Geplant war es schon länger. Genaugenommen sogar schon im letzten Jahr. Der Hase und ich wollten endlich mal richtig Urlaub machen. So mit allem Pipapo. Ein Land, eine Insel, ein Hotel und das mit möglichst vielen Sternen und natürlich „All inclusive“. Das erste Mal nach unserem Türkei Urlaub, dass wir so etwas wieder machen wollen. Diesmal bloß ohne Kinder und Schwiegereltern. Back to the Roots, nur der Hase und ich. Anlass des Ganzen war unsere Silberhochzeit im letzten Jahr und diese Reise wäre demnach unsere Silberflitterwochenreise gewesen. Und weil es damals dort so schön war, wäre unser Reiseziel auch das Gleiche wie zu unserer Hochzeitsreise gewesen. Rhodos! Wir wollten nach Rhodos und wir wären auch sehr gerne da gewesen, wenn uns Corona gelassen hätte. Es ging nur leider für eine lange Zeit nicht. Aber nun, rund anderthalb Jahre später, ist es wirklich so weit. Es klappt wirklich und die Abreise steht sehr kurz bevor. Grund genug zu sagen: “ Rhodos, Du kannst Dich warm anziehen! Der Koloss kommt wieder! Und er bringt einen Hasen mit!“ Und dann werde ich mich auf die beiden Sockel in der Hafeneinfahrt in Rhodos Stadt stellen und die Schiffe werden durch meine gespreizten Beine fahren und ich rate nur: „Seht lieber nicht nach oben, wenn ihr durchfahrt.“
Eine solche Reise wie die unsere, die auch ein paar Tage länger dauert, bringt natürlich auch eine Menge Potential für Planungen und Panikattacken mit sich. Wobei die Aufteilung hier ganz klar geregelt ist. Die Planungen und Panikattacken überlasse ich dem Hasen. Ich mache das, was der Hase mir sagt und bemühe mich, nicht immer im Weg zu stehen. Wir sind allerdings auch sehr unterschiedlich veranlagt, der Hase und ich, wenn es darum geht, das Thema: “ Wir haben einen Urlaub gebucht und in weiter Ferne werden wir ihn antreten“ anzugehen. Während der Hase sich sofort nach der Buchungsbestätigung zu freuen beginnt und einen rückwärtszählenden Timer auf dem Handy installiert: „Noch 348 Tage und 12 Stunden! Ich freu mich so!“ Bin ich zu diesem Zeitpunkt noch rein gar nicht in Urlaubsstimmung und freue mich eher auf naheliegende Ereignisse, wie Schweinebraten am Sonntag oder Bratkartoffeln im Allgemeinen.
Aber irgendwann, nachdem der Hase so Sachen sagte wie: „Noch 273 Tage und 16 Stunden! Ich freu mich so!“ oder: „Noch 143 Tage und 22 Stunden! Ich freu mich so!“ Und ich den Hasen frage, ober er sich denn vielleicht auch schon ein bisschen freut, beginne auch ich den wahren Umfang dessen zu realisieren, was da auf uns zu kommt. Es sind übrigens noch 28 Tage und 7 Stunden und der Hase freut sich so. Ich berechne die Zeit, die wir unterwegs sein werden und beziffere sie mit neun Tagen. Neun Tage auf einer griechischen Insel, bei warmen Wetter in einem schicken Hotel? Daraus ergibt sich ein gewisses Maß an Bedarf von Oberbekleidung, die bei mit im Allgemeinen aus T-Shirts und Polo Shirts besteht. Vorsichtig öffne ich meinen Kleiderschrank. Vorsichtig allein deswegen, weil hier immer nur Chaos herrscht und man nicht weiß, welches Kleidungsstück einen anspringt, wenn man die Türen öffnet. Manchmal öffnen sich die Türen auch allein, weil sie dem Druck der herrschenden Unordnung nicht mehr gewachsen sind.
Wie dem auch sei, ich muss nun in dieses Bermudadreieck der Oberbekleidung sehen und eine Bestandsaufnahme dessen machen, was ich in diesen neuen Tagen auf dieser Insel so anziehen könnte. Das Ergebnis ist erschütternd. Vieles davon was ich finde, war schon in die Jahre gekommen und es hätte mich nicht gewundert, wenn ich auch meinen Konfirmationsanzug gefunden hätte. Aber neben vielen Sachen, die aus Zeiten zu stammen schienen, in denen wir noch einen Kaiser hatten, gab es doch einige Exponate, die moderneren Schnittes und in wirklich gutem Zustand sind. An Manchem hängt noch ein Preisschild und nein, es sind keine D-Mark Beträge darunter. Also treffe ich eine Vorauswahl und habe an deren Ende noch einige Dinge, die ich theoretisch mitnehmen könnte. „Du solltest die Sachen lieber anprobieren“, sagt der Hase und zwischen den Zeilen hörte ich heraus, dass sie der Meinung war, mein Körper könnte sich verändert haben.
Was natürlich nicht stimmt, aber ich muss dann doch ein ernstes Wort mit dem Hasen reden, weil sie die Sachen oftmals zu heiß gewaschen hatte. „Sieh Dir das an“, sage ich, “ das meiste davon ist eingelaufen.“ Also gibt es letztendlich drei Kategorien für eine logische Einteilung meiner Sachen: Zu alt, zu hässlich, zu heiß gewaschen. Beinahe so wie ich. Und natürlich auch noch die vierte Kategorie der Sachen, die passen und noch annehmbar oder sogar gut aussehen. Ein vernichtend geringer Anteil, wie ich gestehen muss. „Da beißt die Maus keinen Faden ab, Du musst los, Klamotten kaufen“, sagt der Hase und ich kann gar nicht ausdrücken, wie sehr ich mich darüber freue, los zu müssen und Klamotten zu kaufen. Losmüssen und Klamotten kaufen ist eine meiner allerliebsten Lieblingsbeschäftigungen. Von Schweinebraten mit Bratkartoffeln essen mal abgesehen. Und während sich mein Hase darüber freut, dass es nur noch 18 Tage und 4 Stunden bis zum Abflug sind, nehme ich all meinen verbleibenden Mut zusammen und fahre mit ihr und Junior in den Weserpark zu diesem Laden, für den Birgit Schrowange immer Werbung macht. Was eigentlich für mich eher ein Grund ist, nicht dahin zu gehen. Aber der Hase sagt, dass wir da hinmüssen und dass die wahrscheinlich auch Sachen in meiner Größe hätten. Was auch immer sie damit meint. Als ob ich eine besondere Größe bräuchte, nur weil sie immer zu heiß wäscht.
Und dann fahren wir also hin und der Hase versprüht mal wieder ihren unbändigen Optimismus: “ Wir haben schon fast Herbst, Du wirst bestimmt keine T-Shirts und Polo-Shirts mehr finden. Die haben bestimmt nur noch Herbst- und Winterware!“ „Na dann müssen wir ja gar nicht erst hin“, sage ich und meine wir sollten irgendwo bestellen. Aber meine Stimme der Vernunft wurde geflissentlich überhört und ehe ich es mich versah, saß ich im Auto und wir waren unterwegs. Ich mache das Radio an. Werbung. „Hallo, hier ist Birgit Schrowange…“….wollt Ihr mich verarschen, denke ich und sage: „Hallo, hier nicht….“ Missmutig parke ich den Wagen. Wie konnte ich nur so leichtsinnig sein und hier her fahren? Nun, der Hase hatte mich mit folgenden Worten geködert: „Wir bleiben nicht lange, ich habe nicht viel Zeit. Und außerdem kriegst Du danach einen Döner.“ Nicht ganz Bratkartoffeln, aber ich liebe Döner. Da ist man auch schonmal bereit, einige Dinge in Kauf zu nehmen.
Wir also rein in den Laden und hin zu den Shirts. Und was soll ich sagen, es gibt noch jede Menge davon. Wobei mir die meisten davon zu bunt sind und dem Hasen die, die mir gefallen eher zu langweilig erscheinen. Wir einigen uns darauf, dass der Hase natürlich Recht hat (eines der Hasengrundgesetze) und dass ich aber frei wählen kann. Sofern es der Hase erlaubt. Ich bin nach fünf Minuten durch und sage: “ Da ist nichts bei für mich.“ Der Hase geht nochmal durch die Gänge und hat in Windeseile rund fünfunddreißig Sachen auf meinem Arm geparkt. So ganz klammheimlich haben sich allerdings auch ein paar Hosen und zwei Pullover unter die T- und Polo- Shirts gemischt. „Was zum Geier….“, beginne ich einen Satz, während ich sofort vom Hasen unterbrochen werde: „Red nicht, Deine Hosen sind alle alt und geben so langsam den Geist auf. Und Pullover hast Du eigentlich auch keine.“ „Aber ich ziehe doch eigentlich auch nie Pullover an.“ „Na dann wirst Du jetzt wohl damit beginnen.“ Ja, dann werde ich das wohl mal tun.
Neben den Farben sind auch die Größen der Teile ein wichtiges Kriterium dafür, ob ich etwas anprobiere oder eben nicht. Wir haben neulich ein paar einfache T-Shirts für die Arbeit für mich bestellt. Und weil der Hase in der Zeile verrutscht ist, bestellten wir in XXXL. Die Dinger kamen an und ich fühlte mich verloren darin. „Die sind viel zu groß und hängen an mir runter wie Müllsäcke“, klagte ich. „Na dann werde ich sie mal heiß waschen, vielleicht passen sie dann ja“, sagte der Hase. Das war der Beweis! Sie wäscht zu heiß! Ich bin eigentlich nicht dicker geworden! Also kann ich mich hier, bei Birgit Schrowange, auf die Sachen in XXL konzentrieren. Zuweilen bin ich mutig und nehme auch ein einfaches XL mit. Schließlich war ich in den Alpen, da ist der Körper im Nachhinein vielleicht ja etwas straffer geworden. Spiegel sagen einem nicht immer die Wahrheit.
Im Endeffekt habe ich drei Hosen, zwei Pullover und einer unübersichtliche Anzahl an Shirts und das alles schleppe ich in eine recht kleine Umkleidekabine. Normalerweise würde ich jetzt schon den berühmten Draht aus der Mütze haben, den Vorhang der Kabine wieder aufreißen und laut schreiend den Laden verlassen. Aber heute bin ich ruhend in mir und mache mich so gelassen wie nur möglich daran alles anzuprobieren. Die gute Nachricht zuerst, die Hosen passen alle drei und ich bin noch kein Stück verschwitzt. Die Pullover, die in XL sind, wollen nicht recht passen. Ich kriege den einen kaum wieder ausgezogen und es knackt und knistert in den Nähten, als ich ihn mir über den Kopf streife. Ich muss ein wenig hüpfen, um dabei nachzuhelfen. „Hase, die sind zu klein“, sage ich und der Hase, der als meine Materialbeschaffungsinstanz vor der Kabine sitzt, sprintet los, um nachzusehen, ob es die in größer gibt. Meine Temperatur steigt langsam, ist aber noch erträglich.
Ich mache mich über die T-Shirts her. Das erste in XXL. Der Kopf passt durch, der Hals auch. Was nicht immer selbstverständlich ist. Danach wird es aber ein bisschen schwieriger. Ich schiebe das T-Shirt an meinem Körper herunter. Es rollt sich regelrecht ab und danach sitzt es wie ein Taucheranzug. Meine Speckröllchen zeichnen sich ebenso ab, wie auch meine Brustwarzen. Die stehen fast unnatürlich vor und ich möchte beinahe einen Kleiderbügel dranhängen. Das ist alles sehr unbefriedigend und ich bin ungehalten. Und ich sage dem Hasen, dass es nichts wird mit Doppel X und ich noch ein X mehr brauche. Der Hase findet das offensichtlich urkomisch und begibt sich auf die Suche nach einem X mehr. Die meisten Kleidungsstücke gibt es dann auch in XXXL. Eine Größe die ich brauche, so hat es den Anschein und mir schwillt der Kamm. Früher konntest du mit XXL ein Bett beziehen. Jetzt muss ich noch ein X mehr haben, um meine Problemzonen unter die Bekleidung zu kriegen. Ich bin ziemlich fassungslos.
Dann das nächste Desaster. XXXL ist nicht immer das, was XXXL sein sollte. Und in dem Anprobemarahton, bei dem auch gerne mal die Preisschilder hinten hängen bleiben und ich das Shirt nicht runterziehen kann, gibt es immer noch Sachen, die einfach nicht groß genug sind. So langsam reicht es mir. Ich schwitze, ich ziehe tausend Hemden an und wahrscheinlich passt das Ganze nur, wenn man zwei davon zusammennäht. Ich weiß ich bin keine Elfe und wenn ich in der Sonne stehe, kann ich auch schon mal einen ziemlich großen Schatten werfen, aber es gibt noch Menschen, die weitaus dicker sind als ich und ich frage mich, wo kriegen die denn Klamotten her? Beim Teppichhänlder? Wie viele X müssen vor dem L stehen, damit es bei denen passt? Das ist alles echt aus dem Gleichgewicht geraten und die Bezeichnungen für die Kleidergrößen sind einen Scheißdreck wert. Alles reine Willkür, wie das eingeteilt wird. Denn wenn man von früheren Werten ausgeht, wäre ich mit XXL bestens bedient gewesen und heute muss der Hase in der Abteilung für Übergrößen nachsehen und bringt mir Sachen, deren Schilder so viele Xen haben, dass die breiter sind, als der Halsausschnitt. Rein psychologisch macht Dich das echt runter.
Ich fühle mich gedemütigt. Über die Lautsprecheranlage läuft die ganze Zeit die Werbung für diesen Laden: „Hallo, ich bin Birgit Schrowange…..“ Und ich sage: „Birgit, verscherz es Dir nicht mit mir und lass mich in Ruhe, ich muss heulen.“ Ich weiß nicht wie, aber wir haben am Ende doch eine ansehnliche Zahl an Kleidungsstücken zusammen. Diese Anprobiererei ist eine sportliche Höchstleistung und unter den gegebenen Umständen auch eine seelische Zumutung. Trotzdem bin ich tapfer und beeile mich, damit wir schnell los zum Döner kommen können. Wir gehen zur Kasse, wo der Hase erfahren muss, dass die 50% Rabatt, die es laut Werbung auf alle Artikel gibt, mit Ausnahme von gekennzeichneter Ware, genaugenommen auf keine der Sachen von mir gewährt werden. Denn komischerweise ist jeder Artikel auch gekennzeichnet worden. „Hallo ich bin Birgit Schrowange und heute gibt es auf alle Arikel 50% Rabatt, bis auf gekennzeichnete Ware.“ Hrrgh, da kommt es auch nochmal aus den Lautsprechern.
Der Hase ist kurz vorm Platzen. Gerade noch hat sie sich über die Kundin vor uns aufgeregt, die durch ihre Unwissenheit im Rabattwesen im Zusammenhang mit Kundenkarte und dergleichen, unnötig viel Zeit in Anspruch genommen hat. Natürlich ist nur eine Kasse offen und so müssen wir warten. Was auch für mich ein schwer zu ertragender Zustand, denn in relativ kurzer Entfernung ist der Dönermann. Und da will ich hin. Dann sind wir an der Reihe und die hitzige Diskussion zwischen dem Hasen und der Verkäuferin, darüber wo die 50% denn geblieben wären, geht in eine weitere Runde. Und ich raune dem Hasen zu: „Das führt doch zu nichts.“ Schließlich habe ich auch langsam Hunger. „Macht 348 Euro und 22 Cent“, flötet die eigentlich freundliche Verkäuferin. Mir wird schwummrig und ich habe das unbestimmte Gefühl, mich setzen zu müssen. So viel Geld? Davon hat man früher drei Monate leben können. Oder waren es drei Wochen, oder drei Tage? Ich weiß nicht, aber ich kann mich des Eidruckes nicht erwehren, Birgit Schrowange das Gehalt bezahlt zu haben. Bitteschön. Mit wackeligen Beinen verlasse ich das Geschäft und ich schwöre, wenn Schrowanges Birgit noch einmal etwas gesagt hätte, dann wäre ich ausgeflippt. Dann hätte ich vor lauter Wut vielleicht einen Stapel Socken umgeworfen, oder ein T-Shirt in den falschen Ständer gehängt. Manchmal steckt einfach auch ein Rebell in mir.
Noch 18 Tage und 2 Stunden. Ich freu mich so…..