Die Aufregung um die verlorengegangene Hasentante ist natürlich eher undramatisch. Denn erstens sitzt der Hase ja mit im Auto und es gibt ja diese hochmodernen Kommunikationsmittel….wie heißen die Dinger noch? Ach ja, Handys, oder Smarties, äh Smartphones……und da hätte der Hase notfalls auch einen Standort mit schicken können. Was es nicht alles gibt. Diese moderne Technik ist einfach so unfassbar….äh…modern….ja, das ist sie. Und außerdem ist keine dreihundert Meter nach der Ampel auch schon der Parkplatz auf dem weiten Gelände der Kaiserpfalz, auf dem wir zu parken gedenken. Die Wiedersehensfreude, als wir Tante und Hase sehen, ist demnach dann auch nicht so wirklich frenetisch. Es sind schließlich keine sechs Jahre vergangen.
Es ist auch langsam an der Zeit, dass wir mal wieder irgendwas essen können. Zum Besuch bei der Tante wird Pizza gereicht. Idealerweise hat der Hase auch schon im Vorfeld einen Tisch in einer Pizzeria reserviert. Das Essen schmeckt, die Stimmung ist gelöst und man merkt, dass sich die Hasentante einfach nur freut, endlich mal wieder uns als Gesellschaft zu haben. Mich eingeschlossen. Man sieht, die Gute ist doch ziemlich leidensfähig. Die Freude ist so groß, dass sie doch gerne ein Foto von uns allen machen möchte. Ja, auch mit mir, wenn ich doch schonmal da bin.
Und wieder ist es diese hochmoderne Technik, die dafür einige Türen öffnet. So kann man ja faszinierenderweise mit den Telefonen auch fotografieren. Ein großer Schritt in der Evolution der Menschheit. Was mich zu der Überlegung bringt, wie man das wohl früher unter einen Hut gebracht hätte. Einen Fotoautomat in der Telefonzelle vielleicht. Telefonzellen, liebe junge Leser, waren früher die einzige Möglichkeit unterwegs fernmündlich mit Leuten ganz weit weg zu kommunizieren. In der Regel waren es kleine senkrechte Stahlkästen mit viel Glasscheiben, einem Telefon, Telefonbüchern und einem Aschenbecher, der auch genutzt wurde. Selbst ich, der ich früher geraucht habe, kann mir nicht mehr vorstellen, wie es gewesen ist, in diesen anderthalb Kubikmetern sich eine Zigarette anzuzünden und trotzdem noch Luft zu kriegen. Die 80er waren schon wild und ungezügelt.
Aber ich schweife ab. Wir wollen also ein Foto mit einem unserer Handys machen. Für ein Selfie sind niemandes Arme lang genug, um auch alle mit ins Bild zu kriegen. Also fragen wir die nette Bedienung, ob sie nicht vielleicht mal eben ein Bild schießen könnte, was sie selbstredend gerne macht. Die Tante möchte gerne einen Abzug davon haben. Was früher ein großer Akt gewesen wäre. Denn zunächst hätte man ja eine Kamera mit einem Film drin gehabt. Und diesen Film hätte man erstmal voll machen müssen. Und da so ein Film und die entwickelten Bilder nicht immer günstig waren, hat man auch gebraucht, bis man die 24 oder gar 36 Bilder geschossen hatte.
Da hatte man sich noch Mühe mit der Auswahl der richtigen Motive gemacht und es dauerte oftmals ein paar Tage, bis der Film voll war. Und dass auch nur, wenn man im Urlaub war. Zu Hause konnten dabei auch schon mal Monate vergehen. Und dann noch das Entwickeln….das dauerte auch ein paar Tage. Und dann hätte man vorab auch nicht gewusst, wie die Bilder geworden sind. Mit etwas Pech hätte ein Bild von einer Tante und ihrem Familienbesuch auch überbelichtet sein können. Dann wäre alles für die Katz gewesen.
Heute ist es nicht selten, dass manch einer schon 36 Fotos von seinem Essen geschossen hätte und Vorspeise und Dessert wären noch mal extra. Wir können derart viele Bilder machen, dass man mit dem Erleben gar nicht mehr hinterherkommt. Was natürlich auch zur Folge hat, dass man tausende von Bildern auf irgendwelchen Speichern hat, aber davon sieht man sich nie wieder welche an. Man ist einfach übersättigt.
Für den Anlass heute, ist es aber ideal, dass es so ist wie es ist. Die Bedienung macht gerne ein paar Bilder mehr ( nein, keine 36) nur um sicher zu gehen, dass auch wirklich alle die Augen offen haben. Was bei mir etwas egal ist. Ich habe eher kleine Augen, da fällt es nicht auf, wenn sie zu sind. Die frisch gezapften Dateien werden gesichtet und mindestens ein Bild für gut befunden. Und weil die Zeiten so modern und wunderbar sind, kann man dieses Bild und so viel man auch sonst noch möchte, bei Rossman zum Beispiel, auch direkt vom Handy an so einem futuristischen Automaten ausdrucken lassen. Verrückte Welt!
Beim Wort Rossmann erhellt sich das sowieso schon erhellte Gesicht der Tante noch mehr. „Ich weiß wo einer ist“, sagt sie, nachdem wir gezahlt haben. Sichtlich erfreut, uns an ihrer Ortskenntnis teilhaben zu lassen und auch darüber, dass sie schon gleich, direkt ein Bild für die Erinnerung an diesen Tag, an genau demselben diesen Tag kriegen kann, macht sie sich auf den Weg und wir folgen. Goslar hat einige schöne Gebäude in der Altstadt und ich freue mich darauf, hier mal ein bisschen zu bummeln. Den Rossmann kann man da ja nebenher auch mitnehmen.
Doch weit gefehlt. Ich ahnte ja nicht, dass die Tante des Hasen, die menschliche Reinkarnation von Speedy Gonzales (der schnellsten Maus von Mexiko (eine alte Zeichentrickfigur für die nicht Wissenden)) ist. Im Schweinsgalopp spurten wir durch die malerische Innenstadt, zielorientiert in Richtung Rossmann. Die schönen Gebäude schweben an uns vorbei. Bis auf eines, vor dem wir, unglaublicherweise, kurz halt machen. Für ein Foto, was sonst. Der Hase spricht wildfremde Leute an, ob da nicht irgendwer irgendwie irgendein Bild von uns machen kann. Der Hase ist prädestiniert dafür wildfremde Leute anzusprechen. In Windeseile ist das Foto gemacht und wir spurten weiter.
Ich blicke mich kurz um, die Tante ist schon wieder unterwegs und bahnt sich schonungslos einen Weg durch die Menschen, die die Fußgängerzone bevölkern. Ich verliere sie beinahe aus den Augen und mache mich auf die Socken, damit man mich nicht abhängt. Es hätte mich nicht überrascht, wenn wir Usain Boldt auf 100m abhängen würden. Schon nach wenigen Metern beginne ich zu schnaufen, während ich der Staubwolke der Hasentante folge. Und ich frage mich ernsthaft, wer von uns hier 82 Jahre alt ist. Und ich frage mich weiterhin, ob sich das nicht auch positiv auf einen früheren Renteneintritt bei mir auswirken könnte, sofern ich noch in der Lage sein werde, diese Rente überhaupt zu empfangen.
Wir erreichen den Rossmann und ich beginne zu atmen. Schwer zu atmen. Ganz schwer zu atmen. Wenn ich nicht so satt wäre, könnte ich nach der Lauferei doch glatt Hunger bekommen. Wir gehen schnurstracks direkt zu der Wundermaschine, die das Bildmaterial ausdrucken soll. Es wird eine Task Force gebildet, die sich mit den technischen Gegebenheiten vertraut macht und das Foto vom Handy zum Automaten sendet. Ich gehöre dieser Task Force nicht an. Mir ist das alles zu viel Schnickschnack und außerdem habe ich keine Lust mich damit zu befassen. Und außerdem muss ich noch schnaufen. Und außerdem können das der Hase und unser Sohn besser. Das ist wie bei Mc Donalds bestellen. Das kann ich auch nicht mehr, aber die beiden sind Weltmeister darin. Wahrscheinlich können sie irgendwann bei Mäcces auch Bilder ausdrucken.
Nachdem das Bild gedruckt ist, ist der Druck auch irgendwie raus und wir gehen (!!!) gemächlichen Schrittes noch ein wenig durch die Stadt. Und die Tante des Hasen zeigt uns ein paar schöne Ecken. Zum Beispiel so eine Art historischen Innenhof um den herum lauter kleine Häuschen angebracht sind. Es sei ein Künstlerviertel, sagt die Tante und heute befindet sich dort viel zum Thema Kunsthandwerk in den kleinen Kemenaten. Wir beenden unsere kleine Stadtrunde und ich denke :“Schön war es doch.“ und wir verabschieden uns von der weiblichen Verwandten des Hasen. Ich glaube es waren ein paar schöne Stunden für sie. Auch wenn zum Schluss ein wenig getrödelt wurde.
Unser nächstes Ziel ist Werningerode. Dort wollen wir übernachten. Das haben wir vor vielen Jahren schon einmal gemacht und unser Hotel ist auch wieder dasselbe. Es ist direkt neben einer Skisprungschanze gelegen und in unserer Erinnerung war es damals auch nicht das Schlechteste, weswegen wir uns wieder hier einquartieren. Es ist mittelspäter Nachmittag, als wir ankommen und wir fahren nach Zimmerbezug noch einmal ein bisschen in die Stadt. Auch wenn wir es vermeiden wollten, aber irgendwie müssen wir noch irgendwas zu Abend essen. Da wir aber mittags schon Pizza hatten, tun wir uns schwer damit, etwas geeignetes zu finden. Aber wir haben ja noch Zeit, der Hunger ist noch nicht groß.
Werningerode hat eine wirklich schöne Altstadt, über die ein imposantes Schloss thront. Der Nachteil ist, die Besichtigung des Schlosses würde einige Stunden in Anspruch nehmen und die Innenstadt ist ab 18 Uhr beinahe leergefegt. Die Bürgersteige sind relativ hochgeklappt und die Auswahl an Möglichkeiten, etwas Essbares zu finden, werden immer rarer. Wir landen schlussendlich bei einem Vietnamesen und essen das was die vietnamesische Küche so hergibt. Nach dem Essen noch weiter zu bummeln macht keinen Sinn, denn es liegt ein Schlaf über dieser Stadt und den möchte man nicht stören. Aber schön ist es hier schon.
Zurück beim Hotel laufen wir noch draußen ein wenig herum. Das Wetter, das eigentlich so ziemlich schlecht vorhergesagt war, ist doch besser als gedacht. Und weil es so schön ist und weil die Stimmung so gut ist und weil wir direkt an einer Sprungschanze stehen, wollen die Kinder (inkl. Tochters Freund) eine Treppe, die parallel zur Sprungzone verläuft, hochgehen. Das haben wir damals, als wir das erste Mal hier waren, auch gemacht und der Hase hatte damals schon keine Lust dazu und das hat sich bis heute nicht geändert. Ich bin damals mit hochgelaufen und werde es auch wieder machen. Kann so schlimm nicht sein. Die paar hundert Stufen…..lachhaft…….
Nach rund zwanzig Stufen beginne ich die Sinnhaftigkeit meiner Teilnahme an dieser Kletterei zu überdenken. Die Muskeln, sofern sie überhaupt noch vorhanden sind, übersäuern von Stufe zu Stufe. Mein Atem geht regelmäßig schwer und schnell. Die Pumpe pumpt wie wild und ich keuche und grunze. Warum ich grunze, erschließt sich mir nicht, aber ich gehe tapfer weiter. Hin und wieder drehe ich mich um und winke meinem immer kleiner werdenden Hasen zu. Wie zum Geier konnte ich vor wenigen Jahren überhaupt noch durch die Alpen wandern? Wir erreichen eine Art Podest und Aussichtspunkt, von dem man einen tollen Blick über Berg und Tal hat und ich beschließe, dass ich nicht weiter gehen muss. Die anderen drei gehen noch bis zum Eingang zur Treppe der Schanze. Das sind nochmal einige Höhenmeter und die schenke ich mir.
Die anderen kommen wieder und wir gehen runter. Und ich möchte ja nicht jammern, aber mir platzen beinahe die Oberschenkel. Ich bin ja nun schon etwas älter und habe eine Menge Sport getrieben in meinem Leben und auch sonst schon anstrengende Dinge zur Genüge getan und dachte, dass ich eigentlich jede Art von Muskelschmerz kenne, aber das hier und heute ist eine neue Dimension. Ich habe die Befürchtung, dass mir die Beine auseinanderfallen und ich von Bergrettern gebergrettet werden muss. Die Kinder und der Hasentochterfreund ziehen lächelnd an mir vorbei. Es ist eine große Qual für mich und ein Quell der Schadenfreude für meinen halbkanadischen Sohn, um über seinen Vater ein bisschen zu lästern. „Na warte“, denke ich, aber er wartet nicht, Tochter und Freund auch nicht.
Ich erreiche das Tal mit großer Qual und alle grinsen mich an. Wir gehen ins Hotel und ich laufe, als wäre ich ein Cowboy, dem man das Pferd unterm Hintern weggeschossen hat. Das Zimmer vom Hasen und mir ist merkwürdig. Es hat eine Art sehr langen Flur und ein großes Badezimmer, das an diesem Flur liegt und um die Ecke ist dann das eigentliche Zimmer, ein langer Schlauch mit ein paar hingehuschten Möbeln und einem Bett, das naja, also, das, wie soll ich es ausdrücken, etwas klein geraten ist. Es wirkt wie ein echtes Bett, das etwas zu heiß gewaschen wurde. Ich fühle mich wie bei Barbie, sehe aber nicht so aus wie Ken. Es ist ein Puppenhausbett, soviel steht fest. Pygmäen könnten da prima drin schlafen.
Zu meinem Erstaunen ist es aber in Originallänge und auch die Höhe ist dann doch auch soweit in Ordnung. Es ist nur ein bisschen schmal. Das Entsetzen beim Hasen und mir ist etwas größer. Und da ich mich nachts immer drehe, habe ich die Befürchtung, dass ich bei einer meiner Drehungen dem Hasen die Hasennase einschlagen könnte. Also liege ich erst einmal auf dem Rücken und sehe ein bisschen fern. Da das Zimmer aber ein langer Schlauch ist und der Fernseher sich auf der anderen Seite befindet, habe ich Schwierigkeiten das Bild zu erkennen. Und mit dem Handy das laufende Programm abfilmen und es sozusagen simultan zu sehen, macht irgendwie auch keinen Sinn.
Also drehe ich mich auf die, dem Hasen abgewandte, Seite und versuche einzuschlafen, was dem Hasen nach gefühlt sieben Sekunden gelungen ist. Aber es ist schwer für mich hier zu liegen. Entweder hängt mein Arm auf dem Nachttisch oder aber mein Bauch möchte aus dem Bett ragen und mich in den Abgrund ziehen. Es macht keinen Spaß hier zu liegen. Ich glaube ich werde hier kein Auge zutun. Das hat der Hase allerdings von sich auch behauptet, ist dann aber, wie erwähnt sofort in einen tiefen Schlaf gesunken.
Wie überstehe ich diese Nacht? Haue ich dem Hasen ein Veilchen? Fliege ich aus dem Bettchen? Und vor allem: Wann gibt es wieder was zu essen? Antworten auf diese und andere unnütze Fragen folgen in der nächsten Folge.