Der kranke Daus im Krankenhaus….einmal weggetreten bitte

Ich sitze also auf meinem Bett in diesem Krankenzimmer auf dieser Kardiologiestation und möchte mich noch nicht hinlegen, weil ich denke, dass ich in den nächsten Stunden noch genug liegen werde. Seit gestern Abend habe ich weder gegessen noch getrunken. Es war Bedingung für den Eingriff und wer mich kennt, weiß wie schwer mir das gefallen ist. Aber auch hier hilft mir meine neue Erleuchtung und da ich nichts an der bestehenden Tatsache, dass ich auch weiterhin nichts essen darf, ändern kann, arrangiere ich mit der Sachlage. Meine beiden polnischen Mitbewohner bekommen derweil ihr Frühstück serviert und mir läuft ein bisschen Speichel aus den Mundwinkeln. Die beiden Frühstückenden sehen mich ein wenig seltsam an. Vielleicht sollte ich aufhören auf ihre Brötchen zu starren und: “ Mein Schatz“ zu sagen. Aber ich war ja bisher eisern und außerdem werde ich sicherlich gleich in den OP geschoben. Je eher da hin, desto eher bin ich wieder zurück und dann kann ich auch wieder irgendwas essen. Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Es hängt eine Uhr im Zimmer und ich könnte schwören, dass der Sekundenzeiger erheblich langsamer geht, als bei einer normalen Uhr. Ich sag ja, im Krankenhaus ist eine eigene Welt. Eine Schwester kommt rein und ich möchte reflexartig sofort mit meinem Bett in den OP geschoben werden. Zumindest habe ich diese Erwartungshaltung. Aber es werden nur technische Daten aufgenommen und Fieber gemessen und dergleichen. Vorbereitungen also. Etwas später kommt eine weitere Schwester mit einem komischen Stuhl, der auf kleinen Rädern geschoben wird. Eine Waage, wie sich herausstellt und ich muss mich draufsetzen. Können Waagen, die wie Stühle aussehen, ächzen? Ich habe das Gefühl. Also auch nichts mit nach unten in den OP bringen. Aber ich habe ja mein neues Mantra und komischerweise liege ich dann auch auf dem Bett. Allein schon, weil man in einem Krankenhaus eigentlich kein anderes Möbelstück hat. In unserem Vierbettzimmer steht nur ein Stuhl an einem kleinen Tisch. Und wenn man sich darauf setzt, dann blockiert man irgendwie alle Verkehrswege im Zimmer. Also bleibt nur das Bett und ich liege nun rum und lausche dem Schnarchen meines Mitankömmlings, der auch den gleichen Eingriff wie ich zu erwarten hat und seine Zeit mit Schlafen totschlägt. Und soviel kann ich schon sagen, er schnarcht anders als ich es kenne. Er ist der kurzatmigste Schnarcher, der mir je untergekommen ist. Man möchte ihn schütteln und sagen: „Hey Mann, atme mal durch!“ Aber ich unterlasse es.

Er ist natürlich auch hin und wieder wach und nörgelt sich dann weiter durch den Tag. Ansonsten ist er nicht unfreundlich zu mir oder dem Personal. Er wirkt nur allgemein ein bisschen unzufrieden. Ich werde nicht so richtig warm mit ihm, aber das muss ich auch nicht, denn wie eine Schwester heute morgen sagte, werde ich schon morgen entlassen. Das lässt hoffen und ich beschließe in dieser Zeit ein Vorzeigepatient zu sein. Ich sage immer Bitte und Danke und füge mich in alles, was mir aufgetragen wird und ich merke diese Einstellung ist für mich auch sehr förderlich. Man kann sich seinen Stress ja auch selbst machen. Und warum sollte ich Stress haben wollen?

Der Stationsarzt kommt rein. Er hat einen Akzent, den ich zu diesem Zeitpunkt als Osteuropäisch einschätze. Was falsch ist, denn wie ich später erfahre, ist er ein Grieche. Auf jeden Fall ist er sehr freundlich und erklärt viel und legt mir einen Zugang in den Handrücken. Früher musste ich bei solchen Angelegenheiten immer wegsehen, weil ich etwas empfindlich war. Aber jetzt sehe ich in Ruhe zu, wie die Nadel mehrere Zentimeter in eine Vene geschoben wird. Es macht mir nichts, was mich auch auf eine unaufgeregte Operationsvorbereitung hoffen lässt. Wenn nur die Sache mit dem Nackigsein nicht wäre. Aber darüber denke ich erstmal nicht nach. Es ist mittlerweile schon nach 10 Uhr und ich bin immer noch nüchtern. Aber meine im Bauch getragene Vorratshaltung (also meine Wampe) kommt mir zugute. Ich glaube ich könnte vier Wochen durch eine Wüste gehen, ohne Wasser und Nahrung und wäre immer noch am Leben. Ein Irrglaube, wie man später sehen wird.

Der Nörgler schläft und schnarcht und schnauft und ich frage mich, ob er sich im Schlaf überhaupt entspannen kann. Mein netter polnischer Freund von schräg gegenüber macht mir Zeichen und spricht ein bisschen von seinem Deutsch. Übersetzt will er mir sagen, dass wir mit vier Mann auf diesem Zimmer sind und derjenige ein glücklicher Mann ist, der einen Kopfhörer hat und sich musikalisch durch die Nacht bringen kann. Ich bin ein glücklicher Mann, denn ich hole meinen Kopfhörer raus und höre Musik. Musik von der mein Hase sagen würde: „Da hör ich lieber Schnarchen!“ Aber mir gefällts und außer mir hört sie ja niemand.

Es wird elf und die erste Schwester kommt wieder rein und bringt mir und dem Nörgler die OP Hemden. Aber da noch keine Aufforderung damit einhergeht, sie auch anzuziehen, lassen wir sie noch liegen. Die Aufforderung kommt rund 10 Minuten später. Die Unterhose bleibt noch an, ansonsten „bekleidet“ man sich nun mit diesem komischen Hemd, das so klein ist wie ein Topflappen und theoretisch hinten zusammengebunden werden kann. Ich bin froh, dass ich überhaupt beide Arme gleichzeitig in die Ärmelchen stecken kann. Von einem Zusammenknoten auf der Rückseite sind die dazugehörigen Bänder meilenweit entfernt. So ausgerüstet lege ich mich wieder hin und der Bettenschubsdienst kommt vorbei, um mich abzuholen. Ein schweigsamer junger Mann, der höchstwahrscheinlich lieber eine flotte Blondine geschoben hätte, als so einen grauhaarigen dicken Molch. Aber das Leben, so weiß er, ist nunmal kein Wunschkonzert. Missmutig schiebt er mich zum Fahrstuhl und wir fahren ins Erdgeschoss zum OP-Bereich. Ich lese noch den genauen Stationsnamen an der Tür, habe ihn aber schneller vergessen wie der Bettschubser mich loswerden möchte.

Mein Bett steht auf dem Flur und viele Leute sind hier unterwegs, oder sitzen an irgendwelchen Schreibtischen in irgendwelchen Zimmern oder Büros, deren Türen alle offen sind. Warum auch immer. Eine Schwester kommt zu mir und stellt sich vor. Sie ist erstens sehr freundlich und zweitens dafür zuständig, dass ich sediert werde. Ich beschließe auch besonders freundlich zu ihr zu sein. Nicht dass sie sich aus Versehen mit der Dosierung vertut und ich zu früh aufwache, oder sonst irgendwann, wenn überhaupt. Natürlich sind diese Gedanken eher als Witz an mich gerichtet, denn die freundliche Schwester strahlt so eine Vertrauenswürdigkeit aus, dass ich wirklich keine Bedenken habe. Mir wird nur gerade klar, was für eine Verantwortung hier hinter allem steckt und man wirklich wissen muss, was man tut. Hut ab, Respekt! Wir führen ein kurzes Aufklärungsgespräch und ich muss ein paar Zettel unterschreiben. Was zu diesem Zeitpunkt Sinn macht, denn sollte das mit der Betäubung fürchterlich in die Hose gehen, wird es mit dem Unterschreiben schwierig werden

Der Start hier unten war schonmal sehr gut. Das erleichtert mir die Sache zusätzlich und ich bin immer noch total entspannt, was den Eingriff angeht. Eine weitere Schwester kommt vorbei, stellt sich vor und ist einerseits sehr freundlich und andererseits zunächst dafür zuständig mich zu dem OP Tisch zu bringen. Ich stehe auf und möchte ihr folgen. „Oh, Sie haben ja noch die Unterhose an, die müssen Sie noch ausziehen“, sagt sie, „schließlich müssen wir über die Leiste gehen, da stört sie nur.“ Eine Logik, der ich mich nicht entziehen kann. Ich nehme mir mit dem letzten Kleidungsstück auch gefühlt das letzte Quentchen Würde und wir gehen zum OP. Vorbei an den vielen Leuten, die hier unterwegs sind oder in offenen Zimmern und Büros sitzen. Die Schwester versucht noch, das Hemd in der Größe eines Topflappens hinten ein bisschen zusammenzuhalten. Allein gelingen will es ihr leider nicht, aber ich bin dankbar für den Versuch.

Ich weiß nicht, wie genau ich mir den OP vorgestellt habe, aber ganz gewiss nicht so, wie diese Hightech Ansammlung, die sich mir offenbart. Eine Art merkwürdig geformte Pritsche ist eingebettet in eine Unmenge an technischen Apparaturen und Bildschirmen, die auch die größten mir bekannten Fernseher vor Neid erblassen lassen würden. Komischerweise muss ich mich mit dem Oberkörper auf das schmalere Ende der Pritsche legen. Das Ende ist so schmal, dass meine Schultern gefühlt über die Ränder ragen. Zwei Schwestern, die erstens sehr freundlich sind und zweitens die Verkabelung von mir vornehmen, sind bei mir. Man erklärt mir viel und ich fühle mich wirklich gut aufgehoben. „Das wird jetzt ein bisschen länger dauern“, sagt die eine und sie hat recht, denn es dauert ein bisschen länger, bis sie die tausend Kabel an meinem Oberkörper untergebracht haben. Meine Fülligkeit kommt ihnen dabei gewiss zugute, denn so haben sie keine Platzprobleme. Die eine Schwester ist kaum älter als meine Tochter und sagt: „Ich muss nun ihre Leistengegend rasieren.“ Und es ist mir unangenehm, dass so eine junge Frau einem alten Mann die Borsten von der Leiste rasieren muss. Aber sie macht das mit einer derart gelassenen Sachlichkeit, dass ich das tröstliche Gefühl habe, es wäre für sie nichts anderes, als wenn sie eine Hecke scheren würde. Natürlich hoffe ich inständig, dass sie nicht mit der Heckenschere, äh dem Rasierer abrutscht, aber sie ist wirklich hochprofessionell bei allem, was sie tut. Und mal Spaß beiseite, wenn man hier so nackig und ausgeliefert auf so einer Pritsche liegen muss, dann ist Professionalität und Freundlichkeit das einzige was Dir noch einen Rest an Würde lässt. Natürlich weiß ich, dass die Schwestern das hier nie lesen werden, aber ich sage noch einmal ausdrücklich Danke für alles. War prima bei Euch.

Die Betäubungsschwester kommt dazu und spült meinen Zugang ein bisschen durch. Man bindet Arme und Beine fest, damit ich während der Betäubung keinen Unfug veranstalten kann, Meine Arme kommen in extra Schalen, weil sie auf der Pritsche keinen Platz haben.

Dann sprechen wir alle noch ein bisschen miteinander und mir wird schon etwas zur Beruhigung injiziert. Obwohl ich ganz ehrlich kein Stück nervös bin. Das freut mich persönlich. „Da kann Ihnen ein bisschen düdelig im Kopf von werden“, sagt die Sediererin. Und sie hat recht. Es wird mir ein bisschen düdelig. Ich fühle mich ein bisschen wie damals, als ich mit 14 meine erste Zigarette rauchte. Da war mir ähnlich schwummrig. Und es ist das dritte Mal in meinem Leben, dass man mir so ein Scheißegalmittel spritzt und es fasziniert mich immer wieder, wie willenlos man davon wird. Es ist einem wirklich alles vollkommen gleichgültig. So stelle ich mir diese Wahrheitsdrogen aus den Filmen vor. Und ich kann sagen, ich habe ja so gar keine Widerstandskraft und würde sofort alles beichten, was man von mir wissen möchte. Erschreckend ist nur, dass ich im Nachhinein nie wusste, ob man mich irgendwas gefragt hatte. Was so ein paar Milliliter Flüssigkeit doch alles bewirken können. Es ist auch ein bisschen gruselig, wenn man es so richtig bedenkt. Ich muss noch auf einen Ring beißen, durch den die Sonde in die Speiseröhre geschoben wird. Das ist so ziemlich das Letzte an das ich mich erinnere. Ich höre noch wie gesagt wird: „Ich sediere Sie nun.“ Und : „Dann werde ich jetzt den Ärzten bescheid sagen!“ Ich möchte noch einen Kalauer mit den „Toten Hosen“ formulieren, weil ja die Ärzte unterwegs sind, aber dazu soll es nicht mehr kommen, denn ich bin schon im Reich der Träume.

Ein traumloses Reich, wie sich herausstellen soll. Ich bin derart weggetreten, dass ich sogar im Schlaf noch schlafe. Es hätte ein Spielmannszug durch den OP marschieren und die schönsten deutschen Märsche spielen können, ich hätte es nicht bemerkt. Selbst dann nicht, wenn die Pauke auf der einen Seite und die Tuba auf der anderen Seite direkt an meinen Ohren gespielt hätten. Seit meinem Kunstunterricht in der 10. Klasse der Realschule, der so unfassbar langweilig war, bin ich nicht mehr so weggetreten gewesen, wie bei dieser Sedierung. Und ich bin dankbar, dass es so ist. Ich hatte im Vorfeld irgendwo mal gehört, dass man solche Eingriffe auch gerne mit lokaler Betäubung machen würde. Allein der Gedanke, dass man da läge und die gesamte Geräuschkulisse mitbekommen würde und vielleicht auch dieses vage Gefühl wie sich so ein Gartenschlauch durch den Pansen schlängelt, erzeugte bei mir eine gewisse Gänsehaut. Und ich hätte auf jeden Fall auf eine Komplettsedierung bestanden. Ich denke dass man als Operateur auch nicht zimperlich sein darf bei solchen Geschichten. Und wer bitteschön sollte so veranlagt sein, dass er das mitkriegen möchte?