“ „Hmmnaah, ich glaub das könnte schief gehen.“ „Schüttel ihn doch mal.“ Er schüttelt mich und ich erwache aus dem Kurzzeitdelierium. Ich gebe mich geschlagen. Ich brauche doch wirklich Unterstützung……

 

Fortsetzung folgt