Der immer noch mit der Mischmaschine tanzt

…. Es ist jetzt ungefähr elf Uhr. Ich zwinge die Mörtelkünstler zu einer Bierpause. Sie wollen eigentlich nicht, aber ich brauche Zeit, um mich zu sammeln. Waldemar kommt zu mir. „Wir sind jetzt fast auf Gerüsthöhe. Also müssten wir entweder Böcke und Bohlen haben oder wir können nicht weiter mauern.“ Jetzt ist Entscheidungsfreudigkeit gefragt. Natürlich bin ich gierig und möchte, dass der Bau voran getrieben wird. Ich habe viele Geschwister und Geschwäger und alle sind sie bereit mir zu helfen, wie auch ich manch einem schon bei solchen Gelegenheiten geholfen habe. Ich kann mich da sehr auf die Verwandtschaft verlassen. Einzige unausgesprochene Regel ist es, sich möglichst rechtzeitig zu melden, wenn man der Hilfe bedarf. Rechtzeitig ist heut ein dehnbarer Begriff. Ich führe zwei Telefonate gleichen Inhalts. Eins mit meinem einen Bruder und ein Zweites mit einem Schwager von mir:“ Ja hallo, ich bins…..ich brauche Hilfe…. wann?….. vor fünf Minuten!“ Komisch, dass sich niemand über dieses Gespräch mit mir freut.

Zwei „Freiwillige“ hätte ich also schon gefunden. Bleibt nur das Problem mit dem Gerüst. Nach zwei weiteren Telefonaten findet sich auch hier eine Lösung. Mein Vater kennt jemanden, der so etwas hat. Allerdings gut 9 km entfernt vom Bau. Wie soll ich das nur herkriegen. Ich habe leihweise einen Transporter von meiner Firma an diesem Wochenende dabei. Ich denke kurz nach und komme zu der Lösung: Der Hase muss fahren. Ich schlage es ihr vor. Sie meldet Bedenken an:“Ums Verrecken werd ich damit nicht losfahren.“ „Ist doch nicht weit und dann wird unser Schwager Dir beim Einladen helfen.“ Es folgt ein kurzes Streitgespräch mit Schimpfworten und wilden Gesten an dessem Ende der Hase widerwillig einlenkt und mit dem Sprinter gen Sottrum fährt.

Mein Bruder taucht auf. Er wirkt nicht vollends begeistert. Sollte es daran liegen, dass er sich seinen Samstag Nachmittag anders vorgestellt hat? Ich denke nicht. Wie dem auch sei, die Hilfe tut gut und ich entspanne etwas. Wenn jetzt noch das Gerüst kommt, dann ist der Tag gerettet. Das Handy klingelt. Der Hase ist dran. „Es gibt da ein Problem.“ „Wie Problem? Habt ihr das Gerüst nicht bekommen?“ „Doch.“ „Aber?“ frage ich. „Aber die dicken Bretter..“ „Das sind Bohlen!“ „Ja, also die Bohlen passen nicht ganz in das Auto.“ Na dann lasst ihr sie halt ein bisschen rausgucken.“ „Haben wir ja auch.“ „Aaaaber?“ Ein schlimmer Verdacht kommt auf. „Aber die gucken vorne raus. Aber nur ein bisschen.“

Es macht klick. Ich bin mir nicht sicher, ob mein Herz zu schnell schlägt, oder ob es gar aufgehört hat zu schlagen. Mein Kopf wird heiß. Sehr heiß. Die Zeit, so wie ich sie kenne, existiert nicht. Sekunden werden zu Monaten und ich bin nicht in der Lage einen klaren Gedanken zu fassen, zu atmen oder gar zu sprechen. Vor meinem geistigen Auge sehe ich wie die Hecktüren am Sprinter zugedrückt werden und die Frontscheibe im selben Augenblick solange unter Spannung steht, bis es knack macht. „Bist du noch da?“ fragt der Hase durch das Handy. Mein Fuß tut weh. Warum nur? Ach, da war ja was….“Was sollen wir jetzt machen?“ „Wieso? Machen? Was?“ Ich frage stockend. „Mit wem spreche ich überhaupt?“ Diese Frage bringt für den Hasen das Fass ein wenig zum überlaufen: „Ich glaub ich brenne!“, schimpft sie, “ Ich stehe hier mit dem blöden Transporter und das Ding hat ein Loch in der Scheibe! Mir flattern die Nerven und das einzige was Du zu sagen hast ist wirres Gestammel! Nun reiß dich mal zusammen und sag was ich jetzt tun soll!“ Ich erwache aus meiner Schockstarre. „Kommt her und dann sehen wir weiter“, sage ich. „Vierzehnkommadrei und Mischung ist auch alle“, schnurrt es von meinen Maurern.

Der Transporter trifft ein. Der hochrote Hase und mein betreten dreinblickender Schwager steigen aus. Die gute Nachricht ist, das Loch ist nicht besonders groß. Die schlechte Nachricht, das Loch ist ein Loch. Man kann zwar noch fahren, aber die Scheibe ist im Arsch. Zum Thema Loch fällt mir natürlich noch die Geschichte mit dem Nagel in meinem Fuß ein, die ich meinem Schwager und meinem Bruder erzähle. Aber irgendwie hört mir heute niemand zu. Die beiden bauen zusammen mit den Maurern das Gerüst auf. Ich bemühe mich derweil nicht zu sehr im Wege zu stehen, was mir schwer fällt. Waldemar und Johann nehmen unvermittelt ihre Arbeit wieder auf und meine beiden männlichen Verwandten unterstützen sie dabei tatkräftig. Ich höre Johann leise sagen: “ Endlich mal vernünftige Handlanger.“

„Wir kümmern uns um die Steine, mach Du mal die Mischung“, schlägt mein Bruder vor und ich halte es für eine gute Maßnahme. Denn eigentlich mache ich gerne Mischung. Da muss man überhaupt nicht nachdenken. Einzig das Mischungsverhältnis ist wichtig. Ein Eimer Wasser, dann abwechselnd drei Schaufel Sand…ach das erwähnte ich ja schon. Ich gewöhne mir an, die Mischung als Singsang in meinem Kopf zu gestalten. Also singe ich lautlos zu einer unmelodiösen Melodie in monotonen Rhytmus:

“ Ein Eimer Wasser, drei Schaufeln Sand,

dann ne Schaufel Kalk zur Hand.

Das dreimal in die Maschine rein

und dazu dann Zement, das schmeckt fein.

Dann mischen lassen, bis es schlonzig ist

und danach in die Maurerkübel mit dem Mist!“

Anscheinend habe ich wohl nicht ganz lautlos gesungen. Waldemar tippt mich von hinten an und fragt besorgt, ob alles in Ordnung sei. Der Hase kommt mit dem Mittagessen. Pause. Endlich!

Mitagspause

 

Der Nachmittag

Natürlich beende ich meine Mittagspause früher als die anderen, weil ich ja Mischung anrühren muss, damit gemauert werden kann. Und von nun an klappt es reibungslos. Ich singe nicht mehr beim Mischen und bringe den Mörtel rechtzeitig zu den Kübeln, während sich mein Schwager und mein Bruder damit beschäftigen, immer genügend Steine im richtigen Format an der richtigen Stelle zu haben. Und meine beiden Maurer, diese Bewegungsminimalisten, zaubern eine Schicht nach der anderen. „So kann es jetzt den Rest des Tages weitergehen“, denke ich und schaufel munter drauflos. Wasser rein, Sand rein, Kalk rein, Sand rein, Kalk rein, Zement rein…..äh Zement eigentlich rein. Da wo bis eben noch die Trommel der Mischmaschine gierig rotierend auf die Zutaten wartete, ist jetzt nichts. Sie ist weg…..und ich bin wieder allein, allein……Ich schaufele den Zement ins Leere. Aber ich kann sie doch noch hören. Ich vernehme deutlich den röhrenden Elch, der sich allerdings entfernt. Ein Blick nach unten und ich erkenne das Dilemma.

Die Maschine ist umgefallen. Aber nicht einfach nur so umgefallen, wie solche Maschinen es zuweilen zu tun pflegen. Nein, meine Mischmaschine hat es für nötig befunden, auf der Trommel zu landen. Die Rotationsenergie wird dadurch in Bewegungsenergie umgewandelt und die Maschine ist auf dem besten Weg aus eigenen Antrieb  zum Nachbarn zu fahren. Die Arbeiten am Bau werden umgehend eingestellt und meine Maurer und Helfer halten es für nötig, jeden Versuch meinerseits, das Monstrum einzufangen, mit Hohn und Spott zu begleiten. „Ist die überhaupt schon zugeritten?“ „Halt sie fest, die ist nicht verkehrssicher!“ „Wusste gar nicht, dass so ein Ding fahren kann!“ „Wieviel PS hat das Ding denn?“ und so weiter….. Das Problem an der Sache ist, dass sowohl Stecker als auch Kupplung vom stromversorgenden Kabel sich nur mit Mühe von der Maschine oder dem Baustromkasten herausziehen lassen. Was dazu führt, dass das Kabel irgendwann stramm gezogen wird und die Maschine sich nun elipsenartig von links nach rechts bewegt und ich bin ihr immer auf den Fersen.

Wahrscheinlich würde ich noch in zehn Jahren hinter dem Teil herlaufen, wenn mein Schwager, nachdem sich alle ausgiebig genug amüsiert haben, nicht ein Einsehen haben würde und dazu übergeht, den Strom kurz abzuschalten. Die Maschine bleibt stehen und ich kann ihrer habhaft werden.  Schallendes Gelächter überall und ein verzweifelter Bauherr, der seinen Mischer wieder nach Hause bringt. Ich bin am Ende. Ich möchte nicht mehr. Vielleicht kann ich ja etwas ganz anderes machen. Gänseblümchen pflücken halte ich gerade für einen glänzenden Einfall. Waldemar kommt zu mir. „Na“, sagt er, “ Scheißtag was? Läuft wohl nicht alles so besonders gut. Und dann noch die Sache mit Deinem Fuß…..“ Hat er gerade meinen Fuß erwähnt? Wenigstens einer, der weiß was ich durchmache. „Ach ich möchte ja gar nicht jammern…..“, beginne ich, als er mich unterbricht. „Pass mal auf, wir regeln das hier schon mit Deinen Verwandten. Willst du in der Zeit nicht vielleicht etwas anderes machen um unsere Arbeit zu erleichtern?“ Und ob ich will. Alles! Egal was! Die Alternative, nach Hause zu gehen und ein bisschen zu weinen, will mir nicht so recht gefallen.

Somit bekomme ich eine neue Aufgabe. Ich kratze den noch nicht ausgehärteten Mörtel in einer Tiefe von ca. einskommafünf Zentimetern aus den Fugen, damit später einmal eine Verfugung mit einem feineren Mörtel vollzogen werden kann. Die Vorteile dieser Tätigkeit liegen auf der Hand. Ich muss nicht den Fortschritt der Arbeiten begleiten,  sondern arbeite sozusagen hinter der Front, die Kelle kann nicht wegfahren und ich muss mich nur auf die einskommafünf Zentimeter konzentrieren. Jetzt wo der Druck von mir gewichen ist, erhellt sich meine Miene und ich beginne wieder Hoffnung zu schöpfen. Hoffnung, dass am Ende doch alles gut wird. Dieser Lichtstrahl, der in meine Seele fährt, gibt mir neue Kraft und ich komme zügig mit meiner Tätigkeit voran. Allerdings möchte ich nicht halbherzig bei der Sache sein und kontrolliere das Gesamtbild, nachdem ich einen großen Abschnitt bearbeitet habe. Es ist nunmal so, dass, wenn ich nicht tief genug auskratze, die spätere Verfugung erschwert werden könnte. Dann würde vom Originalmörtel immer etwas durchschimmern und das kriegt man nie wieder weg. Also bessere ich nach. Hier ein wenig  und dort auch ein bisschen. Ach vielleicht da auch noch etwas mehr.

„Aaarrgh!“ Es ist Waldemar, aus dessen Kehle dieser Laut strömt. Und noch einmal, nur etwas lauter und verzweifelter:“Aaaaaarrrrgggghhhh!“ Er steht hinter mir. Wahrscheinlich wollte er meinen Fortschritt kontrollieren. Aus seinem doppelten Aufschrei und seinem Blick, bei dem ich mir nicht sicher bin, ob ich da nicht gerade zwei explodierende Pulverfässer in seinen Augen wahrnehme, bin ich geneigt, die Vermutung anzustellen, dass er mit dem Ergebnis meiner Bemühungen etwas hadern könnte. Er geht schwer atmend um die Ecke und spricht mit Johann in einem wilden Gemisch aus Deutsch und einem osteuropäischen Akzent, der wahrscheinlich russisch ist. Ich vernehme häufig das Wort „Kurva“ und auch von einem Idioten und einstürzenden Mauern ist die Rede. Weiß jetzt nicht, wovon er redet und wen der meinen könnte.

Er kommt wieder zu mir. Sein Kopf, der vor wenigen Minuten hochrot und kurz vorm Platzen war, ruht wieder in einer normalen Färbung auf seinen Schultern. Er hat sich gefangen und ist wieder der ruhige und höfliche Mensch, den ich kennen und schätzen gelernt habe. „Matthias, das musst Du so nicht machen. Ich habe einskommafünf Zentimeter gesagt und Du bist viel weiter reingegangen“, erklärt er mit einer Seelenruhe, die ich als bewundernswert empfinde. Zur bildlichen Unterstützung seiner These hält er an einigen Stellen einen Zollstock in die ausgekratzten Fugen. Ich bin erstaunt, wie schnell aus den fünfzehn Millimetern doch glatt dreikommasieben Zentimeter und mehr werden können. Wenn das zu schlimm würde, meint er, dann könne glatt die gesamte gemauerte Fläche in sich zusammenfallen. Ich denke, das könnte  nachteilig für den Fortschritt der Arbeiten sein und er ist geneigt meiner Vermutung zuzustimmen. Manchmal habe ich das Gefühl er spricht mehr mit seinen Augen, als mit dem Mund, denn er blickt mich an, als müsste er einem Erstklässler das Einmaleins beibringen und zwar gaaanz behutsam.

Und weil Waldemar ein praktisch denkender Mensch ist und weil ich auch gerne meinen kleinen Fehler wieder beheben möchte erklärt er mir, dass ich nun wieder etwas Mörtel in die Fugen schmieren solle. Auch diese Arbeit überfordert meinen Horizont nicht und ich kontrolliere mein Werk mittels Zollstock. Perfekt möchte ich mal sagen. Mit etwas Ausdauer und Achtsamkeit geht es jetzt doch sehr schnell voran. Und dann, als sich die Dunkelheit ankündigt, es ist schließlich November, da wird es auch gerne etwas früher dunkel, läute ich den Feierabend ein. Mit Stolz blicke ich auf mein Werk. Eine beachtliche Fläche habe ich nun fachmännisch für das spätere Verfugen vorbereitet. Dass meine Maurer in derselben Zeit das ungefähr 17fache vermauert  und zudem auch noch die Fugen ausgekratzt haben, ignoriere ich ein wenig. Nach einem Feierabendbier verlassen mich meine Arbeiter und Helfer und ich bin allein auf dem Bau. Ich muss schließlich noch aufräumen und die Mischmaschine saubermachen. Und die ganze Zeit habe ich das Gefühl, dass ich noch irgendwas vergessen habe. Es ist das Brett mit dem rostigen Nagel, das mir seinen Standort dadurch verrät, dass ich ein weiteres Mal drauf trete und sich der Nagel wieder in meinen Fuß bohrt………….. Ich freue mich jetzt schon auf den nächsten Samstag, denn da kommen die Maurer wieder…….