Der kranke Daus im Krankenhaus…oder die Ankunft in einer eigenen Welt

Bevor sich hier jemand Sorgen macht, der Titel ist etwas irreführend, denn ich bin nicht krank. Also nicht so krank, wie man es sich vielleicht jetzt vorstellen mag, aber der Titel klingt so schön. Aber es dreht sich trotzdem darum, dass ich einen Krankenhausaufenthalt habe (mal wieder). Also bin ich auch nicht so ganz gesund. Es ist allerdings ein geplanter Eingriff, der mich hierherführt und der wurde nötig, weil ich dann schlussendlich doch nicht ganz gesund bin. Hmmh, das klingt wirr, ist aber so. Vielleicht ist das jetzt einfacher zu verstehen, wenn man die ganze Geschichte kennt. Also zurücklehnen bitte, es wird spannend, langweilig, dramatisch, entbehrungsreich und auch ein bisschen ekelig.

Wer hätte gedacht, dass ein Fleischkäsebötchen einmal für mich das Leckerste auf der Welt sein könnte? Ein Biss hinein und die Geschmacksexplosion treibt mir Tränen der Rührung in die Augen. Tränen, die sich noch verdoppeln, als ich bemerke, dass man auch noch Senf auf das Fleischkäsebrötchen geschmiert hat. Was den Geschmacksfaktor auf ein ganz anderes Level bringt und gleichzeitig den Hasen zu meiner Heldin werden lässt. Denn sie hat es mir spontan besorgt. Dieses Fleischkäsebrötchen, das ich nun mit einer Inbrunst esse, die dem Hasen auch ein wenig Sorge bereitet. Aber sie kann es auch ein Stück weit verstehen, denn sie weiß, was gerade hinter mir liegt. Schließlich hat sie mich gerade vom Krankenhaus abgeholt, in dem ich die letzten zwei Nächte und zweieinhalb Tage verbracht habe. Zweieinhalb Tage, die wie eine kleine Ewigkeit waren. Aber beginnen wir doch am besten mal von vorn.

Der Eingriff war geplant und auch notwendig. Aber ich habe ihn auf die lange Bank geschoben. Wie eine lästige Steuererklärung. Doch irgendwie war ich nicht mehr glücklich mit meinen Körperfunktionen und die Ursache dafür ist mit großer Wahrscheinlichkeit eine Herzrhythmusstörung, die ich schon länger habe und die zu meinem Schlaganfall geführt hat, über den ich an dieser Stelle schon ausführlich gejammert habe. Meine körperliche Fitness ist in den letzten Jahren immer weiter zurückgegangen und hat sich auf ein Level eingependelt, das mein biologisches Alter um gefühlt dreißig Jahre nach vorn gebracht hat. Kurz gesagt, die Generation Ü80, sofern sie nicht gerade körperlich eingeschränkt ist, hängt mich bei einem hundert Meter Lauf locker ab und bei 800 Meter würden sich mich überrunden. Zweimal, wenn nötig.

Das konnte und sollte so nicht weiter gehen. Mein Kardiologe sagte, dass ich etwas an dem Rhythmus ändern lassen sollte. Mein Hausarzt sagte, dass ich etwas an dem Rhythmus ändern lassen sollte. Und der Hase sagte: „Lass doch mal was an dem Rhythmus ändern.“ Und irgendwie kam mir der Gedanke, dass ich etwas an dem Rhythmus ändern lassen sollte. Woher nur hatte ich diesen Gedanken. Also sagte ich: “ Ich lass da mal was machen!“ Das tat ich auch, mit dieser Stromschocktherapie, über die ich auch berichtet habe. Aber das war nur ein Schuss in den Ofen. Nach zwei Tagen war das Vorhofflimmern wieder da. Also beschloss ich, die Sache auszusitzen. Was aber nicht gut war, denn irgendwie ging es mir dadurch auch nicht besser.

Nun bin ich ja aber auch so gestrickt, dass ich, wenn ich denn muss, auch mal direkt an eine Sache herangehen kann. Und dann bin ich auch unbeirrt dabei, bis es vollbracht ist. In diesem Fall gab es noch weitere Behandlungsmethoden, die aber immer einen operativen Eingriff mit sich brachten. Und so trat ich mir sinnbildlich in den Hintern und machte einen Termin für eine sogenannte Ablation. Der korrekte Name ist noch komplexer und überfordert mich ein bisschen. Ablation soll hier genügen. Es handelt sich dabei um einen Eingriff in dessen Verlauf man mit einer Art Schlauch von der Leistengegend durch den halben Rumpf geht, um dann knapp über dem Herzen rechts abzubiegen, und in den Vorhof zu gelangen. Dort stößt man durch eine Art Scheidewand und sucht die Ausgänge von vier Lungenvenen, zu denen man mit dem Schlauch dann hin schiebt. Am Ende des Schlauches ist ein kleiner Ballon, der dann aufgepumpt diese Ausgänge verschließt und in den man Luft mit einer Temperatur von -35°C gibt. Damit verödet man die Stellen, die für das Flimmern verantwortlich sind.

Soweit die Fachtheorie. Ich hatte von Anfang an Probleme damit es mir bildlich vorzustellen. Ich dachte immer an einen Gartenschlauch, an dem eine Spritzdüse steckt. Und meine große Frage war dabei; wie zum Geier kann man damit im Körper bitteschön rechts abbiegen? Natürlich war mir klar, dass kein Gartenschlauch sein wird, aber das Abbiegen konnte ich mir trotzdem nicht erklären. Und damit man auch sehen kann, was man da im Herzvorhof anstellt, muss parallel zum Gartenschlauch ein weiterer Schlauch durch die Speiseröhre geschoben werden. Eine Art Ultraschall zur Beobachtung. Wenig erquickliche Aussichten, wenn ich ehrlich bin. Aber, und das ist die volle Wahrheit, ich hatte zu keine Sekunde Angst vor dem Eingriff. Das bedeutet nicht, dass ich mutig wäre. Mut hat man, wenn man Angst hat und sie überwindet. Ich sehe mich da eher etwas unbedarft. Was mir allerdings Kopfzerbrechen bereitete, waren zwei immens wichtige Dinge. Erstens hatte ich die Befürchtung, nach dem Eingriff für zwei Tage oder länger nicht mehr auf´s Klo gehen zu können und zweitens scheute ich mich davor, nackig auf dem OP Tisch zu liegen. Ich bin nicht prüde, aber als einziger Nackter unter lauter bekleideten Leuten herumzuliegen, war mir vorab schon ein sehr unangenehmer Gedanke.

Und so ging ich dann auch mit relativ gemischten Gefühlen in die Klinik. Ich machte mir keine großen Sorgen. Ehrlich nicht. Ich habe dem Hasen nur noch erzählt, dass ich eine Urnenbeisetzung haben möchte und die Titel: Jaelous Guy von Roxy Music, Under the Milkey Way tonight von the Church und Sourveillance Part 2&3 von Airbag auf meiner Beerdigung gespielt haben möchte. Letzteres zuerst. Das dauert knapp 17 Minuten und wäre prima für die Wartezeit in der Kapelle. Nur für den Fall, dass die zu früh mit dem Schlauch abbiegen oder dergleichen. Aber sonst war ich nicht im Mindesten nervös. Der Puls blieb langsam und unrhythmisch. Aber deswegen war ich ja hergekommen.

Das erste was man im Krankenhaus lernt ist, es ist eine andere, eine eigene Welt, in der viele Dinge anders sind als außerhalb der Klinik. Das fängt schon mit dem Corona Test an, den ich bei meiner Ankunft machen muss. Das Testzentrum ist ein Raum, mit einer Art Durchreiche, durch die man seinen Meldeschein schiebt und ein vermummter medizinischer , oder sadistisch veranlagter Angestellter (die Meinungen gehen hier auseinander) den Test durchführt. „Schonmal getestet worden?“ Fragt der Mann und ich sage ja, dutzendfach. Und das entspricht ziemlich der Wahrheit. Ich habe schon eine Reihe von Tests gehabt und sie waren sehr unterschiedlich in der Art ihrer Ausführung. Obwohl sie alle durch die Nase gemacht wurden. Einmal hat es so fürchterlich gekitzelt, dass ich lachen musste. Das ist heute nicht der Fall, denn der nette Aushilfssadist möchte anscheinend einen Abstrich von meinem Kleinhirn machen, so weit schiebt er das Stäbchen in mein rechtes Nasenloch. Und dort angekommen dreht er es ein dutzend Mal hin und her und ich kann nur mühsam dem Impuls widerstehen, ihm einen Satz heiße Ohren zu verpassen. Da er eine Maske trägt, kann ich nicht erkennen, ob er gerade Spaß an der Sache hat. Ich habe jedenfalls keinen.

Das Ergebnis ist negativ, wie erwartet und ich gehe zur Anmeldung. Da ich hier schon vor ein paar Tagen alle Formalitäten erledigt habe, geht es auch sehr schnell und nach fünf Minuten bin ich schon auf der Station. Es wird das letzte Mal sein, dass hier etwas schnell geht. Das ist der zweite große Unterschied zur Welt draußen. Wer im Krankenhaus als Patient ist, muss einfach Geduld mitbringen, denn die Uhren laufen hier anders. Warten und vor allem warten können ist der oberste Grundsatz. Es überkommt mich die Erkenntnis, dass ich vielleicht nicht unbedingt der wichtigste Mensch auf der Welt bin, obwohl ich das bisher auch immer ein Stück weit schon vermutet habe. In einem meiner seltenen lichten Momente, denke ich, dass ich nur deswegen warten muss, weil vielleicht irgendwer gerade als Notfall auf dem OP Tisch liegt, auf dem ich nachher auch liegen werde. Eine Erkenntnis, die mich nicht nur wegen der Figur ein Stück weit wie Budda erscheinen lässt, denn es überkommt mich eine große Ruhe und Gelassenheit. „Wenn Du die Dinge nicht verändern kannst, dann musst Du Deine Einstellung zu den Dingen ändern“, denke ich und schwebe ein bisschen über dem Bett auf dem ich gerade noch gesessen habe. Also rein spirituell meine ich.

In meinem Zimmer liegen noch zwei weitere Männer, die ungefähr so alt sind wie ich und die beide aus Polen stammen. Das sagt mir zumindest der eine von beiden. Er scheint sehr nett zu sein und seinem Kollegen, oder Landsmann läuft derweil immer ein bisschen blutiges Zeug aus der Nase. Nicht sehr viel, aber schön ist was anderes. Das ist das Problem mit Krankenhäusern. Man trifft in der Hauptsache auf kranke Menschen. Was allerdings nicht weiter überrascht, denn sonst wäre es ja ein Gesundenhaus.

Es ist morgens kurz nach acht und ich bin sowas von pünktlich da, dass ich auch angetan von mir bin. Meine innere Zeitplanung habe ich so angesetzt, dass ich denke, ich bin gegen Mittag durch und spätestens um 14 Uhr auf dem Zimmer. Dann werde ich, sofern ich die Sedierung gut überstanden habe, dem Hasen eine Whatsapp schreiben. Sie selbst kann ja wegen der Pandemie nicht im Krankenhaus auf mich warten. Der nette Mann aus Polen, der ohne laufende Nase, möchte wissen, was ich habe und erzählt mir seine Anamnese. Was sich aber als schwierig gestaltet, denn sein Deutsch ist kaum einen Deut besser als mein Polnisch. Da ich nun gar kein Polnisch kann, ist es also nicht verwunderlich, dass er eigentlich nur drei bis acht Worte in deutsch spricht. Die Kommunikation gestaltet sich also als schwierig und ist beinahe so fruchtbar, als wenn ein Blinder einen Taubstummen nach dem Weg fragt.

Ein leeres Bett steht noch im Raum. Aber es bleibt nicht mehr lange leer. Ein vierter Mitbewohner unserer kleinen WG hält Einzug. Er spricht Deutsch und es läuft ihm nichts aus der Nase. Obwohl schon nach wenigen Sätzen aus seinem Mund denke ich mir, es wäre besser gewesen, er würde polnisch sprechen. Denn der Gute hat eigentlich an allem etwas auszusetzen. Das soll sich auch nicht grundlegend ändern, wie ich noch merken werde. In der oder der Klinik sei dies oder das besser, oder jenes und welches geht doch gar nicht. So geht das erstmal ne Weile und ich möchte ihm im Grunde meine neue Lebensweisheit um die Ohren schmettern: „Ey Meister, wenn Du die Dinge nicht ändern kannst, dann musst Du die Einstellung zu den Dingen ändern!“ Aber ich mache es nicht. Ich ändere meine Einstellung zu ihm und lasse das meiste in ein Ohr rein und zum anderen wieder raus. Bin ich Weltmeister drin. Dazwischen ist ja auch nicht viel, wo irgendwas hängen bleiben könnte.

„Und ich weiß gar nicht wie ich auf diesem Bett schlafen soll“, sagt er und legt sich hin und schläft innerhalb von Sekunden ein. Mein erstes Fazit meiner Mitbewohner: Eine Triefnase, die nie spricht, ein netter Pole, den ich nicht verstehe und ein schlafender Nörgler. Hätte schlimmer kommen können, denke ich und harre der Dinge die da kommen werden.