Billy Wilder, der weltberühmte Regisseur hat einmal gesagt: „Komödie ist Tragödie plus Zeit!“ Oder anders gesagt: hinterher ist Manches lustiger als währenddessen. So kann ich nun ganz locker darüber plaudern, was hier im Flieger los war, aber es gab natürlich auch die andere Seite. Die bei der der Hase nicht wusste, was ihr Bändiger hat und ob es nicht auch irgendwas sehr sehr Schlimmes sein könnte, weswegen ihr Gatte in sich zusammensinkt, ohne ansprechbar zu sein. Zu diesem Zeitpunkt konnte keiner wissen, ob es eine einfache Ohnmacht ist, oder aber etwas eklatant Übles, was man nicht mal eben so wegstecken kann. Die gute Nachricht ist, dass es nicht schlimm war, aber ein Schock war es trotzdem und zwar ein ganz gehöriger.
Das Merkwürdige an einer Ohnmacht ist, dass es einem wirklich egal ist, was passiert. Man steht dem Ganzen wirklich ohnmächtig gegenüber. Es ist wie narkotisiert werden, nur ohne Narkose. Ich schlage die Augen auf und es ist buntes Treiben um mich herum. Ich liege auf der Sitzreihe, der bärtige junge Mann ist verschwunden und sitzt woanders oder ist beim Gepäck, oder auf der Tragfläche, ich weiß es nicht und es ist mir auch im Moment ein bisschen egal. Eben habe ich noch in der Mitte von den drei Plätzen gesessen und nun liege ich auf allen dreien. Das bedeutet, der Hase hat das unmögliche Kunststück geschafft, vom Fensterplatz irgendwie über mich rüber (für vorbei fehlt einfach der Platz, so eng wie es hier ist)zu krabbeln (oder hat sie im Flugzeug eine Flugrolle gemacht?) und steht nun auf dem Gang, blickt zu mir und unterhält sich mit ein paar Flugbegleiterinnen, die mir ein paar Kissen geben, damit ich meinen Kopf mal etwas hoch lagern kann.
Ich bin nicht orientierungslos, ich weiß genau wo ich bin, aber ich habe keinen blassen Schimmer, wie lange ich bewusstlos gewesen bin. Alles zwischen 3 Sekunden und anderthalb Stunden scheint mir möglich zu sein. Sehr schnell wird mir klar, dass es eher im Sekundenbereich liegt und das beruhigt mich schon mal sehr. Den Hasen allerdings nicht. Wir kennen uns in- und auswendig und ich muss den Hasen gar nicht mal richtig ansehen, um zu wissen, dass sie einen gehörigen Schock hat. Das tut mir mehr als leid und ich beginne mich zu entschuldigen. Sowas mache ich immer, wenn ich mal gesundheitlich anspruchsvolle Momente erzeuge. Es tut mir dann wirklich sehr leid, auch wenn ich eigentlich nichts dafür kann.
Die gute Nachricht ist, ich habe endlich mal die Beinfreiheit, die ich brauche. Und auch im Liegen fliegen ist nicht ganz so verkehrt, auch wenn es sich nicht sehr komfortabel auf den harten Sitzen liegt, aber man möchte ja nicht meckern. Offensichtlich habe ich für einige Aufregung im Flugzeug gesorgt. Auch das tut mir leid und ich entschuldige mich beim Flugbegleitungspersonal. Eine von ihnen scheint die ausgebildete Ersthelferin für so einen Flug zu sein. Und ich muss sagen, wenn man schon mal in einem Flieger zusammensinkt, dann sollte man unbedingt diese supernette und superkompetente Frau Bordbegleiterin bei sich haben.
Als ob sie es in der Hosentasche immer bei sich tragen würde, zaubert sie ein Blutdruckmessgerät hervor und stülpt mir so eine Art breite Wäscheklammer über den Zeigefinger, um die Sauerstoffsättigung in mir zu messen. Und das Beste ist, sie kann mit den Ergebnissen auch etwas anfangen. Die nächste gute Nachricht ist, es scheint nichts Schlimmes mit mir passiert zu sein. Ich bin, wie gesagt nicht orientierungslos, habe keine Schmerzen in Kopf oder Brust und bin ansprechbar, was um diese Uhrzeit auch unter normalen Bedingungen nicht immer der Fall ist. Der Morgen ist nicht immer meine Tageszeit.
Es hat offensichtlich auch einen Aufruf gegeben, ob medizinisches Personal an Bord ist. Noch offensichtlicher ist welches an Bord, denn, wie aus der anderen Hosentasche der Flugbegleiterin gezaubert, steht eine Ärztin vor mir. Sie ist Internistin und ich glaube, das ist genau die richtige Art von Ärztin, die beurteilen kann, ob wir nun notlanden müssen, oder nicht. Wir müssen nicht. Sie spricht mich an, leuchtet mir in die Augen, erkennt die Leere dahinter und fragt nach meinem Namen. Den kenne ich sogar auswendig. Man ist begeistert. Oder erleichtert. Ich mache halt viele Umstände. Vielleicht sollte ich mich mal entschuldigen.
Ein Blutzuckertest scheitert. Die Ärztin kriegt erstmal die notwendige Nadel, die auch aus der Hosentasche der Stewardess kommt (also ich vermute es zumindest) nicht in Pieksbereitschaft. Da muss wohl irgendeine Kappe ab, oder so. Das macht dann mal eben der Hase, wer auch sonst. Irgendwie kommt aber kein Blut an die Nadel, oder nicht genug. Jedenfalls klappt der Test nicht, was aber auch nicht wirklich wichtig zu sein scheint. Ich bekomme von der Mitarbeiterin des Jahres an Bord erstmal einen Schluck Cola, weil mein Blutdruck eher normal bis niedrig ist. Und weil ich momentan eigentlich eher hoch bis sehr hoch habe, fühlt es sich für mich eher extrem niedrig an. Sowas kann einem auch mal den Kreislauf zerbröseln und in eine Ohnmacht treiben. Zumindest ist es für den Moment eine Erklärung die ich mir gebe.
Ich liege und der Hase sitzt nun auf dem Sitz am Gang und hat meine Beine auf dem Schoß. Sie ist ein bisschen blass um die Nase und ich mache mir Sorgen, dass sie als nächstes aus den Pantinen kippt. Sie macht sich halt immer noch große Sorgen. Würde ich auch machen, wenn ich an ihrer Stelle wäre. Omma und Oppa sitzen vor uns und da es so schweineeng ist, können sie sich nicht mal eben aufrichten, um nach mir zu sehen. Zwischen dem Brummen der Motoren höre ich jedenfalls Omma Stimme, die sich nach mir erkundigt und eine Ommahand wird zwischen die Rückenlehnen nach hinten durchgesteckt. Ich ergreife diese Hand und schüttel sie kurz.
Es ist wie ein wortloser Dialog. Während Ommas Hand fragt, wie es mir geht und sie hofft, dass es nicht schlimm ist, kann meine Hand auf ganzer Linie beruhigen. „Es wird schon“, sagt meine Hand, während die schwiegermütterliche Hand mir von ihrem Gatten die besten Genesungswünsche ausrichtet. Seine Hand hätte nicht durch die Zwischenräume der Lehnen gepasst und ist außerdem auch oft kein Freund von vielen Worten.
Die Begleiterin erscheint wieder und ist immer noch Herrin der Lage. Mein Blutdruck wird erneut gemessen. „Ich wollte einfach mal einen Liegeplatz haben“, beliebe ich zu scherzen. Ja, ich weiß, als Witz ne totale Niete, aber unter den Umständen geht halt nicht mehr. Außerdem ist es auch ein Zeichen, dass ich genauso blöd bin, wie vor der Ohnmacht. Noch blöder wäre dann doch schon etwas schwierig gewesen. Ob sie sonst irgendwas Gutes für mich tun könnte, fragt sie und ich äußere den Wunsch nach einer Cola, die mir auch sofort gebracht wird. Außerdem bekomme ich noch Sauerstoff, weil meine Sättigung nicht die Beste ist. Dafür muss sie aber erst die Ärztin um Erlaubnis fragen.
Und so liege ich da, die Dramaqueen des Fluges, dessen Nummer mir nicht bekannt ist, ziehe mir abwechselnd Cola und Sauerstoff rein, während meine medizinische Vielfliegerin alle paar Minuten vorbeikommt, nach mir und dem Hasen sieht und mit uns plaudert. „So etwas kommt auf den frühen Flügen nicht unbedingt selten vor“, sagt sie und nennt einen Triathleten als Beispiel. Warum ihr bei meinem Anblick statt einer Qualle ein Athlet in den Sinn kommt, erscheint mir rätselhaft. Wahrscheinlich ist das eher so eine Art Mutmacher. So nach dem Motto, wenn schon ein Extremsportler umkippt, dann kann es einem wie mir auch passieren, da ist nichts dabei.
Ist es auch nicht, aber ich mache mir schon ein bisschen Sorgen um meinen Hasen. Und ich beginne zu denken. Es ist eigentlich ziemlich scheiße in einem Flieger aus den Latschen zu kippen. Besonders auf dem Hinflug. Erstens kann so ein Flieger im Notfall nicht anhalten, geschweige dann, dass man ein Fenster öffnen kann. Man ist gefangen. Vor allem weiß man jetzt schon, dass man in acht Tagen wieder in einem Flieger sitzen muss. Und was dann? Kriegt man das dann hin? Wird man vorsorglich vor dem Einsteigen ohnmächtig? Es ist wie Halsschmerzen haben. Man weiß, dass man irgendwann mal schlucken muss und dass es dann weh tut wie Hölle. Aber nicht schlucken geht nicht. Natürlich könnte man auch mit Fähre und Zug zurückreisen, aber das würde wahrscheinlich länger dauern als der eigentliche Urlaub (man kennt ja die deutsche Bahn) und astronomisch teuer sein. Also wird man wieder im Flieger sitzen und wie ein Damoklesschwert wird dieser Umstand während des ganzen Urlaubs über einem schweben.
Womit wir beim nächsten Problem sind. Wie sehr habe ich meinen drei Mitreisenden jetzt schon die Urlaubsstimmung verhagelt? Vielleicht sollte ich mich noch mal entschuldigen. Ich selbst fühle mich zwar ganz gut, aber durch den etwas niedrigen Blutdruck bin ich auch ein bisschen in den Seilen. „Es sind beim Fliegen die Luftverhältnisse, als wenn man im Gebirge auf 2.000 Meter Höhe ist“, sagt die Begleiterin, die immer noch total kompetent und meganett ist. Ich würde ihr das Bundesverdienstkreuz verleihen, wenn ich es könnte. Oder aber das Hasenbändigerverdienstkreuz, wenn es denn eines gäbe. Ich solle immer schön in den Bauch atmen, sagt sie und ich versuche es auch. „Genug Bauch ist ja da“, sage ich, aber irgendwie kann ich da nicht reinatmen. Vielleicht liegt da das Brötchen quer, das ich kurz vor meiner Abwesenheit gegessen habe.
„Wenn wir den Sinkflug beginnen“, sagt Frau Stewardess, „dann müsse Sie sich hinsetzen.“ Das ist mir auch irgendwie klar und ich fühle mich auch schon ziemlich bereit dafür. Ich bin froh, dass ich nicht kotzen musste. Das wäre der wirkliche Supergau für mich gewesen. So ist auch schlimm, aber ohnmächtig mit Kotzen ist noch eine ganz andere Liga, finde ich. Wir messen noch ein paarmal meinen Blutdruck, plaudern ein wenig und dann ist der Moment gekommen. Ich setze mich hin und auch wenn es mir gut geht, bleibt bei mir ein bisschen Angst, dass es nochmal losgehen könnte.
Aber weit gefehlt, ich kann wieder sitzen. Ich blicke aus dem Fenster und sehe irgendeine Insel unter uns und bin noch ein bisschen klöterig , was aber auch kein Wunder ist. Ich sitze also und beginne auch die anderen Passagiere wahrzunehmen. In der Reihe vor mir, neben Omma sitzt ein Mann, mit dem ich ein bisschen scherze, über das was vorgefallen ist. Er sieht es anscheinend ganz locker. Und ich sage: „Wenigstens mussten wir nicht notlanden.“ Und es scheint, dass ihm diese Option bisher noch nicht bewusst gewesen ist. Es liegt eine gewisse Erkenntnis in seinem Blick, als er das Gespräch ziemlich abrupt beendet.
Der Rest des Fluges verläuft reibungs- und ohnmachtslos. Der Hase sitzt nun neben mir und ich versuche, ihr den Schock ein bisschen zu nehmen. Was nicht leicht ist, denn ein klein wenig habe ich auch noch mit der Gesamtsituation zu kämpfen. Nicht dass ich jetzt übertrieben Angst hätte, aber sowas schüttelt man doch weniger schnell ab, als man eigentlich möchte. Mit der Ommahand führe ich auch noch ein kurzes Zwiegespräch und dann landen wir.
Ein Stein von der Größe des Matterhorns fällt dem Hasen vom Herzen und alle Mitreisenden und ich sind auch erleichtert. Wir lassen alle anderen aussteigen, bevor wir die Maschine verlassen. „Tun Sie mir einen Gefallen und halten sich gleich beim Aussteigen am Handlauf der Treppe fest?“ sagt meine Retterin und ich bin geneigt ihr jeden Gefallen zu tun. Wir steigen aus und ich halte mich am Handlauf fest, während ich, weniger wackelig als erwartet, die Treppe herunter gehe. Der Urlaub kann nun kommen. Das Schlimmste haben wir nun hinter uns. Jetzt überwiegt doch die Freude auf ein paar entspannte und sorglose Tage. Dass sie das nicht in Gänze werden, das ahnen wir nicht. Manchmal ist es aber auch besser, wenn man weniger weiß.